Wenn der Mensch zur MenschIn wird - oder:

Wieviel »Gleichberechtigung« verträgt das Land?

How much »equality« the country can stand?

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Liste Femanzen Dr. Sabine Schäfer (Liste Femanzen)

Oberkellner @, Sunday, 14.12.2014, 10:26 (vor 3572 Tagen)

F281 Dr. Sabine Schäfer Studium der Kommunikationswissenschaft, Neuere Geschichte und Anglistik an der Universität Münster - 1998 hauptamtliche Frauenbeauftragte des Landkreises Emsland - Mitautorin des Gender-Reports 2010 zur Geschlechtergerechtigkeit an nordrhein-westfälischen Hochschulen – seit 2001 Mitarbeiterin in mehreren Projekten im Bereich der Geschlechterforschung an der TU Dortmund u.a. „Vision und Mission. Die Integration von Gender in den Mainstream europäischer Forschung.“ (Leitung: Sigrid Metz-Göckel) -
ist wissenschaftliche Koordinatorin der internationalen und interdisziplinären NRW-Forschungsschule „Education
and Capabilities“ an der Universität Bielefeld - Sie ist Mitautorin des Gender-Reports 2010 und Mitherausgeberin
der GENDER. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft - Forschungsschwerpunkte sind unter anderem
Gleichstellungspolitik in Hochschulen, Gerechtigkeitsforschung – www.gender-zeitschrift.dewww.geschlechtergerechte-hochschule.de - Anschrift: Dr. Sabine Schäfer, Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25, Postfach 10 01 30, 33501 Bielefeld - sabine.schaefer@uni-bielefeld.de

Seit etwa 15 Jahren wird das Thema Gleichstellung an Hochschulen intensiv beforscht. Es hat sich dabei gezeigt, dass vermehrt die Fakultäten in den Blick genommen werden müssen: Was geschieht hier konkret im Hinblick auf die Gleichstellung von Frauen und Männern? An der Universität Bielefeld führte Dr. Sabine Schäfer eine Studie an der Technischen Fakultät sowie in der Abteilung für Psychologie der Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft durch.
Die zentrale Fragestellung des Forschungsprojektes lautete:
• Inwiefern ist Gleichstellung im ‚normalen' Fakultätenalltag verankert?
Schäfer führte mit zehn in der Gremienarbeit aktiven Frauen und Männern leitfadengestützte Interviews und untersuchte anhand des Materials die Vorstellungen der InterviewpartnerInnen zur Gleichstellungsthematik. Die Personen wurden zu ihrem Werdegang, zur aktuellen Position, zu ihrer Sicht auf die Fakultät und die Atmosphäre die dort herrscht, befragt. Weitere Gesprächsthemen waren die Gremienarbeit, die Sicht der Interviewten auf die Abläufe von Berufungsverfahren und die Bedeutung von Gleichstellung in diesen Verfahren sowie in der Handlungspraxis der Fakultät allgemein (ebd.).
Sabine Schäfer (2012): „'... und dann stellt sich die Frage anders.' Erste Ergebnisse aus dem Projekt Gleichstellung im Fakultätenalltag – Die Praxis zählt", in: Journal des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 30. S. 29-35.
Im Folgenden werden die ersten Ergebnisse der Studie von Dr. Sabine Schäfer skizziert:
Wahrnehmung von Handlungsspielräumen
Die beiden untersuchten Fakultäten unterscheiden sich in ihrer Historien und den Geschlechterverhältnissen. Eine Gemeinsamkeit besteht aber in der Wahrnehmung des Professorinnenanteils – dieser werde sowohl von den Befragten der Technischen Fakultät als auch von jenen in der Psychologie als zu niedrig eingeschätzt.
Die Ursachenzuschreibung ist jedoch sehr unterschiedlich: Zwei der befragten AkteurInnen in der Psychologie schreiben den Absolventinnen und Absolventen des Faches insgesamt eine hohe Praxisorientierung zu, d. h. dass sie nach dem Studium eine Therapieausbildung anstreben. Dieses Ziel werde von mehr Absolventinnen ins Auge gefasst und sei ein Grund, warum der Anteil von Frauen in den akademischen Positionen geringer sei. Die Handlungsspielräume dem entgegenzuwirken sind aus Sicht der Befragten gering, die geschlechtsspezifische Sozialisation sei sehr wirkmächtig. Es bleibe nur der Appell an die jungen Frauen in der Wissenschaft zu bleiben - trotz der meist prekären Beschäftigungsverhältnisse.
Die technische Fakultät, deren Professorinnenanteil im Übrigen höher ist, als jener in der Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft, weist zum einen eine besondere Entstehungsgeschichte auf. Ein Schwerpunkt dieser Fakultät ist die Informatik. Hier liegt der Fokus auf die Bioinformatik, die Biotechnologie und die kognitive Informatik. Die Fakultät arbeitet mit Fachgebieten zusammen, in denen viele Frauen studieren (z. B. Linguistik, Psychologie und Biologie). Zum anderen partizipierte die Fakultät an verschiedenen Förderprogrammen der DFG und der Bundesregierung. Durch die Öffnung der Disziplin für andere Fachgebiete sowie die Teilnahme an den Förderprogrammen habe sich eine Gelegenheitsstruktur für Gewinnung von Frauen ergeben (S. 31). Die Interviewpartnerinnen sehen in der gezielten Frauenförderung ein gutes Mittel, um Frauen für eine Tätigkeit in der Wissenschaft zu motivieren.
Berufungsverfahren und Gleichstellungspläne: Chancen und Risiken
Als schwierig erweist sich in beiden Fakultäten die Übersetzung von der Theorie der „Gleichstellung als Querschnittsaufgabe" in die Praxis von Berufungsverfahren (S. 32-33). Das Problem liege oft darin, dass „die Leute auch schon jemanden im Kopf" haben und die Ausschreibung für eine Professur entsprechend formulieren. In der Technischen Fakultät beschreibt eine Person die gezielte Ausschreibung als ein mögliches Instrument, welches zur Gewinnung von Frauen genutzt werden könnte. Diese Praxis kann also sowohl als Chance als auch als Hindernis für die Steigerung des Anteils von Professorinnen gewertet werden.
Gleichstellungsplänen, wie sie im Nordrhein-Westfälischen Landesgleichstellungsgesetz vorgeschrieben sind, wird in beiden Fakultäten ein geringes Potential zur Förderung der Gleichstellung zugesprochen. Sie würden nur punktuell, z. B. bei Personalentscheidungen genutzt, doch ihre Bekanntheit und die Möglichkeit sie als Anreiz für die Reflexion der Geschlechterverhältnisse zu nutzen, sei insgesamt ihrer Einschätzung nach begrenzt.
Ausblick
Die Ergebnisse von Sabine Schäfer lassen sich auf folgende Formel bringen: „Problem erkannt - unterschiedlich gebannt". Unterschiedlich, da die Wahrnehmung der jeweiligen Handlungspotentiale in den beiden untersuchten Fakultäten divergiert. So habe nach Schäfer, die Abteilung für Psychologie zwar kein Frauenproblem - die Mehrheit der Studierenden ist weiblich – jedoch aber ein Gleichstellungsproblem. Die Gründe für den geringen Anteil von Wissenschaftlerinnen auf den oberen Statusebenen liegen in den Augen der Befragten dieser Fakultät in der geringeren Motivation von Frauen, sich für eine Karriere in Lehre und Forschung zu entscheiden. Mit den Mitteln der Frauenförderung sei hier, so die Autorin der Studie, „womöglich wenig zu erreichen, denn Frauen sind auf den ersten Blick ja ausreichend vorhanden." (S. 34) In der Technischen Fakultät sehen die Befragten größere Handlungsspielräume gezielt zu intervenieren, z. B. in der Zusammenarbeit mit anderen Fachgebieten.
Die Studie biete verschiedene Anknüpfungspunkte: Hier kann v. a. die Fachkulturforschung die Gegebenheiten innerhalb einer Fakultät, die Wahrnehmungen, Deutungsmuster und Handlungspraxen der Akteur verstärkt unter die Lupe nehmen. Zu unterscheiden sei dabei, so Schäfer, vor allem die Perspektiven der unterschiedlichen Statusgruppen: von den Studierenden, über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Technik und Verwaltung hin zu den Professorinnen und Professoren.
http://www.uni-due.de/genderportal/gleichstellungkonkret_fakultaetenalltag.shtml

Erste Ergebnisse aus dem Projekt
Gleichstellung im Fakultätsalltag – Die Praxis zählt


Zur Gleichstellung an (deutschen) Hochschulen
wird seit mittlerweile mindestens 15 Jahren geforscht.
Die meisten Studien konzentrieren sich
dabei auf die zentrale Ebene der Hochschule1
und auf die dort wirksamen Strukturen und die
eingesetzten Steuerungsinstrumente (vgl. z. B.
Metz-Gockel/Kamphans 2002, Kahlert 2007, Roloff
2002, Macha/Struthmann 2011).2 Daneben
betrachten die Projekte Gleichstellung in der Regel
als ein spezifisches Aktionsfeld der Hochschule,
das zwar mit bestimmten Reformprozessen,
z. B. der Einfuhrung und Umsetzung von (neuen)
Steuerungsinstrumenten, verknupft ist, das aber
dennoch eine Art organisatorisches Eigenleben
zu fuhren scheint. In der letzten Zeit mehren sich
allerdings die Stimmen von Geschlechterforscherinnen,
die wie Anne Schluter (2011: 20) feststellen,
dass „es […] vor allem die Fakultaten [sind],
die sich in der nachsten Zeit in Fragen der Behandlung
von Geschlechterfragen bewegen mussen,
um Geschlechtergerechtigkeit an Hochschulen
herzustellen“ (vgl. auch Metz-Gockel 2011,
Becker et al. 2010).
Fur die Studie „Gleichstellung im Fakultatsalltag –
Die Praxis zahlt“3, die ich von Oktober 2011 bis
Marz 2012 in der Technischen Fakultat sowie der
Abteilung Psychologie in der Fakultat fur Psychologie
und Sportwissenschaft an der Universitat
Bielefeld durchgefuhrt habe, habe ich daher eine
bisher weniger ubliche Forschungsperspektive
gewahlt: Ausgehend von der Uberlegung, dass
Gleichstellung knapp 15 Jahre nach der Einfuhrung
von Gender Mainstreaming bereits ein Teil
der Praxis in Hochschulen sein und sich auch in
den dezentralen Einheiten niederschlagen sollte,
habe ich mich der Frage gewidmet, inwiefern
Gleichstellung im ‚normalen‘ Fakultatsalltag
verankert ist. Anhand von qualitativen leitfadengestutzten
Interviews, die ich in den beiden
ausgewahlten Einheiten der Universitat Bielefeld
mit insgesamt zehn Frauen und Mannern aus den
unterschiedlichen Statusgruppen gefuhrt habe,
untersuche ich die Vorstellungen der AkteurInnen
zur Gleichstellungsthematik und die berichteten
Verfahrensweisen in ihrer sozialen Praxis, und
setze meinen Fokus daran anknupfend auf ihre
Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata,
die zu den gegebenen Geschlechterverhaltnissen
beitragen.
1. Reflexion über das Untersuchungsmaterial
1.1 Charakterisierung der untersuchten
Einheiten
Um mit wenigen Interviews eine moglichst grose
Bandbreite von Phanomenen zu identifizieren,
wurden zwei akademische Bereiche der Universitat
Bielefeld ausgewahlt, die sich in vielen Aspekten
stark voneinander unterscheiden. Die Technische
Fakultat ist eine eigenstandige Fakultat,
deren Gegenstandsbereiche sich allerdings stark
auf die Bioinformatik, Biotechnologie und Kognitive
Informatik/Intelligente Systeme konzentrieren.
4 Die Bezeichnung als „Technische Fakultat“,
die zunachst einmal die Erwartung wecken
konnte, dass es sich um eine Fakultat handelt,
die verschiedene Technikwissenschaften vereint,
ist im Rahmen der Universitat Bielefeld zu sehen,
die starke Schwerpunkte in den Geistes- und Sozialwissenschaften
setzt. Die Psychologie bildet
dagegen eine Abteilung der Fakultat fur Psychologie
und Sportwissenschaft, worauf die Befragten
haufig auch sehr dezidiert hinweisen. Dabei
wird Wert darauf gelegt, dass alle Bereiche der
Psychologie in der Abteilung vertreten sind, um
den Studierenden ein umfassendes Studium zu
Sabine Schäfer
ermoglichen, das sie fur alle Berufsbereiche der
Psychologie qualifiziert.
Die zahlenmasige Verteilung von Frauen und
Mannern auf die verschiedenen Statusgruppen
ist in den beiden untersuchten Fakultaten recht
unterschiedlich. So weist der „Zwischenbericht
zur Umsetzung der Forschungsorientierten
Gleichstellungsstandards der DFG“5 (o. J.) fur
das Jahr 2011 in der Psychologie Frauenanteile
zwischen 50 % (Habilitationen) und 72,5 %
(Promotionen) aus. Bei den Professuren sind die
Frauen dagegen erheblich in der Minderzahl. So
gab es zum damaligen Berichtszeitpunkt keine
C3-/W2-Professorin (zwei Manner), und nur zwei
von insgesamt neun C4-/W3-Professuren waren
mit Frauen besetzt.6 Dies ergibt insgesamt einen
Frauenanteil von 18,2 % an allen Professuren,
der im Vergleich zu den Frauenanteilen an allen
Qualifikationsstellen und Qualifikationen gering
erscheint.
In der Technischen Fakultat liegen der Studentinnenanteil
bei 30,8 % und der Frauenanteil an den
Promotionen bei 24,4 %. Im Vergleich mit dem
durchschnittlichen Frauenanteil an den Studierenden
der Informatik in Deutschland, der im WS
2008/2009 bei 15,4 % lag (Gender-Report 2010:
42), nimmt die Technische Fakultat der Universitat
Bielefeld damit geradezu eine Vorreiterrolle
in diesem Bereich ein. Bei den Promotionen und
dem wissenschaftlichen Personal auf Qualifikationsstellen
lag der Frauenanteil gar bei 42,1 % (8
von 19 Stellen). Allerdings ist keine der elf C4-/
W3-Professuren mit einer Frau besetzt, dagegen
zwei der insgesamt vier C3-/W2-Professuren. Der
Frauenanteil an den Professuren insgesamt liegt
daher bei 13,3 % (2 von 15).7
1.2 Material und Methode
Bei meiner Untersuchung handelt es sich um
eine theoriegeleitete empirische Studie zur Verankerung
der Gleichstellung von Frauen und
Mannern im Alltag der Technischen Fakultat
und der Abteilung Psychologie der Universitat
Bielefeld aus der Sicht von Angehorigen dieser
akademischen Einheiten. Die Arbeit beruht auf
theoretischen Konzepten des franzosischen Soziologen
Pierre Bourdieu, denen zufolge Wahrnehmungs-,
Denk- und Handlungsschemata von
sozialen AkteurInnen, die in der Praxis erworben
werden – im vorliegenden Fall in der Praxis des
jeweiligen Fakultatsalltags, der sowohl durch die
Strukturen der Hochschule als auch durch die in
den jeweiligen Disziplinen herrschenden Bedingungen
gepragt ist – zu Dispositionen werden,
die wiederum bestimmte Handlungsweisen nahe
legen (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996). Im Rahmen
der vorliegenden Studie gehe ich davon aus,
dass Personen, die in den Gremien der akademischen
Selbstverwaltung aktiv mitwirken oder
in der Vergangenheit mitgewirkt haben, eher in
der Lage sind, soziale Praktiken in der Fakultat
umfassend zu beschreiben und damit Aufschluss
uber Gleichstellungsaktivitaten und den Stellenwert
von Gleichstellung in der Praxis des Fakultatsalltags
zu geben.
Von Oktober bis Dezember 2011 wurden insgesamt
zehn Personen aus den verschiedenen
Statusgruppen befragt, die auf unterschiedliche
Weise in die Gremienarbeit in ihrer Fakultat/
Abteilung bzw. der Universitat Bielefeld eingebunden
sind. Vier Befragte stammen aus der Abteilung
Psychologie, sechs Befragte gehoren der
Technischen Fakultat an. Der Interviewleitfaden
umfasste Fragen zum Werdegang und zur aktuellen
Position der Befragten, zu ihrer Sicht auf die
Fakultat und die Atmosphare, die dort herrscht.
Es folgten Fragen zur Alltagspraxis innerhalb der
Gremien, denen die Befragten angehoren, zu
ihrer Sicht auf den Ablauf eines Berufungsverfahrens
und die Bedeutung von Gleichstellung
darin sowie in der Handlungspraxis der Fakultat
allgemein. Den Abschluss bildeten Fragen zur Erstellung
des Gleichstellungsplans und zu seinem
Nutzen.
Die Bereitschaft, an einem Interview zum Thema
Gleichstellung im Fakultatsalltag teilzunehmen,
war insgesamt recht hoch. Allerdings stellte es
sich in der Kurze der Projektlaufzeit als etwas
schwieriger dar, Befragte aus der Psychologie zu
gewinnen, was zu der ungleichen Verteilung der
Befragten auf die beiden wissenschaftlichen Einheiten
fuhrte.
Die relativ geringe Anzahl von Befragten fuhrt
fraglos dazu, dass es nicht moglich ist, alle Vorgange
und Praktiken innerhalb der untersuchten
Fakultaten detailliert zu erfassen. Die Auswahl
von Befragten aus allen Statusgruppen, nach
Geschlecht und Erfahrung in der Gremienarbeit
auf der Ebene der Fakultat bzw. Abteilung, aber
auch auf der Ebene der gesamten Hochschule
gewahrleistet dennoch eine grose Bandbreite
von Einsichten in die Praktiken des universitaren
(Gremien-)Alltags.
2. Erste Ergebnisse
Die im Folgenden prasentierten ersten Ergebnisse
der Studie zeigen die Gleichstellungsaktivitaten
der beiden Hochschuleinheiten im Kontext der
dort herrschenden Bedingungen und erlauben
damit Aufschlusse uber soziale Wirkmechanismen
innerhalb dieser Praktiken. Bei der Analyse
der Interviewtranskripte habe ich mich auf insgesamt
vier Bereiche konzentriert, die zum einen die
gegebenen Verhaltnisse in der Einheit beleuchten,
namlich die Wahrnehmung der Geschlechterproblematik
(2.1) und die Wahrnehmung der
damit verbundenen Handlungsspielraume und
Verantwortlichkeiten (2.2). Zum zweiten habe ich
Erzahlungen uber konkrete Gleichstellungspraxen
untersucht, namlich zur Gleichstellungspraxis
in Berufungsverfahren (2.3) und zum Gleichstellungsplan
(2.4).
Bei der Analyse der Daten geht es nicht darum
festzustellen, ob eine Einheit und die dazugehorenden
AkteurInnen gleichstellungspolitisch richtig
oder falsch handeln. Vielmehr soll der jeweilige
Moglichkeitsraum fur gleichstellungspolitische
Aktivitaten im Fakultatsalltag herausgearbeitet
werden, wie er sich aus den historisch gewachsenen
Verhaltnissen der Einheit im Zusammenspiel
mit den Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata
der AkteurInnen ergibt.
2.1 Die Wahrnehmung der Geschlechterproblematik
in der Fakultät bzw. Abteilung
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die
beiden untersuchten Einheiten sich von ihrer
Historie und den Geschlechterverhaltnissen her
zum Teil erheblich unterscheiden. Gemeinsam ist
ihnen allerdings, dass der Anteil der Professorinnen
von den Befragten als zu gering eingeschatzt
wird und dass es ein Commitment gibt, die Frauenanteile
in den Bereichen, in denen Frauen unterreprasentiert
sind, zu erhohen. In ihren Erzahlungen
schildern die Befragten, wie es aus ihrer
Sicht zu den gegebenen Geschlechterverhaltnissen
kommt.
Abteilung Psychologie: Orientierung auf die
Breite des Fachs und die Praxisorientierung
der Frauen
Die Abteilung Psychologie ist darauf ausgerichtet,
die Disziplin in ihrer Breite abzudecken. Die Befragten
begrunden das mit den Voraussetzungen,
die die Deutsche Gesellschaft fur Psychologie als
Grundlage fur eine Therapieausbildung festsetzt
und die durch das Bachelor- und Masterstudium
gewahrleistet werden mussen. Nach Schatzungen
der beiden befragten ProfessorInnen streben
etwa 50 Prozent oder mehr der AbsolventInnen
nach dem Studium eine Therapieausbildung an.
Diese Praxisorientierung, die die beiden befragten
ProfessorInnen vielen Studierenden der Psychologie
zuschreiben, wird durch die Orientierung der
Abteilung auf die Breite des Fachs unterstutzt. Da
sie aber nach Aussagen dieser beiden Befragten
bei den Frauen noch erheblich ausgepragter ist
als bei den Mannern, wird in ihr ein Hauptgrund
erkannt, warum der Frauenanteil in den hoheren
akademischen Positionen wesentlich geringer ist
als bei den Studierenden und Promovierenden.8
Technische Fakultät: Konzentration auf einige
Bereiche des Fachs und die Attraktivität für
Frauen
Die Technische Fakultat zeichnet sich durch eine
Konzentration auf einige Bereiche der Informatik
aus, insbesondere die Bioinformatik, Biotechnologie
und die kognitive Informatik. Der Grund dafur
ist in der noch kurzen Historie der Fakultat zu
finden, die erst 1991 eingerichtet wurde, seitdem
allerdings sehr schnell von vier auf mittlerweile
16 Professuren gewachsen ist. In den Interviews
fuhren die Befragten aus der Technischen Fakultat
denn auch viele dort herrschende Bedingungen
auf diese Wachstumsprozesse zuruck, die
sich demnach vor allem durch bestimmte Forderprogramme
der DFG und der Bundesregierung
(Bioinformatik-Initiative, Exzellenzinitiative, Professorinnenprogramm)
ergeben haben, die der
Einrichtung von neuen Professuren dienten.
In den Erzahlungen vor allem der befragten
Professoren wird sichtbar, wie sich durch diese
Konzentration eine Gelegenheitsstruktur fur die
Gewinnung von Frauen ergeben hat, die genutzt
wurde: Zum einen sind in der Fakultat insbesondere
solche Fachgebiete der Informatik vertreten,
die fur Frauen, vor allem Studentinnen, attraktiv
erscheinen, wie z. B. die Bioinformatik. Zum zweiten
eignen sich die vorhandenen Fachgebiete
aber auch sehr gut fur eine Zusammenarbeit mit
Disziplinen, in denen sehr viele Frauen studieren
und arbeiten, namlich die Linguistik, die Psychologie
und die Biologie. Den Mangel an Frauen in
32 Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 30/2012
Beiträge
der Informatik versucht die Fakultat also mit einer
Offnung fur andere Disziplinen auszugleichen.
2.2 Die Wahrnehmung von Handlungsspielräumen
und die Zuweisung von Verantwortung
Wahrend also die Befragten aus der Abteilung
Psychologie den Grund fur den geringen Frauenanteil
auf den hoheren Positionen vor allem in
der starkeren Praxisorientierung der vielen vorhandenen
Frauen finden, schildern die Befragten
der Technischen Fakultat ihre Strategien, in einem
mannerdominierten wissenschaftlichen Bereich
zusatzliche Frauen zu rekrutieren. Fur diese Wahrnehmung
von mehr oder weniger grosen eigenen
Handlungsspielraumen spielt auch eine Rolle,
wer aus Sicht der Befragten die Verantwortung
fur die gegebenen Verhaltnisse tragt.
Abteilung Psychologie: Die Machtlosigkeit
der Abteilung und die Verantwortung gesellschaftlicher
Institutionen
In direktem Zusammenhang mit der Wahrnehmung
der Befragten, dass die Abteilung eigentlich
nicht viel machen kann, um den Frauenanteil auf
den gehobenen Positionen zu steigern, steht die
Zuweisung von Verantwortung an gesellschaftliche
Institutionen auserhalb der eigenen Machtsphare.
Begrundungen fur die horizontale Segregation
des Arbeitsmarktes fur PsychologInnen
– „je stärker anwendungsorientiert und klinisch,
umso weiblicher, ja? Und je eher grundlagenorientiert
und experimentell, umso eher männlicher“
(Prof 2 Psych) – wird mit dem Stichwort
der „geschlechtsspezifischen Interessen“ (Prof 2
Psych) implizit in der Gesellschaft, in der Familie
oder in den Frauen selbst gesucht. Fur die prekaren
Beschaftigungsverhaltnisse und die ungunstige
Gehaltsstruktur (im Vergleich zum auseruniversitaren
offentlichen Dienst), die die Rekrutierung
von NachwuchswissenschaftlerInnen
erschweren, sind offenbar ubergeordnete Stellen
verantwortlich. Dies gilt ebenso fur die nach
Aussagen der befragten ProfessorInnen unbefriedigende
Ausstattung mit Kinderbetreuungsmoglichkeiten
und den Mangel an institutionellen Hilfestellungen
fur betroffene Abteilungen, die die
Schwangerschaft einer Nachwuchswissenschaftlerin
fur diese selbst, aber auch fur die Abteilung
zur „Katastrophe“ (Prof 2 Psych) werden lassen.
Der geschlechterdifferenten Sozialisation und
der ubergeordneten Hochschul- und Familienpolitik
scheint die Abteilung machtlos gegenuberzustehen,
und so bleibt den ProfessorInnen
als Handlungsspielraum nur das Motivieren von
Frauen, trotz der Hindernisse in der Wissenschaft
zu bleiben.
Technische Fakultät: Frauenförderung,
Familienfreundlichkeit und die Verantwortung
des Einzelnen
Die Befragten der Technischen Fakultat betonen
ubereinstimmend, dass die Frauen, wenn sie erst
einmal in der Fakultat angekommen sind, mit offenen
Armen aufgenommen werden und sich dort
wohl fuhlen. Genauso wenige Zweifel bestehen
aber auch daran, dass es notig ist, den Frauenanteil
auf allen (wissenschaftlichen) Ebenen weiter
zu erhohen, und dass dies uber Frauenforderung
zu erreichen ist. Dabei wird Frauenforderung
nicht losgelost von strukturellen Bedingungen
konzipiert. Prof 2 TechFak beschreibt z. B., dass
das Geschlecht bei Vorstellungsgesprachen eine
grose Rolle spielt und bei der Bewertung der BewerberInnen
in Rechnung gestellt werden muss.
Nach Einschatzung der befragten Professoren
und Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen spielt
auch eine gelebte Familienfreundlichkeit eine
entscheidende Rolle. Wahrend die Vereinbarkeit
von Schwangerschaft bzw. Elternschaft und wissenschaftlichem
Beruf von den befragten PsychologieprofessorInnen
als z. T. hochproblematisch
dargestellt wird, weisen die Befragten aus der
Technischen Fakultat auf den hohen Anteil von
jungen Eltern in den Arbeitsgruppen hin.
Auch die Befragten der Technischen Fakultat sind
den gesellschaftlichen Verhaltnissen gegenuber,
die der Erhohung der Frauenanteile in ihrem disziplinaren
Bereich immer noch entgegenstehen,
z. B. die Schulsozialisation oder die Rekrutierungspraxis
von Firmen, durchaus nicht blind. Es
ist aber auffallig, wie sie eine Veranderung der
Verhaltnisse in ihrem eigenen Bereich als Aufgabe
jedes und jeder Einzelnen entwerfen. So beschreibt
die Studentin, dass sie schon als Kind an
den Reparaturarbeiten ihres Vaters beteiligt war;
der Wissenschaftliche Mitarbeiter betont, wie
wichtig die Studierenden fur die wissenschaftliche
(Entwicklungs-)Arbeit in der Fakultat sind
und dass die Frauen ganz selbstverstandlich dabei
sein – und nicht etwa in monoedukative Lehrveranstaltungen
abgeschoben werden – wollen.
Und Prof 2 TechFak stellt in diesem Zusammenhang
klipp und klar fest, dass Gleichstellung
„zum Teil von einzelnen Personen auch abhängig
[ist]“ und dass die Fakultat eigene Gestaltungsspielraume
nutzen muss.
2.3 Gleichstellungspraxis in Berufungsverfahren:
„Meistens haben die Leute auch schon
jemanden im Kopf“
Bei aller fachkulturellen Vielfalt eint nahezu alle
Fachbereiche und Disziplinen der – vergleichsweise
– geringe Frauenanteil an Professuren.
Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 30/2012 33
Beiträge
Selbst in Fachern und Fachbereichen, die auf den
Ebenen der Studierenden, Promovierenden und
mitunter auch noch Habilitierenden von Frauen
dominiert werden, stellen Professorinnen meist
immer noch eine Minderheit dar. Das hat dazu
gefuhrt, dass Berufungsverfahren nicht nur im
Fokus der Gleichstellungspraxis stehen – die
Mitwirkung der Gleichstellungsbeauftragten an
Berufungsverfahren ist u. a. im Landesgleichstellungsgesetz
(LGG) verankert –, auch die Forschung
zur Gleichstellung an Hochschulen interessiert
sich mittlerweile sehr fur die Frage: „Wie
werden Professuren besetzt?“ (Farber/Spangenberg
2008).9
Die Erzahlungen der Befragten zeigen dabei,
dass die Theorie der Gleichstellung als Querschnittsaufgabe
nicht so leicht in die Praxis von
Berufungsverfahren zu ubersetzen ist. Auf die
Frage, an welcher Stelle im Berufungsverfahren
Gleichstellung ins Spiel komme, reagieren alle
Befragten eher ratlos, obwohl sie die institutionalisierten
Gleichstellungsinstrumente benennen:
namlich die mogliche Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten
der Fakultat bzw. Abteilung,
die „Frauenquote“ (in Berufungskommissionen
sollen mindestens zwei Frauen Mitglieder sein)
und den Satz, der in allen Stellenausschreibungen
die bevorzugte Einstellung von Frauen bei
gleicher Eignung annonciert.
Auf die Frage nach dem Ablauf eines Berufungsverfahrens
beschreiben die befragten ProfessorInnen
vor allem die Voraussetzungen fur
die Einrichtung bzw. Besetzung einer Professur,
wahrend die Befragten aus den anderen Statusgruppen
eher den Ablauf der Verfahren in der
Berufungskommission darstellen. Dabei wird vor
allem von den Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen
die Feststellung der Nichtwissenschaftlichen
Mitarbeiterin der Technischen Fakultat unterstutzt:
„Meistens haben die Leute [in der Berufungskommission,
S.S.] auch schon jemanden im
Kopf“. Sie beschreiben damit die Situation, dass
man schon bei der Ausschreibung, spatestens
jedoch bei der Auswahl der Bewerbungen, eine
bestimmte Person im Auge hat, die man gerne
fur die Fakultat gewinnen mochte. Interessant ist
dabei, welche Ruckschlusse aus dieser Praxis in
Bezug auf Gleichstellung gezogen werden. Die
Wissenschaftliche Mitarbeiterin aus der Psychologie
bringt die Praxis, die Ausschreibung mit
Blick auf eine bestimmte Person zu formulieren,
mit personlichen Beziehungen in der scientific
community in Verbindung, die Gleichstellung
eher hemmen (vgl. dazu auch Junghans 2012).
Der befragte Wissenschaftliche Mitarbeiter der
Technischen Fakultat beschreibt die gezielte Ausschreibung
dagegen als ein Instrument, das zur
Gewinnung von Frauen genutzt werden kann in
einem Feld, in dem es nur wenige Frauen gibt.
Auch die Wissenschaftliche Mitarbeiterin der
Technischen Fakultat betont die Notwendigkeit
solcher Praktiken, um Frauen zu gewinnen, wobei
sie allerdings darauf hinweist, dass dies sich
jenseits der „offiziellen Gleichstellungsgeschichte“
(Wiss MA TechFak) abspielt. Die anscheinend
ubliche Praxis, Stellen mit Blick auf bestimmte
BewerberInnen auszuschreiben, kann also im
Kontext der gegebenen Bedingungen in den Einheiten
durchaus vollig kontrar gedeutet werden:
als Hurde fur die Gleichstellung oder als Frauenfordermasnahme.
In den Erzahlungen wird erkennbar, dass Frauenforderung
und Gleichstellung als unterschiedliche
Dinge wahrgenommen werden, wobei Frauenforderung
als sinnvoll und notwendig, Gleichstellung
dagegen als burokratische Belastung angesehen
wird, die im schlimmsten Fall Frauenforderung
sogar verhindern kann, wenn etwa Professorinnen
uber Gebuhr durch die Mitwirkung in Gremien
belastet werden.
2.4 Einschätzung des Gleichstellungsplans
Der Erstellung und Fortschreibung von Gleichstellungsplanen
sowohl auf Hochschul- als auch auf
Fakultatsebene wird im nordrhein-westfalischen
LGG ein breiter Raum gewidmet, der auf eine
hohe Relevanz dieses Instruments aus Sicht der
Politik hinweist. Der Gender-Report 2010 hat allerdings
gezeigt, dass dies nicht unbedingt einen
Niederschlag in den Einheiten der Hochschulen
findet, da etliche Einheiten keine bzw. keine gultigen
Gleichstellungsplane vorweisen konnten
(Gender-Report 2010: 142f.).
Auch den Befragten aus der Abteilung Psychologie
und der Technischen Fakultat der Universitat
Bielefeld fallt zum Thema Gleichstellungsplan nur
wenig ein, obwohl beide Einheiten uber gultige
Plane verfugen. Einige der Befragten aus beiden
Hochschuleinheiten waren in der Vergangenheit
auf verschiedene Weisen mit Gleichstellungsplanen
beschaftigt, dennoch sind die Darstellungen
von deren Erstellung und Fortschreibung eher
kursorisch. In der Regel werden die Plane offenbar
in einer Zusammenarbeit von Gleichstellungskommission
bzw. Gleichstellungsbeauftragter mit
dem jeweiligen Dekan erstellt. Danach erfolgt die
Verabschiedung im Abteilungsausschuss bzw. der
Fakultatskonferenz, die als einvernehmlich beschrieben
wird.
Die Befragten weisen darauf hin, dass die Gleichstellungsplane
vor allem dann prasent sind,
wenn sie fortgeschrieben bzw. evaluiert werden
und dass sie noch am ehesten bei Personalangelegenheiten,
insbesondere bei Berufungsverfahren,
genutzt werden, um sich uber das gleich-
34 Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 30/2012
Beiträge
stellungsbezogene Prozedere zu informieren.
Sie sind sich weitgehend einig, dass der Nutzen
des Gleichstellungsplans auf Fakultats- bzw. Abteilungsebene
begrenzt ist, insbesondere weil
er in der Regel den Angehorigen der Einheiten
kaum bekannt und prasent ist. Als wirksames
Steuerungsinstrument, das dazu beitragt, Frauenanteile
zu erhohen oder ein entsprechendes
Commitment zu starken, wird er jedenfalls nicht
wahrgenommen, und auch als Anreiz zur Reflexion
der Geschlechterverhaltnisse in der jeweiligen
Einheit scheint sein Nutzen gering zu sein. Die
Nichtwissenschaftliche Mitarbeiterin der Technischen
Fakultat bringt es so auf den Punkt: „Den
[Plan] gibt es, weil wir den haben müssen.“
3. Schlussfolgerungen und Ausblick
Der vorliegende Beitrag liefert einen ersten kursorischen
Einblick in das Zusammenspiel von organisatorischen
Gegebenheiten und Denk-, Wahrnehmungs-
und Handlungsmustern der AkteurInnen
in zwei wissenschaftlichen Einheiten in Bezug auf
Gleichstellung und einige sich daraus ergebende
Effekte. So geht in der Abteilung Psychologie die
Annahme, dass Frauen starker auf eine berufliche
Tatigkeit in der Praxis orientiert sind, und die Zuweisung
der Verantwortung fur die Geschlechterverhaltnisse
in der Abteilung an gesellschaftliche
Institutionen auserhalb der Abteilung einher mit
dem Eindruck, dass der Gestaltungsspielraum fur
Gleichstellung nur sehr begrenzt ist. In der Technischen
Fakultat dagegen wurden Gestaltungsspielraume,
die sich durch Wachstumsprozesse ergeben
haben, auch dazu genutzt, die Fakultat fur
andere Disziplinen zu offnen und dadurch Frauen
anzuziehen und fur die Informatik zu gewinnen.
Da diese Form der Frauenforderung jedoch offensichtlich
sehr abhangig von den herrschenden
organisationalen Bedingungen und Personen in
leitenden Positionen ist, stellt sich die Frage, was
passiert, wenn die Fakultat keine zusatzlichen
Professuren zu besetzen hat, sondern es darum
geht, vorhandene Ressourcen neu zu verteilen,
oder wenn wichtige Unterstutzer fehlen.
Hier wird eine Diskrepanz zwischen Masnahmen
der Frauenforderung und Gleichstellungsmasnahmen
deutlich, die in Bezug auf die Gleichstellungsinstrumente
in Berufungsverfahren und
den Gleichstellungsplan von den Befragten z. T.
deutlich artikuliert werden. Dass Frauenforderung
notwendig ist, um mehr Frauen in fuhrende Positionen
zu berufen, gehort mittlerweile offenbar
zum ‚common sense‘. Was Gleichstellung ist und
welche Instrumente wann, wo und unter welchen
Bedingungen wirken, bleibt dagegen fur die Befragten
aus den Hochschuleinrichtungen eher im
Dunkeln. So kann man in einem Feld wie der Psychologie,
das auf den unteren wissenschaftlichen
Statusgruppen sehr stark von Frauen dominiert
wird, aber trotzdem nur vergleichsweise wenige
Professorinnen hat, wohl kaum von einem (zahlenmasigen)
Frauenproblem sprechen. Aber es
scheint dort trotzdem ein Gleichstellungsproblem
vorzuliegen. Und dieses Problem gibt es moglicherweise
auch in anderen auf Studierendenebene
sehr stark von Frauen dominierten Fakultaten
und Disziplinen. Mit den Mitteln der Frauenforderung
ist hier womoglich nicht viel zu erreichen,
denn Frauen sind auf den ersten Blick ja ausreichend
vorhanden. Wirksame Mittel der Gleichstellungsarbeit
mussen moglicherweise erst noch
gefunden werden, denn die vorhandenen Instrumente,
wie die Vorgaben zu Berufungsverfahren
oder die Gleichstellungsplane, scheinen in der alltaglichen
Praxis von Fakultaten kaum zu greifen.
Das reichhaltige Datenmaterial der Studie
„Gleichstellung im Fakultatsalltag“ bietet Anknupfungspunkte
in mehrere Richtungen: Zum
einen soll es in den Kontext der Fachkulturforschung
gestellt werden, um die Gegebenheiten in
der Fakultat oder Abteilung aus der Perspektive
des disziplinaren Feldes besser zu verstehen. Zum
zweiten sollen die Spezifika der verschiedenen
Statusgruppen herausgearbeitet werden, um die
Wechselwirkungen von Gleichstellungsmasnahmen
mit den Strukturen der Hochschulorganisation
genauer in den Blick zu nehmen. Drittens
sollen die Vorstellungen der AkteurInnen uber
verschiedene gleichstellungspolitische Strategien,
insbesondere die Diskrepanz zwischen den
Konzeptionen von Frauenforderung und Gleichstellung,
genauer beleuchtet werden, um die
Erarbeitung und Umsetzung von Gleichstellungsmasnahmen
konzeptionell zu starken und damit
auch Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung
zu integrieren.
4. Literatur
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Munst, A. Senganata/Schafer, Sabine (2010):
Gender-Report 2010: Geschlechter(un)gerechtigkeit
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Fakten – Analysen – Profile. Studien Netzwerk
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- Bourdieu, Pierre/Wacquant, Loic J. D. (1996):
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Seminar, Winter 1987. In: Bourdieu, Pierre/
Wacquant, Loic: Reflexive Anthropologie.
Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 95–249.
- Farber, Christine/Spangenberg, Ulrike (2008):
Wie werden Professuren besetzt? Chancengleichheit
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Campus.
Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 30/2012 35
Beiträge
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Das geschlechtergerechte Berufungsverfahren
und seine gerichtliche Uberprufung.
In: GENDER. Zeitschrift fur Geschlecht, Kultur
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- Kahlert, Heike (2007): Qualitatssteigerung
oder Qualitatsverlust? Wie hochschulische Fuhrungskrafte
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zum Change Management sehen. In: die
hochschule 6, 1: S. 132–147.
- Krais, Beate (2010): Das Projekt „Gleichstellung
in der Wissenschaft“: Anmerkungen zu
den Muhen der Ebenen. In: Bauschke-Urban,
Carola/Kamphans, Marion/Sagebiel, Felizitas
(Hg.): Subversion und Intervention. Wissenschaft
und Geschlechter(un)ordnung. Opladen:
Barbara Budrich Verlag: S. 23–45.
- Macha, Hildegard/Struthmann, Sandra (2011):
Controlling von Gleichstellungspolitik als Organisationsentwicklung
der Hochschule: die Gender
Balanced Scorecard. In: GENDER. Zeitschrift
fur Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 3, 1:
S. 126–135.
- Mayring, Philipp (2010): Qualitative Inhaltsanalyse.
Grundlagen und Techniken. 11., aktualisierte
und uberarbeitete Auflage. Weinheim
u. a.: Beltz.
- Metz-Gockel, Sigrid (2011): Differenzierung
im tertiaren Bereich und geschlechtergerechte
Hochschule. In: Journal Netzwerk Frauen- und
Geschlechterforschung NRW 29: S. 39–43
- Metz-Gockel, Sigrid/Kamphans, Marion (2002):
Gender Mainstreaming in Hochschulleitungen
von NRW. Mit gebremstem Schwung und alter
Skepsis. Gesprache mit der Hochschulleitung.
Projektbericht. Verfugbar unter: http://www.
hdz.uni-dortmund.de/fileadmin/Veroeffentlichungen/
Kamphans/GM_Hochschulleitungen_
komplett.pdf.
- Roloff, Christine (2002): Der Zusammenhang
von Personalentwicklung, Geschlechtergerechtigkeit
und Qualitatsmanagement. In:
Roloff, Christine (Hg.): Personalentwicklung,
Geschlechtergerechtigkeit und Qualitatsmanagement
an der Hochschule. Bielefeld: Kleine
Verlag, S. 11–33.
- Schluter, Anne (2011): Auf dem Weg zur
geschlechtergerechten Hochschule – Bedingungen,
Potentiale und Instrumente der
Entwicklung. Gutachten im Auftrag der Hans-
Bockler-Stiftung, Dusseldorf. Verfugbar unter:
www.boeckler.de/pdf/gutachten_schlueter.pdf.
- Selent, Petra (2002): Von der Analyse zur Aktivitat
– Geschlechtergerechte Entwicklungsprozesse
in Fachbereichen. In: Roloff, Christine
(Hg.): Personalentwicklung, Geschlechtergerechtigkeit
und Qualitatsmanagement an der
Hochschule. Bielefeld: Kleine Verlag, S. 99–115.

http://www.netzwerk-fgf.nrw.de/fileadmin/media/media-fgf/download/publikationen/Journal_30_2012.pdf

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