Wenn der Mensch zur MenschIn wird - oder:

Wieviel »Gleichberechtigung« verträgt das Land?

How much »equality« the country can stand?

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Liste Femanzen Dr. Helga Lukoschat (Liste Femanzen)

Oberkellner @, Sunday, 30.11.2014, 09:55 (vor 3591 Tagen)

F243 Dr. Helga Lukoschat geboren 1957 in Esslingen (Baden-Württemberg) – Studium der Germanistik, Politikwissenschaft und Geschichte in Erlangen und Berlin – als Journalistin und Publizistin tätig u.a. für die taz - An der Technischen Universität Berlin war sie an mehreren Forschungsprojekten im Bereich Frauenforschung beteiligt und promovierte mit einer Studie über Frauen in Führungspositionen – sie leitete das mehrfach ausgezeichnete Mentoring-Programm „Preparing Women to lead“ – mit Prof. Dr. Barbara Schaeffer-Hegel Mitbegründerin der EAF – seit 2009 Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführerin der EAF (Europäische Akademie für Frauen) – seit 2001 Geschäftsführerin der Femtec Hochschulekarrierezentrum für Frauen Berlin GmbH, einer Gründung der EAF und der TU Berlin – Forschung an der TU Berlin mit Prof. Dr. Barbara Schaeffer-Hegel – Mitglied im Konferenzbeirat der WomenPower - www.eaf-berlin.de - lukoschat@eaf-berlin.de - https://www.femtec.org/sites/default/files/styles/menubox/public/menuimage/helga_lukoschat.jpg?itok=hM1QI_aY

Wenn die Wirtschaft den vorhandenen Talentepool qualifizierter Frauen nicht nutzt, schadet sie sich selbst – gerade angesichts des prognostizierten Fachkräftemangels. Die Unternehmen sollten das Thema strategisch angehen; eine Quote für mehr Frauen in Aufsichtsräten ist ein erster, wichtiger Schritt.

http://www.berlinererklaerung.de/erstunterzeichnerinnen/

Die Wirtschaftsexpertin Helga Lukoschat spricht im Interview mit der Frankfurter Rundschau über Familie und Karriere, Quoten und Selbstverpflichtung.
Frau Lukoschat, Frauen in Spitzenpositionen sind in Deutschland noch immer Ausnahmen. Wie groß ist der wirtschaftliche Schaden?
Wenn die Wirtschaft den vorhandenen Talentepool qualifizierter Frauen nicht nutzt, ist der Schaden immens – gerade angesichts des prognostizierten Fachkräftemangels. Es bietet daher große Vorteile, Frauen einzustellen. Es reicht aber nicht, nur nach den jungen Frauen zu rufen, sondern sie müssen dann tatsächlich auch die gleichen Aufstiegschancen wie Männer haben.
Was muss sich in den Unternehmen ändern?
Arbeitskultur und Karrierewege müssen modernisiert werden. Eine Familienphase darf nicht mehr zum Abbruch der Karriere führen. Ich sehe eine historische Chance für Firmen darin, Stellen so attraktiv für junge Frauen, aber auch für Männer zu gestalten, dass eine Karriere mit Kindern möglich ist. Konkret bedeutet das, dass Mütter kürzer aus dem Berufsleben ausscheiden und anschließend wieder auf die gleiche Position kommen.
Oft sind Frauen aus familiären Gründen gezwungen, im Job zurückzustecken oder den Job sogar ganz aufzugeben.
Die Firmen müssen sich dann nach neuen, qualifizierten Kräften umsehen. Eine Schweizer Studie hat gezeigt, dass es sich rechnet, Frauen im Betrieb zu halten und gezielt zu fördern – und zwar umso mehr, desto qualifizierter sie sind. Ein Viertel aller Ausgaben, die Firmen in die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf investieren, kommt später direkt dem Betrieb zugute, weil etwa Ausfallzeiten stark reduziert werden. Im Gegenzug erhöht das die Motivation der Mitarbeiterinnen und ihre Bindung an das Unternehmen.
Helfen Quoten, damit Frauen in den Chefetagen künftig stärker vertreten sind?
Grundlegend ist doch, dass Firmen selbst das Thema ernsthaft angehen. Damit meine ich nicht einzelne Fördermaßnahmen für Frauen. Der Ansatz liegt hinter uns. Man muss nun strategisch ansetzen. Es gilt, das Bewusstsein zu verändern und ganz konkrete Schritte im Personalmanagement zu gehen. Es geht also um eine tiefe Verankerung in der Unternehmenskultur. Damit ist es das Topthema für die Unternehmensleitung. Untersuchungen zeigen, dass dabei Zielvorgaben ausgesprochen hilfreich sind. Manche Unternehmen wie die Telekom und Daimler sind da bereits vorangegangen. Viele Firmen überlegen sich das ernsthaft, aber scheuen eine feste Quote.
Und wofür plädieren Sie?
Der Gesetzgeber sollte die Quotierung von Aufsichtsräten zügig umsetzen. Es ist strategisch klug, dort zu beginnen, denn das sind politische Gremien. Außerdem besetzt der Aufsichtsrat auch den Vorstand eines Unternehmens. Ich bin sicher, dass aktuell genug qualifizierte Frauen dafür bereitstünden, etwa aus dem Mittelstand, internationalen Kanzleien, Nichtregierungsorganisationen, aber auch aus Verbänden und Vereinen. Da muss man nicht warten, das kann man sofort in Angriff nehmen. Das trifft auch in der Wirtschaft auf relativ große Zustimmung.
Und wie steht es mit der Quotierung von Vorständen?
Das sehe ich zurückhaltender, weil damit unmittelbar in die Unternehmensführung eingegriffen wird. Daher spricht in meinen Augen viel dafür, dass sich Firmen je nach Branche und Größe ihre eigenen Ziele stecken. Wenn das nach zwei, drei Jahren nicht fruchtet, kann man den nächsten Schritt gehen.
Noch haben es viele Frauen in Spitzenpositionen schwer, sich durchzusetzen. Gibt es Aussicht auf Besserung?
Wenn erst einmal die kritische Masse – ein Frauenanteil von 30 Prozent – überschritten ist, wird es leichter für sie. Die Unternehmen sollten aber auch bedenken, dass zunehmend Paare miteinander Karriere machen wollen, zunehmend Männer aktiv Väter sein wollen. Bewegt sich hier etwas, können auch Frauen einfacher Karriere machen.
Interview: Franziska Schubert

http://www.fr-online.de/politik/wirtschaftsexpertin-helga-lukoschat-im-interview--wer-frauen-nicht-foerdert--schadet-sich-selbst-,1472596,7142272.html

„Das ist moderne Mütterlichkeit“
Frauen haben eher notgedrungen einen anderen Politikstil als Männer. Aber der ist im Moment gefragt, sagt die Politologin Helga Lukoschat.von Heide Oestreich

taz: Frau Lukoschat, war das, was wir in NRW gesehen haben, weibliches Regieren?
Helga Lukoschat: Es war ein bemerkenswertes Regieren von zwei Frauen, die eine schwierige Konstellation über zwei Jahre mit recht großem Erfolg geführt haben. Bei den Neuwahlen werden sie womöglich wieder als Gewinnerinnen dastehen.
Hat es ihnen geholfen, dass sie Frauen sind?
Es hat ihnen auf jeden Fall nicht geschadet. Eigentlich sind Frauen ja eher im Nachteil, weil unsere Politik sehr männlich geprägt ist. Gefolgschaft bilden sich eher hinter Männern. Was aber Kraft und Löhrmann zugutegekommen ist: Sie strahlen beide etwas Vertrauenswürdiges, Bodenständiges aus. Kraft hat den Begriff der „Landesmutter“ ausgefüllt. Man traut ihr zu, dass sie ordentlich für das Land sorgt. Und zwar nicht als betuliche „Mutti“, sondern im Sinn von „Working Mum“. Das ist also auch ein moderneres Bild von Mütterlichkeit.

Der kooperative Politikstil, diese „Koalition der Einladung“, ist das nun weibliches Regieren?
Helga Lukoschat
Jahrgang 1957, ist Politologin und Vorstand der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft.
Es ist vielleicht ein Kennzeichen von Frauen, dass sie besonders darauf angewiesen sind, offen zu bleiben und zu moderieren. Sie können sich eben nicht wie Männer auf langjährige Seilschaften verlassen und haben nicht diese Art von Gefolgschaft hinter sich. Zudem ist es ein Politikstil, der besonders in einer Minderheitenregierung gebraucht wird. Im Fall NRW sieht man sehr deutlich, dass die Machtverhältnisse sich in Zeiten von Fünf- oder sogar Sechsparteiensystemen gewandelt haben. Es gibt seltener klare Mehrheiten, die Regierungen müssen offener werden. Ein kooperativer, einbeziehender Politikstil ist in diesen Fällen erfolgversprechender. Da können sich die Männer einiges von den Frauen abschauen.
Frauen führen anders?
Nein, Frauen sind ja nicht alle gleich. Und es gibt auch Männer, die kooperativer an die Politik herangehen. Hannelore Kraft muss machtbewusst sein, sonst wäre sie nicht in dieses Amt gelangt. Aber sie kann eben auch eine einladende Politik machen und dabei auf Ressourcen zurückgreifen, die einem Clement vielleicht nicht zur Verfügung standen. Die Gesellschaft weiß das mittlerweile zu schätzen.
Von Löhrmann stammt die Selbsteinschätzung, dass sie „Frau sein und trotzdem führen kann. Ist das neu?
Ja. Unsere früheren Untersuchungen haben gezeigt, dass die Frauen in der Regel nur erfolgreich waren, wenn sie ihr Geschlecht neutralisiert haben. Frau Merkel ist das klassischen Beispiel dafür. Jetzt konnte Kraft sogar die Tatsache, dass sie Mutter ist, für sich verwenden.
„Wir machen aus Sachfragen keine Machtfragen“, sagt Löhrmann auch. Eigentlich wirft man das den Frauen doch immer vor: Sie machen nur Sacharbeit und wundern sich dann, dass die Machtmenschen an ihnen vorbeiziehen.
Sylvia Löhrmann kann dieses Prinzip anwenden, weil sie das nicht naiv tut, sondern in Machtfragen mit allen Wassern gewaschen ist. Sie erkennt die Machtfrage hinter der Sachfrage und kann das trennen. Und man muss die Machtfrage erst mal knacken, bevor man auf die Sachfrage kommt.
Das kann man aber nur machen, wenn das Gegenüber Kraft heißt und nicht etwa Clement, oder?
Ja, die beiden sind eben ein gutes Tandem und widerlegen damit, by the way, das Klischee vom Zickenkrieg.
Kraft sprach auch mal ganz selbstverständlich davon, dass Frauen öfter mal emotional angegriffen werden. Das müsse man eben kontern.
Sie kann so etwas thematisieren, ohne in der Opferrolle zu verschwinden. Das ist noch nicht selbstverständlich, aber da muss es hingehen. Man kann diese unterschiedliche Behandlung von Frauen in der Politik nicht leugnen, wie das oft noch getan wird. Aber man kann kompetent damit umgehen.
Frau Kraft als erfolgreiche Ministerpräsidentin wird nur zögerlich als Kanzlerkandidatin gehandelt. Wieso eigentlich?
Gegen diese drei Männer in der SPD kommt sie im Moment noch nicht an. Aber wenn sie eine stabile Mehrheit in NRW hinbekommt, sieht die Sache schon anders aus. Sie kann sich also noch Zeit lassen.
Kann die SPD mit drei Kraftmeiern an der Spitze sich eine weibliche Kandidatin überhaupt vorstellen?

Man könnte den Verdacht hegen, dass sie das nicht kann. Aber die Zeiten ändern sich, auch in der SPD.

http://www.taz.de/!89711/

Helga Lukoschat, TU Berlin
Mein Name ist Helga Lukoschat und ich freue mich wirklich ganz besonders und möchte mich ganz herzlich für die Einladung zu dieser Veranstaltung bedanken. Auch bin ich meinerseits sehr gespannt auf den Austausch, den wir heute miteinander haben werden. Ich empfinde es wirklich als eine Ehre, daß ich hier als Westberliner Forscherin vortragen darf.
Was ich Ihnen vortragen werde, ist wesentlich Ergebnis einer empirischen Untersuchung unter der Leitung von Barbara Scheffer-Hegel. Ich werde Ihnen zunächst nach einer kurzen Einführung einige Daten sagen zur Situation von Politikerinnen und möchte dabei besonders ein paar Spezifika der Situation ostdeutscher Politikerinnen hervorheben. Zur Einstimmung vorneweg, es gibt gar nicht so viele Unterschiede zwischen Ost und West. Gerade was die Einschätzung als Frau in der Politik angeht.
Daran anschließend möchte ich Ihnen drei konzeptionelle oder strategische Ansätze vorstellen, wie möglicherweise künftig die Handlungsmacht und der Einfluß von Frauen in der Politik gestärkt werden kann. Denn das Thema, das wir heute besprechen, Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen und Programmen, ist nicht nur eine quantitative Frage.
Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich meinem Vortrag ein Zitat einer Politikerin voranstelle, die nicht den Sozialdemokratinnen angehört. Aber die zitierte Politikerin hat das Problem einfach auf eine sehr knappe und griffige Formel gebracht. Wie bilanziert Rita Süßmuth, die ranghöchste Frau in diesem Staat, die Frage der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an der Politik, an politischen Entscheidungen? Rita Süßmuth hat vor kurzem gesagt: Frauen haben mehr Mandate, aber Frauen haben nicht mehr Macht.
Mehr Mandate: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, das dürfte Ihnen bekannt sein, stellen Frauen heute mit 26,3 Prozent immerhin ein gutes Viertel der Abgeordneten im deutschen Bundestag. In den Landesparlamenten liegt der Anteil der weiblichen Parlamentarierinnen im Westen durchschnittlich bei 25 Prozent und in den Parlamenten der neuen Bundesländer liegt er sogar noch höher, nämlich bei 29,33, also knapp 30 Prozent. Also das finde ich erst einmal eine Ausgangsbasis, die sich doch auch sehen lassen kann.
Wie sieht es nun mit den Führungspositionen in der Politik aus? Nach Jahrzehnten der Stagnation, ich beziehe mich auf die westliche Bundesrepublik, hat sich auch der Anteil von Frauen an Führungspositionen kontinuierlich erhöht. Auf Bundesebene liegt er aktuell bei 18,4 Prozent. Führungsposition meint hier: Bundesregierung, Staatssekretärinnen, Fraktionsvorsitz, parlamentarische Geschäftsführung, Leitung eines ständigen Bundestagsausschusses etc., also 18,4 Prozent. Das ist natürlich ganz offensichtlich keine weltbewegende Zahl und entspricht noch nicht einmal dem Anteil der Parlamentarierinnen. Sie wissen, wir haben nur zwei Ministerinnen auf Bundesebene. Unter den 56 Staatssekretären sind sieben Frauen und von den 22 ständigen Bundestagsausschüssen, werden jetzt zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode fünf von Frauen geleitet. Auch das ist schon ein historisches Novum.
Von der demokratisch gebotenen gleichberechtigten Gestaltungsmacht von Frauen auf die Politik, sind wir damit immer noch ein ganzes Stück entfernt. Aber das Problem ist nicht allein eine Frage von Quantitäten. Die Frage ist auch, wie Frauen die Mandate, die sie haben, wirkungsvoller und sichtbarer nutzen können. Und wir müssen dabei aber auch bedenken, daß das Handlungsfeld der Politik historisch unter dem Ausschluß von Frauen entstanden ist und daß seine Strukturen, und das hat unsere Untersuchung auch noch einmal eindrucksvoll belegt, nach wie vor männlich geprägt sind. Auch die Arbeitsweisen, die Inhalte, die Inszenierungen, wie Politik dargestellt wird: Frauen müssen gegenwärtig sein, daß sie dort nach wir vor Prozessen der Anpassung unterliegen, daß sie nicht so bleiben können wie sie eigentlich gern bleiben wollen. Und daß sie auch Prozessen der Ausgrenzung und der Marginalisierung, also des „an den Rand geschoben werdens", gegenwärtig sein müssen. Ich denke schon, die flüchtige Zeitungslektüre und der Blick in die Nachrichtensendungen des Fernsehens zeigen, daß es nach wie vor überwiegend männliche Politiker sind, die die Themen setzen, die mediale Öffentlichkeit dominieren und letztlich die Entscheidungen fällen.
Wie sehen eigentlich junge ostdeutsche Frauen die Situation? Ich möchte Ihnen dazu zwei Zitate aus der Shell-Studie 1997 geben: „Viele Jugendliche sind schlichtweg frustriert von der Politik, weil es so schwierig ist mit Arbeitsstellen", sagt zum Beispiel eine 20jährige junge Frau aus Ostdeutschland. „Das schafft viel Hoffnungslosigkeit. Man könnte sagen, o.k. ich kremple die Ärmel hoch und gehe in die Politik, um endlich etwas zu verändern. Aber da sitzen all die alten Männer in ihren Positionen, wie kriegt man die weg?"
Und eine 14jährige stellt fest: „Der Staat kommt überhaupt nicht klar mit seinen Aufgaben. Das sieht man an der Massenarbeitslosigkeit, an der Obdachlosigkeit. Politiker, das sind für mich Männer in grauen Anzügen. Die erzählen und erzählen und nochmals erzählen und eigentlich machen die gar nichts."
Politik ist für ostdeutsche junge Mädchen und Frauen, und diese Aussagen dürfen durchaus als repräsentativ betrachtet werden, Politiker, das sind die Männer in den grauen Anzügen. Die Politikerinnen, diese 30 Prozent, die wir haben, wo sind sie, warum werden sie nicht wahrgenommen? Das ist doch genau die Frage, die wir uns heute stellen müssen.
In unserer Untersuchung haben wir uns gefragt: Wo stehen Politikerinnen heute, was beeinträchtigt Ihre Potentiale und wie kann langfristig ihr Einfluß in der Handlungsmacht gestärkt werden. Wir sind davon ausgegangen, daß Instrumente wie die Quote allein nicht ausreichen werden. Die Entwicklung von wirkungsvollen Konzepten und Instrumenten zur Stärkung von Frauen in der Politik wird noch dringlicher, wenn wir den Nachwuchsmangel und den Mitgliederschwund der Parteien mit einbeziehen sowie die eben schon erwähnte Politikverdrossenheit der jüngeren Generation. Zudem lastet auf der Politik ein immer größer werdender Professionalisierungsdruck. Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen, Stichwort Globalisierung, stellen an den Bereich der Politik immer höhere Anforderungen an Effizienz in Wissensaneignung und Informationsbearbeitung, an Problemlösungskompetenz und auch an Professionalität im Umgang mit Medien und Öffentlichkeit.
Politische Machtausübung muß aber nur effizient und professionell organisiert sein, sondern auch die Qualität ihrer Entscheidungen, ihren Mut, ihre Weitsichtigkeit, ihre Gemeinwohlorientierung unter Beweis stellen, wenn sie die Akzeptanz der Bevölkerung zum parlamentarischen Parteiensystem nicht untergraben will.
Unter frauenpolitischer Perspektive verschärft sich das Problem noch. Denn einerseits haben sich die Parteien verpflichtet, die SPD hier mit federführend, den Anteil von Frauen an Ämtern und Mandaten kontinuierlich zu erhöhen. Andererseits ist der Mangel an weiblichem Parteinachwuchs gravierend. Und gerade in den ostdeutschen Ländern besonders gravierend, darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Bisher sind jedoch unserer Einschätzung nach in den Parteien höchstens ansatzweise Konzepte entwickelt worden, wie man das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in der Politik verbinden kann mit Ansätzen zu einer qualifizierten Nachwuchsförderung. Also einer Vorbereitung des politischen Personals auf die Anforderungen, die ich eben beschrieben habe und auch mit der Frage aktueller demokratiepolitischer Problemlagen. Wir dürfen Frauenförderung nicht isoliert von diesen anderen Fragen betrachten. Das möchte ich auch als Input für die Diskussion geben, einen ganz wichtigen Ansatz, um hier besser voranzukommen.
Handlungsfähigkeit und Einfluß basieren auch im politischen Raum auf persönlicher Kompetenz und professionellen Qualifikationen. Entscheidend für die Politik ist aber die Fähigkeit, Machtzentren zu schaffen und zu erhalten. Und da ich hier öfter von Macht spreche, möchte ich Ihnen auch eine Definition geben, wie wir das verstanden haben, und zwar sehen wir in Anlehnung an den Machtbegriff von Hanna Arendt Macht als Resultat eines politischen Prozesses, in dem der oder die einzelne von einer Gruppe von Menschen ermächtigt wird, in ihren Namen zu sprechen und zu handeln. Machtzentren erwachsen aus dem Zusammenschluß und dem gemeinsamen Handeln politischer Akteure. Für unseren Kontext bedeutet dies, daß der Stärkung der Kooperations- und der Bündnisfähigkeit von Frauen eine Schlüsselstellung zukommt.
Ich möchte Ihnen nun einige Ergebnisse und Einsichten aus unserer Untersuchung vorstellen. Sozusagen mehr auf der empirischen Ebene. Wir haben 1996 eine Gesamterhebung mittels eines Fragebogens bei allen Parlamentarierinnen der Bundesrepublik durchgeführt, Bund-, Länder- und Europaebene und eine etwa gleich große Anzahl von Kommunalpolitikerinnen befragt. Von den insgesamt 1.200 verschickten Fragebögen kehrten 700 zurück. Mit diesem Rücklauf von rund 58 Prozent ist die Erhebung repräsentativ. Die Politikerinnen der neuen Länder waren gleichfalls repräsentativ vertreten. Wir haben also eine quantitative Erhebung gemacht. Wir haben aber auch mit etwa 30 Frauen aus politischen Führungspositionen Intensivinterviews geführt und haben auch darauf geachtet, daß alle im Bundestag vertretenen Parteien berücksichtigt waren, die verschiedenen Altersgruppen, Ost und West angemessen vertreten waren und unterschiedliche politische Funktionsebenen.
Einige Daten. Zunächst: Frauen in der Politik unterscheiden sich in ihren Lebensäußerungen auf den ersten Blick nur wenig von der Mehrheit der Frauen der deutschen Bevölkerung. Sie sind berufstätig, verheiratet, ein großer Teil hat familienbedingt die Erwerbstätigkeit zeitweise unterbrochen oder teilzeitig fortgesetzt.
Frauen in der Politik sind im Vergleich zur weiblichen Gesamtbevölkerung allerdings eine überdurchschnittlich gut gebildete Gruppe. Die Befunde zu ihrer Bildungsbeteiligung und zu den Schul- und Berufsabschlüssen deuten auf ein Potential hin, das in dieser Qualität und Häufigkeit in anderen gesellschaftlichen Subsystemen kaum vorzufinden ist. Nur vier Prozent der erfaßten Politikerinnen sind unter 31 Jahre alt. Die 41- bis 60jährigen machen zusammen 70 Prozent aus.
Bemerkenswert ist, daß die Politikerinnen aus den neuen Bundesländern ca. 10 Jahre jünger sind als ihre Kolleginnen aus den alten Ländern. Dort ist die größte Gruppe zwischen 30 und 40 Jahren. Und ich denke das hat zwei Ursachen. Zum einen, das wurde in unserer Untersuchung auch verdeutlicht, war die Wende 1989/90 natürlich das politische Schlüsselereignis für die Frauen im Osten, politisch aktiv zu werden, und es gab noch einmal einen anderen Schub der Politisierung. Zum anderen haben Frauen in Ostdeutschland in der Regel früher ihre Kinder bekommen und sind also auch schon „fitter", dann wieder in die Politik einzusteigen. Aber es ist generell interessant, denn zunehmend gelingt es Frauen, politische Karriere und ein Leben mit Kindern und Familie zu vereinbaren. 65 Prozent der erfaßten Politikerinnen unserer Untersuchung leben mit Kindern. Das gilt auch für die Frauen in politischen Spitzenpositionen. Auch diese haben zur Hälfte ein oder mehrere Kindern, die allerdings überwiegend schon erwachsen sind oder im Jugendalter. Allerdings müssen Frauen, die Politik und Familie unter einen Hut bringen wollen, nicht nur Energiebündel und Organisationstalente sein, sondern sie müssen auch ein außergewöhnlich unterstützendes Umfeld haben. In der ganz großen Mehrzahl betonen unsere Interviewpartnerinnen, daß sie es ohne die praktische Unterstützung und den moralischen Rückhalt ihres Mannes die politische Karriere nicht bewältigen hätten können. Dennoch konnte nur eine von ihnen auf einen Hausmann zurückblicken. Für männliche Politiker ist es dagegen noch immer selbstverständlich, sich auf eine hauptberufliche Karrierebegleiterin stützen zu können und von der Verantwortung für Kinder und Haushalt weitgehend befreit zu sein.
Dazu auch noch einmal zwei vergleichende Daten: Im Bundestag sind 76 Prozent der männlichen Abgeordneten verheiratet und haben Kinder. Bei den Frauen sind es dagegen nur 52 Prozent. Aber dieser Anteil ist so hoch wie noch nie zuvor. In früheren Generationen wurden Frauen noch extremer vor die Wahl gestellt waren, Politik oder Familie. Die heutige Frauengeneration läßt sich nicht mehr so vor diese Alternative stellen.
Welche spezifische Behinderungen und Schwierigkeiten haben Frauen in der Politik? Die Politikerinnen unserer Untersuchung haben mehrheitlich die Erfahrung gemacht, daß es einen erheblichen Unterschied darstellt, als Mann oder als Frau hierzulande Politik zu betreiben. Sie haben uns oft sehr detailliert, sarkastisch, kenntnisreich über diese spezifische Behinderungen berichtet. Eine davon ist, daß Frauen als Politikerinnen unter einem ganz besonders hohen Erwartungsdruck stehen. Das ganz besonders, wenn sie sich in die sogenannten harten, in die prestigeträchtigen Ressorts vorwagen. Dann wird noch mal ganz genau geguckt, ist diese Frau dafür überhaupt kompetent? Die Frauen stehen stärker auf dem Prüfstand als ihre männlichen Kollegen und reagieren darauf mit dem Verhaltensmuster des Perfektionismus. Dieser ist aber oft situationsunangemessen und behindernd. Dazu ein Zitat einer jungen Politikerin aus Bonn: „Was mich wirklich behindert hat und teilweise immer noch behindert, ist, daß ich, bevor ich mich äußere, das Gefühl habe, bin ich jetzt sicher in diesem Thema... also ich bin übervorbereitet, fast immer übervorbereitet. Aber das ist unglaublich schwer das abzulegen. Ich versuche, mich da irgendwie selbst zu schulen, den Anspruch an mich nicht zu hoch zu hängen. Das machen Männer einfach anders. Ich bin manchmal schon erstaunt, mit welcher Dreistigkeit die dann Sachen verkünden, wo ich genau weiß, da steht nicht viel dahinter. Aber die schaffen es dann auch, nicht unsicher zu werden, wenn 50 Journalisten vor einem stehen."
Der Umgang mit Medien gilt ohnehin der Hälfte unserer Interviewpartnerinnen als ein Bereich, in dem Frauen größere Schwierigkeiten haben als Männer. Insbesondere junge und auch wieder ostdeutsche Politikerinnen kritisieren, daß Frauen sich im Vergleich zu Männern deutlich mehr anstrengen müßten, in den Medien wahrgenommen zu werden. Zu dem Medienrummel um die männlichen Platzhirsche bemerkte eben dieselbe junge Politikerin lakonisch: „Bonn fördert Machos, das ist einfach so."
Wollen die Medien nicht zu den Frauen kommen, so wollen die Frauen aber auch nicht so recht zu den Medien kommen. Mehrfach wird der Umgang mit den Medien als anstrengend und belastend beschrieben. Selbst eine altgediente, scharfzüngige, durchaus durchsetzungsstarke Politikerin Ihrer Partei gab im Interview unumwunden zu, daß sie es noch immer hassen würde, mit Journalisten zu sprechen und sich selbst einen Tritt geben muß. Also nicht nur Rhetorik-Kurs, sondern auch ganz gezieltes Medientraining und Strategien der Öffentlichkeitsarbeit sind unseres Erachtens deshalb wichtige Bausteine, wenn man Professionalisierungsangebote, Unterstützungsangebote für Frauen in der Politik entwirft. Aber auch über die Art und Weise der Medienberichterstattung sind zahlreiche Politikerinnen verärgert. Kritisiert werden klischeehafte Darstellungen, die Politikerinnen nach Äußerlichkeiten beurteilt oder auf ein traditionelles weibliches Verhaltensrepertoire einschränken. Sie sollen Charme zeigen, sie sollen bescheiden sein ...
Die subjektiven Eindrücke der von uns befragten Politikerinnen werden durch jüngere Untersuchungen zur Medienberichterstattung auch bestätigt. Darunter auch die Untersuchung zum rot-grünen Frauensenat, an der ich selbst beteiligt war. Es ist so, daß über Frauen nicht nur quantitativ weniger berichtet wird, sondern daß auch die Berichterstattung oft von Stereotypen und Vorurteilen durchsetzt ist. Als heute Frau Dr. Bergmann den Artikel im „Spiegel" erwähnt hat - Sie haben mir wirklich aus der Seele gesprochen. So etwas habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Und ich habe mich besonders geärgert, weil ich angelockt war durch das Titelbild „Die vaterlose Gesellschaft" und dachte, wunderbar, der Spiegel greift dieses Problem „Männer in die Familienarbeit" auf und jetzt verändern wir da mal etwas. Ich habe also tatsächlich fünf Mark ausgegeben und den Spiegel gekauft, was ich schon lange nicht mehr tue und fühlte mich düpiert und betrogen. Ich hoffe, daß sich da wirklich auch noch Proteste regen.
Ich finde diese Befunde zu den Medien vor allem deswegen so wichtig, weil unsere Demokratie eben weitgehend medienvermittelt und Medienpräsenz längst als Maßeinheit des politischen Erfolgs gilt.
Ostdeutsche Politikerinnen fühlen sich oftmals zweifach belastet. Sie haben nicht nur den Beweis für die Politikfähigkeit von Frauen zu erbringen, sondern auch den Beweis für die Politik und Demokratiefähigkeit der ostdeutschen Bevölkerung. Ostdeutsche Politiker und Politikerinnen stehen als Repräsentanten einer ganzen Bevölkerungsgruppe in besonderer Weise auf dem Prüfstand. Vergleichbare Erfahrungen als politische Symbolfiguren machen auch Frauen in den männerdominierten Spitzenpositionen der Politik. Dazu eine ostdeutsche Politikerin, die in Bonn tätig war: „Zwischen dem, was man als Frau und Ostmensch erlebt gibt es sehr viele Parallelen. Wenn das zusammenkommt, multipliziert sich das. In der öffentlichen Wahrnehmung, die Maßeinheit des Erfolgs ist, war ich doppelt benachteiligt. Männer haben es leichter, von den Medien wahrgenommen zu werden als Frauen. Und Leute aus dem Osten haben es schwerer als Leute aus dem Westen. Wenn mein Kollege sich beispielsweise über Rostock oder Leipzig äußerte, war das für alle Journalisten etwas völlig Normales. Wenn ich etwas über Saarbrücken oder Hamburg sagte, haben mich die Journalisten angesehen als ob ich in einer fremden Wohnung Schränke verrücke." Ich finde, dieses Zitat sagt alles. Auf welche Art und Weise ostdeutschen Politikern und Politikerinnen die Kompetenz für die gesamtdeutsche Perspektive abgesprochen wird. Sie gelten immer als Spezialisten für den Osten.
Ich möchte Ihnen aus der ganzen Bandbreite der Erfahrungen mit der Situation von Frauen in der Politik schließlich noch zwei Bereiche vorstellen, die sich auf das Standing und den Aufstieg von Frauen besonders nachteilig auswirken. Einmal: Einige unserer Interviewpartnerinnen erlebten, daß ihre Identität als Frau in Frage gestellt wurde, als sie „männliche" Karrierewünsche zeigten. Sie habe ihren ganzen Charme verloren, bekam zum Beispiel eine Politikerin zu hören, als sie es sich als junge Frau herausnahm, den Vorsitz ihrer Kreistagsfraktion zu übernehmen. „Ein Kollege, mit dem ich bis dahin auf der Flirtebene ganz gut zurecht gekommen war, sagte dann plötzlich, ich hätte meinen ganzen Charme verloren. Das ist mir völlig unvergeßlich. Da war ich 32, das fand ich dann doch ein hartes Stück. Das sind die Methoden, mit denen Du dich auseinandersetzen mußt. Das ist läppisch, aber ich habe es nicht vergessen." Die Episode ist durchaus nicht läppisch. Sie wirft ein sehr bezeichnendes Schlaglicht auch auf die Mechanismen der Entwertung und der Destabilisierung von Frauen in der Politik. Denn im kulturellen Symbolsystem der Gesellschaft ist die Ausübung einer Herrschaftsposition sehr mit der Vorstellung von Männlichkeit verkoppelt und verwoben, daß der Zweifel dann an der Weiblichkeit von Führungsfrauen entweder latent immer vorhanden ist oder eben dann bewußt eingesetzt werden kann, wenn es opportun erscheint. Politikerinnen müssen sich, ob sie es wollen oder nicht, mit der über ihnen schwebende Drohung auseinandersetzen, keine richtige Frau mehr zu sein, wenn sie politische Karriere machen. Und sie müssen diese Drohung auch zurückweisen und verarbeiten. Aber das heißt: Sie müssen einfach einen anderen Energieaufwand leisten, den Männer überhaupt nicht leisten müssen.
Schließlich noch ein letzter, ganz entscheidender Punkt, warum es für Frauen schwieriger ist, in politische Führungs- und Entscheidungspositionen zu gelangen. Das Einfädeln in die von Männer dominierten Seilschaften der Politik ist für die Mehrzahl der Politikerinnen schwierig und belastend. Frauen wollen und können sich nicht vollständig in die oftmals männerbündisch funktionierenden Gruppierungen der Parteimänner integrieren. Zugleich haben sie aber oft noch zu wenig verläßliche und machtvolle Frauennetze und -bündnisse, die das kompensieren könnten. Für Männer ist es eine selbstverständliche, immer wieder tradierte Erfahrung, daß sie von der Unterstützung anderer Männer irgendwann selbst profitieren werden. Sei es um ihre individuellen Karrierechancen zu verbessern, sei es um die Macht der eigenen Gruppierung oder des eigenen politischen Flügels zu stärken. Frauen dagegen fehlt dagegen weitgehend noch die Erfahrung funktionierender, verläßlicher Bündnisse. Und besonders in den Parteien, deren Funktionsweise ganz entscheidend von solchen inneren Unterstützungszusammenhängen abhängt, wirkt sich dieser Erfahrungsmangel nachteilig aus. Das Seil zwischen Frauen, das sie untereinander spannen könnten, um aufzusteigen, ist an beiden Enden noch spröde und rissig. Denn einerseits hat die Frau an der Spitze nicht die Gewißheit, daß sie von Frauen an der Basis auch in schwierigen Situationen vorbehaltlos unterstützt wird, oftmals wenn Frauen in Situationen kommen, die Taktik erfordern, wird ihnen dann von der Basis Verrat oder ähnliches vorgeworfen, die Frauen sind zum Teil, das zeigt auch unsere Untersuchung, rigider als Männer, schrauben die Erwartungen sehr hoch. Andererseits wissen aber auch die Frauen an der Basis nicht hundertprozentig, ob die Frau, die an die Spitze kommt, dann tatsächlich so machtvoll sein wird und die Macht für sie nutzen wird. Wir haben es in der Politik auch schon erlebt, daß dann von Frauen die Loyalität aufgekündigt wurde.
Nun habe ich Ihnen einige Beispiele und Argumente auch für die Schwierigkeiten von Frauen in der Politik gebracht. Ich möchte jetzt aber einige Ansätze aufzeigen oder Anregungen geben, was wir tun könnten, um das zu verändern.
Wir gehen davon aus, daß Frauen durchaus ein Innovationspotential für die Politik darstellen können. Das, was Frauen an Sichtweisen, an Ideen, an Überlegungen mitbringen, ist ein Innovationspotential, aber es kommt gegenwärtig nicht so zum Tragen, wie es eigentlich zum Tragen kommen müßte. Das ist immer genau dieser Zwiespalt. Weil Frauen nach wie vor noch stark diesen Prozessen der Anpassung, des Abgeschnittenwerdens, des Vereinzeltwerdens unterworfen sind. Wir denken deshalb, daß diese Frage zur Kooperation und Bündnisfähigkeit unter Frauen eine Schlüsselfrage ist und man kann das auf drei Ebenen durchspielen. Einmal generationenübergreifend, dann themen- und ressortübergreifend und schließlich die Frage von gesellschaftlichen und parteiübergreifenden Kooperationen und Vernetzungen.
1. Zur generationenübergreifenden Kooperation: In den Parteien, das ist auch ein ganz wichtiges Ergebnis unserer Studie, wird der weibliche Führungsnachwuchs bislang unzureichend gefördert. Gerade einmal 6,6 Prozent der befragten Politikerinnen gaben an, durch Personen ihres politischen Umfeldes für die Politik ermuntert, gefördert und unterstützt worden zu sein. Die Unterstützung kam von Ehepartnern, Freunden, Kollegen, die Parteien stehen mit 6,6 Prozent sehr schlecht da. Nur die Schule ist noch etwas schlechter. Also das ist auch ein ganz brisantes Ergebnis. Dieses Ergebnis ist um so brisanter, als wir ja wissen, daß der Nachwuchsmangel eines der größten Probleme der Parteien ist. Das betrifft alle Parteien, und ich greife die SPD hier nur heraus, weil es natürlich für sie von besonderem Interesse ist. In der SPD sind junge Menschen unter 30 Jahren zur Zeit gerade mal mit 6,92 Prozent vertreten. Der Anteil der über 50jährigen liegt dagegen bei kompakten 65 Prozent. Wenn Sie jetzt noch bedenken, daß der Anteil von Frauen im Osten noch geringer ist als im Westen und bei knapp 25 Prozent liegt, dann können Sie sich ausrechnen, wie viele junge Frauen Mitglied in einem ostdeutschen Landesverband sind. Ich habe mir die Mühe gemacht, es gibt dazu nämlich keine aktuellen Daten. Ich habe das mit verschiedenen Angaben quergerechnet. Nach meinen Berechnungen gibt es 450 junge Frauen unter 30 in den ostdeutschen Landesverbänden. Damit korrespondiert, daß die Distanz zur institutionellen Politik von allen jungen Gruppen bei den ostdeutschen Mädchen und jungen Frauen am stärksten ausgeprägt ist. Auch die Wahlbeteiligung lag bei den 18- bis 24jährigen 1990 bei nur knapp 55 Prozent. Das heißt, nur jede zweite junge Frau in den neuen Bundesländern ist überhaupt zur Wahl gegangen. Nun darf dieser Befund nicht einfach mit politischen Desinteresse der jungen Frauen gleichgesetzt werden. Darauf hat die jüngste Shell-Studie von 1997 klar aufmerksam.
Die jungen Frauen interessieren sich durchaus für Politik. Sie erwarten sich nur nichts von der Politik. Sie sind enttäuscht. Sie sehen sich nicht aufgehoben in den Parteien. Das ist genau das Problem. Nun müßte man meinen, daß dann die wenigen jungen Mitglieder die es gibt, gehegt und gepflegt werden. Aber auch das scheint nicht zu passieren. Nur ein Fünftel der Politikerinnen unserer Untersuchung gab an, in der politischen Karriere einen Mentor oder eine Mentorin gehabt zu haben. Also jemanden, der oder die ihr mit väterlichem/mütterlichem Rat zur Seite steht, sie mit einführt. Das ist eine Form, die ungeheuer wichtig ist, um sich in der Politik zurecht zu finden. Also gerade der Erfahrungsaustausch zwischen gestandenen Politikerinnen und jüngeren Frauen könnte wirklich eine sehr wichtige Ressource bilden, um die Aufstiegswege von Frauen zu erleichtern. Diese Ressource wird kaum genutzt. Während im Bereich der Wirtschaft zunehmend über Mentoring-Programme für Frauen nachgedacht wird, fehlen derartige Überlegungen für den Bereich der Politik fast vollständig. Nun denke ich nicht, daß Mentoring allein die Probleme lösen kann. Ich gehe auch davon aus, daß die Parteien ihre Themen, Inhalte und ihren Habitus ändern müssen, um die jüngere Generation anzusprechen. Aber solche Formen der Nachwuchsförderung sind doch zumindest ein Signal, daß insbesondere junge Frauen willkommen sind und ernst genommen werden.
2. Themenübergreifende Kooperationen und die Eroberung neuer Themenfelder: Ein wichtiger Beitrag zur Stärkung von Frauen in der Politik und zur Erweiterung ihrer Handlungsspielräume besteht unseres Erachtens darin, daß Politikerinnen in einem breiten Spektrum an Ressorts tätig sind und so ihr Einfluß auf alle gesellschaftlichen Entscheidungsfelder gesichert wird. Qualitative Veränderungen im Interesse von Frauen können langfristig nicht in Gang gesetzt werden, ohne die Einbeziehung der zentralen politischen und gesellschaftlichen Steuerungsinstrumente wie eben auch die Finanz-, Steuer-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Nun zeichnet sich bereits seit den 80er Jahren ab, daß das Muster einer geschlechtsspezifischen Ressortverteilung, daß Frauen also vor allem für die Bereiche Familie, Jugend, Gesundheit zuständig sind, zunehmend aufgeweicht wird. Nach den Ergebnissen unserer Untersuchung befinden wir uns gegenwärtig in einer Art Übergangsphase. Politikerinnen in der Bundesrepublik zeigen zwar immer noch eine deutliche Präferenz für die Sozial- und Frauenpolitik, doch das Spektrum der politischen Tätigkeitsfelder und -interessen hat sich erheblich verbreitert. Insbesondere konnten wir in unserer Untersuchung wachsendes Interesse für die Wirtschafts- und Finanzpolitik feststellen. Auf die Frage, welche inhaltlichen Schwerpunkte Politikerinnen bearbeiten, steht an erster Stelle die Sozialpolitik, an zweiter die Kommunalpolitik, an dritter die Frauenpolitik, diese jedoch ganz dicht gefolgt von Wirtschafts- und Finanzpolitik. Im Mittelfeld liegen dann die Bereiche Jugend, Familie, Bildung, aber auch Umweltpolitik ist noch ein sehr beachtlicher Schwerpunkt. Die Bereiche, in denen Frauen weniger vertreten sind, bilden die Innen- und Rechtspolitik, Außenpolitik, Verkehrspolitik und Ausländer- und Asylpolitik. Das Schlußlicht ist Technik und Technologie.
Wie sieht es nun aus, wenn wir uns den politischen Führungspositionen zuwenden. Die Zahlen, die ich Ihnen eben genannt habe, beziehen auch kommunale Politikerinnen mit ein. Das muß man dabei im Auge haben. In den 16 Landesregierungen treffen wir zur Zeit auf 47 Ministerinnen und Senatorinnen, darunter immerhin drei Finanzministerinnen, drei Justizministerinnen, zwei Ministerinnen für Bundesangelegenheiten und auch eine Landwirtschaftsministerin. Es gibt immerhin sechs Umwelt- und acht Arbeitsministerinnen. Dennoch bilden die traditionell Frauen zugeordneten Ressorts wie Soziales, Gesundheit, Familie und Bildung weiterhin einen deutlichen Schwerpunkt in der Regierungstätigkeit von Frauen, ebenso wie Frauen- und Gleichstellungspolitik. Auffällig ist, daß der Bereich der Innenpolitik ausschließlich von Männer besetzt ist. Auch die Wirtschaftspolitik, die Zahlen sind von 1996, ist bis auf die Ausnahme der saarländischen Wirtschaftsministerin noch eine männliche Domäne. Das ist um so bemerkenswerter, als es auf kommunaler Ebene bereits eine erhebliche Anzahl von Politikerinnen gibt, die hier tätig sind. Das setzt sich aber eben nicht unbedingt in die Spitzenpositionen fort.
Ich möchte Ihnen jetzt noch einige Trends zu diesem Problembereich aufzeigen, die sich aus unserer Untersuchung ergeben. Die von uns befragten Frauen in politischen Führungspositionen sagten übereinstimmend, daß Frauen insbesondere diese harten, prestigeträchtigen Ressorts erobern sollten, um mehr Einfluß auf Entscheidungsprozesse zu nehmen. Das ist auch parteiübergreifender Konsens, daß das eine ganz wichtige und wünschenswerte Entwicklung ist. Es gibt mittlerweile auch tatsächlich eine ausreichend breite Basis an Nachwuchspolitikerinnen, die bereit sind, sich in solchen männertypischen Bereichen zu profilieren. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, daß Frauen es besonders schwer haben, in diesen Feldern tatsächlich Fuß zu fassen, selbst wenn sie es wollen, weil sie dort am stärksten mit Vorurteilen und der Abwehr ihrer Ansprüche durch die überwiegend männlichen Platzhalter konfrontiert sind. Diese empfinden es offenbar als Zumutung, wenn Frauen mit ihnen jetzt auch noch auf den wirklich wichtigen Feldern der Politik konkurrieren wollen. Diese Konkurrenzkämpfe werden nicht nachlassen, sondern sich noch verschärfen. Frauen müssen deshalb oft doppelte und dreifache Kompetenz aufbringen und gleichzeitig, das ist auch immer sehr wichtig, sehr viel politisches Gespür und Durchsetzungskraft haben, wenn sie tatsächlich in solche Ressorts wollen. Sehr bezeichnend für die Situation fanden wir das Beispiel einer jungen konservativen Politikerin, die bereits erfolgreich in federführender Position im Ressort der Bildungs- und Familienpolitik tätig ist. Seitdem sie in den Landesvorstand ihrer Partei aufgerückt ist, versucht sie nun strategisch und ganz bewußt, sich in die Wirtschaftspolitik einzuklinken. Sie geht da sehr behutsam, taktisch sehr klug vor, weil sie ganz genau weiß, wenn sie ihre Ansprüche jetzt sofort und sehr laut anmeldet, dann werden die wirtschaftspolitischen Matadore ihrer Partei sie gleich wieder runterholen. Solches strategisches Vorgehen ist jedoch die große Ausnahme. In den Werdegängen der älteren Politikerinnen haben wir es eher selten gefunden bzw. diese haben erst spät erkannt, wie wichtig solche strategischen Karriereplanungen auch in der Politik sind. Die Älteren, Gestandenen könnten diese Wissen jetzt aber sehr wohl weitergeben. Und auch dies spricht noch einmal für die Intensivierung des Erfahrungsaustausches zwischen den verschiedenen Frauengenerationen in der Politik. Und es spricht zweitens dafür, Frauen nicht nur als kompetente Fachpolitikerinnen auszubilden, das müssen sie auch sein, natürlich, sondern ihnen insbesondere strategische Kenntnisse und Fitneß in Durchsetzungsmethoden zu vermitteln. Das ist ein sehr wichtiges Ergebnis unserer Untersuchung, daß alle Frauen in politischen Führungspositionen, die von uns befragt wurden, über ein breites Wissen an solchen Techniken verfügen, daß das aber an die nachrückende Generation oft zu wenig vermittelt wird.
Die Erweiterung der Themenfelder und Eroberung entsprechender Positionen für Frauen in der Politik erfüllt unseres Erachtens in mehrfacher Hinsicht sinnvolle Funktionen:
1. Das Agieren von Frauen in bislang männerdominierten Arenen kann dazu beitragen, Vorurteilsstrukturen über die Kompetenzen von Frauen aufzuweichen. Es kann das Zutrauen der Öffentlichkeit in die politische Kompetenz von Frauen steigern. Voraussetzung ist, daß es nicht bei Ausnahmefrauen bleibt oder Frauen eben nur dann das Finanzressort übertragen bekommen, wenn überhaupt kein Geld mehr in den Kassen ist und dieser Job der undankbarste ist, den man überhaupt machen kann. Die Vermutung drängt sich einem auch auf.
2. Es ist unter dem Blickwinkel der Weiterentwicklung von Gleichstellungspolitik eine notwendige Strategie, frauen- und geschlechterpolitische Fragen in allen Ressorts zu verankern. Damit sage ich Ihnen nichts Neues. Die SPD hat es in ihrem Programm und propagiert dies. In Skandinavien wird diese Strategie unter den Begriff des Mainstreamings gefaßt. Mainstreaming bedeutet, in allen Feldern und auf allen Ebenen der Politik die Geschlechterperspektive zu inkorporieren. Das heißt danach zu fragen, wie sich politische Maßnahmen jeweils auf Männer und auf Frauen auswirken, und ob und wie sie zu dem Ziel der Gleichberechtigung und Chancengleichheit der Geschlechter beitragen. Die Chancen, Mainstreaming vernünftig umzusetzen, sind aber um so größer, je mehr Frauen in den verschiedenen Ressorts tätig sind und je mehr Frauen es sind, die parallel zu ihrem Fachwissen auch ein frauenpolitisches Grundwissen und Grundinteresse mitbringen. Dann kann man solche Ressorts auch tatsächlich innovativ gestalten. Wir denken auch, daß sich gerade in dem Bereich des Mainstreamings und in dessen Weiterentwicklung ein wichtiges und notwendiges Feld an Schulungs- und Beratungsangeboten anbietet, das bisher von den Parteien und politischen Stiftungen noch nicht in der Art und Weise angeboten wird, wie es vielleicht notwendig wäre.
So, nun zu meinem letzten Punkt, der Frage der Netzwerke und Bündnisse: Netzwerke unter Frauen, insbesondere Vernetzungen über die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche hinweg, begrüßen heute sehr viele Politikerinnen und viele bemühen sich aktiv darum, solche Netze für Frauen zu knüpfen. Vor allem die ostdeutschen Politikerinnen unserer Untersuchung haben sehr großes Interesse am Aufbau von Frauenforen, frauenpolitischen runden Tischen, Expertinnennetzen und Ähnlichem gezeigt. Wir hatten den Eindruck, daß diese manchmal für sie mehr Rückhalt und Unterstützung bieten als die eigene Parteibasis. Netzwerke sind sicherlich unerläßlich als Orte des informellen Austausches, wo Ideen und Anregungen abgeholt werden können und Politikerinnen auch die Chance haben, einmal über ihren eigenen Tellerrand, die eigene Szene, hinauszublicken. Das ist sicher eine ganz wichtige Funktion. Aber das ist nur die eine Seite. Frauen in der Politik benötigen heute auch Bündnisse, die zielgerichtet an der Durchsetzung politischer Inhalte arbeiten. Dieses gilt in erster Linie für die parteiinternen Zusammenschlüsse von Frauen, denen es, obwohl es hier von Partei zu Partei natürlich erhebliche Unterschiede gibt, doch oftmals an Macht- und Durchsetzungswillen fehlt. Eine unserer Interviewpartnerinnen, eine konservative Politikerin beschrieb das so, daß sich die Frauenorganisation ihrer Partei eben all zu leicht auf die thematische Spielwiese hätte abdrängen lassen und zu wenig daran interessiert sei, Machtpolitik im Sinne von Personalpolitik zu betreiben. Ihrer Ansicht nach glauben Frauen immer noch viel zu sehr an die Macht von Argumenten, anstatt auch an die Macht von Bündnissen. Frauen in der Politik benötigen aber auch parteiübergreifende Bündnisse.
Die gesellschaftspolitischen Interessen von Frauen sind nicht immer identisch mit den Interessen von Parteien und deren Durchsetzungschancen verlaufen oftmals quer zu den bestehenden Parteistrukturen. Jede Partei hat ihre eigene Schallmauer, an der Frauen nicht weiterkommen. Wenn Politikerinnen für zentrale gesellschaftliche Strukturprobleme, wie zum Beispiel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und für Männer, Lösungen erarbeiten wollen und diese auch politisch durchsetzen und mehrheitsfähig machen wollen, sind unseres Erachtens nicht nur wirkungsvolle Bündnisse mit Frauen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen unabdingbar, sondern ebenso auch eine verstärkte Zusammenarbeit der Politikerinnen über Parteigrenzen hinweg. Dies muß parteipolitische Differenzierungen und Profilierungen nicht ausschließen. Aber wie die Beispiele zu § 218 und auch jüngst zur Reform der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe zeigen, erhöht es die Durchsetzungschancen kontroverser Themen erheblich, wenn Politikerinnen unterschiedlicher Parteizugehörigkeit gemeinsam mehrheitsfähige Lösungen erarbeiten und gemeinsam Druck ausüben. Bezeichnend für die bundesrepublikanische Situation ist jedoch, daß die wenigen geglückten Bündnisse von Frauen in der Parteipolitik sich fast ausschließlich auf Themen des Selbstbestimmungsrechts von Frauen, über ihre Sexualität und ihren Körper beziehen. Andere Themen wie Steuerreform, Umbau des Sozialstaats, die Bekämpfung der Erwerbslosigkeit sind bisher kein Thema der Bündnispolitik. Aber hier würde es erst anfangen richtig spannend zu werden. Frauen werden zu souveränen Akteurinnen der Politik erst dann, wenn sie nicht nur ungewohnte Themenfelder besetzen, sondern diese auch neu definieren und bewerten.
Ein politisches Problem wie zum Beispiel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eben kein Frauenthema, es ist ein gesellschaftliches Thema. Das ist genauso ein Thema für Männer. Solche Themen benötigen ein Re-Framing. Es in einen neuen Rahmen stellen. Das finde Ich finde diesen Begriff, der auch aus der skandinavischen und US-amerikanischen frauenpolitischen Debatte kommt, sehr schön.
Ich komme zum Schluß. Erlauben Sie mir noch eine persönliche Bemerkung: Ich denke, Politikerinnen befinden sich heute in einer historischen Phase. Die Behinderungen und Barrieren sind nach wie vor groß. Auch der Druck zur Anpassung und die Bedingungen für das Politikmachen sind heute komplex. Aber Frauen haben mehr Mandate, sie haben viel erreicht und sie können dieses auch nutzen und ich denke, sie stehen, weil sie auch zunehmend in die Führungspositionen geraten, in einer großen Verantwortung, mit diesen Mandaten, die sie haben, verantwortungsvoll umzugehen. Sie haben vor allem die Verantwortung, das Vertrauen der nachrückenden Frauengeneration in die demokratische Politik wieder zu gewinnen. Dafür wünsche ich uns allen sehr viel Kraft.

http://library.fes.de/fulltext/ostdeutschland/00114002.htm

Prä­di­kats­ver­gabe Total E-Qua­lity - Podi­ums­dis­kus­sion zur Quote als gleich­stel­lungs­po­li­ti­sches Instru­ment
Am 4. Oktober 2011 wurde an der Freien Uni­ver­sität Berlin das Total E-Qua­lity Prä­dikat an aus­ge­wählte Orga­ni­sa­tionen ver­geben. Die gekürten Orga­ni­sa­tionen zeichnen sich durch ihr Enga­ge­ment aus, Frauen und Män­nern Chan­cen­gleich­heit zu bieten.
Neben der fei­er­li­chen Über­gabe der Prä­di­kate wurde im Rahmen von Vor­trägen und Podi­ums­dis­kus­sionen über Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit in der Kar­riere dis­ku­tiert. Allen Bei­trägen war gemeinsam: Frauen sind auf den höchsten Stufen der Kar­rie­re­leiter bedeu­tend sel­tener anzu­treffen als Männer. Das trifft sowohl auf die Wirt­schaft als auch auf die Wis­sen­schaft zu. Spre­che­rInnen aus beiden Berei­chen berich­teten, dass Frauen zwar immer häu­figer den Mit­telbau von Orga­ni­sa­tionen errei­chen, jedoch kaum in Füh­rungs­po­si­tionen anzu­treffen sind. So ist in der Wis­sen­schaft das Ver­hältnis von Män­nern und Frauen bei Pro­mo­vie­renden mit 44,1% Frau­en­an­teil fast pari­tä­tisch. Dies gilt jedoch nicht für höhere Qua­li­fi­ka­ti­ons­stufen, wo der Anteil der Frauen mit 23,8% bei den Habi­li­ta­tionen und 18,0% bei den Pro­fes­suren bei Weitem nicht dem Anteil der Männer ent­spricht.[1] Nina Steinweg, Pro­jekt­lei­terin beim Center of Excel­lence Women and Science CEWS, unter­strich in ihrem Bei­trag diese Zahlen und stellte fest: „Je höher die Qua­li­fi­ka­tionen in der Wis­sen­schaft, desto geringer der Anteil der Frauen“.
Für die Wirt­schaft zeichnet sich ein ganz ähn­li­ches Bild ab. Dr. Helga Lukoschat, Vor­stands­vor­sit­zende und Geschäfts­füh­rerin der Euro­päi­schen Aka­demie für Frauen, berich­tete aus ihrer Studie „Schlüs­sel­faktor F&E. Per­so­nal­stra­te­gien für die Zukunft ent­wi­ckeln: Poten­ziale von Frauen nut­zen“[2], dass der Anteil von Absol­ven­tinnen in der Che­mieb­ranche auf 39% ange­stiegen ist und sich dem­zu­folge der Pool weib­li­cher Talente gefüllt habe. Aus der Studie geht jedoch ebenso hervor, dass der Teil lei­tender weib­li­cher Ange­stellte in der Che­mi­e­in­dus­trie nicht im glei­chen Maße gestiegen ist und bei ledig­lich 11% liegt. In Top-Posi­tionen seien kaum Frauen zu finden.
Wenn Frauen der­zeit gut und sehr gut aus­ge­bildet sind, sich dies jedoch nicht in der Kar­riere wider­spie­gelt, drängt sich die Frage auf, welche Instru­mente genutzt werden können, um Chan­cen­gleich­heit auch an der Spitze von Wis­sen­schaft und Wirt­schaft zu ermög­li­chen. Diese Frage wurde in der Podi­ums­dis­kus­sion “Quote als gleich­stel­lungs­po­li­ti­sches Instru­ment – für eine pro­duk­tive Kon­tro­verse“ näher betrachtet. Die Mode­ra­tion für das Podium über­nahm Dr. Claudia Neusüß von der com­pas­sorange GmbH.
Die Dis­kus­sion um die Quote ver­lief leb­haft. Wäh­rend der Dis­kus­sion kris­tal­li­sierte sich relativ schnell heraus, dass sich alle Betei­ligten dar­über einig waren, dass Frauen zu wenig in Füh­rungs­po­si­tionen ver­treten sind und dass sich daran etwas ändern muss. Über das „Wie“ herrschte jedoch Unei­nig­keit. Die Befür­wor­te­rInnen der Quote machten deut­lich, dass eine Quote gesetz­lich fest­ge­schrieben werden muss, da die letzten Jahre gezeigt haben, dass frei­wil­lige Maß­nahmen nicht den gewünschten Erfolg erzielten. Ent­wickle sich Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit in den Füh­rungs­po­si­tionen in der glei­chen Geschwin­dig­keit weiter, wie es der­zeit geschieht, dann kann laut Dr. Hans-Ger­hard Husung, Gene­ral­se­kretär der Gemein­samen Wis­sen­schafts­kon­fe­renz (GWK), frü­he­sten 2056 mit einer Parität zwi­schen Män­nern und Frauen an der Spitze gerechnet werden. Den­noch sieht Husung die Quote nicht als geeig­netes Instru­ment. Fest­le­gungen und Ver­bote wirken seiner Mei­nung nach kon­tra­pro­duktiv. Ihm sei viel­mehr daran gelegen, Frau­en­för­de­rung durch Anreiz­sys­teme wie Trans­pa­renz und Wett­be­werb zu unter­stützen. Laut Husung müsse es darum gehen, Ver­bün­dete in der Wirt­schaft und in der Wis­sen­schaft zu gewinnen, die sich für die För­de­rung von Frauen ein­setzen. Quoten würden Ver­bün­dete jedoch eher ver­schre­cken. Seine Sicht fasste er unter der Devise „dyna­mi­sieren, ohne zu radi­ka­li­sie­ren“ zusammen. Dem wider­sprach Prof. Dr. Heide Pfarr, Wis­sen­schaft­liche Direk­torin des Wirt­schafts- und Sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Insti­tuts der Hans-Böckler-Stif­tung a.D.. Pfarr unter­strich, dass es bei Füh­rungs­po­si­tionen um Macht gehe. Eine Ver­la­ge­rung von Macht geht ihrer Mei­nung nach nicht ohne Radi­ka­li­sie­rung von­statten. Daher kon­ter­ka­rierte sie den Slogan in „radi­ka­li­sieren, um zu dyna­mi­sieren.“ Wichtig war ihr dabei, dass die Quote nicht als Ziel, son­dern als Weg begriffen wird. Die Quote solle ledig­lich Pro­zesse in Gang setzten.
Nach wei­terem Aus­tausch von Argu­menten, wurde das Podium von Dr. Claudia Neusüß mit dem Hin­weis darauf geschlossen, die wei­teren Ver­hand­lungen der Minis­terin Schröder mit der Pri­vat­wirt­schaft intensiv öffent­lich zu begleiten. Die Teil­neh­menden des Podiums unter­stri­chen, dass die ange­strebte Rich­tung „mehr Frauen in Füh­rung“ zu bringen, alle einige und dass die Ein­for­de­rung fester Quoten durchaus auch, „gemä­ßigten Ansich­ten“ dien­lich sein kann, etwa um ver­bind­liche Ziel­ver­ein­ba­rungen umzu­setzen.
Nicole Vlach, 31.Oktober 2011, Berlin

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