Wenn der Mensch zur MenschIn wird - oder:

Wieviel »Gleichberechtigung« verträgt das Land?

How much »equality« the country can stand?

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Liste Femanzen Prof. Eva Illouz (Liste Femanzen)

Oberkellner @, Monday, 06.04.2015, 10:05 (vor 3525 Tagen)

F404 Prof. Eva Illouz ISR – geboren am 30.04.1961 in Féz (Morocco) – Studium der Soziologie in Paris und Pennsylvania - seit 2006 ordentliche Professorin für Soziologie an der Universität Jerusalem – Sie beschäftigt sich in ihrem wissenschaftlichen Werk mit den gesellschaftlichen Einflüssen auf die Bildung von Emotionen sowie mit Aspekten der kapitalistischen Konsumgesellschaft und der Medienkultur - evai@idc.ac.il - illouz@mscc.huji.ac.il - http://www.siemens-stiftung.org/uploads/pics/illouz.jpg

Wer ist schuld, wenn die Beziehung scheitert? In ihrem neuen Buch "Warum Liebe weh tut" zeigt Forscherin Eva Illouz, warum Männer emotionale Kapitalisten sind und Frauen sich an Homosexuellen orientieren sollten. Im Interview erklärt sie ihr radikales neues Beziehungsmodell.

SPIEGEL ONLINE: Frau Illouz, in Ihrem neuen Buch "Warum Liebe weh tut" schreiben Sie, man müsse aufhören, die modernen Liebenden mit Rezepten für ein gesundes und schmerzfreies Liebesleben zu traktieren. Sind Sie gegen Selbsthilfeliteratur?
Illouz: Ich wollte tatsächlich eine Alternative zur psychologischen Sprache der Selbstbezichtigung aufzeigen. Unser Denken und Sprechen über die Liebe ist völlig diesem Vokabular unterworfen. Wird man verlassen und ist erschüttert darüber, heißt es, man würde "zu sehr lieben". Will ein Mann keine traditionelle Beziehung, heißt es, er habe "Bindungsangst". Die Psychologie, und ich spreche hier von ihrer vulgären Variante, nimmt an, dass wir als Individuen verantwortlich für unser Schicksal sind - und dass Leiden vermeidbar ist, wenn wir genug an uns arbeiten. Das glaube ich so nicht. Viele Ursachen des Liebesschmerzes sind kollektiv.
SPIEGEL ONLINE: Welche kollektiven Ursachen meinen Sie?
Illouz: Unsere Kultur hat angefangen, es als Zeichen von Abhängigkeit zu sehen, wenn wir uns leidenschaftlich verlieben. Leidenschaft erscheint uns suspekt, uncool, ein bisschen hysterisch. Trotzdem tut die Liebe heute weh - und zwar weil sich die gesellschaftlichen Bedingungen der Partnerwahl verändert haben. Wir sind mit einer ungeheuren Auswahl möglicher Partner konfrontiert, und wir versuchen, so viel sexuelle und emotionale Erfahrung wie möglich anzuhäufen.
SPIEGEL ONLINE: Heißt das, der moderne Liebende ist egoistisch?
Illouz: Der Raum der Liebe ist heute völlig frei von Normen: Jede Form von rücksichtslosem Verhalten ist erlaubt. Liebe, Ehe und Partnerschaft sind nicht mehr von sozialen Verbindlichkeiten geregelt: Wir begreifen sie als Ergebnis des wundersamen Zusammentreffens zweier privater Willen. Nur erweist sich dieser Wille als recht kompliziert.
SPIEGEL ONLINE: Sie sagen, wir könnten uns nicht mehr für jemanden entscheiden. Woher kommt diese Zaghaftigkeit?
Illouz: Sich zu binden, ist immer ein Glaubensakt - man weiß nicht, ob es mit der Liebe funktioniert und muss die Möglichkeit akzeptieren, dass man sich nicht an die bestmögliche Person bindet. Die Existentialisten hatten recht: Man definiert sich durch die Entscheidungen, die man trifft. Nur wird es immer schwerer, sich zu entscheiden. In unserer Welt der unzähligen Wahlmöglichkeiten kommt es zu Ambivalenz und Apathie: Nicht nur der Wille kommt einem abhanden, sondern sogar das Begehren.
SPIEGEL ONLINE: Ein Ziel Ihres Buches, schreiben Sie, sei, das Leiden an der Liebe zu lindern. Wie wollen Sie das tun?
Illouz: Ich möchte, dass Frauen aufhören, sich für das Scheitern einer Beziehung verantwortlich zu fühlen - oder wertlos, weil ein Liebhaber sie verlassen hat. Tatsächlich hat ein großer Teil des romantischen Leidens institutionelle Gründe. In der Moderne erfahren wir Bestätigung größtenteils durch die Liebesbeziehung. Das gilt für Männer ebenso wie für Frauen, nur sind Frauen stärker darauf angewiesen, weil sie meistens noch immer weniger stark im öffentlichen Leben verankert sind. Das Scheitern einer Beziehung fühlt sich für sie oft so an, als werde ihr Selbstwert untergraben. Es gibt eine Asymmetrie zwischen den Geschlechtern - nicht, weil Frauen an sich schwächer wären, sondern aufgrund des sozialen Arrangements. Als Feministin ging es mir darum, die Mechanik dieser emotionalen Asymmetrien aufzuzeigen.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Beschreibung dieser Asymmetrie zielt vor allem auf Frauen ab, die Kinder wollen.

Illouz: Tatsächlich ist die Liebe am kompliziertesten für Frauen, die Familienleben mit Romantik - und das heißt heute: ihrer eigenen Freiheit und Autonomie - kombinieren wollen. Eine Frau, die sich für Familie entscheidet, wird abhängiger vom Wohlwollen eines Mannes. In vormodernen Zeiten war es für Männer selbstverständlich, einen Haushalt zu gründen. Heute ist ein konventionelles häusliches Arrangement für sie weit weniger dringlich. Sie haben in der Kinderfrage mehr Zeit, außerdem hängt ihr sozioökonomischer Status weniger von Heirat und Familie ab. Frauen, die heute eine konventionelle Familie wollen, haben keine Handhabe, ein anderes Arrangement der Geschlechter zu fordern: Beziehungen sind heute weitgehend durch Freiheit und Autonomie definiert.
SPIEGEL ONLINE: Ein Schlüsselbegriff scheint da "erotisches Kapital" zu sein. Was genau bedeutet das?
Illouz: Das erotische Kapital bezeichnet, wie attraktiv wir für andere sind, die Menge unserer sexuellen Erfahrung, die Zahl unser Sexualpartner - und wie wir all das in soziales Kapital konvertieren können. Wir denken über uns selbst in Begriffen der sexuellen Leistung, davon müssen wir wegkommen. Ich habe keine moralische Sicht auf den Sex, aber den Selbstwert an sexuelle Attraktivität oder sexuelle Leistung zu binden, erweitert die Bandbreite unserer Begegnungen nicht. Im Gegenteil: Es engt uns ein.

http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,790592,00.html

Hamburg. Liebe ist kein Kindergeburtstag, das kann man genau so sagen; oder aber vielleicht gerade doch: Liebe ist ein Kindergeburtstag. Am Ende heult immer einer. Liebe ist untrennbar mit Liebeskummer verbunden. Mal schwelgen die Geigen im Himmel, mal sitzt man mit verrotzten Taschentüchern auf dem Sofa und schaut Filme mit Hugh Grant. Dass mit der Liebe und ihrer Verankerung in der Konsumwelt, dass mit der Liebe und der mit ihr befassten Ratgeber- und Therapeutenindustrie viel Geld verdient wird, hat die Soziologin Eva Illouz zuletzt in mehreren Studien bewiesen.
Das neue Buch der Israelin fragt nach den Schmerzenspotenzialen unserer Gefühlswelt, nach dem Beziehungschaos, dem emotionalen Stress und der subjektiven Ausweglosigkeit, denen wir begegnen. "Warum Liebe weh tut" ist ein Buch, das erklärt, warum Liebe viele unglückliche Geschichten schreibt. Es zerlegt das Elend der Liebe in seine Einzelteile: die Probleme der romantischen Wahl, das sexuelle Überangebot, die emotionalen Unterschiede der Geschlechter, die Ratgeber-Industrie.
Dabei operiert Illouz, die in Marokko geboren wurde und in Jerusalem lehrt, in ihrer Argumentation auf der Grundlage eines historischen Vergleichs. Sie untersucht die Liebesverhältnisse, indem sie die Interviews analysiert, die sie größtenteils mit heterosexuellen Mitgliedern der Mittelschicht führte - und die Liebesordnung rekapituliert, wie sie am Ende der frühen Neuzeit, der Vormoderne, herrschte. Es ist immer schon eine gute Methode von Soziologen und Literaturwissenschaftlern gewesen, die großen Gesellschaftsromane auf die überkommenen Liebeskonzepte hin zu lesen: "Anna Karenina" oder "Madame Bovary" etwa.
Illouz liest die Romane Jane Austens (sie stammen aus dem viktorianischen Zeitalter) neu und findet dort die Regeln, die weibliche Zurückhaltung und männliches Werben fordern. Es ging in früheren Zeiten immer um alles, wenn es um die eigene Person ging.
Unsere Vorfahren waren mit ihrer Position untrennbar verbunden. Ihre soziale Funktion gab ihnen vor, was sie tun mussten und was nicht. Bei der Wahrung der (wenigen) Lebensoptionen ging es um die eigene Ehre.
Deswegen gehörten Dinge wie der "Anstandsbesuch" oder das Anhalten um die Hand zur Anbahnung von Liebesgeschichten. Die hatten dann oft genug mehr mit Zwang als mit Freiheit zu tun - man musste standesgemäß heiraten. Heute sind wir grundsätzlich mit einer anstrengenden Wahlfreiheit konfrontiert. In vielerlei Hinsicht.
Illouz ist eine Kritikerin der Moderne, ohne ihre Vorteile zu leugnen oder hinter ihre Errungenschaften zurücktreten zu wollen. Die Veränderungen in der Liebe im Vergleich zu der vormodernen Gesellschaft bezeichnet sie als "große Transformation". Dabei ist die Situation, wie sie sich für uns Heutige darstellt, die einzige, die wir kennen. Ältere erinnern sich noch gut an die Restriktionen, die bis in die 60er-Jahre hinein herrschten. Seit der sexuellen Revolution gelten auf dem Feld der Liebe nur noch wenige Regeln.
Liebeskummer ist, so lässt sich Illouz' breit angelegte Studie bündig zusammenfassen, natürlich eine Folge des Individualismus, der sich besonders in den Affekten Bahn brach: So wie bei Jane Austen wird heute nicht mehr geliebt. Mit dem Siegeszug des Kapitalismus wurde der Familienverband aufgelöst: Das System der Wirtschaft funktioniert nun nicht mehr über die Zugehörigkeit zu einer Sippe. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, der Platz im Leben ist nicht mehr qua Geburt festgelegt - das veränderte auch die Heiratsregeln. Was nach der Transformation entstand, ist nach Illouz der heutige Heirats- und Kontaktmarkt, auf dem theoretisch jeder jeden lieben kann.
Oder, weniger romantisch, jeder mit jedem Liebe machen kann. "Warum Liebe weh tut" berichtet aus der weiblichen Perspektive vom Schlachtfeld der Liebe: Dort kämpfen, bewehrt mit den Waffen des Sexus und dem Arsenal der Gefühle, zur Freizügigkeit erzogene Menschen. Ein gängiger Gegenwartsbefund hantiert mit den Schlagworten "Hedonismus" und "Serielle Monogamie"; Illouz spricht von der "Sexualisierung der romantischen Wahl". Im Grunde ist es, auf einen einfachen Nenner gebracht, die Befreiung der Sexualität im Zusammenspiel mit der Konsumkultur, die uns an der Liebe leiden lässt. Die Soziologin Illouz erklärt die Zusammenhänge leidenschaftslos; als Feministin stellt sie die Emanzipationsbewegungen nie infrage.
Sie mündeten in ein neues Selbstverständnis der Frau. Als marxistisch geschulte Denkerin spielt Illouz den Konsumcharakter der Liebe (der schlägt sich in Erfindungen wie dem Valentinstag und den Produkten der Popkultur nieder) gegen das Verlangen nach Authentizität aus. Die Kommerzialisierung des Sex dämpfe die Gefühlsintensität, sagt Illouz. In einer Überflussgesellschaft (die im Gegensatz stehe zur emotionalen Mangelwirtschaft der Vormoderne) sterbe das Begehren.
Die Folge sind Ernüchterung und Ironie: Jeder schützt sich, so gut es geht, gegen Verletzungen. Dass eine Geisteswissenschaftlerin bemüht ist, ihre Disziplin und deren Konzepte gegen biologische und psychologische Erklärungen in Stellung zu bringen, überrascht nicht. Trotzdem beschleicht einen das Gefühl, dass die Natur doch mehr ihre Finger im Spiel hat, als einem Illouz weismachen will. Anders gesagt läuft ihre Studie auf einen beinah rührenden Appell hinaus - er geht an die Männer.
Die sind die Herren im Ring, eine von ihnen dominierte Gesellschaft belohnt diejenigen mit Statusgewinnen und Macht, die sexuellen Erfolg haben. Bei riesiger Auswahl sorgt das für Bindungsangst und -unlust. Eine These, in der wir die Wirklichkeit wiedererkennen. Die Lösung wäre die sexuelle Zähmung der Männer, die, so Illouz, das "Modell der sexuellen Akkumulation auf den Prüfstand" stellen sollen. Heißt: Unsere Gesellschaft muss wieder ein Modell entwickeln, das auf leidenschaftlicher Liebe beruht und Männern Männlichkeit zuschreibt, gerade weil sie sich auf eine Frau festlegen: "Das romantische Unglück von Männern und Frauen beinhaltet und inszeniert die Rätsel der modernen Freiheit und der modernen Fähigkeit des Wählens."
Wir lieben unglücklich, weil wir frei sind: ein nicht wirklich überraschender, aber dennoch beunruhigender Schluss, er betrifft am Ende Männer und Frauen.
Eva Illouz: "Warum Liebe weh tut". Dt. v. Michael Adrian. Suhrkamp. 467 S., 24,90 Euro

http://www.abendblatt.de/kultur-live/article2097677/Einer-heult-immer-Die-Liebe-ist-ein-seltsames-Spiel.html

Echte Männer opfern sich
Die Soziologin Eva Illouz widmet ihrer Forschung der schwierigen Beziehung zwischen Mann und Frau und spricht im Interview über Weicheier, das Ende der monogamen Liebe und unsere Angst vor dem Herzschmerz.

Israelische Männer sind laut Soziologin Eva Illouz keine Weicheier.
Foto: dpa/dpaweb
Eva Illouz ist begehrt. Gestern Abend hat sie einen Vortrag gehalten, morgen muss sie ein wissenschaftliches Papier einreichen. Und jetzt sitzt sie mit nassen Haaren an diesem Frühstückstisch, irgendwo in einem Hotel in Potsdam, und beantwortet mit leiser, rauchiger Stimme Fragen über die Liebe. Die ist das Lebensthema der 50-jährigen Soziologin, ihre Bücher tragen Titel wie „Warum Liebe weh tut“ und „Konsum der Romantik“. Darin erklärt sie, weshalb Liebe in der modernen Welt so ist, wie sie ist, nämlich kompliziert. Weil sie das ziemlich gut kann, ist die Professorin der Hebrew University in Jerusalem mittlerweile ein internationaler Star ihres Faches, der von Konferenz zu Konferenz reist. Und so beginnt das Interview zwar am Frühstückstisch, endet aber nach einer langen Taxifahrt am Business Schalter von Austrian Airlines.
Frau Illouz, wissen Sie, was ein Weichei ist?
Ein Weichei? Nein. Was ist das?
Ein Weichei ist ein unmännlicher Mann, ein Softie. Über dieses Phänomen beschweren sich derzeit einige deutsche Frauen. Denn statt mit ihnen zu schlafen, will dieser Mann lieber reden und dabei einen Kinderwagen herumschieben. Sind Ihnen solche Männer im Verlaufe Ihrer soziologischen Studien nie begegnet?
Eigentlich nicht.
Eine Behauptung, die man kaum glauben mag.
Sie haben recht: Ich habe ein paar dieser Exemplare getroffen. Aber ich muss gestehen, dass meine Wahrnehmung möglicherweise verzerrt ist, weil ich in Israel lebe.
Sind israelische Männer denn echte Männer?
Oh ja. Sehr echte Männer sogar. In Israel herrscht ein hypermaskulines Konzept von Männlichkeit.
Hypermaskuline Männlichkeit?
Ein Mann zu sein, heißt für sie, nicht viele Worte zu machen. Solche Männer reden nicht. Auch nicht über Probleme. Probleme verlangen nach Lösungen, nicht nach Diskussionen. Zudem sind echte Männer nicht auf andere Menschen angewiesen. Wer andere um Hilfe bittet, ist schwach. Stattdessen macht man die Dinge mit sich selbst aus. Überhaupt: Der private Bereich ist sehr groß. Es gibt viele Themen, über die man nicht spricht. Mit niemandem. Außer vielleicht mal mit der Ehefrau. Aber die eigenen Emotionen mitzuteilen, das macht ein solcher Mann nicht. Das würde ja mit dem Selbstbild des autarken Mannes kollidieren.
Was ist der Grund dafür, dass in einem Land wie Israel der Typ des hypermaskulinen Mannes so häufig vorkommt, aber nicht jener des Softie?
Weil die israelische Gesellschaft die einzige Gesellschaft in der Moderne ist, die sich in Richtung Vergangenheit entwickelt hat. Ihre Grundlagen sind die Armee und die Skepsis allem Intellektuellen gegenüber. Menschen, die das Land urbar machen – das ist das Ideal. Während sich die kulturellen und politischen Zentren der europäischen Gesellschaften von den Feldern in die Städte verlagerten, erschufen die Juden, einige davon hochurbanisierte Stadtmenschen, einen Staat, der auf antimodernen Prinzipien beruhte. Nämlich auf der Landwirtschaft und auf einer starken Armee.
Also ist die Moderne schuld daran, dass der deutsche Mann so weich und weiblich geworden ist.
Na ja. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Diese Entwicklung ist eine Reaktion der Männer auf einen Feminismus, der die kulturell gewachsenen Widersprüche in den sexuellen Beziehungen zwischen den Geschlechtern ignorierte.
Was heißt das konkret?
Feministinnen wollten Gleichheit und großartigen Sex. Sexualität sollte gerechter und angenehmer für die Frauen werden, sich stärker an den weiblichen Bedürfnissen orientieren. Diese Ziele wollten sie in etwa mit der Sorte von Mann erreichen, die sie kannten. Also mit dem maskulinen Mann. Was sie dabei vergaßen: Mit der Änderung der Sexualität wurden auch die Grundlagen für Männlichkeit und Weiblichkeit geändert.
Weil der Sex nicht mehr nach den alten Regeln funktionierte, gerieten die gesamten Geschlechter-Identitäten ins Rutschen?
Ja. Die alte Ordnung basierte auf sehr klar definierten Unterscheidungen, was einen Mann und was eine Frau ausmacht. Dieses System hatte zwar Mängel, aber auch viele attraktive Seiten. Heute sind diese Unterschiede verschwunden. Und nun merken viele Frauen nicht nur, dass sie die alten Spielregeln verinnerlicht haben, sondern auch, dass es für das neue Miteinander noch keine Regeln gibt. Niemand weiß mehr, wie Mann und Frau sich verhalten müssen, damit eine Beziehung glücklich, lustvoll, manchmal sogar ekstatisch wird. Bei den Beziehungen nach dem alten Muster war das klar. Die waren von Macht bestimmt.
Wie muss man sich diesen Zusammenhang von Macht und Lust vorstellen?
Nehmen Sie zum Beispiel Galanterie, also wenn der Mann ein Gentleman war. Er öffnete die Tür, half ihr in den Mantel. Nur jemand, der Macht hat, kann solche Gesten der Ehrerbietung zeigen – gegenüber Schwächeren. Denn auch wenn Macht durch ein solches Verhalten betont wird, wird sie auf diese Weise doch auch versteckt und angenehm gestaltet. Und da diese Verhaltensweisen, diese Macht-Spiele eingeübt waren, wussten Männer und Frauen genau, was Freude bereitet. Heute hingegen ist nicht mehr klar, wie die Macht verteilt ist. Stattdessen gibt es eine Menge Unsicherheit, was zu Beklemmung führt und somit zu einem Mangel an Genuss. Wir sind lustfeindlich geworden, weil wir nicht mehr wissen, was uns Freude macht.
Sollen sich die Männer also auf das alte Selbstbild des harten Kerls besinnen, damit Beziehungen wieder lustvoller werden?
Nein. Schon alleine, weil ein neues Beziehungsmodell nicht die Aufgabe eines Geschlechts allein sein kann. Sogar das alte Modell setzte auf die Frauen. Zwar nicht auf ihre Mitbestimmung, aber auf ihre Mitarbeit. Die neuen Regeln, nach denen Beziehungen funktionieren, werden sich im Laufe der Zeit herausschälen. Aber derzeit haben wir das Problem, dass beide Geschlechter versuchen, möglichst autonom zu sein, sich gegen Schmerzen zu panzern, gegen eventuelle Verletzungen, die mit Beziehungen einhergehen. Wir sind alle mehr damit beschäftigt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Liebeskummer nicht mehr wehtut, als gemeinsam neue Regeln für die Lust und Freude zu finden.
Aber zur Liebe gehört doch immer auch Schmerz?
Nicht mehr. Im Gegenteil.
Warum?
Weil die Psychologie den Schmerz aus unserer Sprache, unserer Wahrnehmung getilgt hat. Denn das, was dem Menschen Schmerzen bereitet, ist für den Psychologen in erster Linie der Grund, warum dieser Mensch zur Therapie in seine Praxis kommt. Der Bedingungen zwischen Patient und dem Psychologen sind klar: Der Schmerz soll wegtherapiert werden. Wenn das misslingt und es immer noch wehtut, dann wird der Psychologe vielleicht sagen: „Es ist besser, wenn es noch wehtut, denn du musst lernen, zu verstehen, warum es schmerzt.“ Aber eigentlich ist das nicht der Zweck. Denn schließlich hat die Psychologie die Psyche neu definiert und zwar so, dass ganz klar ist, welche Emotionen ein Leben bestimmen sollten.
Welche sind das?
Im Zentrum sollten persönliches Wohlergehen und ein gesundes Selbstwertgefühl stehen. Dazu noch ein maßvolles Glücksgefühl und das Gefühl, den eigenen Alltag bewältigen zu können.
Hört sich nach einer ausgeglichenen Person an. Ist es denn nicht menschlich, dass wir Schmerz vermeiden wollen? Selbst wenn es Herzschmerz ist? Abgesehen davon, dass sich da nicht viel vermeiden lässt, ist das Paradoxe doch, dass das 19. Jahrhundert sehr viele Helden kannte, die große Schmerzen leiden mussten. Gerade in Deutschland! Da war das zu jener Zeit ein großes, großes Heldenhobby. Doch all diese Helden wuchsen an ihren Schmerzen.
Wie das?
Wenn der Held unter dem Schmerz leidet, bedeutet das, dass er sensibel ist, was wiederum bedeutet, dass er ein großartiger Mensch ist, woraus folgt, dass er ein echter Mann ist. Und nur echte Männer sind in der Lage, sich heldenhaft für etwas zu opfern. Schmerz wird als großes, bedeutendes Gefühl wahrgenommen, nicht als eines, das den Wert eines Menschen mindert. Wenn Schmerz aber als Zeichen für eine unreife Psyche gesehen wird, also als Merkmal eines Menschen, der noch nicht genug an der eigenen geistigen Entwicklung gearbeitet hat, dann ist Schmerz sinnlos. Dann gehört der Betroffene zu den Menschen, die schwach sind, abhängig, nicht in der Lage, sich zusammenzunehmen.
LIEBESFORSCHUNG
Echte Männer opfern sich
Sie klingen skeptisch, was die moderne Sichtweise auf Schmerz angeht. Dabei könnte man doch auch der Ansicht sein, dass es besser ist, wenn die Liebe von zwei Menschen mit einem respektvollen Gespräch zu Ende geht, anstatt mit Schmerzen und Drama.
Da möchte ich gar nicht widersprechen! Worum es mir geht, ist auf den starken kulturellen Trend hinzuweisen, der es viel schwerer macht als früher, echte Beziehungen einzugehen oder zwischenmenschliche Bindungen aufzubauen. Ich versuche zu erklären, warum so viele Menschen autonom sein wollen, warum sie Angst haben, verletzt zu werden. Aber ich will kein Leiden propagieren. Und erst recht nicht eine bestimmte Art von Leiden. Sollten diese Menschen mittels irgendwelcher Therapien lernen, mit ihren Verletzungen umzugehen, dann ist das natürlich großartig.
Wie sollten Mann und Frau denn in Zukunft ihre Partnerschaft organisieren?
Da bin ich mir noch etwas unschlüssig. Auf jeden Fall kann die traditionelle Familie nicht die einzige Form eines sinnstiftenden Zusammenlebens bleiben. Eine Alternative könnten kleine Gemeinwesen aus Männern und Frauen sein, die als sehr gute Freunde in gemeinschaftlicher Verantwortung ihre Kinder aufziehen. Zum Beispiel vier sehr gute Freunde, die in derselben Nachbarschaft leben. Jeder hat ein bis zwei Kinder, und für die teilen sich die Erwachsenen dann Pflichten wie Essen kochen oder zur Schule fahren. Jeden Tag ist jemand anderes dran.
Ziemlich radikaler Vorschlag ...
… der auch nur unter zwei Bedingungen funktioniert. Erstens müssen alle Beteiligten absolut zuverlässig sein. Zweitens muss zwischen ihnen ein Höchstmaß an Vertrauen herrschen. Nur so gibt es einen Rahmen, der die Gruppe zu einer Art verpflichtenden Familie macht. Was nicht funktioniert, ist, dass die Leute bei so einem Projekt nur einige Zeit mitmachen und dann abhauen nach dem Motto: „Sorry, aber ich habe jetzt einen besseren Job in Hamburg.“
Trotzdem glauben Sie doch nicht ernsthaft, dass solche Gruppen die traditionelle Familie ersetzen könnten!
Der Begriff der Familie wird in Zukunft breiter angewandt werden. Wir werden neue Formen von Familie erleben. Es sind sich doch alle einig, dass Familie und romantische Liebe ziemlich unvereinbar sind. Eltern sind heute sehr damit beschäftigt, sich um die Kinder zu kümmern. Familie ist Arbeit und zwar eine ziemlich anstrengende Arbeit. Fast alle Paare versuchen, diese Arbeit alleine zu bewältigen – und stehen dadurch unter enormem Druck. Wenn man diese Arbeit und damit diesen Druck aber zwischen mehreren eng befreundeten Paaren verteilen würde, dann würden sich daraus neue Möglichkeiten ergeben. Dasselbe gilt übrigens für unser Konzept von Liebe.
Sie meinen: für Liebe als monogame Partnerschaft?
Ja. Wir bewegen uns weg von monogamer Liebe und hin zu Partnerschaften mit mehreren Personen, die in beiderseitigem Einverständnis und entlang gewisser moralischer Prinzipien organisiert werden. Auch wenn nicht feststeht, wie wichtig diese Entwicklung letztlich sein wird, ist klar, dass sie in Zukunft eine Rolle spielt. Insgesamt finde ich es erfreulich, dass die Menschen ihr Leben heute viel freier organisieren können.
Das ist vielleicht für die Erwachsenen schön. Aber nicht für die Kinder, die sich an immer neue Bezugspersonen gewöhnen müssen.
Deshalb muss eines klar sein: Diese Formen dürfen nicht nur dazu dienen, neue Spielarten sexueller Beziehungen auszuprobieren. Die Bedürfnisse von Kindern müssen immer beachtet werden. Gesellschaften brauchen Kinder. Und die müssen unter zuverlässigen und vertrauenswürdigen Bedingungen aufgezogen werden. Dies sind die gesellschaftlichen Diskussionen, die ich anstoßen möchte. Ich will, dass sich feministische Männer und Frauen viel ernsthafter darüber austauschen, wie Begehren und Leidenschaft erhalten werden können. Und nicht nur darüber, sondern auch über die Frage, wie diese Freiheit, von der immer alle reden, mit monogamer Leidenschaft zu vereinen ist. Wie kann man diese Leidenschaft erhalten und erneuern?
Gibt es denn Gruppen, die ihre Vision von dieser neuen Partnerschaft schon leben?
Einige meiner lesbischen und schwulen Freunde in Israel haben Kinder, teilen die Aufgaben zwischen drei, vier Paaren auf und sind bei der Kindererziehung sehr verantwortungsbewusst. Diese Familien scheinen mir näher an der Verwirklichung dieser Lebensformen zu sein als viele andere.
Sie sind verheiratet und haben drei Söhne. Erstaunlicherweise scheint bei Ihnen das traditionelle Modell funktioniert zu haben.
Ach, wirklich? Woher wissen Sie denn das so genau?
Ich vermute es. Wollen Sie mir verraten, ob meine Vermutung korrekt ist?
Nein. Das ist mir zu persönlich.
Schade.
Okay. Ich weiß zwar nicht, ob ich das jetzt erzählen sollte, aber ich mache es. Vor einiger Zeit lieh ich mir eine enorme Summe an Geld von der Bank. Und wissen Sie, was ich damit finanzierte?
Ein Haus?
Eine Haushälterin. Diese Frau putzt jetzt das Haus und kocht die Mahlzeiten. So habe ich das gemacht. Ich verdanke meine Zurechnungsfähigkeit also meiner Haushälterin und dem Kredit, der mir

http://www.fr-online.de/panorama/liebesforschung-echte-maenner-opfern-sich-,1472782,11642892.html

"Wir lieben nach den Regeln des Marktes"
Eva Illouz sieht die Liebe gefangen im Spiel von Angebot und Nachfrage. Begehren wird immer nur ausgelöst von dem, der sich rar macht, beklagt die Soziologin im Gespräch.
ZEIT ONLINE: Frau Illouz, angenommen Sie könnten in Liebesdingen eine Sache ändern – was wäre das?
Eva Illouz: Ich würde die Natur des Begehrens ändern. Denn mit der Liebe verhält es sich wie mit dem Markt: Frauen und Männer begehren immer das am meisten, was knapp ist, was sich ihnen entzieht.
ZEIT ONLINE: Die Liebe folgt also jenem Mechanismus, den die Ökonomie für ein Naturgesetz hält?
Illouz: Vielleicht hat dieses Denken einen natürlichen Ursprung, aber unsere Kultur hat es erheblich befördert. Die westliche Literatur denkt Begehren immer nur vom Hindernis aus. Begehrt wird das Objekt, das eifersüchtig macht, das sich verweigert, das erobert werden muss. Und es sind immer die Männer, die begehren und die Frauen, die alles dafür tun müssen, begehrenswert zu erscheinen.
ZEIT ONLINE: Wie würde eine Alternative zu diesem Denken aussehen?
Illouz: Mein Lieblingsbuch über die Liebe ist Der Sklave des jüdischen Nobelpreisträgers Isaac B. Singer. Es erzählt die Geschichte von dem Juden Jacob und der polnischen Christin Wanda. Hier ist es Wanda, also die Frau, die den Mann sehr begehrt. Über zwei Jahre kämpft sie um ihn. Und es ist ihr ungebrochenes Verlangen, das er letztlich als Beweis ihrer tiefen Zuneigung interpretiert.
Eva Illouz
Eva Illouz, geboren 1961 in Marokko, ist Professorin für Soziologie an der Hebrew University in Jerusalem. Von ihr erschienen u.a. bei Suhrkamp die Errettung der Modernen Seeleund die Studie: Warum Liebe weh tut.
ZEIT ONLINE: Kaum eine moderne Frau würde einem Mann hinterherlaufen. Sie hielte es wohl für aussichtslos.
Illouz: Wanda hält ihrer Liebe nicht zurück, macht sie nicht zur knappen und damit begehrenswerten Ressource. Die Idee, um die Liebe der Frau unbedingt kämpfen zu wollen, ist eine sehr männliche – vielleicht, damit der Mann seine Leistungsfähigkeit demonstrieren kann. Zahlreiche Ratgeber wollen den Frauen ja sogar beibringen, eine Strategie aus der Verknappung zu machen: 'Mach’ es ihm schwer, mach’ dich rar!' Dadurch wird das Begehren zu einer rein technischen Angelegenheit.
ZEIT ONLINE: Zugleich haben es aber Frauen heute leichter, sich ihres Wertes zu versichern, sie sind weniger abhängig vom Einkommen ihres Mannes.

Illouz: Liebe hat nach meinem Verständnis nichts mit einem Ehemann oder einer Familie zu tun! Frauen sind heute Teil des korporativen Kapitalismus. Sie arbeiten als Werbefachfrauen, als PR-Berater, Finanzanalysten, Anwälte in Großkonzernen . Alle befinden sich in einem permanenten Wettstreit, werden ständig bewertet und oft genug für ungenügend befunden.
ZEIT ONLINE: Denn das Unternehmen muss jedes Jahr wachsen, also müssen die Mitarbeiter immer das Gefühl haben, das Soll noch nicht erreicht zu haben...
Illouz: ... und daher kämpft die Frau ständig dagegen an, unterminiert zu werden. Sie wird ignoriert, ihr Talent unterschätzt. Andere sind schneller, schöner, sexier als sie. Ich wollte zu keiner anderen Zeit leben, aber der Kapitalismus belastet uns und versetzt uns in eine extrem durchorganisierte, berechnende Welt. Frauen wollen wieder etwas erleben, was unorganisiert, unkalkulierbar scheint. Vor allem beim Sex, in der romantischen Liebe und im Leben mit Kindern hoffen wir, etwas davon zu finden. Die Sicherheit und Zuwendung, die einem nur ein vertrauter Mensch geben kann.
ZEIT ONLINE: Sie schreiben, dass es heute für einen Menschen so wichtig ist wie nie zuvor, von jemandem begehrt und geliebt zu werden.
Illouz: Ja, und das hat noch einen zweiten Grund. Das Selbstwertgefühl ist heute die zentrale Kategorie, in der wir über uns selbst nachdenken – man könnte fast schon von einer Obsession sprechen. Die romantische Liebe ist ein besonders guter Selbstwert-Lieferant. Jeder kennt das Gefühl: Wer geliebt wird, fühlt sich größer, stärker, lebendiger.
ZEIT ONLINE: Aber das war doch früher nicht anders?
Illouz: Früher war gesellschaftlich klar definiert, wer wir sind und wo wir stehen. Ein Bürger konnte sich nicht kleiden wie ein Adeliger – selbst wenn er es sich hätte leisten können. Heute entscheiden Macht und Reichtum zwar immer noch über unsere gesellschaftliche Stellung. Aber wir sind ständig darum bemüht, zu erfahren, wer wir eigentlich sind und wohin wir gehören. Die romantische Liebe scheint am besten geeignet, diese Unsicherheiten zu besänftigen.
ZEIT ONLINE: Sind Menschen, die dank ihres finanziellen oder sozialen Kapitals mehr gesellschaftliche Anerkennung genießen, demnach auch weniger abhängig von der Liebe?
Illouz: Wer mehr Macht hat, hat mehr Wahlmöglichkeiten, ist weniger abhängig von einer einzelnen Person, das stimmt. Ich habe mal gesagt: Wenn Männer diejenigen wären, die den Frauen Kaffee bringen, sich als Sekretärinnen Briefe diktieren ließen und ihre Kinder aufzögen, wären es vermutlich die Männer, die den Frauen hinterherliefen. Wer Macht hat, kann wählen. Aber er kommt deshalb noch lange nicht ohne Liebe aus. Tatsächlich ist es so: Je höher der soziale Status, umso offener ist jemand für neue Formen von Erfahrungen, ist weniger materialistisch. Die größte Ungerechtigkeit besteht darin, dass die ein besonders kultiviertes Gefühlsleben führen können, die am wenigsten um ihren Status und ihren Lebensunterhalt kämpfen müssen.
ZEIT ONLINE: Das bedeutet: Männer sind grundsätzlich im Vorteil?
Illouz: Die Machtverhältnisse sind heute stark zu Lasten der Frauen verschoben: Männer brauchen – und das ist ein entscheidender Unterschied zur vormodernen Zeit – keine Familie mehr, um zu gesellschaftlichem Ansehen zu gelangen. Früher galt nicht der ewige Junggeselle, sondern nur der Pater Familias als echter Mann. Heute sehnen sich Frauen nach Familie und festen Bindungen, während Männer ihre Potenz beweisen, indem sie möglichst viele Frauen haben können.
ZEIT ONLINE: Ist das nicht ein Klischee?
Illouz: Man sollte Männer nicht verteufeln. Es gibt kein Gen, das Männer irgendwie liebesunfähig macht und sie dazu veranlasst, wechselnde Beziehungen einzugehen. Die moderne Gesellschaft macht die Begegnungen zwischen Männern und Frauen so kompliziert. Das beschreibe ich in meinem Buch .
ZEIT ONLINE: Sollte dann nicht die Gesellschaft dafür sorgen, dass wir alle gleichermaßen gesichert leben? Dann wären wir weniger abhängig von der Liebe.
Illouz: Sie wollen das Liebesbedürfnis abschaffen? Nein, ich wünschte, wir würden unsere Verletzlichkeit nicht mehr hinter der Fiktion von Autonomie verbergen und unsere Bedürftigkeit anerkennen. Oder noch mehr: Dass wir unsere Autonomie erst erreichten, in dem wir uns liebten, voneinander abhingen, uns kümmerten, uns einander zuwandten – und nicht anders herum

http://www.zeit.de/lebensart/partnerschaft/2011-12/interview-eva-illouz-liebe/seite-1

Erotische Ausstrahlung bestimmt heute das Liebesglück. Die Überversorgung von sexuell und emotional verfügbaren Frauen führt zu bindungsunwilligen Männern. Eva Illoux weiß daher, warum die Liebe in den Zeiten der Wahlfreiheit so schmerzhaft ist. Die Israelin hat ein kluges Buch dazu geschrieben.

Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen wird heute durch die Asymmetrie der Geschlechterbeziehungen bestimmt: die Frauen wollten immer mehr, als Männer zu geben bereit sind. Quelle: Nadja Iven für Wirtschaftswoche Online
Sie habe, schreibt Eva Illouz, ihr neues Buch "Warum Liebe weh tut" vor allem aus weiblicher Perspektive geschrieben. Gerade deshalb beschert es Männern ein verblüffendes Wiedererkennen. Zumal den Gutverdienenden aus der gehobenen Mittelschicht, die in eingestreuten Interviews zu Wort kommen. Wie etwa der 36-jährige Angestellte eines Hochtechnologieunternehmens, der auf zahlreiche, eher flüchtige Beziehungen zurückblickt und zur Anbahnung von Intimbeziehungen gern das Internet nutzt.
Auf die Frage der Interviewerin, was ihn im "Profil" einer Frau abschrecke, sagt er: "Wenn jemand schreibt, dass er eine ernsthafte Beziehung sucht." Eine Frau, die etwas "Ernsthaftes" suche, habe man im Grunde in der Tasche – "und das ist nicht so interessant".
Oder der 55-jährige geschiedene Mann mit Kind, der Freundinnen immer nur "bis auf weiteres" hat, "zeitweise, in engen Grenzen, zweimal die Woche und ein bisschen am Telefon und das war’s". Seine Liebesbeziehungen, sagt er, seien "nie symmetrisch" gewesen, die Frauen "wollten immer mehr, (…) mehr Verabredungen mit mir, mehr Kontakt, mehr Gespräche; ich höre sie die ganze Zeit sagen, dass sie nicht mit einem schlafen, um mit einem zu schlafen, sie tun es aus Liebe und alldem". Kurz: Sie wollten immer mehr, als er zu geben bereit war.
Genau diese Asymmetrie der Geschlechterbeziehungen bildet den Angelpunkt von Eva Illouz‘ Argumentation. Dass Männer auf Distanz gehen, wenn Frauen "zu sehr lieben", dass sie sich auf dem Markt der sexuellen Möglichkeiten lieber häppchenweise bedienen anstatt langfristige Bindungen einzugehen, ist, anders als die Ratgeberliteratur weiß, nicht Ausdruck eines narzisstischen Defekts, sondern, wie die Soziologin Illouz sagt, ein Anzeichen dafür, dass sich die Machtverhältnisse zwischen den Sexualakteuren gewandelt haben.
Obwohl Männer wie Frauen heute mehr sexuelle Freiheiten genießen denn je, sind diese Freiheiten unter den Geschlechtern höchst ungleich verteilt, genießen die einen das Überangebot an Sensationen, während die anderen sich ungeliebt und verlassen fühlen. Die größere sexuelle und emotionale Wahlfreiheit der Männer, so die These der Autorin, führt zu neuen Formen der emotionalen Herrschaft: Männer bestimmen die Spielregeln der Liebe.


Was das konkret heißt, zeigt im Kontrast der Rückblick auf die Welt des frühen 19. Jahrhunderts, als das Balzverhalten von Männern wie Frauen einer streng abgezirkelten Choreografie folgte. Anhand von Jane Austens Romanen beschreibt Eva Illouz, wie das Modell einer durch Herkunft und "offizielle wie inoffizielle Regeln" zusammengehaltene Liebesordnung funktionierte. Das ist deshalb so interessant, weil sich bei Austen standesgemäße Ehe und freie Wahl verschränken. Eingespielte Rituale weisen den Gefühlen den Weg, gemeinsame Interessen geben ihnen Halt und Richtung.
Das gilt vor allem für das männliche Liebeswerben. Heiratswillige Männer machen der Dame ihres Herzens - auf deren Einladung! - einen Anstandsbesuch und halten, nachdem sie etliche Beweise der Ernsthaftigkeit ihres Werbens vorgebracht haben, beim Vater um die Hand der Tochter an.
Dieses Regularium wurde nicht zuletzt deshalb so ernst genommen, weil die Suche nach dem passenden Partner, die, so Illouz, "schwerwiegendste ökonomische Operation im Leben vieler Menschen betraf, insbesondere weil das Eigentum einer Frau bei der Hochzeit auf ihren Mann überging". Anders gesagt: Es ging bei der Heirat nicht in erster Linie um die Befriedigung emotionaler Ansprüche, schon gar nicht darum, den perfekten Partner zu finden, sondern um gegenseitige Interessen, die für emotionaler Verbindlichkeit sorgten, vor allem: für das Einhalten von Versprechen - der Mann von Charakter stand zu seinem Wort, die Auflösung einer Verlobung galt als unehrenhaft.
Dieses Verhaltens-Setting änderte sich grundlegend mit der Herausbildung moderner, deregulierter Beziehungsmärkte. Natürlich spielen bei der Auswahl von Heiratspartnern Status und Vermögen noch immer eine herausragende Rolle: Geld will zu Geld oder wenigstens zu Bildung. Doch seit dem Siegeszug der romantischen Liebe begründen nicht in erster Linie Interessen das Liebesglück, sondern frei schwebende, von ihrer sozialen Basis tendenziell emanzipierte Gefühle. "Emotionale Intimität" und "erotische Ausstrahlung" werden nun, wie Illouz zeigt, zu den entscheidenden Kriterien der romantischen Wahl.
Physische Attraktivität und Sex Appeal avancieren zu Leitwährungen des Geschmacks, der seinerseits von den Massenmedien in Regie genommen wird. Vor allem die Konsum- und Beauty-Industrie ist seither mit der Ästhetisierung und Sexualisierung des Körpers beschäftigt – und untergräbt damit die traditionellen Bindungsmuster. So ist die Ehe, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Verpflichtung auf Lebenszeit galt, mittlerweile längst nur noch eine Option unter vielen.


Knappheit stimuliert die Nachfrage
Dieser Niedergang ehelicher Verbindlichkeit hängt, wie Illouz einräumt, mit der Zunahme individueller Freiheit zusammen. Doch Umfragen belegen, dass es sich bei der viel beklagten Bindungsangst um eine typisch männliche Domäne handelt. Mit dem Zerfall des Patriarchats entziehen sich die Männer zunehmend der vormals selbstverständlichen Pflicht, eine Familie zu gründen.
In einer Gesellschaft, in der vor allem Autonomie und wirtschaftlicher Erfolg zählen, verlegen sie sich auf sporadische, distanzierte Beziehungen oder verweigern sich im Extremfall völlig der Sexualität. Frauen hingegen streben, auch wenn sie zunehmend auf die physische Attraktivität von Männern achten, nach wie vor feste, exklusive Beziehungen an, nicht zuletzt wenn sie sich Kinder wünschen.
Eva Illouz findet für diese auffällige Diskrepanz eine verblüffend einfache Erklärung: Da Frauen bestrebt sind, sich bei der Partnerwahl zu verbessern und deshalb in aller Regel einen Mann mit vergleichbarem oder höherem Bildungsstatus wählen, Männer dagegen auch "nach unten" heiraten und sich für jüngere Frauen interessieren, entsteht für Frauen ein "Engpass" an gebildeten Partnern; für Männer öffnet sich stattdessen ein weites Feld von Möglichkeiten. Dass Großmütter einst ihren Enkeltöchtern den Ratschlag mit auf den Weg gaben "Kind, mach Dich rar", hatte deshalb durchaus seinen guten Sinn.
Knappheit weckt Begehren, auch auf Beziehungsmärkten. Männliche Bindungsscheu, so Illouz, sei eine Folge des Überangebots an potentiellen Partnern, die Bindungsbereitschaft signalisieren. Unter diesen Bedingungen werde es für Männer immer schwieriger, dem Objekt ihrer Begierde einen Wert beizumessen ¬- deshalb ihre Distanziertheit: "Die Vermeidungsstrategie all dieser Männer sind kein Zeichen pathologischer Psychen, sondern ein strategischer Versuch, in einem Markt, in dem sie aufgrund einer Überversorgung mit der sexuellen und emotionalen Verfügbarkeit von Frauen (… ) keinen Wert zu weisen können, Knappheit zu erzeugen – und somit Wert." Anders gesagt: Männer können es sich aussuchen – und wissen doch paradoxerweise immer weniger, was sie genau wollen.
Verschärft wird diese Entwicklung paradoxerweise durch das Internet. Indem es das Überangebot an Wahlmöglichkeiten noch einmal erhöht, erschwert es zugleich die Festlegung auf ein Liebesobjekt. Der User wird wählerischer. Weil immer noch etwas Besseres kommen kann, ist er bestrebt, seine Wünsche genauer zu erforschen, seine Vorlieben zu präzisieren, seine Wahlmöglichkeiten zu optimieren. Mit anderen Worten: Die romantische Liebe wird durch die elektronischen Möglichkeiten immer mehr rationalisiert.
Eva Illoux beschreibt diesen Prozess als Teil der Entzauberung durch die wissenschaftliche Moderne: Aus dem Mysterium der Liebe sei unter der Herrschaft von Psychologie und Biologie eine Verhaltenslehre geworden, die darauf abzielt, den Seelenhaushalt des Menschen auszubalancieren im Sinne eines "Maximums an Autonomie". Das Internet verstärkt diesen Trend, indem es die Kriterien für die Partnerwahl verfeinert: Bei der Anbahnung von Liebesabenteuern ebenso wie bei der Suche nach einem Lebenspartner werden soziale, bildungsmäßige, physische und sexuelle Aspekte möglichst genau aufeinander abgestimmt. "Wie bei einem Büffet", sagt Illouz, "lädt das Internet zu einer Form von Wahl ein, die aus der ökonomischen Sphäre abgeleitet ist." Die virtuelle Begegnung lädt zur Nutzenmaximierung ein, um sich für das – vorläufig - "beste Angebot" zu entscheiden
Das Internet verspricht Wunder auf dem Liebesmarkt
Was Wunder, dass die Liebe, wie Illouz bemerkt, ihr "kulturelles Pathos" verloren hat, zum "Gegenstand ironischer Randbemerkungen" geworden ist oder in die Refugien des Imaginären auswanderte. Im letzten Kapitel, einem Höhepunkt ihres Buchs, zeigt die Autorin, wie die moderne Konsumkultur die romantischen Romanphantasien des 19. Jahrhunderts beerbt und die Menschen dazu einlädt, sich geradezu hemmungslos ihren Tagträumen hinzugeben. Wie in keiner Epoche zuvor werden die Vorstellungen von Liebe, Familie und Sex in der Moderne überformt von fiktionalen Gefühlen und visuellen Klischees, von Geschichten, Bildern und Waren. Zu zeitgenössischen Lebensläufen gehört daher essentiell das Gefälle zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen gelebtem und nicht gelebtem Leben.
Das gilt erst recht für die moderne Liebe, die unter der Last gesteigerter Erwartungen zu einer Quelle des Leids wird: Sie operiert "stets am Rande der Enttäuschung", weil die Liebenden "ihre eigenen Enttäuschungen und die der anderen vorwegnehmen". Die Ahnung, dass es beim nächsten Mal wieder schief geht, legt sich wie Mehltau über die Beziehungen. "Es sei so schwierig, gute Männer zu finden", sagt eine 42jährige geschiedene Frau im Interview, "manchmal glaube ich, es müsste ein Wunder geschehen, damit das passiert."
Das Internet verspricht, derlei Wunder zu stiften. Immerhin 30 Prozent aller Nutzer suchen, nach Erhebungen der BBC, irgendwann einen Freund oder eine Freundin auf elektronischem Wege. Der Vorteil des Internets: Es ermöglicht einen "imaginativen Stil", der persönliche Begegnungen ausschließt. Auch wenn das Geschäft von Kontaktbörsen auf realen Sex zielt: Für immer mehr Nutzer ist, wie Eva Illoux an einer Fülle von Beispielen zeigen kann, der Partner vor allem eine Textbotschaft. Der Kontakt mit ihm fußt nicht in erster Linie auf Körperphantasien, sondern auf sprachlicher Information.
Dieser Befund führt sie zu der weitreichenden These, dass Phantasie und Einbildungskraft immer unabhängiger von ihren realen Objekten werden, sich verselbständigen und im Extremfall zum Selbstzweck werden. "Ich glaube, je älter ich werde", berichtet ein 50jähriger geschiedener Mann im Interview, "desto mehr liegt mir an diesem unerfüllten Lieben. (…) Es löst das existentielle Problem der Symbiose zwischen dem Emotionalen und dem Intellektuellen. (…) Eine SMS am Morgen, in der nur "Guten Morgen" steht, wird mit sehr viel Bedeutung aufgeladen" – und entlastet von den Aufdringlichkeiten eines gemeinsam erlebten Ehe- oder Familienalltags.
Illouz spricht treffend von "abwesender Anwesenheit", die durch elektronische Kommunikation erzeugt wird. Gerade die Distanz zum Liebesobjekt wird zur Quelle der Lust und ermöglicht ungestörte Idealisierung. Die Zukunft der Liebe im 21. Jahrhundert – ein um sich selbst kreisendes Begehren? Ein von der Wirklichkeit abgeschottetes, schmerzfreies Phantom? Gewiss, dass die Leidenschaft in Zeiten des Internets endgültig dem Ideal der Coolness gewichen ist, daran lässt Eva Illouz keinen Zweifel. Gerade deshalb mündet ihr Buch in ein Plädoyer für die leidenschaftliche Liebe. Im Epilog erhält ein Schriftsteller das letzte Wort, Jonathan Franzen: "Ohne Schmerz durchs Leben zu kommen, heißt, nicht gelebt zu haben."

http://www.wiwo.de/technologie/digitale-welt/buchrezension-liebe-im-digitalen-zeitalter/5813100.html

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