Foren-Anonymität (Off-Topic)
Juristische Bruchlandung für die Darmstädter Staatsanwaltschaft: Die bundesweit beachtete Durchsuchungsanordnung gegen die ECHO-Redaktion wegen eines anonymen Onlinekommentars war rechtswidrig. Dies hat jetzt das Landgericht Darmstadt entschieden.
Die bundesweit beachtete Durchsuchungsanordnung gegen die ECHO-Redaktion wegen eines anonymen Onlinekommentars war rechtswidrig. Dies hat jetzt das Landgericht Darmstadt entschieden.
Das Gericht gab damit einer Beschwerde der ECHO-Medien statt und legte sämtliche Verfahrenskosten der Staatskasse auf.
Mitte Juni waren Ermittler von Staatsanwaltschaft und Polizei mit dem Durchsuchungsbeschluss ins Verlagsgebäude der ECHO-Zeitungen gekommen und hatten von Verleger Hans-Peter Bach die Herausgabe persönlicher Daten eines Internetforum-Nutzers verlangt. Die Daten wurden schließlich übergeben, um weitere Schritte – etwa die Durchsuchung von Redaktionen oder den Abtransport von Computern – zu verhindern.
Die Durchsuchung hatte für erhebliches Aufsehen in der deutschen Zeitungslandschaft gesorgt, war es doch erst die zweite Durchsuchung von Staatsanwälten in einem Zeitungshaus wegen eines Onlinekommentars. Medien, Journalistenverbände und Politiker hatten die Aktion als unverhältnismäßig, untragbar und als „massiven Eingriff in die Pressefreiheit“ gerügt.
Der betroffene Nutzer, ein Mühltaler Bürger, hatte unter dem Pseudonym „Tinker“ in einem Kommentar auf „Echo Online“ leitende Verwaltungsmitarbeiter der Gemeinde Mühltal angegriffen und der Unfähigkeit bezichtigt. Die Mühltaler Amtsleiter Jochen und Thomas Göbel hatten daraufhin Anzeige wegen Beleidigung erstattet, weil sie sich verunglimpft fühlten. Seitdem wird gegen „Tinker“ ein Strafverfahren wegen Beleidigung geführt. Als die Redaktion gegenüber den Amtsleitern und später auch auf Anfrage der Polizei den Klarnamen des Nutzers nicht herausgab, erwirkte die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht den strittigen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss.
Zu Unrecht – das stellten jetzt die drei Richter der Beschwerdekammer des Landgerichts fest (Aktenzeichen 1000 UJs 101183/14) und gaben damit der Beschwerde der ECHO Medien statt.
Laut dem Beschluss krankt die Anordnung schon an derart schwerwiegenden formalen Fehlern, dass eine denkbare Heilung dieser Mängel nicht mehr in Frage kommt. Insbesondere habe die Durchsuchungsanordnung nicht erkennen lassen, ob überhaupt eine eigene inhaltliche Prüfung seitens des unterzeichnenden Ermittlungsrichter stattgefunden habe. Vielmehr zeige der Antrag, dass Angaben der Staatsanwaltschaft schlicht in die Anordnung „verklammert“, also hineinkopiert wurden. Der richterliche Beschluss „gibt in unkommentierter Weise eine Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft wieder, wobei selbst ein Zusatz, dass sich das Gericht dem anschließt, fehlt“, so das Landgericht. Damit nicht genug: Teilweise sorgten mehrere gleichzeitige Verfahren aufgrund der einen Strafanzeige bei verschiedenen Staatsanwälten für Verwirrung. Im entscheidenden Verfahren, das dem Ermittlungsrichter vorlag, habe dann sogar der wirksame Strafantrag als Grundvoraussetzung gefehlt, „ein Verstoß gegen das Schriftformerfordernis (....), das bei Antragsverfahren gilt“. Eigentlich sei somit auch noch die dreimonatige Antragsfrist der vermeintlichen Tat abgelaufen gewesen.
Weil somit fraglich sei, ob dem grundgesetzlich garantierten Richtervorbehalt genüge getan wurde, sei die Durchsuchungsanordnung - und damit auch die hierdurch erreichte Herausgabe des Klarnamens - rechtswidrig.
Der Auffassung, dass Onlinekommentare auch in den Schutzbereich der Pressefreiheit fallen, wollte das Landgericht bei seiner nachgelagerten inhaltlichen Prüfung nicht folgen. Userbeiträge seien nicht dem redaktionellen Bereich zuzuordnen und ein Forumsnutzer sei auch nicht als Informant eines Pressemitarbeiters anzusehen. Folgt man dieser Rechtsansicht, könne sich die Redaktion hier nicht auf Schutzgesetze berufen. Dies gelte vor allem, weil der Kommentar von „Tinker“ nach Ansicht der Beschwerderichter durchaus eine Beleidigung darstellen könnte.
Keine Entwarnung für „Tinker“ und Onlinekommentare
Also keine Entwarnung für Nutzer „Tinker“, denn juristisch zu klären bleibt, ob eine Durchsuchung ohne die gerügten Mängel überhaupt hätte ausgesprochen werden dürfen, die herausgegebenen Daten also vor Gericht verwertbar sind.
Die Staatsanwaltschaft zeigt sich unbeirrt. Pressesprecher Noah Krüger spricht gar von einem „Phyrrus-Sieg“. Fehler in der Bearbeitung seien „von der Judikative nicht von der Exekutive gemacht worden. Im konkreten Fall gingen die Ermittlungen weiter. Und weil laut Gericht die Pressefreiheit bei Onlinekommentaren nicht betroffen sei, haben wir keine Veranlassung, in künftigen, ähnlichen Verfahren anders vorzugehen.
„Natürlich sind wir froh über unseren Erfolg vor Gericht. Es war uns auch für die tägliche Arbeit wichtig, festzustellen, dass diese Durchsuchung rechtswidrig war. Eine Verhältnismäßigkeit war aus unserer Sicht überhaupt nicht mehr gegeben “, kommentiert der stellvertretende Chefredakteur Alexander Schneider den für das ECHO positiven Beschluss. „Die bereits im Ermittlungsverfahren gemachten Fehler machen allerdings nachdenklich. Sie zeigen, wie wichtig es ist, dass sich Medien bei zweifelhaften staatlichen Maßnahmen zu wehren wissen.“
gesamter Thread: