Wenn der Mensch zur MenschIn wird - oder:

Wieviel »Gleichberechtigung« verträgt das Land?

How much »equality« the country can stand?

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Liste Femanzen Kerstin Kullmann (Liste Femanzen)

Oberkellner @, Sunday, 28.12.2014, 13:21 (vor 3558 Tagen)

F325 Kerstin Kullmann geboren 1978 - Redakteurin bei Neon und beim Spiegel - http://www.turbobrain.de/wp-content/uploads/2009/08/kullmann.jpg

03/07/06 | 17:35
Die alten GESCHLECHTERROLLEN holen uns ein. Müssen junge Frauen wieder kämpferischer werden?

Die Geschichte beginnt rätselhaft. Einen guten Ratschlag hätte sie noch, sagt die Frau, die Expertin, am Telefon. Einen guten Ratschlag, gerne. »Schreiben Sie das Wort auf keinen Fall«, sagt die Frau, »sonst liest keiner weiter.« Sie ist mittleren Alters, sehr klug und sie erforscht, was Frauen, was Männer heute ausmacht. Welches Wort? »Gleichberechtigung halt.« Aha. Aufgelegt.

»Gleichberechtigung halt«

Na gut. Dann schreiben wir das Wort nicht. Junge Frauen brauchen es nicht. Sie wenden das Prinzip an, seit es existiert: für sich alleine entscheiden, auf Augenhöhe leben. Darauf haben sie einen natürlichen, einen politischen Anspruch. Junge Frauen planen kurzfristig, planen langfristig. Sie machen mit Männern Schluss, wenn die nie Kinder haben wollen. Sie machen mit Männern Schluss, wenn die im Bett schlimm riechen. Sie zahlen die halbe oder auch die ganze Miete. Ihr Leben besteht aus Jobben, Studieren, Bewerben. Aus Verlieben, Lieben, Entlieben. Aus »jetzt ein Kind oder später?«-Fragen. Egal, wie dringend Deutschland Mütter, Arbeitskräfte oder Altenpfleger braucht: Frauen treffen ihre Entscheidungen selbst. Doch der Ton wird schärfer. Worte wie »Gebärstreik« und »Versorgerehe« schwirren durchs Land. Der Arbeitsmarkt ist eng. Junge Mütter sollen das Sozialsystem retten. Frau sein droht zu einer gesellschaftlichen Verantwortung zu werden. Zur biologischen Pflicht. Vor zehn Jahren gab es die ewigen Mädchen, seit einigen Jahren die Renaissance der Weiblichkeit. Werden uns die alten Geschlechterrollen zum Verhängnis? Haben wir die Emanzipation verschlafen? Was wollen junge Frauen im Jahr 2006 ? und können sie ihre Ziele erreichen? Soziologen, Psychologen, Demoskopen tüfteln und befragen, um herauszufinden, was die junge Frau will. Wonach sie sich sehnt, woran es ihr mangelt. »Klar«, sagt Martina Gille vom Deutschen Jugendinstitut in München, »junge Frauen wünschen sich am meisten, erwerbstätig zu sein und eine Familie zu gründen.« Beides. Nicht eines von beiden. Der Wunsch ist so groß, dass man meinen könnte, er müsse allein deswegen wahr werden. Aber das ist nicht so leicht, sagen die Zahlen. Im Grunde unmöglich, sagen die, mit denen man über die Zahlen spricht.
40 Prozent der Frauen kehren nach einer Geburt nicht mehr in den Beruf zurück, obwohl sich über 60 Prozent der Frauen mit Kindern wünschen, wieder zu arbeiten.
Fast ein Viertel der jungen Frauen sind kurz nach Gründung einer Familie unzufrieden mit der Haushaltsaufteilung. Mehr als neunzig Prozent der jungen Männer sind zufrieden.
Frauen verdienen im gleichen Job im Schnitt 20 bis 30 Prozent weniger als Männer.
Sie bekommen bereits beim Berufseinstieg weniger Geld ? bei gleicher, sogar bei höherer Qualifikation.
Frauen stellen 49 Prozent der Beschäftigten, fast die Hälfte arbeitet Teilzeit ? nur elf Prozent der Führungskräfte haben Teilzeitjobs.
Über 35 Prozent der Menschen, die im Land unter der Armutsgrenze leben, sind alleinerziehende Mütter. Arm ist, wer weniger als 938 Euro im Monat zur Verfügung hat.
Fast 50 % der Paare lassen sich heute nach drei bis fünf Ehejahren scheiden.
Es sieht so aus, als müssten Frauen im Lauf ihres Lebens ihre Wünsche immer kleiner und enger falten, damit sie passen. Männer nicht.Gräbt man sich durch die Massen von Studien,durch Kreuztabellen und Variablen, dann rinnen einem die Illusionen klar wie Wasser durch die Finger. Dann hat man den Eindruck: Jung sein und eine Frau sein, das ist in Wahrheit eine Krankheit. Eine Frau, das ist ein defizitärer Organismus, dem gut zugeredet und dem auf die Beine geholfen werden muss. Aber warum helfen sich Frauen nicht einfach selbst?

Weil sie sich nicht krank fühlen

Jungen Frauen gehe es bestens. Sie seien glücklich. Das sagt Stephan Grünewald, Mitbegründer und Psychologe des Rheingold Instituts in Köln. »Junge Frauen sind die sozialen Gewinner des neuen Jahrtausends.« Seit 2001 haben Grünewald und seine Kollegen 4000 Frauen zwischen 18 und 30 Jahren befragt. Er sagt, die Anfang 20-Jährigen gingen mit der sozialen Unsicherheit am besten um. Mit der Terror-Angst ebenso wie mit dem Auseinanderfallen der Sinnzusammenhänge, kurz: mit allem, was einsam und verzweifelt macht. Sie würden Netzwerke und Freundschaften bilden und seien sozial virtuoser. Sie pflegten eine kuschelige, wie Grünewald sagt, eine »harmoniesüchtige« Form der Selbststabilisierung. Frauen würden in einem dichtgewebten sozialen Netz leben, mit dem Handy als Navigationssystem und dem Wunsch, immer angebunden zu sein. Frauen fühlen. Das tun sie gerne. Und sie möchten sich nicht wie Männer fühlen. Egal, wie weit sie heute davon entfernt sind, über Feminismus nachzudenken, sie stecken doch immer mittendrin: im Glaubensstreit der feministischen Theorie. Die einen „Gleichheitsfeministinnen“ meinen, der Unterschied zwischen Frauen und Männern solle klein sein und immer kleiner werden, bis Frauen und Männer einander nicht mehr in anerzogene Rollenbilder pressen. Bis Frauen Chef sein können und Männer Hausmann. Die anderen „Differenzialistinnen“ reden über die »neue Weiblichkeit«. Für sie sind Frauen und Männer von Natur aus verschieden. Die Strategie, sich auf weibliche Stärken zu konzentrieren, halten sie für die bessere. Sie finden den Graben, der zwischen den Geschlechtern liegt, gut. Sie finden ihn sexy. Er trenne Prinzipien voneinander, die sich aus der Entfernung besser erkennen lassen. Dann sehe man gut, was wirklich weiblich und was wirklich männlich sei. Bislang schien die Strategie der Differenzialistinnen aufzugehen: Junge Frauen sind stolz darauf, sich das Essen zahlen zu lassen oder das Taxi nach Hause, ohne sich fragen zu müssen: »Hat er mich gekauft?« Nein, hat er nicht. Er wird am nächsten Morgen nicht sagen: »Hol die Zeitung, mach Kaffee.« Er wird selbst zum Bäcker rennen und auch Blumen mitbringen. Für den Hausgebrauch scheint das zu klappen: mit der eigenen Weiblichkeit zu kokettieren, sich nicht zum Heimchen zu machen. 2006 wird es bei H&M besonders weiblich. Weiblich wie in der guten alten Zeit. Matthias Geduhn, Sprecher von H&M, erzählt von Etuikleidern und eleganten Blusen. Von Bleistiftröcken, Perlenketten, vom Berlin der 30er Jahre. Das Hausfrauenkleidchen, das man über der Jeans tragen kann, war schon im letzten Jahr ein Renner. Anmutung: patente, nette junge Dame. Werden in diesem Herbst junge Frauen im Kostüm mit Perlenkette in den Bars sitzen und auf ihren Retter warten? Auf die Erlösung aus dem Elend eines engen Arbeitsmarkts? Gar nicht unwahrscheinlich, glaubt Stephan Grünewald. »Erlösungsfantasien« nennt er das. »Je größer die soziale Ohnmacht, desto stärker der Wunsch nach einem Versorger.« In den letzten Jahren sei dieser Wunsch besonders stark geworden. Das gelte natürlich nicht für alle jungen Frauen: Manche begreifen sich gerade jetzt als Kämpferinnen. Doch viele Frauen, so Grünewald, würden defensiver, verharrender und hofften auf einen Mann als Retter. Sie würden lieblich, servil und angepasst werden. Sie täuschten vor, mit ihrer Weiblichkeit zu spielen. In Wahrheit drohe sie wieder zu ihrer einzigen Waffe zu werden. »Aus einem Arbeitsmarkt, in dem fünf Millionen Jobs fehlen, sind Frauen ganz schnell wieder draußen«, sagt die Autorin Katja Kullmann. In ihrem Buch »Generation Ally« beanstandete sie 2003 die feministischen Versäumnisse der Girlies der Neunziger. Heute ist sie sicher: Emanzipation droht zur Klassenfrage zu werden. Nur wer Geld, wer Arbeit hat, kann sich erlauben, auf Selbstständigkeit zu pochen. »In gesellschaftlich schwierigen Zeiten werden traditionelle Geschlechtervorstellungen verschärft durchgesetzt«, glaubt auch die Sozialpsychologin Gitta Mühlen-Achs. Sie sagt im Scherz: »Dann schlägt das Imperium zurück.« Und an welcher Front greift es an? »An der Front der Mütterlichkeit. Mit dem Muttersein kriegt man die Frauen immer.« Ute Vogt hat keine Kinder. Die SPD-Politikerin ist 41 Jahre alt, nicht verheiratet. Sie forderte letzten März den CDU-Ministerpräsidenten Günther Oettinger heraus. Sie hat haushoch verloren. Mit dem Muttersein hat man im Wahlkampf oft versucht, sie zu kriegen. Man hat sie als Karrierefrau bezeichnet und das als Beleidigung gemeint. Man hat ihr verboten, über Familienpolitik zu reden, weil sie davon keine Ahnung haben könne. Wenn Ute Vogt darauf hinwies, dass es in Deutschland ein Ding der Unmöglichkeit sei, Kinder und Beruf zu vereinbaren, kochte die Stimmung: »Das ist respektlos gegenüber den Müttern! Hausfrau sein ist auch Arbeit!« »Alles ist immer ein Angriff auf die Mütterlichkeit «, klagt Ute Vogt. Für sie ein Missverständnis: wirklich schwer hätten es hier nicht die Frauen, die fordern: Lasst mich Mutter sein! Sondern die, die hinzufügen: Und meinen Beruf will ich auch behalten! Junge Frauen leben in einer Welt der gefühlten Gleichberechtigung. Während der Ausbildung, während des Studiums, in einer jungen Beziehung gibt es kaum Gründe für Argwohn. Es gibt keine Probleme, die einen ahnen lassen, dass das jemals ein Vor- oder Nachteil sein könnte: Frau oder Mann zu sein. »Solange sie keine Kinder haben, leben junge Frauen oft mit der Illusion, die Zukunft partnerschaftlich regeln zu können«, sagt Gitta Mühlen-Achs. »Männer rütteln auch nicht an dieser Vorstellung. Sie glauben ja selbst daran. Am Ende fügen sie sich aber meist sehr bereitwillig in alte Rollenmuster.« Das deutsche Jugendinstitut fand heraus: Für junge Männer ist Gleichberechtigung oft eine abstrakte Frage, die sie so selbstverständlich mit »Ja gerne!« beantworten wie die Frage, ob man ihnen ein Bier aus dem Keller mitbringen soll. Wenn es um Arbeitsteilung im Haushalt, um Geldverdienen geht, antworten sie viel zögerlicher und lange nicht so euphorisch. Wenn es so weit ist, wenn ein Kind kommt und die Frage im Raum steht, wer daheim bleibt, wer weiterarbeitet, dann ist in Deutschland der alte Weg der leichtere: Das Ehegatten-Splitting bevorteilt die Versorgerehe. »Und die Gesellschaft «, sagt Ute Vogt, »mag keine Mütter, die ihr Kind in eine Krippe geben.« Was passiert? Frauen bleiben daheim, arrangieren sich, stecken zurück. Fallen aus dem Arbeitsmarkt und bereuen das später. Frauen, die aus qualifizierten Berufen drei Jahre in Elternzeit gehen, haben kaum eine Chance, dort einzusteigen, wo sie aufgehört haben. Das Dilemma: Weil Frauen weniger verdienen, bleiben sie mit dem Kind daheim. Die Familie braucht Sicherheit. Mehr Geld gleich mehr Sicherheit. Das ist eine so zwingende Einsicht, dass man sie, die Einsicht, am liebsten links und rechts dafür ohrfeigen würde.

Frauen wollen keine Männer sein

Selbst wer in Deutschland versucht, trotz aller Widerstände sein Ideal einer gleichberechtigten Beziehung zu leben, kann bitter daran scheitern. Wie Miriam Keller, 32, die im Studium schwanger wurde. Einen Sohn bekam, ihren Abschluss machte, sich bewarb. Den Kleinen betreute ihr Freund. Miriam bekam keinen Job, nicht mit Kind. Fünf Jahre nichts, nicht mal ein Praktikum. Jetzt hat sie noch einen Sohn und ist hauptberuflich Mutter. Oder Anja Grothmann, 31. Sie war vier Jahre Redakteurin, machte vier Jahre Mutterpause. Jetzt arbeitet sie wieder, doch die Kollegen sehen es nicht gerne, wenn sie früher gehen muss. Sie braucht teure Kinderbetreuung und hat bemerkt: Der Job kostet die Familie mehr, als er bringt. Ihr Mann sagt: »Was für ein kostspieliges Hobby.« Frauen wollen keine Männer sein. Leider bringt das im Berufsleben nicht viel. Umfragen sagen: Männlich aussehenden Frauen wird mehr Führungskompetenz zugetraut. Das fand die Sozialpsychologin Anke von Rennenkampff 2004 in einer Studie heraus. Von den Waffen der Frauen kann keine Rede sein. Männer um den Finger zu wickeln, hilft in Wahrheit nur so lange, wie ein Mann darauf steht. Ob einem das recht ist oder nicht: In einer Berufswelt, die männlich ist, müssen die Taktiken der Männer imitiert werden. Erst wenn man oben ist, kann man die Dinge unten verändern. Niemand weiß das besser als Alice Schwarzer: »Nicht in der Frauenecke hocken! Die Hälfte der Welt erobern«, waren die Kampfrufe der Feministinnen. Für Schwarzer ist die »neue Weiblichkeit« eine Falle, ein Rückschritt. Niemandem wurde ihre mangelhafte Weiblichkeit so sehr vorgeworfen wie Angela Merkel. Alice Schwarzer findet Angela Merkel gut. Junge Frauen lehnen Frauenquoten ab, weiß das Deutsche Jugendinstitut. Sie denken: Die Zeiten, in denen sie an der Hand genommen werden müssen, sind vorbei. Jetzt müssen sie sich anhören, dass sie zu wenig Kinder bekommen (Problem wegen der Rente), dass sie die Kinder zu spät bekommen (Problem wegen der Natur) und dass sie, sobald sie Kinder haben, zu faul sind und auf dem Arbeitsmarkt fehlen (Problem wegen der Wirtschaft). »Frauen «, sagt Gitta Mühlen-Achs, »haben es heute schwerer als früher. Die Ungerechtigkeiten sind weniger offensichtlich, die Zwänge subtiler. Frauen sind an allem, was sie nicht schaffen, selbst schuld. Männer haben sich aus der Problemwelt Frau zurückgezogen.« Frauen hungern sich auf ihr Idealgewicht runter? Selbst schuld. Fühlen sich nur mit großen Brüsten wohl? Sie tun es für sich selbst. Ziehen aus Liebe zum Freund in eine andere Stadt, finden keinen Job? Wenn man so blöd ist: selbst schuld. Frauen spielen mit ihrer Weiblichkeit, geben sich damenhaft, sind trotzdem stark und schlau. Doch die Widersprüche zwischen dem, was junge Frauen sich wünschen, und dem, was davon im Laufe ihres Lebens wahr werden kann, sind groß. Wie lang darf man die Welt um sich herum anlächeln, um all diese Widersprüche auszuhalten? »Die Träume«, sagt Gitta Mühlen-Achs, »die junge Frauen haben, sind wunderbar. Sie müssen nur viel früher damit beginnen, sich für die Realität zu rüsten.« Planmäßiger handeln. Weitsichtiger denken. Die Welt der neuen Weiblichkeit lullt angenehm ein ? die Realität aber sagt: So weit, wie wir denken, sind wir nicht. Denn was Frauen, egal wie weiblich sie wirken, wirklich wollen, ist klar: Gleichberechtigung halt.

http://www.neon.de/kat/147113.html

Kerstin Kullmann ist eine Redakteurin des «Spiegel», die bisher wenig Aufmerksamkeit erhalten hat. Eine Aussage von ihr über den «rechtsfreien Raum» Internet hat ihr nun allerdings mehr davon eingebracht, als ihr lieb sein wird.

Morgens kurz nach dem Aufstehen (oder auch manchmal deutlich vor dem Aufstehen) im ZDF-Morgenmagazin aufzutreten, ist kein Job, um den sich Journalisten balgen. Eigentlich noch müde, muss man dort hellwach sein, um die Schlagzeilen der Tageszeitungen zu kommentieren - oder gern auch die des eigenen Blattes.
Nun hat es Kerstin Kullmann getroffen, die beim «Spiegel» arbeitet. Ihr kurzer Auftritt wird derzeit deutlich verlängert dadurch, dass er immer wieder bei Youtube abgerufen, bei Twitter kommentiert und in Blogs verrissen wird.
Was ist geschehen? Moderator Cherno Jobatey hielt Kullmann den aktuellen «Spiegel» hin, der sich dem «Netz ohne Gesetz» widmet. Die 30-Jährige erklärte artig, ihre Kollegen beschäftigten sich mit der Frage: «Wie schafft man Regeln im Internet? Kann es sein, dass man sogar eine Art Recht etabliert im Raum, der weitgehend rechtsfrei ist?» Rechtsfrei? Da hätte Jobatey durchaus nachhaken können. Er ließ aber weiterplaudern: «Kinderpornografie, Gewaltdarstellung – all das, was im echten Leben nicht möglich ist, scheint im Netz zu gehen.»
Von den Kommentaren, die sie dafür im Netz erhielt, gehören folgende zu den harmloseren: «Der SPIEGEL als kompetenzfreier Raum, dargestellt am Beispiel Kerstin Kullmann». (Twitter) Und: «Kinderpornografie und Gewalt gibt es nicht im echten Leben!?!? Waren sie je im Leben schon mal auf dem Planeten Erde, Frau Kullmann?» (Youtube)
Refugien
Der ZDF-Morgengast gibt mit seiner Sicht des «rechtsfreien» Internets letztlich allerdings auch nur das zu Protokoll, was in der «Spiegel»-Titelgeschichte mit «Refugien der Diebe, Rufmörder, Kinderschänder» beschrieben wird. Hätte man das Thema wirklich diskutieren wollen, hätte man da bereits ausreichend Futter gehabt. Bleibt die Frage, die ein User bei Youtube stellt: Was hat Jobatey dazu bewogen, auch nicht nur ein bisschen auf das einzugehen, was da binnen Sekunden an selektiver Halbwahrheit über den Äther ging? «Warum kommen von dem keine Fragen?».
Die Netzeitung beschäftigt sich ausführlich mit dem Thema in der Kolumne Blogblick. (nz)


http://www.netzeitung.de/medien/1428959.html

Die SPIEGEL-Redakteurin Kerstin Kullmann (30) plädiert “für mehr Gelassenheit in der Erziehung”(SPIEGEL-Titelseite).
Wie wenige Tage zuvor schon ihre ZEIT-Kollegin Tanja Stelzer (38) – vgl. den entsprechenden Mediary-Kommentar vom 4. August 2009 – diagnostiziert auch Kullmann in ihrer 10-seitigen SPIEGEL-Titelstory eine zunehmende Hilflosigkeit der aktuellen Elterngeneration.
Expertenwissen statt Eigenerfahrung
“Die neuen Eltern hören nicht mehr auf ihr Bauchgefühl. Sie misstrauen ihrem Instinkt. Mit Hilfe von Ratgebern und Ärzten überprüfen sie stattdessen, ob sie fachgerecht handeln” (S. 42).
Ähnlich wie Stelzer für die ZEIT befragte auch Kullmann für den SPIEGEL Ärzte, Historiker, Pädagogen und Therapeuten. Anders als diese jedoch recherchierte sie darüber hinaus “in Krabbelgruppen und Geburtsvorbereitungskursen, auf Spielplätzen und in Kinderkliniken” (SPIEGEL-Hausmitteilung, S. 3)
Sie praktizieren, was sie beklagen
Beide Autorinnen beklagen den Sachverhalt, dass in unserer Gesellschaft das Expertenwissen zunehmend an die Stelle der eigenen Erfahrung, die Autorität des fremden Kopfes zunehmend an die Stelle des eigenen Gefühls getreten sei.
Mein Eindruck bei der vergleichenden Lektüre der beiden Artikel: Die zwei journalistischen Profis praktizieren über weite Strecken genau das, was sie beklagen.
Die neuen Journalistinnen hören nicht mehr auf ihr Bauchgefühl
Oder in freier Anlehung an Kullmann (und daher begrifflich etwas überpointiert) formuliert:
Die neuen Journalistinnen hören nicht mehr auf ihr Bauchgefühl. Sie misstrauen ihrem Instinkt. Mit Hilfe von Expertengesprächen und Spielplatzrecherchen überprüfen sie stattdessen, ob sie fachgerecht publizieren.
Muttererfahrungen
Während Stelzer in der ZEIT immerhin an zwei Stellen ihres Artikels auf ihre eigenen Lebenserfahrungen als Mutter Bezug nimmt, findet sich in dem SPIEGEL-Beitrag von Kullmann keinerlei Referenz auf ihre persönlichen Erfahrungen.
Den einzigen Bezug auf die Mutterschaft der Autorin stellt die SPIEGEL-”Hausmitteilung” her. Diese ist als vertiefender Wegweiser dem Inhaltsverzeichnis des SPIEGEL vorangestellt, hat also einen sehr prominenten Platz im Blatt.
Das Geschrei hört irgendwann von allein auf
Dort wird berichtet, dass “Kullmann, Mutter eines Zweijährigen (…) für manche überforderte Eltern (…) sogar selbst zur Beraterin wurde.”
Dazu wird Kullmann im O-Ton zitiert: “Als mich eine Mutter fragte, ob Fencheltee ihren brüllenden Säugling wirklich beruhige, konnte ich nur sagen: ‘Das Geschrei hört irgendwann von allein auf.’ Das stand in keinem Buch, aber sie war damit hochzufrieden” (S. 3).
Schwarze Pädagogik
Tatsächlich steht so etwas heute in keinem guten Buch mehr.
Aber in Zeiten der schwarzen Pädagogik gehörte es durchaus zum Repertoire der Ratgeberliteratur, dass Kinder sich ausschreien müssen und es daher wichtig ist, dass die Mutter möglichst früh eine emotionale und räumliche Distanz zu ihrem Baby aufbaut.
Was Kullmann als ihr Bauchgefühl empfindet, ist vermutlich das Produkt eines Ratgeberwissens, das durch praktische Umsetzung über Generationen hinweg zur Erfahrung geronnen ist und heute mit gutem Recht als veraltet gilt.
Gedanken machen Bauchschmerzen
Damit bin ich bei einem begrifflichen Grundproblem von Kullmanns Artikel. Ihr Vokabular ist von der polaren Gegenüberstellung zwischen Bauch und Kopf, Gefühl und Gedanke, Erfahrung und Wissen geprägt. Dieser abstrakte Gegensatz ist alles andere als erfahrungsgesättigt.
Wenn wir einmal in uns selbst hineinspüren, stellen wir fest, dass Kopf und Bauch im Regelfall eng miteinander verbunden sind. Bestimmte Gedanken machen mir Bauchschmerzen. Und wenn ich hungrig bin, habe ich andere Gedanken als wenn ich satt bin, wenn mir übel ist, andere als wenn ich mich wohl fühle.
Das Nullgefühl
Das gleiche gilt für das Verhältnis von Gefühl und Gedanke. Kein Gedanke, der nicht auch mit einem Gefühl verbunden wäre.
Selbst die Bedeutung eines so abstrakten Gedankenzeichens wie “0″ oder “1″ löst emotionale Assoziationen in uns aus. Beim Zahlzeichen “0″ assoziere ich zum Beispiel das Gefühl von Mangel, von Leere, von Stillstand, aber auch von Neubeginn.
Freude als Freude und Wut als Wut
Und andersherum ist es so, dass die meisten Gefühle nicht gedankenlos sind.
Denn schon in dem Moment, in dem ich meine Freude als Freude oder meine Wut als Wut identifiziere, bringe ich diffuse Empfindungen auf einen Begriff.
Man könnte sogar sagen, dass ein in aller Tiefe als es selbst empfundenes Gefühl immer auch eine ganzheitliche Beteiligung meines Denkens im Fühlen voraussetzt.
Wissens- statt Erfahrungsgesellschaft
Ähnlich ist es um das Verhältnis von Erfahrung und Wissen bestellt. Erfahrung ohne Wissen ist blind, Wissen ohne Erfahrung leer.
Andreas Rödder, Professor für Neuere Geschichte an der Uni Mainz, hat Kullmann in einem Expertengespräch wissen lassen: “Die Eltern geben nichts mehr auf ihre eigenen Erfahrungen. Gar nichts. Auch ohne Kind – aber besonders mit. Der Wert unserer Erfahrungen sinkt. Wir sind eine Wissens- und keine Erfahrungsgesellschaft mehr” (S. 42).
Probleme mit dem Vokabular
Auch der Geschichtswissenschaftler hat offensichtlich seine Probleme mit dem Vokabular.
Einerseits formuliert er vorsichtig und in Graden: “Der Wert unserer Erfahrungen sinkt.” – Das ist verständlich. Denn wir befinden uns mitten in einem Prozess globaler Transformation, der Kultur, Medien, Politik und Wirtschaft umfasst.
Andererseits neigt auch Rödder zur begrifflichen Polarisierung: “Die Eltern geben nichts mehr auf ihre eigenen Erfahrungen. Gar nichts.” – Das ist fraglos überspitzt. Ein Mensch, der nichts mehr auf seine eigenen Erfahrunge geben würde, wäre vermutlich nicht lebensfähig. Und Wissen, das nicht auf Erfahrungen beruht, ist kein Wissen.
Die Mischung macht’s
Gerade in Phasen historischer Transformation ist es sinnvoll und hilfreich, das Verhältnis von Bauch und Kopf, Gefühl und Gedanke, Erfahrung und Wissen nicht immer nur in der strengen Logik des “Entweder-Oder”, sondern auch einmal im entspannten Vokabular des “Sowohl-Als-Auch” zu formulieren.
Abstrakte Wesensfragen nach dem Muster “Ist das Erfahrung oder Wissen?” lassen sich so in liberalere Fragen nach Graden und Mischungsverhältnissen umformulieren: “Wieviel Erfahrung mischt sich mit wieviel Wissen?
Die Elternschaft meiner Eltern
Wenn ich auf mich selbst als werdenden Vater schaue, stelle ich fest, dass bei mir tatsächlich das Verhältnis von Erfahrung und Wissen ein anderes ist als noch bei meinen Eltern.
Natürlich haben auch meine Eltern schon Erziehungsratgeber gelesen. Aber es gab noch kein Fernsehen und kein Internet. Der Wissensanteil meines sich entwickelnden Vatergefühls ist fraglos höher als er es bei meinem Vater war als ich 1961 geboren wurde.
Kullmanns relatives Recht
In dieser Veränderung der Mischungsverhältnisse liegt das relative Recht von Kullmanns Artikel.
Aber muss diese graduelle Verschiebung tatsächlich dazu führen, dass Eltern – wie Kullmann unterstellt – “aufhören, ihren gesunden Menschenverstand zu benutzen?” (S. 42)
Bescheidwisserei unter Deutschlands Eltern
Schärfer formuliert: Ist es angesichts der aktuellen Transformationsdynamik angemessen, sich über zunehmende “Bescheidwisserei unter Deutschlands Eltern” (S. 42) zu beklagen?
Mehr noch: Ist es angemessen, sich über Lisa Mohr (23) lustig zu machen, die “einen Zahnpflege-, einen Ernährungs- und einen Babykochkurs” (S. 42) besucht, obwohl – wie Kullmann bissig bemerkt – “ihre Tochter weder Zähne im Mund noch jemals Brei gegessen hat”?
Anti-Ratgeber als höchste Autorität
Worauf will die Autorin eigentlich hinaus? Interessanterweise zieht sie ihr Fazit mithilfe desselben “Anti-Ratgebers” (S. 47), der auch schon in Stelzers ZEIT-Artikel als höchste Autorität auftrat.
Remo Largo hat als Arzt und Professor 35 Jahre lang die Abteilung Wachstum und Entwicklung des Zürcher Kinderspitals geleitet. In der begrifflichen Welt von Kullmann steht er deshalb für den Pol der Erfahrung.
Man kann gar nichts machen
Largos Leitsätze lauten: “Nichts kann das Kind in seiner Entwicklung beschleunigen. Und nichts kann das Kind in seiner Entwicklung verbessern” (S. 47). In Kullmanns Reformulierung wird daraus: “Alles wird gut. Man muss gar nichts machen. Man kann gar nichts machen” (S. 47).
Das erscheint mir wie eine Überreaktion auf das von Kullmann zurecht kritisierte “Rattenrennen ums Superkind” (S. 47). Die beste Alternative zur Selbstüberforderung ist nicht notwendig die Resignation. Insgeheim weiß die Autorin und Mutter das auch selbst.
Emotionalität, Stabilität, bedingungslose Zuwendung
Denn obwohl der bereits zitierte Historiker Andreas Rödder meint: “Emotionalität, Stabilität, bedingungslose Zuwendung. Alles überhaupt nicht mehr zeitgemäß” (S. 42f). So gilt laut Kullmann doch: “Väter und Mütter müssen diese Werte verteidigen in einer Gesellschaft, in der sie schnell als gefühlsduselig und verbohrt gelten” (S. 43).
Ich hätte mich gefreut, wenn die Autorin von dieser Einsicht in ihrem Artikel mehr Gebrauch gemacht hätte.
Eine demokratische Balance
Sowohl Kerstin Kullmanns SPIEGEL-Titelstory als auch die ZEIT-Covergeschichte von Tanja Stelzer zeigen, wie schwer es ist eine demokratische Balance zu finden zwischen den professionellen Standards journalistischer Magazinarbeit und dem Erfahrungswissen eigener Elternschaft.
Zukünftige Autorinnen und Autoren können aus beiden Texten sicherlich vieles lernen. Im Guten wie im Schlechten.
Mike Sandbothe

http://www.mediary.org/?p=615

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