Erfinderinnen in der EU signifikant unterrepräsentiert (Allgemein)
Soziale Technik 3/2010
Von Kordula Kugele
Ausbildung als Biologielaborantin und Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit. Studium der Sozialen Verhaltenswissenschaften, Soziologie und Erwachsenenpädagogik. Forschung als akademische Mitarbeiterin an der Hochschule Furtwangen mit den Schwerpunkten Gender- und Innovation, gegenwärtiger Schwerpunkt v. a. in der Hochschullehre. Derzeit Promotion an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt.
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Erfinderinnen in der EU signifikant unterrepräsentiert
Die Analyse zeigt, dass nur jede 12. Person, die als Erfinder/-in bei europäischen Patentanmeldungen aus dem Wirtschaftssektor verzeichnet ist, weiblichen Geschlechts ist (8% Frauen, 92 % Männer). Allerdings variieren die Erfinderinnenanteile zwischen den Ländern deutlich. Bezogen auf das Jahr 2003 findet sich der höchste prozentuale Erfinderinnenanteil mit 18% in Slowenien, gefolgt von Dänemark, Spanien, Ungarn, Polen, Finnland und Frankreich mit Anteilen zwischen 16% und 10%3. Unterdurchschnittliche Erfinderinnenanteile von nur 6% bzw. 5% finden sich in Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Irland und Luxemburg. Der EU-Durchschnitt wird insbesondere durch den geringen Erfinderinnenanteil aus Deutschland verringert, da cirka die Hälfte aller Erfinder/-innen aus dem innovationsstarken Deutschland kommt.
Abbildung 1 veranschaulicht, dass der Anteil der Erfinderinnen in allen Ländern niedriger ist als der entsprechende Anteil der Forscherinnen: Im EU-Durchschnitt stehen 18% Forscherinnen nur 8% Erfinderinnen gegenüber, jedoch zeigen sich zwischen den Ländern ausgeprägte Unterschiede. Auffallend große Input-Output Differenzen finden sich in Schweden, Luxemburg und Irland, besonders geringe Differenzen hingegen in Slowenien, Finnland, den Niederlanden und Dänemark.
Innovationsstarke Länder - weniger Erfinderinnen
Die Anzahl der europäischen Patentanmeldungen pro Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen (nachfolgend ePpME) ist ein wichtiger Indikator für die Innovationsstärke eines Landes. Statistiken weisen eine positive Korrelation zwischen finanziellem F&E Input und ePpME aus (Felix 2006). Abbildung 2 setzt den prozentualen Anteil aller (weiblichen) Erfinderinnen (Wirtschaftssektor, öffentlicher- und Hochschulsektor) mit der Anzahl von europäischen PpME in Beziehung. Im Ergebnis finden wir eine negative Korrelation zwischen diesen beiden Variablen (r = -0.67). Länder mit geringeren Patentaktivitäten, d. h. weniger gut entwickelten Innovationssystemen, weisen demnach höhere prozentuale Erfinderinnenanteile auf, wohingegen sehr innovationsstarke Länder mit den höchsten Patentaktivitäten deutlich niedrigere Erfinderinnenanteile haben. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass Länder mit besser entwickelten nationalen Innovationssystemen zwar mehr Geld in F&E investieren und mehr Patente anmelden, jedoch prozentual weniger Forscherinnen beschäftigen und prozentual weniger Erfinderinnen hervorbringen (vgl. EC 2008).
Bei differenzierter Betrachtung der innovativsten Länder4, den „innovation leaders" (SE, FI, DE, DK) finden sich markante Unterschiede innerhalb der Gruppe (siehe Abb.
2). Deutschland hat mit 261 ePpME den höchsten Wert, diesem stehen 6% Erfinderinnen gegenüber. Finnland weist 240 ePpME auf, kommt jedoch auf einen Anteil von 13% Erfinderinnen und Dänemark mit 158 ePpME auf 15% Erfinderinnen. Schweden weist 217 ePpME auf, liegt allerdings mit nur 9% Erfinderinnen in der Gruppe der nordischen Länder an letzter Stelle. Frankreich, das zur innovationsstarken Gruppe der „innovation followers" (UK, FR, NL, BE, AT, IE) zählt, hat mit 126 Patenten einen Erfinderinnenanteil von 12%, wohingegen die anderen Länder in dieser Gruppe meist deutlich darunter liegen. Markant ist, dass alle Länder, die als weniger entwickelte Innovationssysteme geclustert werden („catching-up & trailing countries", u. a. LT, PT, BG, SI, HU) und kaum Patente generieren, die höchsten Erfinderinnenanteile aufweisen.
Nationale Wohlfahrtspolitiken und Innovationskulturen
Wie können die Unterschiede zwischen den hochinnovativen Ländern erklärt werden? Moderne kapitalistische Länder unterscheiden sich in ihren Sozialpolitiken, d. h., sie bringen unterschiedliche Arrangements zwischen Staat, Unternehmen und Familie hervor (Esping-Andersen 1990). Da von einem Wechselspiel zwischen kulturellem und institutionellem Gefüge einer Nation auszugehen ist (Blättel-Mink 2006), geraten die kulturellen Kontextbedingungen und die entsprechenden Geschlechterarrangements stärker ins Blickfeld. Geschlechtergerechten und frauenfreundlichen sozialpolitischen Arrangements kommt eine Schlüsselfunktion zu, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern, diese wirken in den privaten Sektor und dessen Innovationssysteme hinein. Die Wirtschaft in Deutschland, einem koordinierten, typisch konservativen kapitalistischen System, ist am traditionellen Ein-Ernährer Modell bzw. am „weibliche Teilzeit-Fürsorge/männliche Ernährerfamilie" Modell (Pfau-Effinger 2000) orientiert. Wie in der einschlägigen Literatur bereits umfassend diskutiert, ist es für Frauen in Deutschland im europaweiten Vergleich besonders schwierig, naturwissenschaftlich- technisch zu forschen. Ergebnisse aus der im ESGI Projekt durchgeführten Online-Befragung zeigen, dass in Deutschland in F&E wenig Flexibilität hinsichtlich der Arbeitszeitarrangements existiert, jedoch ein hoher Anteil Überstunden geleistet wird - insbesondere von Männern. Skandinavische Staaten wie Finnland und Dänemark orientieren sich hingegen stark an Gleichstellungsidealen und der Berufstätigkeit beider Partner. Sie bieten umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen zur Kinderbetreuung und weisen eine frauenfreundlichere und geschlechtergerechtere Innovationskultur mit mehr Flexibilität auf, in der z. B. insgesamt weniger Überstunden geleistet werden (vgl. Basnet 2007). Das staatlich wesentlich stärker reglementierte Frankreich ist gekennzeichnet durch eine frauenfreundliche Sozialpolitik, es hat eine lange Tradition zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein effizientes staatliches Angebot zur Kinderbetreuung. Jedoch ist nach Grimm und Bonneuil (2001) hier das Bewusstsein für Geschlechterfragen eher gering ausgeprägt. Neben den hier kurz diskutierten Faktoren wirken noch andere Einflüsse, z. B. das Ausbildungssystem, die Arbeitsmarktpolitik, soziale Beziehungen etc. auf die Innovationskulturen ein, diese können aus Platzgründen hier allerdings nicht diskutiert werden (vgl. Walby 2004).
Diskussion und Ausblick
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sowohl institutionelle als auch kulturelle Faktoren die Beteiligung von Frauen und Männern in F&E und im Erfindungsgeschehen beeinflussen. Ein hoher nationaler Forscherinnenanteil und/oder hohe Forschungsausgaben allein bieten keine ausreichende Gewähr für die adäquate Partizipation von Frauen an Erfindungen und Patentanmeldungen. In einer mathematischen Input-Output Modell-Berechnung, die die EU-Länder umfasst, konnte gezeigt werden, dass bei steigenden Forscherinnenanteilen der nationale Produktivitätsverlust sogar noch ansteigt, wenn statistisch betrachtet die Arbeitsbedingungen für Männer und Frauen auf jetzigem Niveau konstant gehalten und die Innovationskulturen nicht verbessert werden (Busolt, Kugele 2009). Moderne Ökonomien, die durch staatliche Wohlfahrtspolitiken gekennzeichnet sind, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern und die zu geschlechtergerechteren Innovationskulturen beitragen, ermöglichen es Frauen wesentlich besser als traditionelle Systeme, innovativ zu sein und Erfindungen zu tätigen.
http://webarchiv.wikimannia.org/_dokumente/Erfindungsbeteiligung-von-Frauen-in-Europa.pdf
Rainer
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