Feminanzi Britta Flury - Sozialbehörde ausser Kontrolle - Falschanschuldigungen gegen Vater (Gesellschaft)
Sozialbehörde ausser Kontrolle
Eine Schulsozialarbeiterin verdächtigt Eltern, den Sohn zu misshandeln. Sie warnt gar vor einem Amoklauf des Zwölfjährigen. Die Verdächtigungen erweisen sich als falsch. Der Fall – ein Albtraum für die betroffene Familie – steht beispielhaft für den überbordenden Therapiestaat.
Der Brief kam eine Woche vor den Sommerferien, im Juli 2012. Max und Helen Zuber (Namen geändert), wohnhaft in der Zürcher Gemeinde Fällanden am idyllischen Greifensee, waren «schockiert» und fielen aus allen Wolken. Die Schulpflege teilte den Eltern mit, dass für ihren Sohn eine sogenannte Gefährdungsmeldung ausgegeben worden sei. Tom war damals zwölfjährig und besuchte die 6. Primarklasse. Laut den Behörden war das Schlimmste zu befürchten. Es bestehe die Gefahr, dass der Junge Amok laufe.
Die Zubers konnten nicht glauben, was sie da lasen. Konfrontiert mit schwersten Vorwürfen, fanden sie sich unverhofft in einem monatelangen Albtraum wieder, dessen Druck erst ein halbes Jahr später langsam nachliess. Ein Gutachten des renommierten Kinder- und Jugendpsychologen Allan Guggenbühl entkräftete schliesslich sämtliche Anschuldigungen und Vorwürfe. Die schrillen Alarmglocken wurden, so Guggenbühls Fazit, ohne sachliche Grundlage gezogen – obwohl oder gerade weil ausschliesslich Profis am Werk waren. Der Fall steht exemplarisch für den überbordenden Therapiestaat, in dem übereifrige und sich selber beschäftigende Behörden eine Eigendynamik auslösen können, in der der Bodenkontakt zu den Faken mitunter verloren geht.
Angefangen hat alles im Herbst 2011. Nach einigen Streitereien mit Kollegen besuchte die offizielle Schulsozialarbeiterin Britta Flury die Klasse. Tom werde «gemobbt», befand sie. Doch obwohl sich, wie Tom und dessen Eltern betonten, «bald alles wieder beruhigte», musste der Knabe weiterhin zur Einzelberatung antreten.
Im Dezember 2011 fand in der Schule ein Elterngespräch statt. Tom hatte Probleme: Er konnte sich, obgleich intelligent, nur ungenügend motivieren und brachte schlechte Noten nach Hause. Auf Empfehlung der Klassenlehrerin wurden die Einzelstunden mit der Sozialarbeiterin fortgesetzt. Dies in der Hoffnung, dass er wieder für die Schule zu begeistern sei und seine Lernmotivation steige.
Doch es kam anders. Für Tom seien die Gespräche mit der Sozialarbeiterin zunehmend zu einer Belastung geworden, berichten die Eltern. Er habe mehrfach gebeten, nicht mehr hingegen zu müssen («Ich habe ja keinen Streit mit den andern mehr»). Aussagen, wonach er zufrieden sei und es gut habe mit Eltern und Kollegen, taxierte Flury als unglaubwürdig.
Die Sozialarbeiterin liess sich in ihrem offenbar feststehenden negativen Urteil nicht beirren. Im Juni 2012 meldete sie Tom zusätzlich bei einer Schulpsychologin an, ohne Lehrer und Eltern zu informieren. Diese erfuhren erst davon, als sich die Psychologin bei ihnen meldete.
Hinter dem Rücken der Eltern und Lehrer
Kurz darauf bot sich die Möglichkeit zu einer Klärung. Am 16. Juni 2012 fand ein Elterngespräch mit den beiden Klassenlehrern, Sozialarbeiterin Flury und der Schulpsychologin statt. Tom benötige dringend Hilfe, sagte Britta Flury, ohne allerdings konkret zu werden. Die übrigen Gesprächsteilnehmer konnten ihr nicht folgen. Wie aus der Schulakte hervorgeht, die der Weltwoche vorliegt, erkannte die Schulpsychologin «keinen Handlungsbedarf». Eltern und Lehrer sahen es ähnlich. Ein nächstes Gespräch wurde auf den Herbst (September 2012) vereinbart.
Entgegen dieser Vereinbarung prescht Flury vor, nun gibt es kein Halten mehr für die hyperaktive Sozialarbeiterin. Sie schlägt in den schrillsten Tönen Alarm – hinter dem Rücken von Eltern und Lehrern. Flury schaltet die Kinderschutzgruppe Uster/Dübendorf ein. Ihr ungeheuerlicher Verdacht: Tom werde zu Hause psychisch und physisch misshandelt und geschlagen. Mehr noch: Der zwölfjährige Junge, vermutet sie, könnte Amok laufen und Lehrer und Klassenkameraden niedermähen.
Bereits am 5. April 2012 hatte sie, wie aus den der Weltwoche vorliegenden Akten hervorgeht, den «Erstkontakt» zur Kinderschutzgruppe aufgenommen. Das entscheidende Treffen fand dann am 5. Juli statt. Neben den sechs Beraterinnen waren, wie es im Sozialjargon des Protokolls heisst, die «Melderin» Britta Flury und, als Vertreterin der Schulgemeinde, Sylvia Zimmer zugegen, die Leiterin der Koordinationsstelle Sonderpädagogik/Soziales.
Das professionelle Gremium, bestückt mit Expertinnen aus den Bereichen Medizin, Psychiatrie, Schulpsychologie sowie Kleinkind-, Jugend- und Familienberatung, stützte sich voll und ganz auf die «Fallschilderung» der Sozialarbeiterin. Deren Vorwürfe gipfelten in der Behauptung, die Eltern «würden ihr Kind bei schlechten schulischen Leistungen abwerten und auch schlagen». Sodann geisselte sie per Ferndiagnose den «elterlichen Erziehungsstil», der «unangepasst» wirke. «Die Mutter sei Schweizerin und Hausfrau, der Vater habe selber schulische Probleme gehabt», heisst es im Protokoll der Kinderschutzgruppe.
Offenbar fragte niemand im hochdekorierten Expertengremium nach, ob diese Schilderungen auch zutrafen. Denn die sechs Beraterinnen gaben, eins zu eins auf der Linie von Sozialarbeiterin Flury und offenbar ohne kritische Gegenfragen oder Faktenschecks, folgende «Einschätzung und Empfehlung» ab: Sowohl die Schule als auch die Eltern würden dem Kind nicht gerecht, dessen Probleme würden «verleugnet». Weiter heisst es im Protokoll: «Man muss von einer emotionalen (fehlende Wertschätzung, Empathie, Geborgenheit) und körperlichen Misshandlung (gewaltsame Behandlung, Schläge) und von Vernachlässigung (u. a. mangelnde Beaufsichtigung) ausgehen.»
Rollenspiele führten in die Irre
Die Kinderschutzgruppe empfahl den Gemeindebehörden schliesslich, eine «Gefährdungsmeldung» zu erstellen, Tom pädiatrisch abklären zu lassen, ihn aus der Familie zu entfernen und in ein Internat zu stecken. Zudem solle der Knabe mit «Not-Telefonnummern» ausgestattet werden – für den Fall der angeblichen Misshandlungen.
Die Behörden folgten dem Rat der Expertinnen. Tom habe «Gewaltfantasien, welche in Richtung einer Amokgefährdung gehen», heisst es in einem als «vertraulich» gekennzeichneten Brief der Schulpflege an die Sozialbehörde Fällanden vom 17. Juli 2012. Die Schulpflege sehe sich veranlasst, «eine Kindswohlgefährdung zu stellen». Es werde «ausdrücklich festgehalten», dass der Junge, «um seine emotionale und kognitive Entwicklung nicht weiterhin zu gefährden, eine externe Platzierung mit Internatsanbindung dringend benötigt». Und weiter: «Die Eltern wurden über diese Gefährdungsmeldung nicht informiert.»
Schliesslich erfuhren die Zubers kurz vor den Sommerferien dann doch von der Gefährdungsmeldung. Aber erst nach den Ferien, Mitte August, sagten ihnen die Behörden erstmals, was man ihnen konkret vorwarf. Tom müsse zwingend psychologisch abgeklärt werden, beschied man der Familie. Weil ihr Vertrauen in die Behörden und die staatlichen kinderpsychologischen Dienste nach den bisherigen Erfahrungen angeschlagen war, bestanden die Zubers darauf, den renommierten Kinder- und Jugendpsychologen Allan Guggenbühl mit der Abklärung zu betrauen.
Das Gutachten, datiert vom 29. November 2012 – es liegt der Weltwoche ebenfalls vor –, entkräftet sämtliche Vorwürfe und Anschuldigungen der Behörden. Der Kontakt der Eltern zu ihrem Sohn wirke «herzlich und unauffällig». Er erlaube «keinerlei Rückschlüsse auf Spannungen oder eine problematische Beziehung». Eltern und Sohn seien «emotional aufeinander bezogen», und es herrsche eine gute Stimmung in der Familie.
Tom mache den Eindruck eines freundlichen, gesprächsbereiten und fantasievollen Jungen. «Beim Erstkontakt ist er offen und kooperativ.» Über die Familie und die Erfahrungen in der Schule spreche er, ohne zu zögern. Über die Vorwürfe des Sozialamts sei er informiert. Die Vorwürfe gegen ihn und seine Eltern empfinde er als «‹völlig› ungerechtfertigt».
Das Problem ortet der Junge ganz woanders: bei Sozialarbeiterin Britta Flury, welche die Verdächtigungskaskade in Gang gesetzt hatte. «Die Stunden bei ihr hätten ihm gar nichts gebracht. Sie habe ihn gezwungen, familiäre Situationen immer wieder nachzuspielen. Er habe sie so lange nachspielen müssen, bis daraus eine Gewaltsituation geworden sei», heisst es im Gutachten. Gemäss Tom habe die Sozialarbeiterin in einer harmlosen Situation einen Übergriff gesehen und «Gewaltvorfälle unterschieben» wollen. «Sie habe ihn bei den Rollenspielen manipuliert, bis seine Worte ihren Erwartungen entsprochen haben.»
Allan Guggenbühl kommt in seinem Gutachten zu Schlüssen, die den Befunden der lokalen und regionalen Fachstellen und Behörden diametral entgegenstehen. Die schweren Vorwürfe, die die Familie in eine monatelange Krise stürzten, lösen sich in Luft auf. Der Verdacht auf eine Traumatisierung von Tom durch die Eltern und eine übermässige Gewaltbereitschaft bestätige sich nicht. Tom mache den Eindruck eines aufgeweckten, sensiblen Jungen. Die Beziehung zu den Eltern sei herzlich und im Bereich der Norm. Die Gefahr eines Amoklaufs bestehe ebenfalls nicht. Weder sei ein Aggressionsstau noch eine übermässige Faszination für Gewalt feststellbar, wie das die Behörden behauptet hatten. Möglich sei lediglich, dass Tom «mit seiner speziellen Art nicht bei allen Kollegen sogleich auf Akzeptanz stösst und eine Mobbingproblematik ausgelöst wird. In seiner aktuellen Klasse ist dies jedoch kein Problem», schreibt Psychologe Guggenbühl.
Niemand will verantwortlich sein
Wie ist es möglich, dass eine ganze Reihe von hochdekorierten Fachpersonen und professionellen Gremien zu solch verheerenden Fehleinschätzungen kommen konnte? Warum hat nie jemand kritisch dagegengehalten?
Bei moralisch aufgeladenen Themen wie dem Kinderschutz falle es schwer, eine Gegenposition einzunehmen, sagt Allan Guggenbühl. Wer Widerspruch wage, gelte schnell als Handlanger des Bösen. Es könne – wie im «Fall Fällanden» exemplarisch zu beobachten ist – leicht eine Eigendynamik entstehen, indem sich die verschiedenen Experten gegenseitig bestätigten – oft losgelöst von den Fakten und der objektiven Grundlage. Am Ende, sagt Guggenbühl, wolle niemand verantwortlich sein. Weil oft eine Vielzahl von Stellen und Fachleuten involviert seien, könnten sich die Beteiligten leicht hintereinander verstecken.
Tatsächlich: Sozialarbeiterin Britta Flury, die den haarsträubenden Fall ins Rollen gebracht hatte, reagierte nicht auf eine Anfrage der Weltwoche. Auch Sozialamtschef Roger Hermann (SP) war nicht zu erreichen. Der zuständige Schulpfleger, PH-Dozent und SP-Politiker Thomas Jenny, der den betroffenen Eltern in einer E-Mail beschieden hatte, alles sei «korrekt abgelaufen» und er stehe «voll und ganz hinter meinen Mitarbeiter/innen», wollte ebenfalls keine Stellung nehmen und verwies auf seinen Vorgesetzten, Schulpflegepräsident Bruno Loher (ebenfalls SP). Dieser vermag keine Fehler der Behörden zu erkennen. «Jede Gefährdungsmeldung kann eine Verdächtigung sein. So ist das System», sagt Loher.
Im «Fall Fällanden» könnte also noch ein weiterer Faktor hinzugekommen sein, der für die Selbstkritik hinderlich war und die unheilvolle Dynamik der falschen Behördenverdächtigungen beschleunigte: Die politisch Verantwortlichen gehören alle derselben Partei an, der SP. Das Hauptproblem bleibt indes der übermarchende Sozial- und Therapiestaat, der sich hier selber ad absurdum führt: Statt Leid zu lindern, produziert er selber welches.
Danke an Weltwoche für den investigativen Journalismus.