Liste Lila Pudel Erik Marquardt (Feminismus)
LP 216 Erik Marquardt - Grüne Jugend – geboren 1987 – Studium der Chemie an der TU Berlin - gehört dem Kuratorium der TU Berlin der der Bologna AG an – seit 2011 im Vorstand des fzs aktiv - http://www.fzs.de/_node/personen/marquardt_erik - erik.marquardt@fzs.de - http://www.tazlab.de/programm/speakers/928.de.html - http://www.gruene-jugend.de/ueberuns/bundesvorstand
„Nach meiner Auffassung ist es die Pflicht der Hochschule und ihrer zuständigen Instanzen, von außen kommende Versuche dogmatischer Einflußnahme auf die Lehre abzuwehren und die Möglichkeiten kritischer Diskussion umfassend zu wahren.“ (S. 73)
So argumentierte zu Beginn der neunziger Jahre der Duisburger Philosophieprofessor Hartmut Kliemt, als er gegen massive Proteste und schließlich erfolgreiche Störversuche ein Seminar über den umstrittenen australischen Moralphilosophen Peter Singer abzuhalten versuchte.
„Es darf weder Herrn Singer noch seinen Gegnern erlaubt werden, sich einer kritischen Diskussion zu entziehen oder eine argumentative Auseinandersetzung zu verhindern."
Kurz nach Beginn meines Philosophiestudiums in Göttingen habe ich ähnliche Diskussionen über Singer miterlebt. Ich hatte kurz zuvor Zivildienst in einer Einrichtung für geistig Schwerbehinderte gemacht, und mir war die Selbstverständlichkeit suspekt, mit der Singer über das Lebensrecht behinderter Menschen schrieb, überlegte, wann eine Tötung gerechtfertigt sei, und Behinderte nonchalant als „human vegetables“ (wörtlich: menschliches Gemüse, aber auch mit einer Anspielung auf das Vegetieren) bezeichnete. Obwohl Singer nur über Menschen mit schwersten Behinderungen geschrieben hatte, nahmen viele Behinderte eine solche Diskussion natürlich als bedrohlich wahr.
Trotzdem waren die Störversuche falsch, die Ende der Achtziger und zu Beginn der Neunziger in Deutschland übrigens sehr erfolgreich waren: Seminare über Singer wurden abgesagt oder abgebrochen, Einladungen an ihn zu universitären Vorträgen zurückgenommen. Falsch waren sie, weil sie der universitären Debatte nicht zutrauten, dass sie ihre eigene Problematik – über das Lebensrecht anderer Menschen zu debattieren – nicht ernsthaft zum Thema machen könnte und weil sich unter den Störern niemand Gedanken darüber machte, wo denn eigentlich die Grenzen der Störung freier Rede gezogen würden.
Trotzdem: Im Vergleich zu heute erscheint die Diskussion um Singer in Deutschland regelrecht als Musterbeispiel universitärer Debattenkultur. Es erschienen Sammelbände wie die oben zitierte Dokumentation, im Spiegel oder der Zeit wurde kontrovers über die Position Singers und über die Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit durch die Störversuche diskutiert.
Im Namen der Freiheit die Klappe halten Heute hingegen ist die Be- und Verhinderung freier Diskussionen an Universitäten so alltäglich geworden, dass in der überregionalen Presse niemand mehr Notiz davon nimmt. Gerade wurde eine für den 26. November an der TU in Berlin geplante Veranstaltung abgesagt, die von der dortigen Fachschaft in Zusammenarbeit mit der Fakultät Wirtschaft und Management organisiert worden war. Dabei ging es bei dieser Veranstaltung keineswegs um so ein gravierendes und vorbelastetes Thema wie das Lebensrecht Behinderter, sondern schlicht – um die Frauenquote.
Der Asta kritisierte das Konzept, nur Männer zu der Podiumsdiskussion einzuladen http – als ob Männer von der Frauenquote nicht betroffen wären und nichts dazu zu sagen hätten, solange nicht auch Frauen mitreden. Insbesondere die Einladung des emeritierten Bremer Professors Gerhard Amendt wurde als unerträgliche Provokation empfunden.
Lassahns Buch „Frau ohne Welt“ wurde vom Asta stark tendenziös skizziert und ohne Belege als „extrem frauenfeindliche Position“ diffamiert, und die Linke Liste berief sich auf die einschlägige Tendenzschrift Rosenbrocks über die „antifeministische Männerrechtsbewegung“, um Lassahn und Amendt als indiskutable Antifeministen hinzustellen. Differenzierungen hielt der hoffnungsvolle akademische Nachwuchs Deutschlands in keinem der Fälle für nötig, ebenso wenig wie die Lektüre der Texte von Amendt oder Lassahn.
Die Fachschaft entschuldigte sich schließlich für die Einladung Amendts in einem unterwürfigen Text bei Facebook, der Michael Klein auf Science Files an die rituelle „Kritik und Selbstkritik“ zur Unterdrückung abweichender Meinungen im stalinistischen Russland erinnerte.
Nach der Ausladung Amendts sagten noch andere Redner ab, so dass die Veranstaltung platzte. Erik Marquardt von der Grünen Jugend, der ursprünglich als Teilnehmer an der Diskussion geladen war, begründete seinen Widerstand gegen die Veranstaltung auf Facebook damit, dass die Meinungen Amendts und Lasahns „im Wesentlichen überflüssig bis schädlich“ seien und dass er nicht dafür mitverantwortlich sein wolle,
„dass die beiden Männer ihr übermäßiges Geltungsbedürfnis weiter auf dem Rücken der Opfer von Rassismus, Sexismus und häuslicher Gewalt ausleben können.“
Für Marquardts Anspruch, über das Rederecht und die Relevanz von Mitdiskutanten entscheiden zu können, ist hier das Wort „Opfer“ entscheidend. Imhuman ist damit nicht etwa seine demokratiefeindliche Attitüde, sondern die als unerträglich imaginierte Zumutung, die eine freie Rede Lassahns oder Amendts – aus Gründen, die nicht einmal beschreiben werden müssen – für die „Opfer“ von „Rassismus, Sexismus und häuslicher Gewalt“ darstellen würde.
Marquardts Begründung ist ein gutes Beispiel dafür, warum eine Be- und Empfindlichkeitsethik nicht nur widersprüchlich, sondern auch antidemokratisch wird. Schließlich interessiert es hier überhaupt nicht, ob nicht auch durch die Verhinderung freier Rede Sensibilitäten verletzt werden. Wer seinen Anspruch auf moralische Entscheidungen mit der Empfindlichkeit Betroffener begründet, muss grundsätzlich zunächst einmal die Entscheidung treffen, wessen Sensibilitäten der Wahrnehmung wert sind – und wessen Sensibilitäten ignoriert werden können.
Richtige Männer weinen nicht richtig Die Behauptung von Opferpositionen aber war ein Leitmotiv vieler Debatten des vergangenen Monats – Abraxas berichtet auf seinem Blog „Wortschrank“ sogar live von der „Opferolympiade“. Till Krause erzählte im Magazin der Süddeutschen Zeitung von seinen Erfahrungen als Vater in der Elternzeit.
„Es scheint, als hätten viele Frauen immer noch ein Problem damit, Männer auf einem Gebiet zu akzeptieren, in dem Mütter lange unter sich waren.“
Der Artikel wird häufig zitiert und diskutiert, unter anderem (natürlich) bei Alles Evolution, aber auch feministische Blogs gewinnen ihm etwas ab: Aus feministischer Perspektive kritisieren Robin und Onyx, dass einerseits Veränderungen von Geschlechterrollen eingefordert, andererseits Männer, die in Elternzeit gingen, herablassend behandelt würden. Über die „Tränen der Väter“ schreibt Robin Urban, und Onyx befindet, dass die „Male tears (...) diesmal zu Recht“ vergossen würden (weil es wohl eine männliche Unsitte ist, häufig zu Unrecht zu weinen, oder so).
Dass männliche Tränen sogar von Netzfeministinnen ernst genommen werden, darf so natürlich nicht stehen bleiben: „Antiprodukt“ hält auf ihrem Blog dagegen, und Tofutastisch besteht darauf, dass Frauen gar nicht diskriminieren können, sondern sämtliche Diskriminierung von patriarchalen Strukturen ausginge.
Anatol Stefanowitsch fühlt sich gleich doppelt berufen, Diskussionen über mögliche Benachteiligungen von Männern und Jungen gar nicht erst über die Wahrnehmungsschwelle kommen zu lassen: Er macht deutlich, dass er selbst als Vater Diskriminierungen selbstverständlich nur von „anderen Männern (vor allem Vorgesetzten)“ erlebt habe – und schreibt dann gleich noch einen Text, der sich gegen die Meinung stellt, für schulische Nachteile von Jungen könnte irgendjemand anders verantwortlich sein als die Jungen selbst.
Auf Twitter gründet sich eine Gruppe, die sich über „Male Tears“ lustig macht – die aber aufgrund ihrer offenkundigen Dämlichkeit ein Rohrkrepierer bleibt. Erzählmirnix macht sich hingegen, deutlich eleganter, über die Probleme lustig, die Feministinnen mit „male tears" haben.
Gleichwohl ist es erstaunlich, mit welcher verbissenen Lustigkeit von den Teilnehmerinnen (und auch Teilnehmern) der Gruppe darum gekämpft wird, männliche Leiderfahrungen auf gar keinen Fall ernst nehmen zu müssen. Für mich selbst waren Berichte von Männern als Opfern häuslicher Gewalt sehr beeindruckend, die im Monat Oktober auf der amerikanischen Website „A Voice for Men“ erschienen waren, und in einer Diskussion zu einem man tau-Artikel dazu schreibt „LoMi“, dass die „Kultivierung der Verächtlichmachung von Männertränen eine Diskursstrategie“ sei.
Was für eine?
Tatsächlich ist es auffällig, dass Männer offener und bereitwilliger über eigene Leiderfahrungen zu sprechen beginnen – und dass das bei Feministinnen häufig auf Widerstand oder Verachtung trifft. Das betrifft auch den Versuch, im Monat November gezielt das „Bewusstsein für Prostata- und Hodenkrebs zu erhöhen“ („Movember“), oder eine Fotoaktion amerikanischer Männer, die Opfer von Vergewaltigungen wurden. Warum wird das von vielen, Männern wie Frauen, nicht als Anlass für Mitgefühl, sondern als Startschuss für ein Opferwettrennen verstanden?
Warum die Pole Position im Opferwettrennen so wichtig ist
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Es ist der zweite, erst 1994 ergänzte Satz dieses Grundgesetzartikels, der einen starken Anreiz für eine verbissene Opferkonkurrenz bietet. Wenn der Staat sich nicht nur für gleiche Chancen verantwortlich fühlt, sondern insgesamt ungleiche Lebensbedingungen als Diskriminierung begreift, die staatlicherseits abgeschafft oder ausgeglichen werden müsse – dann verschaffen sich diejenigen einen Vorteil, die sich am erfolgreichsten öffentlich als Opfer allgemeiner Unterdrückungsverhältnisse darstellen können.
Eine der ungünstigen Folgen der Gleichstellungspolitik ist es also, dass es vor allem auf die wirkungsvollste Opfer-Inszenierung ankommt und die Frage, wer tatsächlich unter Benachteiligungen leidet, daneben kaum eine Rolle spielt. Das prägte auch eine der zentralen geschlechterpolitischen Diskussionen des vergangenen Monats: Alice Schwarzer besteht in ihrer Kampagne zur „Abschaffung“ der Prostitution (eigentlich: zur Bestrafung der Freier) darauf, dass Prostituierte Opfer einer Männerherrschaft seien, vergleichbar mit den kindlichen Opfern Pädophiler. Dass viele Prostituierte von Schwarzer keineswegs gerettet werden wollen und sich auch nicht als Opfer sehen, tut die feministische Übermutter wütend als Nebensache ab.
Es passt, dass das Thema der abgesagten TU-Veranstaltung die Frauenquote war, deren Einführung jetzt im schwarz-roten Koalitionsvertrag beschlossen wurde (ebenfalls bei Alles Evolution diskutiert, während „achdomina“ auf den naheliegenden, aber leider oft übersehenen Zusammenhang zwischen Frauenförderung und den Unterhosenwichteln von Southpark aufmerksam macht).
Zu den vielen Problemen der Frauenquote gehört die Frage, wer denn eigentlich auswählt, welche Gruppe gefördert werden muss, also als Opfergruppe besonders privilegiert wird: Warum eine Frauenquote, warum nicht auch, z.B., eine Migrantenquote, oder eine Ostdeutschenquote, oder eine Quote für Menschen aus sogenannten „bildungsfernen Schichten“?
Willkürlich ist an der Quotenpolitik auch die Auswahl der quotierten Bereiche: Warum nur besonders privilegierte Positionen, warum nicht auch besonders unangenehme wie z.B. die Müllabfuhr, oder das Heer im Auslandseinsatz? Und warum kommt eigentlich niemand auf die Idee, die deutsche Fußballnationalmannschaft zu quotieren, um zu beweisen, dass ein „diversity“-Team den rein männlichen und langweiligen Teams der anderen Länder ganz gewiss überlegen wäre?
Natürlich fordert das niemand (obwohl ich, ehrlich gesagt, hoffe, dass ich hier niemanden auf dumme Ideen gebracht habe), weil durch die massive Leistungsdifferenz von Spielerinnen und Spielern im Spitzenfußball das Scheitern fast gewiss und der Eingriff in das Leistungsprinzip viel zu offensichtlich wäre.
Allerdings: Ein Eingriff in das Leistungsprinzip, oder – in den Parteien – in demokratische Prozesse ist die Frauenquote auch sonst, so dass sich die Wissenschaftler vom Sciencefiles-Blog und Professor Günter Buchholz in einem offenen Brief an die Bundesregierung energisch gegen solche und andere Behinderungen der „Freiheit und Unabhängigkeit von Wissenschaft“ stellen.
Das überrascht ohnehin: Es sind offenkundig gerade Universitäten, die doch eigentlich Zentren offener kritischer Debatten sein müssten, die sich gleichwohl mit Eingriffen in demokratische Verfahren und in die Freiheit der Rede besonders hervortun. Ein Beispiel dafür aus dem Monat November ist auch Hadmut Danischs Klage gegen die Berliner Humboldt-Universität, die sich weigert, wesentliche Informationen über die Einrichtung von Gender-Studiengängen und die Besetzung von Professorinnenstellen öffentlich zu machen.
Die Quotenpolitik ist, ebenso wie die Politik der systematischen Verhinderung der freien Rede, eigentlich eine elitäre Politik: Anstatt auf korrekte Verfahren der Entscheidungsfindung in Unternehmen oder auf demokratische Debatten zu vertrauen, werden wesentliche Elemente dieser Diskussionen und Entscheidungen immer schon vorweggenommen. Als sei Demokratie zwar irgendwie schön und gut, aber beständig auf Anstandsdamen und –herren angewiesen, die darauf achten, dass sie auch bestimmt keine Dummheiten macht.
Eine elitäre Politik aber wird in aller Regel auch eine Politik der Privilegiensicherung sein – was erklärt, warum sie gerade in besonders privilegierten Umfeldern wie den Universitäten so floriert. In einem allgemeinen Umfeld, in dem ein Großteil der Menschen von der Bedeutung gleicher Chancen und gleicher Rechte überzeugt ist, muss sich eine Politik der Sicherung von Privilegien durch autoritäre staatliche Eingriffe allerdings neu legitimieren.
Eben deshalb ist das Beharren auf der Opferposition so wichtig. Die staatlichen Eingriffe können aus dieser Position heraus als Ausgleich bestehender Ungleichheiten verkauft werden, die Sicherung der eigenen Privilegien erscheint als Beitrag zur allgemeinen Gerechtigkeit.
Es ist ein grundsätzliches Problem der in der Geschlechterpolitik so beliebten Privilegierung der Opferperspektive, dass doch grundsätzlich erst einmal entschieden werden müsste, wer überhaupt das Opfer ist. Wenn das wiederum nur aus der „Opferperspektive“ festgestellt werden kann, schnurrt das ganze Verfahren auf eine simple Aussage zusammen: „Ich muss privilegiert werden.“
Im Monat November gab es viele Beispiele dafür, wie verbissen Menschen daher ihre Pole-Position in der Opferkonkurrenz zu verteidigen bereit sind.
Mir ist ein Kommentar von Oliver K. aus dem Oktober in Erinnerung geblieben, in dem er beschrieb, wie wichtig er das Herstellen „größerer Zusammenhänge“ fände. Um solche Zusammenhänge herzustellen, gibt es ja mittlerweile einige verschiedene Möglichkeiten. Christian Schmidt hat gerade bei Alles Evolution eine stärkere Vernetzung männerrechtlicher Blogs gefordert und mit der Einrichtung der Meta-Seite Das böse Patriarchat selbst viel dazu beigetragen. Das wird umso wichtiger, als gerade in den letzten Wochen mehrere neue männerrechtliche Blogs gegründet wurden.
Elmar Diederichs hat zudem eine sorgfältige und kommentierte Darstellung der „Blogosphäre“ vorgelegt. Maskulismus für Anfänger hingegen ist zweierlei – einerseits ein Lexikon, andererseits ein guter Ausgangspunkt für weitere Lektüren. Genderama, nicht nur durch die täglichen Verlinkungen zentraler Knotenpunkt männerrechtlicher Diskussionen, hat also mittlerweile viel Unterstützung bekommen.
Ich dachte, dass eine kleine Monatsrückschau ebenfalls dazu beitragen könnte, größere Zusammenhänge herzustellen und Diskussionen zu vernetzen. Natürlich ist meine Schwerpunktsetzung subjektiv – aber das lässt sich in den Kommentaren ja ergänzen.
http://man-tau.blogspot.de/2013/11/warum-die-pole-position-im.html
Ob das Internet die Welt nun demokratischer macht oder nicht, ist eine anhaltende Debatte. Was das Web auf jeden Fall ermöglicht: Den Politikern bei ihrer Arbeit zuzuschauen - auch dem Ausschuss für Bildung und Forschung bei seinem Fachgespräch zu Studiengebühren.
Im Livestream auf der Seite des Deutschen Bundestages kann seit einiger Zeit jeder, gemütlich von überall, beinahe jedem Ausschuss des Parlaments beim Arbeiten zusehen.
Ende Januar luden sich die Bildungsfachleute der Bundestagsfraktionen eine Expertenrunde ins Paul-Löbe-Haus und die Kameras der Bundestags-Mediathek zeigten, wie üblich und fast drei Stunden lang, alles - von der Platzsuche über jedes Mikroknistern bis zum Schlusswort.
Die Gästeliste zum Thema Studiengebühren las sich vielversprechend. Das Spektrum reichte vom Bayerischen Staatsminister und Gebührenfreund Wolfgang Heubisch (FDP) bis zu erklärten Gegnern eines gebührenpflichtigen Studiums wie Erik Marquardt, Mitglied im Vorstand des Freien Zusammenschlusses der StudentInnenschaften (fzs) und Matthias Anbuhl vom Deutschen Gewerkschaftsbund.
Von Hörgeld bis Campusmaut - und zurück
Studiengebühren sind seit zehn Jahren ein Reizthema, doch gegeben hat es sie früher schon: Bis 1970 gab es in Deutschland ein Hörergeld in Höhe von 150 Mark pro Semester, danach wurden Studiengebühren verboten. 2002 klagten sieben unionsgeführte Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot und bekamen Recht. Hamburg, Hessen, das Saarland, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg führten ab 2005 wieder Studiengebühren ein. Nach verschiedenen Regierungswechseln sind sie inzwischen fast überall wieder abgeschafft. Nur zwei Länder halten derzeit daran fest: Bayern und Niedersachsen.
Ein Streitthema? Wortgefechte im Parlament, lebendiger Gedankenaustausch oder Ringen ums bessere Argument? Nicht hier und diesmal. Es ging streng nach Rednerlisten. Jeder geladene Experte bekam fünf Minuten für ein Statement, wer überzog, den rüffelte die Auschussvorsitzende und Moderatorin Ulla Burchardt (SPD).
Keine Buhrufe, kein Streit - wer auf Action, angriffslustige Gegner und beharrliche Befürworter gehofft hatte, wartete vergebens. Gewerkschafter Matthias Anbuhls bemühte Neil Armstrong und rechnete vor, dass der Uni-Etat zu weniger als einem Zehntel aus Studiengebühren bestehe. Seine Schlussfolgerung: "Studiengebühren sind ein kleiner Schritt für die Hochschule, aber eine große Hürde für Studierende." Auch wenn Studiengebühren und Mond nichts miteinander zu tun haben, Anbuhl sprach eine zentrale Fragen an: Nützen oder schaden Studiengebühren? Ist ihre Abschaffung ein Schritt nach vorn oder zurück?
Wie ist es denn nun wirklich?
Michael Hartmann, Elitenkritiker und Organisationssoziologe an der TU Darmstadt, hält die Campusmaut nicht für alle Gruppen für abschreckend, für einige entscheidende aber schon. Über alle Gruppen sei ein Rückgang der Studienneigung von drei bis vier Prozent zu erwarten. Besonders für aus Arbeiterfamilien stammende Frauen mit Studienwunsch aber liege der Effekt durchaus im höheren zweistelligen Bereich.
Marcel Helbig, Forscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), bestritt dagegen den abschreckenden Effekt von Studiengebühren auf die Studienneigung, auch für Haushalte von Nichtakademikern. Steige der Preis des Studiums, erhöhe sich auch die Ertragserwartung und diese gleiche die Mehrbelastung während der Ausbildung aus. Ein Standpunkt, den der WZB-Forscher auch schon im Herbst 2011 in einem Artikel vertreten hatte, verbunden mit der Frage an die Gebührengegner: "War die ganze Aufregung umsonst?"
Diplomatisch und vorsichtig packten sich die Fachleute gegenseitig in Watte. Wussten sie überhaupt, dass Zuhörer live dabei waren und am Rechner sitzend wissen wollten, wie es denn nun wirklich ist?
Nur Erik Marquardt, fzs-Vertreter und der einzige Student im Saal, hielt eine emotionale Rede. Er sprach ohne Abzulesen, rutschte auf seinem Sitz hin und her, kniff immer wieder fest die Augenlider zusammen und ruderte mit Händen und Armen. Der Studiengebührengegner setzte in seiner Ansprache auf Pathos. Die Diskussion über Abschreckung oder Nicht-Abschreckung sei eine "Stellvertreterdebatte". Man drücke sich so um die Frage, ob Bildung ein öffentliches Gut und ein Menschenrecht sei. "Menschenrechte kauft man nicht, die muss der Staat sicherstellen", sagte Marquardt. Das löste Gemurmel auf den hinteren Bänken aus, Marquardt stockte und die Vorsitzende Burchardt musste die Zuhörer an die Regel erinnern, dass man sich beim Eingangsstatement ausreden lassen muss. Als es wieder still war, sprach Marquardt zu Ende. Danach sprach ihn keiner mehr an.
OECD-Experte Schleicher: In Deutschland hapert es in der Schule
Gefesselt sei die Bildung, fand Matthias Winde vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, weil sich alle immer nur verweigerten oder blockierten: "Land kann nicht, Bund darf nicht, die Wirtschaft soll nicht und die Studenten wollen nicht." Was er dann beschrieb, kennen viele, die Unis, egal ob mit oder ohne Gebühren, in den vergangenen Jahren von innen kennenlernen durften, als "unterfinanzierte Massenlehre": im Hörsaal auf dem Boden sitzen, fehlende Betreuung, Frustration. Doch eine Lösung fiel ihm auch nicht ein.
Neue Erkenntnisse gab es keine, stattdessen wurden bekannte Zahlen und Argumente noch einmal ausgetauscht. Die Frage, ob Studiengebühren mehr nützen oder eher schaden, erscheint auch nach bald zehn Jahren Debatte nebulös - und bis auf den Studentenvertreter Marquardt die meisten Diskutanten der Debatte müde. Am Vortag der Diskussion hatte schon das Bundesbildungsministerium eingeräumt, keine Informationen über den Nutzen von Studiengebühren zu haben.
Der Bund, vertreten durch Schavans parlamentarischen Staatssekretär Thomas Rachel (CDU), hatte auch im Fachgespräch nichts hinzuzufügen. Andreas Schleicher, oberster Bildungsforscher der OECD und in Deutschland vor allem bekannt als Verantwortlicher für die Pisa-Studien, verwies auf "soziale Disparitäten" bereits vor dem Hochschuleintritt. Nicht Studiengebühren, sondern weiterhin die deutschen Schule sorgten dafür, dass Bildung noch immer eine Frage der sozialen Herkunft ist und Akademikerkinder es viel öfter an die Unis schaffen als Kinder aus bildungsfernen Familien.
Haben die drei Stunden Expertengespräch also etwas geändert oder aufgeklärt? Bayerns FDP-Minister Heubisch will an den Gebühren festhalten und ist sicher, dass damit vieles besser wird, auch wenn er es kaum belegen kann. Grüne, Linke und Studenten wollen die Gebühren loswerden, damit niemand vom Studium ausgeschlossen bleibt, doch das ist nicht einwandfrei nachgewiesen. Wieder keine großen Schritte für die Menschheit also, und auch keine letztgültige Antwort in der Gebührenfrage. Nur auf das Thema Bildung als Menschenrecht, oder weniger pathetisch, als öffentliches Gut, kam außer Studentenvertreter Marquart keiner zu sprechen. Denn auf dem Feld gibt es nur zwei Antwortmöglichkeiten. Und eine müsste man dann auch geben.
"Dass keine abschreckende Wirkung festzustellen ist, heißt nicht, dass Studiengebühren nicht abschrecken." Aha!
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