Gendergerechte Gesetzesanpassung (Recht)
Blue, Wednesday, 09.07.2014, 09:42 (vor 3797 Tagen)
Na das passt doch:
1: Der Mord-Paragraf soll so angepasst werden, dass Frauen, die z.B. einen "Haustyrannen" im Schlaf ermorden oder vergiften, nicht mehr wegen Mordes verurteilt werden:
http://www.sueddeutsche.de/panorama/rechtsverstaendnis-aus-nazi-zeiten-justizminister-maas-will-mord-und-totschlag-reformieren-1.1883041
2: Der Vergewaltigungsparagraf soll so angepasst werden, dass auch dann auf Vergewaltigung erkannt wird, wenn es nicht zu Drohung, Zwang oder Gewalt kam, sondern sich das Opfer z.B. wegen "Angststarre" nicht gewehrt hat:
http://www.taz.de/Vergewaltigung-im-Strafrecht/!142030/
Jetzt fehlt nur noch die Anpassung von Art. 1 GG nach Vorbild der Grünen: "Die Würde der Frau ist unantastbar".
Erst heute wird bemerkt dass man fast 75 Jahre Nazirecht angewendet hat
Rainer , ai spieg nod inglisch, Wednesday, 09.07.2014, 10:01 (vor 3797 Tagen) @ Blue
http://www.humboldt-forum-recht.de/deutsch/9-1996/beitrag.html
http://www.wgvdl.com/wp-content/uploads/Modernes-Nazirecht.pdf
Prof. Dr. Gerhard Wolf
Befreiung des Strafrechts vom nationalsozialistischen Denken
I. Thesen und Forderungen
Man tut heute meist so, als sei die Befreiung vom nationalsozialistischem Denken ein längst abgeschlossener Vorgang, eine inzwischen 50 Jahre zurückliegende Tatsache, die Rechtsgeschichte, für die aktuelle Strafrechtslehre aber nicht mehr von Bedeutung sei. - Die folgende kritische Bestandsaufnahme führt zum gegenteiligen Ergebnis.
Die beiden zentralen Thesen
- 1. Die heutige Strafrechtslehre nutzt die kollektivistischen, dynamistischen, teleologischen und antirechtsstaatlichen Elemente der nationalsozialistischen Rechtslehre wie selbstverständlich weiter. Sie ist in zentralen Teilen ihrer Dogmatik durch gesetzliche Regelungen, Lehrmeinungen und Urteile geprägt, die auch die Zeit zwischen 1933 und 1945 bestimmt haben und deren katastrophale Konsequenzen das 3. Reich unter Beweis gestellt haben sollte.
- 2. Die Befreiung des Strafrechts vom nationalsozialistischen Denken besteht in der Rückkehr zu den rechtsstaatlichen und liberalen Grundlagen des StGB von 1871. Liberales rechtsstaatliches Strafrecht bedeutet: Trennung von Recht und Politik, und für den Bereich der Justiz: einfache Gesetzesanwendung. Die gesetzgeberischen Entscheidungen haben dem vorauszugehen, sie sind von anderen Staatsorganen zu treffen. Es ist entgegen der Ansicht FREISLERS gerade nicht gleichgültig, wer eine Entscheidung erläßt und wie sie zustandekommt.
Die 5 wichtigsten sich daraus ergebenden Forderungen
- 1. Nulla poena sine lege. Das Einvernehmen über dieses rechtsstaatliche Fundament der Strafrechtslehre darf nicht länger ein Lippenbekenntnis bleiben, es müssen die Konsequenzen gezogen werden.
- 2. Nicht der Täter, sondern die Tat ist strafbar. Von einem Täter kann man nur sprechen, wenn man an eine nach Tatzeit, Tatort und Tatumständen bestimmte, gesetzlich unter Strafe gestellte Tat anknüpft und sich auf sie beschränkt.
- 3. Der Gesetzgeber hat eindeutige gesetzliche Regelungen zu schaffen. Er entzieht sich seiner Verantwortung, wenn er die Klärung ungelöster Probleme der Rechtsprechung aufbürdet oder dem BVerfG überträgt.
- 4. Die Strafrichter haben sich bei der Beurteilung des Einzelfalls jeder eigenen Bewertung von Täter und Tat zu enthalten und ausschließlich das Gesetz anzuwenden. Was andernfalls zu geschehen hat, steht in § 336 StGB: Ein Richter, der vorsätzlich ein geltendes Gesetz nicht anwendet, weil er ein anderes Ergebnis für gerechter, für politisch opportuner oder aus anderen Gründen für zweckmäßiger hält, erfüllt den Tatbestand der Rechtsbeugung.
- 5. Der Gesetzesinhalt ist durch Gesetzeswortlaut und Gesetzessystematik festgelegt. Im Hinblick auf das gewünschte Ergebnis vom Gesetzesinhalt abzugehen, ist - logisch zwingend - gesetzwidrig, unabhängig davon, ob man es "Analogie" oder "teleologische Auslegung" nennt.
Diesen rechtsstaatlichen Selbstverständlichkeiten muß wieder zur Geltung verholfen werden.
1) Die personelle Kontinuität in der Strafrechtswissenschaft nach 1945
Der vielfach erhobene Vorwurf, man habe nach 1945 großen Frieden mit den Tätern des NS-Staates gemacht, ist für das Strafrecht zumindest nicht aus der Luft gegriffen.
Soweit er sich gegen die Strafjustiz richtet, gibt es eine Fülle von Material, die ihn belegt: "Freispruch für die Nazi-Justiz" und "Furchtbare Juristen" lauten hier zwei der bekanntesten Buchtitel. Die Berechtigung dieser Vorwürfe ist zwar im einzelnen umstritten, in ihrem Kern aber weitgehend anerkannt.
Für die Strafrechtswissenschaft ergibt sich im wesentlichen dasselbe Bild: Zahlreiche führende NS-Strafrechtslehrer konnten nach dem Krieg wieder tätig werden oder tätig bleiben, als ob das 3. Reich in ihrer Biographie nicht stattgefunden hätte.
Ungeachtet der auf CICERO zurückgehenden Warnung "nomina sunt odiosa" müssen Namen genannt werden. Die Personen sind nicht nur eine Veranschaulichung, sie sind ein Teil des Problems:
- Edmund MEZGER definierte während der Strafrechtslehrertagung 1935 rechtswidriges Handeln als "Handeln gegen die deutsche nationalsozialistische Weltanschauung". 1944 forderte er "rassehygienische Maßnahmen zur Ausrottung krimineller Stämme" und die "Ausmerzung volks- und rasseschädlicher Teile der Bevölkerung".
- Nach 1945 blieb MEZGER Professor in München. Seine Werke zum Allgemeinen und Besonderen Teil des StGB waren in den fünfziger und sechziger Jahren die am meisten verbreiteten Lehrbücher.
- Im Strafprozeßrecht forderte Heinrich HENKEL 1934 die "freie Hingabe des Richtertums an die Ziele der Staatsführung". Nach 1945 war HENKEL Professor in Hamburg. 1968 legte er in zweiter Auflage ein weithin anerkanntes Lehrbuch des Strafprozeßrechts vor.
- Einer seiner Schüler war Friedrich SCHAFFSTEIN, ein führender Vertreter der nationalsozialistischen "Kieler Schule". In seiner 1937 erschienenen Schrift "Die Erneuerung des Jugendstrafrechts" wandte sich SCHAFFSTEIN dagegen, "die vorhandenen ... Kräfte" auf "Erziehungsversuche an erblich Minderwertigen" "zu verschwenden". "Sentimentaler Individualismus" habe "im neuen Jugendstrafrecht ebensowenig einen Platz wie im künftigen allgemeinen Strafrecht". Nach 1945 blieb SCHAFFSTEIN der herausragende Vertreter des Jugendstrafrechts. Das von ihm verfaßte Lehrbuch erschien vor kurzem in zwölfter Auflage.
- Hans-Jürgen BRUNS habilitierte sich 1938 mit der Schrift "Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken". Der Monographie ist als Motto ein Zitat des berüchtigten NS-Juristen und späteren Volksgerichtshofsvorsitzenden Freisler vorangestellt. Sie schließt mit der Forderung: "An die Stelle juristischer Konstruktionen und strafrechtsfremder gesetzlicher Begriffsumschreibungen" habe "als oberste Richtlinie" "das gesunde Volksempfinden" zu treten. Nach 1945 wurde BRUNS Professor in Erlangen. Sein Lehrbuch des Strafzumessungsrechts gilt bis heute als Standardwerk, auch seine nationalsozialistische Habilitationsschrift wird nach wie vor zustimmend zitiert - als sei sie völlig unverfänglich.
Die Liste der Strafrechtslehrer, die während des 3. Reiches für ein nationalsozialistisches Strafrecht eintraten, nach 1945 wieder in Amt und Würden gelangten und bis heute als respektable Vertreter des Fachs gelten, bietet genügend Stoff für eine gesonderte Abhandlung. Die meisten von ihnen haben Festschriften bekommen. Diese Ehrungen beruhen auf einer stillschweigend akzeptierten Übereinkunft: Das Verhalten der Jubilare während des 3. Reichs wird verschwiegen oder verharmlost. Man hat nicht nur "großen Frieden" mit den Hauptpersonen der NS-Strafrechtswissenschaft gemacht, sondern man deckt ihr Versagen bis heute.
Das hat zu zahlreichen "empörten" Publikationen geführt. Diese "Empörung" ist begründet, aber wissenschaftlich "zu wenig". Es geht letztlich nicht um Personen, nicht um "furchtbare Juristen", sondern um die Sache, um "furchtbare Rechtswissenschaft". Gerade die weitgehende Identität der Akteure muß zu der Frage führen, inwieweit eine Befreiung des Strafrechts vom nationalsozialistischen Denken stattgefunden hat.
Diese Frage ist - sehr vorsichtig ausgedrückt - "ein wenig bearbeitetes Forschungsthema": "Neben der ... konstatierten und zu Recht bedauerten personellen Kontinuität ... kommt die sachliche Kontinuität - zumal im Strafrecht - zu kurz".
2) Analyse der wissenschaftlichen Diskussion über die NS-Rechtsideologie
a) Die fehlende Klarheit über die wesentlichen Merkmale der national-sozialistischen Ideologie
"Worin besteht - wenn es ihn gibt - der prinzipielle Unterschied zwischen rechtsstaatlich-demokratischem Strafrecht und nationalsozialistischem Strafrecht. Die Antwort scheint auf der Straße zu liegen".
Eine Zusammenstellung der auf diese Frage gegebenen Antworten beweist das Gegenteil.
Zwar meint man, "Strafrechtsnormen mit typisch nationalsozialistischem Gedankengut ... verhältnismäßig einfach ausmachen" zu können (z.B. das "Blutschutzgesetz", das "Judenstrafrecht" oder das "Polenstrafrecht"). Die Beseitigung dieser "evident nationalsozialistischen" Gesetze durch die Alliierten und die frühe Gesetzgebung der Bundesrepublik ist aber keine wissenschaftliche Antwort auf die gestellte Frage.
Alle Versuche, insoweit weiterzukommen, haben mit einem grundlegenden Einwand zu kämpfen: Es ist bisher nicht gelungen, die Frage zu beantworten, was unter nationalsozialistischer Weltanschauung bzw. nationalsozialistischem Rechtsdenken zu verstehen ist. Im Schrifttum wird vielmehr ganz überwiegend "die Existenz einer inhaltlich bestimmbaren ´nationalsozialistischen Weltanschauung´ ... nachhaltig in Frage gestellt". Die Begründungen leuchten auf den ersten Blick sogar ein: Die "Konstruktionen" der nationalsozialistischen Lehren seien "´wirr, eine Konsistenz ... nicht vorhanden". Es wird "von einem Mischkessel, einem Konglomerat, einem Ideenbrei gesprochen". Entsprechend "unbestimmt und unklar" sei das nationalsozialistische Rechtsdenken. Der heutige Betrachter sei in der Lage des Fotografen, der einen Nebel auf die Platte bannen" wolle.
Folgt man dem, ist die Frage nach der Befreiung des Strafrechts vom nationalsozialistischen Denken nicht beantwortbar. "Prinzipielle Unterschiede" zwischen dem NS-Staat und einem Rechtsstaat lassen sich auf dieser Grundlage nicht formulieren - es bleibt alles nebulös. Bei diesen Vorgaben muß der Versuch einer Auseinandersetzung mit dem 3. Reich scheitern.
Dieser kaum faßbare Diskussionsstand ist im Streit über die historische "Kontinuität" oder "Diskontinuität" des 3. Reichs begründet. Es geht dabei um die Frage, ob zu Beginn und am Ende des 3. Reiches jeweils ein "Umschlagen" stattgefunden hat oder ob das 3. Reich in einem nicht unterbrochenen historischen Zusammenhang steht. Das wesentliche Anliegen der Anhänger der "Diskontinuitätsthese" ist dabei, die "Einmaligkeit" der NS-Diktatur hervorzuheben. Wer auf übernommene bzw. weiterwirkende dogmatische Grundlagen hinweise, relativiere und verharmlose damit das 3. Reich.
Für den vorliegenden Zusammenhang entscheidend ist die daraus abgeleitete methodische Konsequenz: Mit den "üblichen geistesgeschichtlichen Maßstäben an die nationalsozialistische Ideologie heranzugehen", sei, so heißt es, "nur unter großen Vorbehalten" möglich.
Im Schrifttum wird hiergegen mit Recht eingewandt, daß damit eine Auseinandersetzung mit dem 3. Reich auch denen unmöglich gemacht wird, die dies "in kritischer Absicht" tun: "Die Einmaligkeit von Auschwitz" darf nicht "zu einem historiographischen Strudel führen, der ... von Bedingungen und Folgen ablenkt".
Die nationalsozialistische Ideologie ohne "geistesgeschichtliche Maßstäbe", d.h. ohne begriffliche Merkmale zu analysieren, ist ausgeschlossen. Wer demgenüber behauptet, beispielsweise das rechtsstaatliche Strafrecht sei nicht die Elle, an der man die Strafrechtsentwicklung 1933 bis 1945 sinnvoll messen könne, macht sich die Feststellung, daß der NS-Staat ein Unrechtsstaat war, unmöglich - eine groteske Konsequenz.
Soweit sich das Schrifttum diesem Denk- und Forschungsverbot nicht unterwirft, wird zwar eine Vielzahl von Merkmalen des nationalsozialistischen Strafrechts genannt, man muß aber einräumen, daß die ermittelten "Faktoren" "auch das Strafrechtsdenken nichtkonservativer Rechtsdenker vor 1933 und nach 1945" geprägt haben. Die Frage, was nationalsozialistisches Denken ist, bleibt damit offen.
Daß es demnach bis heute nicht gelungen ist, den Inhalt der nationalsozialistischen Rechtsideologie überzeugend zu bestimmen, ist ein Offenbarungseid und ein Alarmzeichen: Wer sich von etwas distanzieren will, muß wissen, wovon er sich distanziert. Wer versucht, sich von nationalsozialistischem Denken zu distanzieren, muß wissen, was hierunter zu verstehen ist.
b) Das Versäumnis einer offenen Auseinandersetzung mit den Problemen
Im Schrifttum wird die Frage gestellt: "Woran liegt es, daß wesentliche Elemente der Strafgesetzgebung, der Strafrechtsprechung und überhaupt des Strafrechtsdenkens das Recht jener wie auch unserer Zeit prägen konnten. Die Antwort ist längst gegeben worden. Sie lautet: "Die offene Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist nicht erfolgt.“ Wenn man die rechts- und methodengeschichtlichen Darstellungen der Zeit nach 1945 liest, kann man vielfach zu der Auffassung verleitet werden, es habe die Zeit zwischen 1933 und 1945 in der deutschen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis gar nicht gegeben.
3) Die Merkmale der nationalsozialistischen Rechtslehre
Die nationalsozialistische Rechtsauffassung ist eine völkisch begründete kollektivistische Rechtslehre, nach der Recht war, was in das jeweilige politische Konzept des Führers und der Partei paßte.
Zur Erläuterung dieser Merkmale müssen hier einige kurze Hinweise genügen:
Die nationalsozialistische Rechtslehre ist kollektivistisch. FREISLER schreibt: "Wir gehen nicht mehr vom einzelnen aus; wir sehen seine Zweckbestimmung nicht im eigenen kleinen Ich. Wir gehen von der Gemeinschaft aus und sehen den Sinn des Lebens des einzelnen im Leben für die Gemeinschaft“. Rechte des Einzelnen (Menschenrechte, Grundrechte) werden damit verneint.
Die dafür gegebenen Begründungen sind völkisch: "Du bist nichts, Dein Volk ist alles". FREISLER schreibt: "Recht ist, was dem deutschen Volke frommt". Und: "Das gesunde Empfinden des Volkes für Recht und Unrecht bestimmt Inhalt und Anwendung des Strafrechts. In der Konsequenz dieser völkischen Begründung liegen die rassischen, antisemitischen und nationalistischen Lehren des 3. Reichs.
Das zentrale Merkmal der nationalsozialistischen Rechtslehre besteht darin, daß sie lediglich eine Tarnung für die politische Doktrin ist. Recht ist das politische Programm des Führers und der NSDAP. Recht und Macht sind dasselbe. Die Wendung, Recht sei, "was dem Volke frommt", ist eine Vernebelung. FREISLER schreibt: "Das Rechtswollen des Volkes äußert sich autoritativ in den Kundgebunden des Willensträgers des Volkes, des Führers. Und: "Die autoritativen Kundgebungen des Führers einschließlich des Parteiprogramms der NSDAP" stehen "rang- und gradmäßig noch über den grundlegenden gesetzlichen Bestimmungen.
Die nationalsozialistische Rechtsideologie diente den Machthabern also ausschließlich als Instrument zur totalen Herrschaft. Jeder Versuch, inhaltlich detaillierte Merkmale nationalsozialistischen Strafrechts zu finden, ist im Ansatz verfehlt, weil solche Merkmale die Willkür des Führers und der NSDAP nur einschränken würden. Es wird alles ausschließlich von Führer und Partei bestimmt. Der "Völkische Beobachter" teilte mit, was gerade galt.
Daraus lassen sich drei weitere wesentliche Merkmale ableiten:
- 1. Die nationalsozialistische Rechtslehre ist dynamistisch. FREISLER schreibt: "Es kann kein ein für allemal fertiges deutsches Recht geben. Das Recht ist in dauernder Entwicklung, und alles muß geschehen, um sein Erstarren zu verhindern".
- 2. Die nationalsozialistische Rechtslehre ist teleologisch. FREISLER schreibt (läßt man den völkischen Bezug einmal aus): "Recht ist, was ...nützt". Es kommt also nur auf das Ergebnis an. Alles, was die aktuelle politische Zielsetzung fördert, ist rechtmäßig, alles, was ihr widerspricht, wird unterbunden.
- 3. Die nationalsozialistische Rechtslehre ist rechtsstaatsfeindlich. Gesetzesbindung und Gewaltenteilung werden verneint. FREISLER schreibt: "Wir fordern von einem Staat, der in unserem Sinne Rechtsstaat sein will, mehr als die Welt gemeiniglich verlangt ...Rechtsstaat ist derjenige Staat, in dem das Lebensrecht des Volkes am verantwortungsbewußtesten gewahrt wird". Der alleinige Inhalt dieses Wortgeklingels ist: Rechtsstaatliche Schranken gegenüber dem Einzelnen gibt es nicht.
4) Befreiung des Strafrechts von den Merkmalen der nationalsozialistischen Rechtslehre
Durch den politischen Zusammenbruch mußte auch die nationalsozialistische Rechtslehre in sich zusammenstürzen, weil es die für sie inhaltlich konstitutive Führung durch Adolf HITLER und die NSDAP plötzlich nicht mehr gab. Die Umwälzungen, die zur Gründung der Bundesrepublik führten, haben damit das zentrale Element der nationalsozialistischen Rechtslehre beseitigt - ihre unmittelbare und ausschließliche Festlegung durch die politische Führung.
Das heutige Strafrecht ist folglich nicht nationalsozialistisch. Es ist nicht nur nicht "typisch nationalsozialistisch", sondern überhaupt nicht "nationalsozialistisch", eben weil ihm ein dafür wesentliches Merkmal fehlt.
Ebenso exakt und unvoreingenommen muß man allerdings die Frage nach der Befreiung von den übrigen Merkmalen der nationalsozialistischen Rechtslehre beantworten:
- 1. "Wir gehen nicht mehr vom Einzelnen aus" (Kollektivismus)
- 2. "Das Recht ist in dauernder Entwicklung" (Dynamismus)
- 3. "Recht ist, was ... nützt" (Teleologie)
- 4. "Ob die Entscheidungen der materiellen Gerechtigtkeit ... entsprechen, ist viel
wichtiger, als wer sie erläßt und wie sie zustandekommen" (Rechtsstaatsfeindlichkeit)
Sind diese - wörtlich von FREISLER stammenden Sätze heute überwunden ? Oder kann man sie bedenkenlos übernehmen?
Beide Fragen sind zu verneinen: Die Befreiung von den kollektivistischen, dynamistischen und teleologischen Lehren des 3. Reichs wäre rechtsstaatlich zwingend erforderlich gewesen. Sie ist mißlungen.
Das Material, das sich zur Begründung dieser Thesen anführen läßt, ist erdrückend.
5) Übernahme nationalsozialistischer Gesetze nach 1945
a) Überblick
Bei der Suche nach Relikten des 3. Reichs stellt man zunächst fest, daß "ein beachtlicher Teil"18 der heute geltenden Strafgesetze aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 stammt:
Die geltende Fassung des § 211 StGB (Mord) geht auf das Jahr 1941 zurück, die §§ 240 und 253 (Nötigung und Erpressung) auf das Jahr 1943. Der Untreuetatbestand beruht auf einer grundlegenden Neufassung im Jahr 1933. Keine einzige der in den Beispielen aufgeführten, grundlegenden Änderungen des Strafrechts im Dritten Reich wurde nach 1945 rückgängig gemacht. Durch das sog. Strafrechtsbereinigungsgesetz von 1953 wurde vielmehr festgeschrieben, daß "soweit der Entwurf nicht eingreift, Änderungen des Strafgesetzbuchs durch die Gesetzgebung der nationalsozialistischen Zeit ... anerkannt werden".
Man hat also nach 1945 nicht etwa auf die Gesetzeslage vor 1933 zurückgegriffen und anschließend geprüft, welche während des 3. Reichs vorgenommenen Änderungen unverdächtig waren, so daß sie ausnahmsweise übernommen werden konnten, sondern man hat sämtliche Änderungen akzeptiert, soweit sie nicht im einzelnen als rassisch, völkisch usw. aufgehoben wurden. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß zwischen diesen beiden Vorgehensweisen im Ergebnis Welten liegen.
Diese Tatsachen sind - neben der personellen Kontinuität - ein weiteres Indiz dafür, daß ein radikaler Bruch mit den geistigen Grundlagen des 3. Reichs nicht stattgefunden hat. Sie lassen aber kein abschließendes Urteil zu. Es gibt - unbezweifelbar - Gesetze, die zwar aus der Zeit des 3. Reiches stammen, ihrem Inhalt nach aber nicht nationalsozialistisch sind, z.B. § 1 des Gesetzes vom 7. März 1935: "Gerichtsferien finden nicht statt"
Daraus ergibt sich die Frage: Welche der auf das 3. Reich zurückgehenden Strafgesetze sind ihrem Inhalt nach nationalsozialistisch und welche nicht
b) Beispiele für die Übernahme nationalsozialistischer Gesetze.
1) Nötigung Der wohl eindrucksvollste Beleg für die Übernahme rechtsstaatswidriger nationalsozialistischer Strafgesetze ist der Tatbestand der Nötigung.
§ 240 StGB lautetete ursprünglich: "Wer einen anderen widerrechtlich durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird ... bestraft." Diese Fassung wurde 1943 dahingehend geändert, daß schon eine "Drohung mit einem empfindlichen Übel" den Tatbestand erfülle. Die damit uferlos erweiterte Fassung wurde scheinbar durch den neu eingefügten Abs. 2 eingeschränkt, der zunächst folgenden Wortlaut hatte: "Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Zufügung des angedrohten Übels zu dem angestrebten Zweck dem gesunden Volksempfinden widerspricht. Das "gesunde Volksempfinden" wurde dann später - übrigens erst im Jahre 1953 - durch die sprachlich unverfänglichere, sachlich aber gleichbedeutende "Verwerflichkeit" der sog. Zweck-Mittel-Relation ersetzt.
Diese redaktionelle Änderung war überflüssig. Der Bundesgerichtshof hatte die Bezugnahme auf das "gesunde Volksempfinden" schon 1951 ausdrücklich gerechtfertigt, indem er ausführte: "Absatz 2 ist seinem wirklichen Gehalt nach dahin zu verstehen, daß der Richter bei der Abgrenzung des strafwürdigen Unrechts von nicht strafwürdigem Verhalten ... auf das Rechtsempfinden des Volkes zu achten hat. Das ist ein alter Grundsatz rechtsstaatlicher Strafrechtspflege". Verboten sei "nur, daß der Richter nach angeblichem gesundem Volksempfinden, d.h. willkürlich, strafe".
Daß dem Richter bei dieser Gesetzesfassung in Wahrheit gar nichts anderes übrig bleibt, als willkürlich zu entscheiden, stellte der BGH dann ein Jahr später selbst fest:
"Der Gesetzgeber hat ... die Grenzen des Nötigungstatbestands so weit gezogen, daß er nunmehr auch ungezählte Fälle des täglichen Lebens erfaßt, in denen die Nötigung trotz Drohung mit einem empfindlichen Übel für das natürliche Rechtsgefühl rechtmäßig ist ... Hier fällt deshalb dem Richter die Aufgabe zu, anstelle des Gesetzgebers durch unmittelbare Wertung zu entscheiden, ob die tatbestandsmäßige Nötigung im Einzelfalle rechtswidrig ist oder nicht".
Der BGH räumt damit den Verstoß gegen das Erfordernis der gesetzlichen Bestimmtheit der Strafbarkeit offen ein. Wann eine Tat verwerflich und damit strafbar ist, ergibt sich nicht aus dem Gesetz, sondern wird durch unmittelbare Wertung vom Richter festgelegt. Dabei hat dieser nicht einmal einen gesetzlichen Anhaltspunkt dafür, wann die Verwerflichkeit zu bejahen und wann sie zu verneinen ist:
Ist eine Sitzblockade verwerflich, wenn durch sie gegen das Wettrüsten oder gegen das Verklappen von Giften in der Nordsee demonstriert werden soll ? Oder kommt es auf diese sog. Fernziele gar nicht an, so daß es selbstverständlich verwerflich ist, einfach eine Straße zu blockieren.Diese Fragen muß der Richter nach § 240 Abs.2 "durch unmittelbare Wertung", also frei entscheiden.
Die durch das Merkmal Verwerflichkeit eröffnete willkürliche Handbarkeit des Nötigungstatbestands hat den Gerichten nicht genügt. Denn selbst verwerfliche Nötigungen können nach § 240 nur bei Anwendung von Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel bestraft werden. Da man dies als sachwidrige Einengung empfand (und die Gesetzesfassung ist in der Tat problematisch, weil sie nicht jeden Zwang erfaßt), wurde der Gewaltbegriff ständig erweitert: Gewalttäter sind danach selbst Sitzblockierer, die gewaltlos, aber eben doch irgendwie "gewaltsam" auf der Straße sitzen.
Vor knapp zehn Jahren hat sich endlich das BVerfG mit dieser gesetzwidrigen Rechtsprechung und der Unbestimmtheit des Merkmals Verwerflichkeit beschäftigt. Der erste Leitsatz der Entscheidung von 1986 lautet:
"Soweit in § 240 StGB Nötigungen mit dem Mittel der Gewalt unter Strafe gestellt werden, genügt die Normierung durch den Gesetzgeber dem ... Bestimmtheitsgebot"
Nach diesem Auftakt erwartet man eine Antwort auf die Frage, welche Konsequenzen sich aus der danach eindeutigen Bestimmung für die Beurteilung von Sitzblockaden ergeben. Der nächste Satz lautet jedoch: "Infolge Stimmengleichheit kann nicht festgestellt werden, daß das ... Analogieverbot verletzt wird, wenn Gerichte die Gewaltalternative des § 240 auf Sitzdemonstrationen erstrecken".
Im 2.Leitsatz stellt das Gericht fest, daß die sog. Verwerflichkeitsklausel nach Abs.2 verfassungskonform auszulegen und anzuwenden, also ebenfalls inhaltlich bestimmt sei. Dann geht es wie schon zuvor weiter:
"Infolge Stimmengleichheit kann nicht festgestellt werden, daß es von Verfassungs wegen in der Regel (!) zu beanstanden ist, wenn Strafgerichte Sitzdemonstrationen ... als verwerflich .... beurteilen".
Die Verfassungsrichter waren sich also sicher, daß das Merkmal Verwerflichkeit ebenso wie das Merkmal Gewalt einen bestimmten Inhalt hat - welchen, konnten sie aber "infolge Stimmengleichheit" leider nicht feststellen.
Inzwischen hat das BVerfG eine erste Konsequenz aus dem Scheitern seiner Bemühungen gezogen. In einer Entscheidung vom 10. Januar 1995 hat es festgestellt:
"Die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs ... im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen verstößt gegen Art. 103 Abs.2 GG" (also gegen das Erfordernis der gesetzlichen Bestimmtheit)".
Die Erklärung für diesen Sinneswandel ist einfach: Es hatte ein Wechsel in der Besetzung des Gerichts stattgefunden, so daß es plötzlich "5:3" stand.
Die Kabarettreife dieser Nummer, auf deren Fortsetzung man gespannt sein darf, darf nicht den Blick für die rechtsstaatliche Unhaltbarkeit der Situation und ihre historischen Gründe verstellen:
Für die nationalsozalistische Ideologie waren Scheingesetze wie § 240 Abs.2 StGB Machtinstrumente, die sich konsequent und willkommen in das System einfügten. Der Jude - wird bestraft, der Pole - wird bestraft, der Nationalsozialist - bleibt straffrei. Ein dogmatischer Bruch mit dieser Linie ist nicht zu erkennen. Die politischen Vorzeichen haben sich geändert: Inzwischen geht es um den NATO-Doppelbeschluß und Atomtransporte. Die Willkür ist geblieben: Ein Sitzblockierer, der eine Kaserne blockiert, handelt verwerflich. Bauern, die die Rheinbrücke in Bonn durch Auskippen von Mist unpassierbar machen, bleiben straffrei. Demonstranten, die Shell-Tankstellen blockieren, um gegen die Versenkung einer Bohrinsel in der Nordsee zu protestieren, erfahren sogar einhelliges Lob aus Parlamenten und Regierungen.
Das Zwischenergebnis lautet: "Eine der vagesten und damit weitesten Vorschriften des Strafgesetzbuchs verdankt ihre Entstehung der NS-Strafgesetzgebung". "Anlaß zur Nachdenklichkeit" sieht deshalb kaum jemand. Konsequenzen aus dem Satz "nulla poena sine lege" werden nicht gezogen.
2) Mord Ein zweites Beispiel für die Übernahme rechtsstaatswidriger gesetzlicher Regelungen aus dem 3. Reich ist der Tatbestand des Mordes, also § 211 StGB. Die klare Fassung von 1871, nach der wegen Mordes bestraft wurde, wer einen anderen Menschen "mit Überlegung" tötet, bereitete kaum Probleme - die Kommentierung dieses Merkmals im Jahr 1931 bei Frank nahm ungefähr eine Seite in Anspruch. Die auf das Jahr 1941 zurückgehende heutige Fassung beruht auf dem nationalsozialistischen Täterstrafrecht. Sie ist ein Freibrief für den Richter, im Einzelfall so zu entscheiden, wie er will. Insbesondere das Merkmal ´niedrige Beweggründe´ ist eine Einladung an ihn, entweder seiner moralischen Entrüstung über den Angeklagten freien Lauf zu lassen, oder aber - immerhin bei der Tötung eines Menschen - Verständnis für ihn aufzubringen. Die Entscheidung über Mord oder Totschlag, lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafe liegt damit allein beim Richter.
In das Konzept des 3. Reichs fügte sich diese Freiheit des Richters wie gesagt problemlos ein. Daß sie auch heute noch befürwortet wird, beruht darauf, daß man das andernfalls drohende Ergebnis scheut: In der Kommentierung zu § 211 heißt es: Daß in bestimmten Fällen "die Möglichkeit bestehen sollte, der Konsequenz der sonst absoluten lebenslangen Freiheitsstrafe zu entgehen, wird allgemein eingeräumt. Strittig ist jedoch der dabei einzuschlagende Weg". Das bedeutet: Wir machen das so, der Grund dafür muß sich finden lassen. Man fragt sich allerdings mittlerweile, warum dieser Begründungsaufwand überhaupt noch betrieben wird. Das BVerfG hat sich bei der Ersetzung der nach § 211 "lebenslangen Freiheitsstrafe" durch eine auf fünfzehn Jahre beschränkbare Freiheitsstrafe weit souveräner über das Gesetz hinweggesetzt.
3) Untreue Ein drittes Beispiel für die Übernahme nationalsozialistischer Gesetze ist der Tatbestand der Untreue: § 266 StGB bezog sich bis zu seiner Neufassung im 3. Reich auf Angehörige im einzelnen aufgezählter Berufe, die absichtlich zum Nachteile derer handeln, deren Geschäfte sie besorgen. Im Jahr 1933 wurde diese Bestimmung durch zwei allgemeine Tatbestände ersetzt. Der eine, der sog. Treubruchstatbestand wird in einem Lehrbuch angesichts seiner "uferlosen Weite" "seit jeher als rechtsstaatlich problematisch eingestuft und als kaum vereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs.2 GG angesehen". "Rechtsprechung und Lehre haben indes versucht, dem Tatbestand durch eine restriktive Interpretation ... schärfere Konturen zu geben". Man beachte die Wortwahl: "kaum vereinbar", "restriktive Interpretation", "schärfere Konturen". Trotz der nationalsozialistischen Herkunft der Bestimmung scheut man auch hier die einfache Feststellung, daß die Gesetzesfassung unbestimmt ist. Man versucht, im Einzelfall doch noch irgendwie zu "befriedigenden" Ergebnissen zu kommen. Erinnert sei noch einmal an das FREISLER-Zitat: "Ob die Entscheidungen der materiellen Gerechtigkeit ... entsprechen, ist viel wichtiger, als wer sie erläßt und wie sie zustandekommen".
4) Weitere Beispiele Die Strafbarkeit der Unterlassenen Hilfeleistung ist 1935, der Tatbestand des Vollrauschs ist 1941 in das StGB eingefügt worden. 1943 wurde die heutige Fassung der Urkundenfälschung, 1944 die der Eidesdelikte aufgenommen. Die sog. Verkehrsunfallflucht, der Ausschluß der Einwilligung in eine "sittenwidrige" Körperverletzung, sämtliche Maßregeln der Besserung und Sicherung - alles das stammt aus der Zeit der Nationalsozialismus.
6) Weiternutzung der nationalsozialistischen Rechtsgedanken durch die heutige Strafrechtslehre
Noch deutlicher als im Besonderen Teil hat die nationalsozialistische Rechtslehre in den heutigen Auffassungen zum Allgemeinen Teil des StGB ihre Spuren hinterlassen.
Die Abkehr vom Tatstrafrecht zum Täterstrafrecht In einem 1994 erschienen Lehrbuch zum Allgemeinen Teil heißt es: "Es ist unbestritten, daß das geltende Recht überwiegend ein Tatstrafrecht ist". Diese Feststellung enthält ein Teilgeständnis: Der Autor räumt damit ein, daß das geltende Recht auch Täterstrafrecht sei. Er weist aber selbst darauf hin, "daß ein Strafrechtssystem vollkommen verschieden aufgebaut sein muß, je nachdem, ob man ein Tat- oder ein Täterstrafrecht zugrundelegt". Mit dem Einbruch täterstrafrechtlicher Elemente ist daher das Tatstrafrecht aus den Angeln gehoben worden.
Die nationalsozialistische Position in dieser Frage hatte SCHAFFSTEIN 1934 wie folgt formuliert: "Das neue Strafrecht ist Täterstrafrecht, freilich in einem durchaus anderen Sinne als das Strafrecht LISZTS und der sozialliberalen Vergangenheit. Denn es geht nicht aus von der natürlichen, soziologischen und biologischen Individualität des Täters, sondern von der jeweiligen Gliedstellung des Täters in der Volksgemeinschaft."
Was aufgrund dieser Konzeption mit dem Täter geschehen kann, liegt auf der Hand: SCHAFFSTEIN spricht insoweit von der "Ausscheidung des Entarteten", v. LISZT war kaum weniger zimperlich.
Das dogmatisch entscheidende Merkmal des Täterstrafrechts ist jedoch der Gegensatz zum Tatstrafrecht, also die Preisgabe der Tat und des Tatbestands als Grenze der Strafbarkeit. Welche Taten strafbar sind, ist in einem Tatstrafrecht durch einzelne, exakt bestimmte begriffliche Merkmale gesetzlich festgelegt. Georg DAHM, ebenso wie SCHAFFSTEIN ein Vertreter der Kieler Schule, erklärte daher: "Begriff und Wort des Tatbestandes sollten aus der Strafrechtsdogmatik verschwinden. Die Lehre vom Tatbestand ist nicht nur unfruchtbar, sondern schädlich".
Die "Bewertung" der Täterpersönlichkeit eröffnet dagegen alle gewünschten Freiräume. Geht man von einem täterstrafrechtlichen Ansatz aus, kommt es gar nicht mehr darauf an, ob jemand ein Verbrechen begeht oder versucht, schon die Planung einer Straftat beweist, daß er bestraft gehört. Entscheidend ist, ob er ein "Verbrechertyp" ist oder nicht. DAHM schrieb 1934 zu der Frage, ob man Diebstahl annehmen müsse, wenn die Hitler-Jugend einer katholischen Jugend-Organisation die Fahne entreißt und verbrennt: "Wir nehmen keinen Diebstahl an, weil Dieb nicht ein jeder ist, der ´eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueigenen´, sondern nur, wer seinem Wesen nach Dieb ist".
Diese "Subjektivierung" des Strafrechts ist nach 1945 nicht aufgegeben worden. Beispielsweise die fakultative Strafmilderung beim versuchten Delikt und bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit sind anerkanntermaßen ebenso "eine Frucht täterstrafrechtlichen Denkens" wie die Maßregeln der Besserung und Sicherung. Ein aufschlußreiches Symptom für den bis heute fortbestehenden Einfluß der täterstrafrechtlichen Lehren sind deren Konsequenzen im Strafprozeß, die ein Richter am Bundesgerichtshof Ende der 60er Jahre wie folgt zusammenfaßte: Vor dem 3. Reich "begannen Urteilsgründe mit dem Satz: ´Der Angeklagte stieg in der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember in die Villa des Kaufmanns Meyer ein ...´, heute beginnen sie mit dem Satz: ´Der Angeklagte wurde als achtes von dreizehn Kindern eines Weichenstellers geboren.´ ... Das ist nicht unbedingt eine Verbesserung". Seine Bemerkung, daß wir "glücklicherweise immer noch ein Strafrecht haben und fürs erste behalten werden, das in seinen einzelnen Tatbeständen jeweils an Geschehnisse in der Außenwelt anknüpft", beweist, wie schwach diese Position gegenüber den täterstrafrechtlichen Einflüssen geworden ist.
b) Die Auffassung des Verbrechens als Pflichtverletzung
Die Auffassung des "Verbrechens als Pflichtverletzung" hängt mit dem Täterstrafrecht eng zusammen: Nach beiden Lehren kommt es allein auf den Täter, nicht auf das Verbrechensopfer an. Die dogmatischen Konsequenzen, die sich aus der Ersetzung des Begriffs Rechtswidrigkeit durch den Begriff Pflichtwidrigkeit für die Verbrechenslehre ergeben, sind noch gravierender als die Abkehr vom Tatstrafrecht.
SCHAFFSTEIN schrieb 1933: "Ein am Gemeinschaftsgedanken ausgerichtetes Strafrecht" ist "nicht Rechtsgutsverletzungsstrafrecht, sondern Gesinnungsstrafrecht" und "Pflichtenstrafrecht". Als "Auswirkungen des Pflichtverletzungsgedankens in der Strafrechtsdogmatik" nennt SCHAFFSTEIN zutreffend die "subjektive Auffassung der Rechtswidrigkeit", "auf dem Gebiet der Schuld und des Versuchs das ... (sog.) Willensstrafrecht, die Auswirkungen auf die "unechten Unterlassungsdelikte" und die "Folgerungen ... für Inhalt und Grenze des Notstands". "Die Auffassung des Verbrechens als Pflichtwidrigkeit" führte daher, wie SCHAFFSTEIN zutreffend hervorhob, zu "einer völligen Revolutionierung der inneren Struktur und damit auch der Begriffswelt des Strafrechts".
Diese "Revolutionierung" hat bis heute Bestand. Die noch zu Beginn des Jahrhunderts überwiegende Ansicht, Recht sei eine objektive Ordnung menschlichen Zusammenlebens, deren Störung eben rechtswidrig sei, ist radikal zurückgedrängt worden. "Unvermindert aktuell" ist dagegen die Lehre, nach der der Begriff Unrecht "täterbezogen" sei. Vor allem die finale Handlungslehre hat hierzu entscheidend beigetragen. "Eine neuere Richtung" "will" sogar "in genauer Umkehrung der früheren erfolgsorientierten Lehren das strafrechtliche Unrecht und damit auch den Tatbestand ausschließlich auf den Handlungsunwert gründen".
Auf die Sachfagen kann im vorliegenden Zusammenhang nicht eingeganen werden. Entscheidend ist hier, daß im 3.Reich insoweit eine - wie SCHAFFSTEIN sagt - "Revolutionierung" stattgefunden hat. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Revolution sind elementare Bestandteile der heutigen Strafrechtslehre. Eine Diskussion über die sich aufdrängenden Parallelen findet nicht statt.
c) Die Mißachtung der Gesetzesgebundenheit des Richters.
Carl SCHMITT stellte 1935 kurz und bündig fest: "Das Gesetz ist Wille und Plan des Führers". Gesetzesinhalt, Gesetzesgebundenheit, Analogieverbot, Rückwirkungsverbot, Legalitätsprinzip usw. - kurz: die Grundbegriffe der Straf- und Strafprozeßrechtslehre - fallen damit "stützenlos in sich zusammen". Schmitt setzte dem "rechtsstaatlichen 'nulla poena sine lege' den Gerechtigkeitssatz 'nullum crimen sine poena' entgegen". Folgerichtig wurde ein Jahr später das Analogieverbot in § 2 StGB durch ein Analogiegebot ersetzt: Bestraft wurde danach auch diejenige Tat, die das Gesetz nicht für strafbar erklärt, die aber nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient.
Diese Änderung wurde nach 1945 rückgängig gemacht: Der Satz nulla poena sine lege wurde gleichlautend in § 1 Strafgesetzbuch und in Art. 103 Abs.2 GG aufgenommen. Beachtet wird er bis heute nicht. Der Hauptsündenfall liegt dabei nicht etwa (wie im Falle der Nötigung) bei der Prüfung der Bestimmtheit von Straftatbeständen, sondern bei der Auslegung und Anwendung völlig eindeutiger Gesetze. Das bekannte Schulbeispiel zu dieser Problematik ist der folgende Fall:
Dem Preußischen Gesetz betr. den Forstdiebstahl zufolge war für den Diebstahl eine schwerere Strafe zu verhängen, wenn "zum Zwecke des Forstdiebstahls ein bespanntes Fuhrwerk, ein Kahn oder ein Lasttier mitgebracht ist". Der Bundesgerichtshof hat bei der Anwendung dieses Gesetzes im Jahre 1957 festgestellt: "Dem bloßen Wortlaut nach fällt ein Kraftfahrzeug, wie es die Angeklagten zur Ausführung des Forstdiebstahls verwendet haben, allerdings nicht unter die Vorschrift, wohl aber nach ihrem Sinn". - Ein Nichtjurist, der ernstlich glaubt, ein Auto sei ein bespanntes Fuhrwerk, würde vermutlich in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht - zumindest zur Beobachtung. Der BGH bemerkt zwar die Unterschiede zwischen den genannten Fahrzeugarten, er meint aber, auf sie komme es juristisch nicht an. Der Kunstgriff, mit dem er die Gesetzwidrigkeit seiner Rechtsprechung kaschiert, lautet "teleologische Auslegung".
Diese angebliche Auslegungsmethode, die bis heute nicht nur anerkannt ist, sondern "normalerweise für entscheidend" gehalten wird, geht maßgeblich auf die 1930 erschienene Schrift "Teleologische Begriffsbildung" von Erich SCHWINGE zurück. Sie erfüllt sowohl der Bezeichnung als auch der Sache nach eines der genannten Merkmale der nationalsozialistischen Rechtslehre. SCHAFFSTEIN erkannte dementsprechend ausdrücklich an, daß die teleologische Auslegung im Strafrecht zur "Auflösung der liberalen rechtsstaatlichen Gewaltentrennung und Zurücksetzung von Rechtssicherheit und Berechenbarkeit gegenüber anderen und neuen Rechtswerten" geführt habe.
Dies reichte den Nationalsozialisten aber nicht aus. SCHWINGE stand daher mit der von ihm verlangten "teleologischen Auslegung" sogar in entschiedenem Gegensatz zu den zur Kieler Richtung gehörenden Strafrechtlern. Das ändert aber nichts daran, daß auch seine eigene Auffassung, also schon die "teleologische Begriffsbildung" es dem Richter ermöglicht, einen bestimmten weltanschaulich fixierten Sinn und Zweck zu unterlegen und diesen dann gegen den Wortlaut des Gesetzes aus(zu)spielen. Damit wird den Richtern ermöglicht, den Gesetzesbruch als Gesetzesinhalt hinzustellen.
Die bedenkenlose Übernahme der "teleologischen Auslegung" nach 1945 verkennt, daß diese "noch heimtückischer" als die gesetzliche Zulassung der Rechtsanalogie zuungusten des Täters war. Sie kommt nur "auf diskreterem Weg zum selben Ergebnis".
Der Grund für die Weigerung, nach 1945 zu einer strikten Beachtung des Gesetzeswortlauts zurückzukehren, lag und liegt bis heute in der Befürchtung, dieser Schritt würde auch dort "zu engherziger Auslegung" nötigen "wo ein dringendes und ernstes Strafbedürfnis besteht". "Mit bloßer Rückkehr zu formaler Gesetzestreue läßt sich also der Schaden nicht heilen". "Was durch den deutschen Wortlaut einigermaßen erfaßt wird, und was auch in der Rechtsprechung der anderen zivilisierten Länder als strafbar gilt, muß auch bei uns bestraft werden". Der Richter, der sich nur ans Gesetz hält, wird als "Subsumtionsautomat" diffamiert.
In der Konsequenz dieser allseits akzeptierten Auflehnung der Gerichte gegen die Gesetzesgebundenheit liegt der Übergang vom Rechtsstaat zum Richterstaat, und, wenn man dem Richter dabei die Befugnis einräumt, ungebunden das tun, was er für richtig hält, zum Willkürstaat. Der nationalsozialistische Staat war keineswegs nur, aber auch deswegen ein Unrechtsstaat, weil er kein Gesetzesstaat war.
Die Schlüsselfrage, um die es im Strafrecht bis heute geht, lautet: Gilt der Satz "nulla poena sine lege" oder gilt er nicht? Wenn er gilt, hat er den Inhalt, daß die Strafbarkeit, und zwar abschließend, gesetzlich bestimmt ist. Der Richter erkennt nur, ob die Tat dem Gesetz zufolge strafbar ist. Der Gesetzesinhalt wird durch einzelne Tatbestandsmerkmale bestimmt, die insbesondere von der Strafrechtswissenschaft zu definieren sind. Diese Konzeption schließt aus, daß der Beurteiler eigenständig über die Strafbarkeit entscheidet, also etwas dazutut, was im Gesetz nicht enthalten ist. Das ist keine "formale Gesetzestreue", sondern nichts anderes als eine Respektierung der rechtsstaatlich unabdingbaren Gewaltenteilung.
II. Die Absicherung des Ergebnisses
Es wäre eine Illusion, bereits im voraus alle möglichen Einwände ausräumen zu wollen, die gegen die hier vertretene Auffassung vorgebracht werden können. Vorgebeugt werden muß jedoch dem naheliegenden Einwand, daß es für die beanstandeten heutigen Auffassungen auch andere, historisch unverfänglichere Wurzeln als das 3. Reich gebe, z.B. die freie Rechtsschule, die Interessenjurisprudenz, den strafrechtlichen Schulenstreit usw. Dazu nur drei Feststellungen:
- 1. Die nationalsozialistische Rechtslehre ist sicherlich nicht "vom immel gefallen", sie war - ungeachtet aller Diskontinuitätsthesen - historisch vorbereitet. Daher reichen in der Tat viele der hier angegriffenen Entwicklungen in die Zeit vor 1933 zurück.
- 2. Die Frage, ob die rechtsstaatswidrigen Elemente der heutigen Strafrechtslehre ausschließlich oder teilweise nationalsozialistischen Ursprungs sind oder ob beide "nur" auf denselben Wurzeln beruhen, ist eine strafrechtshistorische Frage, die nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist. Es geht hier nicht um die Rekonstruktion historischer Zusammenhänge, sondern um die rechtsstaatliche Haltbarkeit der heutigen Auffassungen. Bei dieser Prüfung ist der Vergleich mit der nationalsozialistischen Rechtsideologie ein aufschlußreiches Hilfsmittel.
- 3. Soweit hier angegriffene Auffassungen nicht originär nationalsozialistisch sind, die Nationalsozialisten sie also lediglich übernommen haben, lag die nationalsozialistische Rechtslehre zumindest in der Konsequenz dieser Auffassungen. Man muß folglich selbst in diesem Fall zur Kenntnis nehmen, wozu diese Grundlagen führen, wenn sie, wie im Dritten Reich geschehen, mit brutaler Konsequenz auf die Spitze getrieben werden.
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