Liste Femanzen Carol Hagemann-White (Liste Femanzen)
F28 Prof. Dr. Carol Hagemann-White USA - geboren am 15.08.1942 in New Jersey (USA) - lebt und arbeitet seit 1964 in Deutschland - Studium der Geschichte an der Harvard University sowie Philosophie, Soziologie und Geschichte an der Freien Universität Berlin - von 1970 bis 1977 wissenschaftliche Assistentin am Institut für Soziologie der freien Universität Berlin - seit 1988 ist die ordentliche Professorin Allgemeine Pädagogik/Fraenforschung am Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften an der Universität Osnabrück - von 1977 bis 1980 wissenschaftliche Begleitung des ersten Frauenhauses in Wwst-Berlin - Mitbegründerin der Sektion Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und war von 1981 bis 1983 deren Sprecherin - 1983 gründete sie das Berliner Institut für Sozialforschung und Sozialwissenschaftliche Praxis e.V. und arbeitete dort bis 1993 als ehrenamtliche Geschäftsführerin und in der Projektleitung - von 1983 bis 1986 forschte Hagemann-White im DFG-Projekt "Frauen und Männer im Hochschuldienst" an der Technischen Universität Berlin - von 1992 bis 1997 war sie wissenschaftliche Leiterin des "Instituts Frau und Gesellschaft" (ifg) in Hannover - von 1998 bis 1999 Gastforscherin für Soziologie am Institut für Soziologie an der Uppsala Universität in Schweden - in Organsisation wie der Deutschen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie der Sektion Frauenforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften (DGFE) aktiv - Carol Hagemann-White hat ein umfangreiches Spektrum in den Forschungsbereichen der frauenpolitischen Grundlagenforschung, der feministischen Theorie sowie der Identität und Interaktion der Geschlechter vorzweisen - carol.cahrv@uni-osnabrueck.de - http://4.bp.blogspot.com/_8GXrCvbgd1A/SwPCfJ_aMBI/AAAAAAAAAs4/GhGZcYjIwzc/s320/IMG_9852.jpg
Westerkappeln - Eine Frau wird von ihrem Mann geschlagen, erniedrigt, unter Druck gesetzt. Immer wieder. „Ich muss die Mama hauen, weil die böse ist“, erzählt er seinem vierjährigen Sohn. „Die Mama ist eine blöde Kuh.“ Der Junge verliert den Respekt vor ihr. Der Mann trinkt Alkohol, eine Kiste Bier und eine Flasche Wodka pro Tag. Er ist extrem aggressiv. Neun Jahre dauert das Martyrium Ehe, jetzt hat seine Frau mit ihrem Kind Schutz im Frauenhaus Rheine gefunden.
Wer denkt, dies sei ein Einzelfall, irrt. Jede vierte Frau in Deutschland ist von häuslicher Gewalt betroffen. Diese erschreckend hohe Zahl fand Professorin Carol Hagemann-White von der Universität Osnabrück in einer Studie heraus. Sie hat im Auftrag der Bundesregierung die Lebenssituation von Frauen in Deutschland analysiert.
„Das hat mich nicht überrascht“, betont Sabine Fischediek. Sie leitet seit 22 Jahren das Frauenhaus Rheine und hat schon so einiges erlebt. 100 Betroffene sind es im Schnitt pro Jahr, die die Einrichtung aufsuchen. Auch Frauen aus Westerkappeln suchen dort immer wieder Zuflucht.
Am Donnerstagabend war Sabine Fischediek zusammen mit Erzieherin Claudia Schmidtfrerick, die die Perspektive der betroffenen Kinder einnahm, der Einladung der kfd gefolgt. Beide berichteten im Reinhildishaus von ihren Erfahrungen. „Die Dunkelziffer für Gewalt in der Partnerschaft liegt vermutlich noch höher.“
Doch vielen Frauen fehle der Mut, den ersten Schritt zu machen. Dabei reiche oft schon ein Anruf. „Aber es gibt immer noch viele Vorurteile. Wir seien dreckig, es gebe vergitterte Fenster, bei uns lebten nur A-Soziale“, zählt Fischediek nur einige auf. „Wer so denkt, findet den Weg zu uns nicht.“
Es geht der Diplompädagogin um Aufklärung. Was ist das Frauenhaus ? Wie arbeitet es ? Welche Arten von Gewalt gibt es und bin ich überhaupt davon betroffen ? Den meisten Frauen mangele es an Informationen. „Neulich war eine Frau am Telefon und sagte, sie versuche seit fünf Jahren den Mut aufzubringen, bei uns anzurufen“, berichtet Fischediek. Fünf Jahre sind eine lange Zeit. „Ich weiß, wie schwer es ist, Hilfe zu holen. Betroffene schämen sich, fühlen sich allein.“
Häusliche Gewalt - das sind nicht nur Schläge und Tritte, sondern auch systematische Erniedrigungen und Beschimpfungen bis hin zum Geldentzug. So werde das Selbstbewusstsein der Frauen kontinuierlich untergraben.
Das Frauenhaus Rheine ist ein Hilfsangebot für Opfer häuslicher Gewalt im Kreis Steinfurt. Träger ist das Diakonische Werk Tecklenburg der evangelischen Kirche. Auf einer Fläche von 360 Quadratmetern gibt es Platz für bis zu acht Frauen mit ihren Kindern. Jede Betroffene bekommt ein eigenes Zimmer als privaten Schlafraum. Diese befinden sich in der ersten Etage. Geteilt werden zwei Küchen und zwei Badezimmer. Zwei Sozialarbeiterinnen, eine Erzieherin und eine Hauswirtschafterin kümmern sich um die Belange der Frauen. Einen Platz findet dort jeder ab 18 Jahren. Die bislang älteste Bewohnerin war 89 Jahre alt. Über die Dauer ihres Aufenthaltes entscheiden die Frauen selbst. Das Frauenhaus Rheine ist rund um die Uhr unter Telefon 05971/127 93 zu erreichen.
„Ich musste immer schwarz sagen, wenn mein Mann das wollte, auch wenn etwas weiß war. Irgendwann wusste ich es selbst nicht mehr“, zitiert die Frauenhaus-Leiterin ein Opfer.
Doch damit nicht genug: Es gebe Männer, die zeigten ihren Frauen beispielsweise Zeitungsberichte, in denen ein Mann seine Gattin erschossen hatte. „Ein klasse Vorbild. Hier, kannst du mal lesen.“
Finden die Frauen endlich den Weg ins Frauenhaus, steht ihnen fachkundige Beratung zur Seite. „Wir helfen bei Gängen zu Ämtern und begleiten die Frauen, wenn sie das Nötigste aus der alten Wohnung holen“, erzählt Fischediek, die konsequent auf der Seite der Betroffenen steht. „Wir sind parteiisch. Die Sichtweise der Männer interessiert uns nicht.“
Zurück in die Wohnungen geht es immer mit Polizeischutz. Denn manchmal hätten die Betroffenen nichts als ihre Kleider am Leib und die Kinder dabei. „Unsere Frauen stammen querbeet aus allen sozialen Schichten“, entkräftet Fischediek gleich noch das Vorurteil, nur A-Soziale seien betroffen. „Täter sind auch Richter und Polizisten. Was im geschützten Raum passiert, weiß man eben nicht.“
Hundert Frauen finden pro Jahr den Weg ins Frauenhaus - nicht aber aus der Gewaltbeziehung. Denn 60 Prozent der Bewohner kehren laut Statistik zu ihrem Mann zurück.
Über die Gründe kann Fischediek nur spekulieren: Angst sei das Eine. Ein weiteres Druckpotenzial seien die Kinder. Viele Täter kämpften um das Sorgerecht und wüssten sich nach außen darzustellen. „Wenn sie meinen Mann reden hörten, dagegen bin ich eine Null“, zitiert Fischediek eine andere Bewohnerin, die mit ihren fünf Kindern in der Einrichtung lebt. Es sind Zitate wie diese, die den etwa 20 Zuhörerinnen im Reinhildishaus so manchen Schauer über den Rücken jagen lassen.
„Es ist traurig, zu hören, was Frauen erleben. Vergewaltigungen, Geldentzug, krankhafte Eifersucht“, zählt Fischediek schonungslos auf. Trotzdem mache ihr der Beruf Spaß. „Weil die Frauen einen Ort haben, an dem sie Schutz finden. Es ist gut, dass es uns gibt.“
Prof. Dr. Carol Hagemann-White über Männer und Gender Studies, die Notwendigkeit einer ‚Doppelstrategie’ im akademischen Feld, die Bringschuld arrivierter Geschlechterforscherinnen und die staatliche Diskriminierung von Arbeitslosen.
Aus New Jersey kommend hat Carol Hagemann-White in den 1960er Jahren an der Freien Universität Berlin studiert und dort 1976 ihre Habilitation in Soziologie erlangt. Von 1977 bis 1980 war sie wissenschaftliche Begleiterin des ersten Frauenhauses in West-Berlin. Carol Hagemann-White ist Mitbegründerin der Sektion Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und seit 1988 Professorin für Allgemeine Pädagogik und Frauenforschung an der Universität Osnabrück. 1998 erhielt sie den Humboldt-Preis für international herausragende Forschung. Im Rahmen der diesjährigen Summerschool des Graduiertennetzwerks „Gender Studies Schweiz“ in Basel hielt Carol Hagemann-White ein Referat über die „Reifizierung als Problem der Gender Studies“. soz:mag hat die Gelegenheit genutzt, die Grande Dame des akademisch gewordenen Feminismus zu einem Gespräch zu treffen.
SOZ-MAG Interview: Denis Hänzi und Bettina Büchler
Frau Professor Hagemann-White, bei Ihrem Vortrag eben bestand das Publikum fast exklusiv aus Frauen. Wie kommt es, dass anlässlich der Summerschool „Gender Studies Schweiz“ kaum Männer zugegen sind?
Gut, das ist nichts Neues, nicht wahr? Eine Promotion über Genderprobleme ist erstens nicht unbedingt karriereträchtig. Zweitens liegen die Ursprünge der Gender Studies in der Frauenforschung; der Impuls, das Männliche nicht als das Allgemeine hinzunehmen, sondern die Bedeutung des Geschlechts zu sehen, kam sehr stark von Frauen. Wir haben es auch deswegen Frauenforschung genannt. Für die Infragestellung der Bedeutung des Geschlechts gibt es bei Frauen ein sehr viel stärkeres Motiv: Sie erleben ihre Geschlechtszugehörigkeit in einem Spannungsverhältnis zu ihren Ansprüchen auf Ausbildung, Wissenschaft und Beruf. Es gibt eine lange Tradition des Ausschlusses von Frauen aus der Wissenschaft.
Und kehrseitig dazu gibt es Mechanismen des Ausschlusses von Männern aus der Geschlechterforschung?
Frauenforschung ist durchaus auch kultiviert worden als ein Bereich, wo Frauen unter sich sein können. Es hat Praktiken des sozialen Ausschlusses von Männern gegeben. Ich habe aber auch den Eindruck, dass es relativ wenige Männer gibt, die diese Themen vertieft verfolgen. Sie befürchten, von den massgeblichen Männern belächelt, geringschätzig behandelt und mit der Frage konfrontiert zu werden, was denn mit ihnen los sei, dass sie es nötig haben, sich damit zu befassen. Und allgemein taucht immer wieder die Vorstellung auf, dass Geschlechterforschung zwar einst ganz nötig gewesen sei, man das Thema nun aber ein für allemal geklärt habe. Ob das nun Gleichberechtigungspolitik oder eben auch Geschlechterforschung ist. Vermutlich ist für Männer das Risiko der Geringschätzung oder Marginalisierung grösser, und gleichzeitig sind die Beweggründe wohl weniger stark. Während Frauen im Kreise der Frauenforschung eine Stärkung ihres Selbstwertgefühls finden, sehen sich Männer in Frage gestellt.
Zu Ihrem ersten Punkt. Wenn eine Promotion zu Genderproblemen nicht unbedingt karriereträchtig ist, machen dann nicht alle Frauen, die auf die Karte Frauen- und Geschlechterforschung setzen, einen laufbahnstrategischen Fauxpas? Sollten sie nicht besser orthodoxe Soziologie, Psychologie oder Geografie betreiben, um sich im akademischen Feld positionieren zu können?
Ich sitze gerade in einer Berufungskommission für allgemeine Soziologie. Bei der ersten Runde sind – bis auf drei – alle Frauen ausgesondert worden. Das Mass für die Qualifikation war, dass man zu den Klassikern gearbeitet und publiziert hat. Und alle Frauen, die sich mit der Frage „Geschlecht und Moderne“ befasst haben, haben bei Max Weber und Émile Durkheim nix gefunden, oder zumindest nicht viel. Natürlich greifen sie auf Durkheim, Weber und andere zurück, aber sie verbringen nicht ihre Karriere damit, Aufsätze darüber zu schreiben, warum der Habermas dem Bourdieu Unrecht tut oder umgekehrt. Sie schreiben durchaus kreativ über Fragestellungen, die nicht solche der Mainstream-Soziologie gewesen sind – und berufen sich auf die Klassiker. Das hat aber nicht gereicht. Sie sollten auch Experten zu den Klassikern sein. Da sind die Frauen ganz schnell raus gewesen.
Dann müsste also die Devise lauten: Frauen, ran an die Klassiker!?
Nicht unbedingt. Es sind auch viele rausgefallen, weil sie in dieser Treue zu den alten Meistern selbst ideenlos geblieben sind – beim Versuch, immer nur zu reproduzieren, was Alfred Schütz oder Niklas Luhmann wirklich gemeint hat. Es zeugt von einem Mangel an Kreativität, wenn man sich sklavisch bemüht, dem Mainstream zu folgen. Wahrscheinlich ist es notwendig – und dahin geht meine Beratung – eine Doppelstrategie zu entwickeln. Das heisst, spannende Fragestellungen zu entwickeln, in denen man eine wirkliche Motivation zum kreativen Arbeiten findet. Und dann noch mal zu reflektieren: Wo hat das in der Disziplin einen strategischen Stellenwert?
Haben Sie ein Beispiel für diese Doppelstrategie?
Ich bin jetzt in der Pädagogik angesiedelt und hatte eine Kollegin, die über Mutterschaft und über Vaterschaft gearbeitet hat. Da habe ich ihr gesagt: Bitte, bitte, rahme das als pädagogische Anthropologie! Die Idee war ihr einfach nicht gekommen. Sie war bei dem Thema, fand das spannend, bearbeitete es. Das kannst du aber nicht immer als Geschlechterforschung, als Sonderbereich machen. Du musst eine Wende machen und schauen: Wo in der Disziplin fehlt diese Thematisierung? Wie würde man es systematisch zuordnen? Und das auch wirklich explizit in Bezug setzen. Das versäumen viele.
Sie sehen das als ein spezifisches Problem der Frauen- und Geschlechterforschung?
Ich glaube, das wird in den Seilschaften der Nachwuchsausbildung – implizit oder explizit – sehr viel genauer unterrichtet. Bei den Mainstream-Soziologen zum Beispiel, zumindest bei ihren Lieblingsnachwuchswissenschaftlern, wird thematisiert, wie man sich im Diskurs zu platzieren hat. Diese Frage haben die Frauenforscherinnen vernachlässigt. Teilweise meinten sie, wenn sie von einer breiten Frauenforschungsdiskussion gestützt und getragen würden, müssten sie das nicht. Das war ihnen befremdlich und unangenehm. Wenn man im akademischen System Platz nehmen will, ist das aber zu kurz gegriffen. Da muss man den nächsten Schritt machen und sagen: Okay, was wird derzeit diskutiert, an den Fachtagungen, in den Disziplinen? Und wo verorte ich mich in Bezug dazu?
Haben Sie diese Doppelstrategie selber auch verfolgt? Wie ist es ihnen gelungen, im System Platz zu nehmen?
Ich habe eine klassische Zufallskarriere. Als man beschlossen hat, in Osnabrück eine Professur für Frauenforschung einzurichten, um das Institut „Frau und Gesellschaft“ zu leiten, gab es plötzlich Bedarf an einer Person, die einerseits habilitiert ist, publiziert hat und bekannt ist, und andererseits aber ein breites Profil in der Frauenforschung hat. Ich habe nicht sehr strategisch gehandelt und eigentlich damit gerechnet, dass ich nicht mehr ins System reinkomme. Der Prozess, dass man explizite Stellen für Frauenforschung geschaffen hat, ist sehr kurzfristig beschleunigt worden. Unter anderem von Rita Süssmuth, die dies als Strategie für eine Institutsgründung genommen hat – und dann selber aber in die Politik abgeschwirrt ist. Und plötzlich war eine Vakanz da. Eine Zeit lang sind dann Stellen dafür besetzt worden. Es gibt zeitliche Konjunkturen. Da ist es schwierig, seinen Werdegang zu planen. Ich habe erlebt, wie Kolleginnen durchgeflutscht sind. Es ist nicht so berechenbar. Aber ich habe gelernt, mich zur Disziplin in Bezug zu setzen – und das weiterzugeben, finde ich, ist eine Bringschuld der älteren Generation, die nicht immer wahrgenommen worden ist. Viele junge Forscherinnen entwickeln sich beschützt in ihrem Frauenraum und kommen dann plötzlich nirgendwo an. Aber es ist auch riskant, konservativ und langweilig zu bleiben.
Auch die Frage, ob eher spezifische, separate Studiengänge in Gender Studies angeboten werden oder aber Geschlechterthemen vermehrt Eingang in die einzelnen Disziplinen finden, unterliegt einer Konjunktur. Was ist da im Moment der Trend?
Ich war überrascht, als es zu den Studiengängen ‚Gender Studies’ kam, weil ich dachte, dass das zumindest mit dem deutschen System der beruflichen Qualifikation nicht gut vereinbar ist. Was machen mit einem Abschluss in Gender Studies? Was ist man dann? Für Soziologen oder Psychologen waren die Berufswege sehr stark an die Abschlüsse gekoppelt. Ich hatte daher immer eher die Strategie der Integration: sich in der jeweiligen Disziplin in Gender Studies auszuweisen. Es wird auch – zumindest in meinem Fachbereich – mittlerweile begriffen, dass man es mit Mädchen und Jungen und Männern und Frauen zu tun hat. Dass man daran überhaupt nicht vorbei kann.
Dann werden separate Stellen für Geschlechterforschung zusehends obsolet?
Das Risiko, dass man sagt, dann brauchen wir auch die speziellen Stellen dafür nicht mehr, besteht tatsächlich. Die Hochschulen sind da in ganz widersprüchlichen Entwicklungen drin. Es scheint eher so zu sein, dass die spezifischen Stellen für Frauen- oder Geschlechterforschung nicht unbedingt nachbesetzt oder zumindest in Frage gestellt werden. Es ist aber unklar, wie ein Forschungsbereich aufrecht erhalten werden soll, wenn niemand da ist, der dazu auch wirklich Forschung betreibt.
Welche Zukunft sehen Sie für die Gender Studies und ihre Absolventinnen?
Ich kann nicht abschätzen, wie sich das entwickeln wird. Es ist aber interessant, dass eine Nachfrage entstanden ist und Studierende das Angebot gerne in Anspruch nehmen. Vermutlich, weil man zu Recht nicht mehr glaubt: Wenn ich irgendwas studiere, habe ich nachher einen Job. Die Vorstellung, man müsse einfach einen ordentlichen Abschluss in Psychologie oder Soziologie haben, damit man auf dem Arbeitsmarkt dann Platz findet, hat sich aufgeweicht. Es ist zunehmend klar, dass man seinen Werdegang selber basteln muss.
Und das begrüssen Sie?
Was ich begrüsse ist, dass den Leuten klar geworden ist, dass es kein leistungsgerechtes Selektionssystem gibt. Dass das ein System ist, in welchem man selber seinen Weg finden muss. Das war vor zehn, fünfzehn Jahren zwar auch schon der Fall, aber das hat keiner realisiert. Da war wirklich die Vorstellung, wenn ich’s nur gut mache, dann finde ich geradewegs in den Beruf hinein. Die Laufbahnausbildungen, die automatisch in Stellen eingemündet haben, sind aber mit der Chancengerechtigkeit des Zugangs zur Ausbildung unterminiert worden. Es können ja nicht alle Spitzenpositionen bekommen. Wenn immer mehr Leute studieren, dann ist der Anteil derer, die akademische Positionen bekommen, geringer. Und dann ist die Frage, wie man das macht, nicht mehr mit bravem Abschluss erledigt, sondern dann muss man Strategien entwickeln, um gesellschaftlich wichtige Probleme anzugehen und entsprechende Kompetenzen zu erwerben. Dafür können Gender Studies ein Weg sein.
Inwiefern?
In den Gender Studies ist die Offenheit für gesellschaftlichen Wandel sehr präsent, was in den traditionellen Ausbildungen häufig fehlt. In vielen gesellschaftlichen Bereichen fehlt es an der Kompetenz, mit neu entstehenden Situationen umgehen zu können. Man sieht es zum Beispiel in den festen Vorstellungen von staatlicher Wohlfahrtsleistung und Sozialarbeit. Da gibt es eine ganze Tradition von Vorstellungen. Man kann in der Bundesrepublik zum Beispiel eine erschreckende öffentliche Debatte über die Arbeitslosen hören. Sie werden – von Sozialdemokraten – in einer Weise diskriminiert und herabsetzend gekennzeichnet, die ich mir nur dadurch erklären kann, dass die nicht begriffen haben, dass der Staat nicht mehr für alle sorgen kann. Die denken immer noch: Diejenigen, für die wir nicht sorgen können, müssen die eigene Ausgrenzung verdient haben, müssen etwas verbrochen haben, müssen unwürdig sein. So, dass die gleichen Leute, die sehr wohl wissen, wie die Massenarbeitslosigkeit zu Stande kommt – in Ostdeutschland mit Quoten von zwanzig, dreissig Prozent – plötzlich über Langzeitarbeitslose als Missbraucher von Sozialleistungen und Faulenzer reden. Da fragt man sich: Wo bleibt bitte sehr die Sozialdemokratie? Das hängt damit zusammen, dass man feste Vorstellungen von der Welt hat, die nicht mehr der gegenwärtigen Realität entsprechen, und nicht in der Lage ist, kreativ weiterzudenken.
Wohingegen man im Bereich der Gender Studies...
...in der Tat von vornherein mit dem Nicht-Funktionieren von Traditionen operiert und sagt, es waren sowieso nie alle drin, im System der staatlichen Fürsorge. Die staatliche Fürsorge war immer schon ambivalent und hatte etwas mit der Forcierung von geschlechtertypischen Rollen bei Frauen zu tun. Mit dem Schaffen von Abhängigkeit. Die Lückenhaftigkeit ist sozusagen präsent – und man kommt nicht so schnell darauf, die Leute, die man nicht versorgen kann, als Versager darzustellen. Das passiert aus der Perspektive der Frauenforschung sicherlich nicht so schnell.
Können Sie das an einem konkreten Beispiel verdeutlichen?
Um 1990 gab es etwa wieder mal eine Phase, wo die Arbeitsämter gesagt haben: Diese hohe Arbeitslosigkeit im Osten, das ist ja ein Problem, aber das wird sich normalisieren, sobald die Frauen im Osten begriffen haben, dass sie nicht arbeiten gehen müssen, sondern zuhause bei den Kindern bleiben dürfen. Also, ja. Es kam aber anders, sie haben es nicht „begriffen“ sondern hielten ihren Anspruch auf Arbeit als Form gesellschaftlicher Teilhabe aufrecht – was wir in der Frauenforschung genau so vermutet hatten, denn wir wussten, wie zwiespältig das „Zuhause-Sein-Dürfen“ auch und gerade im Westen ist. Es wurde deutlich, dass die Frauenforschung von vornherein diese Optik nicht hatte – und damit auch nicht so anfällig ist für diese Art von Konstruktionen. Man muss überlegen, was eine Gesellschaft damit macht, dass viele Menschen keinen Platz im Erwerbssystem finden. Gegenwärtig redet die Gesellschaft den Arbeitslosen ein, dass es irgendwie an ihnen selbst liegt. Obwohl mit blossem Auge zu sehen ist, dass es nicht genug Stellen gibt. Und da denke ich, um auf Ihre Frage zurückzukommen, dass man mit einer Ausbildung in Gender Studies auch für diese Art von Praxisfeldern einen Habitus des Infragestellens und des Bewusstseins der Komplexität der Probleme bekommt, was man mit einer traditionellen Ausbildung nicht unbedingt hat. Und damit auch sich anbieten kann als jemand, der vielleicht eher kreativere und realitätsgerechtere Lösungswege suchen kann.
Ob man denn auch die Chance kriegt, sich so einzubringen, ist eine andere Frage. Dem Leiter einer Institution, der einfach will, dass die Geschäfte unbefragt erledigt werden, erscheint der kritische Geist einer Geschlechterforscherin wohl eher als Störfaktor denn als Potenzial?
Das Problem ist eher, ob man mit diesem kritischen Habitus in der Lage ist zu akzeptieren, dass Institutionen sehr zäh sind. Das ist die wirkliche Herausforderung – ob an der Universität, bei der Sozialbehörde oder sonstwo: zu begreifen, dass sozialer Wandel in kleinen Schritten passiert – wobei man ein Denken gelernt hat, das grosse Schritte machen will. Das hat man genauso, wenn man in der Beratungsarbeit mit gewaltbetroffenen Frauen ist und Frauen erlebt, die am liebsten wollen, dass der Mann zurückkommt und friedlich vorm Fernseher sitzt. Die wollen nicht das Patriarchat umwälzen. Es ist gar nicht so einfach, aus der Arbeit in den Niederungen alltäglicher, höchst begrenzter Wünsche eine eigene Berufsmotivation zu finden. Einen Sinn darin zu sehen, mit der Frau kleine Schritte zu gehen, ist ein Lernprozess, der vielfach erst im Beruf passiert. Dass man die Widersprüche sehen lernt, im Kleinen, und überlegt, wo man daran etwas bewegen kann. Veränderungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung brauchen Zeit. Ich habe das beim Umgang mit Geschlechtergewalt verfolgt, wo ich sagen würde, dass man für einen Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein in Zeiträumen von zehn bis zwanzig Jahren denken muss.
Zurück zum Anfang: Wie lange mag es aus Ihrer Sicht denn dauern, bis sich in der Geschlechterforschung fünfzig Prozent Männer finden?
Wir haben ja keine programmatische Forderung, es müsse fifty-fifty sein. Und bis die Infragestellung von Männlichkeit als ein Gewinn für Männer wahrgenommen wird, bis das sozusagen in breiter Zahl passiert, denke ich, dauert es noch länger. Ich weiss aber nicht, ob fifty-fifty überhaupt ein Mass dafür ist. Ob das ein Wert ist, wo man sagen würde, dann sind wir endlich angekommen? Es könnte sein, dass der Erfolg der Gender Studies darin liegt, dass zwar das Zentrum der Gender Studies überwiegend von Frauen besetzt ist, aber die Berücksichtigung durch die Männer im Mainstream erheblich zunimmt. Es kann sein, dass es Frauen leichter fällt, sich umfassend damit zu identifizieren, indem man in ein Kolleg geht und seine Doktorarbeit dazu macht. Es kann sein, dass das noch über längere Zeit eine Strategie bleibt, die für Frauen sowohl sympathischer als auch erfolgreicher ist.
Literatur
Hagemann-White, Carol (1984): Sozialisation: Weiblich-männlich? Opladen: Leske und Budrich.
Hagemann-White, Carol (1995): Frauenforschung – der Weg in die Institution: Ideen, Persönlichkeiten und Strukturbedingungen am Beispiel Niedersachsens. Bielefeld: Kleine.
Hagemann-White, Carol et al. (1997): Parteilichkeit und Solidarität: Praxiserfahrungen und Streitfragen zur Gewalt im Geschlechterverhältnis. Bielefeld: Kleine.
http://soziologie.ch/sozmag/sozmag-10/ich-habe-eine-klassische-zufallskarriere
Carol Hagemann-White: Wir werden nicht zweigeschlechtlich geboren...
1.) deutsche Diskussion: Festhalten an der Zweigeschlechtlichkeit
Hagemann-White konstatiert, dass sowohl der Gleichheits- als auch der Differenzfeminismus in Deutschland von der „Idee, dass wir es mit einem elementaren Gegensatz von zwei grundverschieden gearteten Wesen zu tun haben“ (2) geprägt sei. Die Annahme einer biologisch gegebenen Zweigeschlechtlichkeit werde nicht angetastet, vielmehr diene sie als „Krücke der Identität“ (2). In ihrem Bestreben um Autonomie habe sich die Frauenbewegung auf die Verschiedenheit von Frauen und Männern berufen, um politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Jedoch verstellt ein Festhalten an der Vorstellung unaufhebbarer Geschlechtsunterschiede eine emanzipatorische Perspektive, die „gerade zeigen will, wie sehr das Geschlecht eine soziale Kategorie, die Sozialcharaktere historisch relativ und gesellschaftlich produziert seien“ (3).
So kam es, dass Ergebnisse der US-amerikanischen Theoriediskussion nicht angemessen rezipiert wurden und gerade ihr Potential, Biologismen zu überwinden, nicht wahrgenommen wurde.
2.) US-amerikanische Diskussion: Zweigeschlechtlichkeit ist sozial konstruiert
Hagemann-White weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des „doing-gender“ Ansatzes hin: Geschlecht (gender) wird prozeß- und situationsbezogen gedacht, die Bildung einer Geschlechtsidentität als „aktiver Prozeß der Aneignung in Auseinandersetzung mit (mehreren!) sozialen Umgebungen“ beschrieben. Kessler/ McKenna verweisen hier auf die gesellschaftliche Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit, die auf den Grundannahmen der Eindeutigkeit, Nahrhaftigkeit und Unveränderbarkeit beruhe. Ergebnisse aus Biologie und Ethnologie stützen die These der sozialen Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit. Hagemann-White fasst zusammen: „Zweifellos gibt es Körpereigenschaften, die mit der Fortpflanzung enger oder entfernter zusammenhängen, jedoch ist ihre Beachtung und ihre Verwendung als Maßstäbe für einen Primärstatus der Geschlechtszugehörigkeit offensichtlich variabel und von gesellschaftlichen Bedingungen abhängig.“ (7).
3.) Kritik an der sex-gender Unterscheidung
Der sex-gender Ansatz unterteilt Geschlecht in eine soziale (gender) und eine biologische (sex) Dimension. Diese Theorien blieben jedoch „in ihrer Annahme, zwischen biologischem und sozialem Geschlecht unterscheiden zu können und zu müssen [...] immer noch biologistisch, denn sie mussten einen – meist diffus abgegrenzten- Teil der kulturellen Vorstellungen über maßgebliche Merkmale der Geschlechtszuordnung als ‚Natur’ festschreiben, um davon die bloß anerzogenen Eigenschaften und Erwartungen trennen zu können“. (8) Demgegenüber plädiert Hagemann-White für die „Nullhypothese“, dass es keine naturhaft vorgeschriebene Zweigeschlechtlichkeit gebe, sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen von Geschlecht.
4.) Geschlecht als symbolische Ordnung
Es gibt eine Geschlechterordnung, die unabhängig von den (Einzel-)Handlungen der Individuen feststeht, in den alltäglichen Handlungen jedoch täglich neu geschaffen, reproduziert wird. Nicht die Merkmale von Personen (weibliche oder männliche Geschlechtsmerkmale) bestimmen die zugeschriebene Geschlechtlichkeit, vielmehr ist Geschlechtszugehörigkeit symbolisch und muß dargestellt werden. Glückt diese Darstellung, so wird das Vorhandensein entsprechender Genitalien unterstellt.
Geschlecht als ein „fundamentales Ordnungsprinzip“ wird schon von Kindern angeeignet: weniger als ein kognitives Prinzip als als Code, der in die Identität eingelagert ist. Die Selbstzuordnung als Mädchen oder Junge ist in unserer Kultur Bedingung der Möglichkeit von Identität (vgl. 12).
www.ruhr-uni-bochum.de/fwu/texte/tp_hagemann-white.rtf
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