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Die Kritik am Konzept der postheroischen Gesellschaft (Gesellschaft)

WWW, Monday, 14.09.2015, 22:01 (vor 3392 Tagen)

Die Kritik am Konzept der postheroischen Gesellschaft konzentriert sich im Wesentlichen auf drei Argumente:

Erstens: Eine egalitäre, postheroische Gesellschaft wird auf Dauer ineffektiv und verfällt womöglich in eine Art Lähmung, wenn sie nicht mehr den mitreißenden, beispielgebenden, opferbereiten – eben heroischen – Gestus des entscheidenden und verantwortlichen Einzelnen zulässt.

Ralph Rotte: "Ich glaube schon, dass der Postheroismus durchaus Gefahr läuft, aufgrund des Abbaus von Hierarchien und der allgemeinen Gleichwertigkeit aller Beteiligten, die auch der Funktion von politischen oder wirtschaftlichen Führungskräften widerspricht, das das letztlich bedeuten kann, dass die Entscheidungsträger ihre Verantwortung abwälzen. Da gibt es runde Tische, Expertenkommissionen, im Zweifel sagen sie, ich mache direkte Demokratie, das ist immer praktisch. Das ist legitim, aber die Frage ist, ob es eine fundamental komplexe Gesellschaft wirklich widerspiegelt, wo irgendwann Entscheidungen getroffen werden müssen und eine gewisse nötige Expertise der Führungskräfte möglicherweise verloren geht. In dem Sinne ist das vielleicht sympathisch, weil es urdemokratische Forderungen stärker erfüllt, andererseits ist es ein völlig neues System, das erstmal Antworten und Mechanismen finden muss, wie man auf komplexe Herausforderungen und Krisensituationen antwortet. Eine solche Massendemokratie (ohne negative Konnotation) hat das zentrale Problem, dass man nie weiß, wer wie wann wo entscheidet. Im postmodernen Kontext kann jeder seine Überzeugungen wechseln, wie er will, entsprechend ist die Frage: Wie verlässlich und wie langfristig orientiert ist also eine solche Ordnung und wer steht letztlich dafür gerade?"

Zweitens läuft die postheroische Gesellschaft Gefahr, von den heroischen Gesellschaften oder Gemeinschaften um sie herum angegriffen zu werden. Oder heroische und postheroische Ökonomien – sagen wir China versus Europa – treten im globalen Wettbewerb gegeneinander an. Und möglicherweise "gewinnen" eben jene Gesellschaften, die ihre Bevölkerung und ihre Führung zu mehr Heroismus anfeuern.

Und drittens gerät eine postheroische Gesellschaft in Gefahr, an ihren inneren Widersprüchen zu zerbrechen. Denn ein heroisch disponiertes Individuum, dem der eigene Staat, die eigene Kultur kein Heldenbild zur Verfügung stellt, sucht sich ein anderes. Sind nicht jugendliche Gewalttäter, Neonazis und School Shooter, Komasäufer und Drogentote Beispiele für eine Jugend, die nur noch die falschen Helden findet?


Resümee: Die postheroische Gesellschaft ist beides zugleich: eine Utopie, der Traum von einer Gesellschaft, in der Zivilcourage, Solidarität, Pazifismus und die Kulturtechnik der Selbstironie zu äußerem Frieden und innerer Balance führt. Und ein Alptraum, von einer Gesellschaft feiger Egoisten, ironischer Chamäleons, die nirgends Verantwortung übernehmen wollen und obendrein den Angriff anderer, heroischer Kulturen und Religionen geradezu herausfordern.

Die Einleitung zur Gegenrede: Vielleicht aber sind die modernen oder postmodernen, die demokratischen oder postdemokratischen Gesellschaften schon viel klüger, als ihre Kritiker von der heroischen wie von der postheroischen Seite meinen. Vielleicht sind sie schon in der Lage, die heroischen wie die postheroischen Impulse in der Bevölkerung nach Bedarf abzurufen, womöglich sogar entsprechend zu manipulieren.

Dirk Baecker: "Ich kenne nur Gesellschaften, die zwischen den beiden Zuständen des Heroischen, nämlich der meist übermäßig riskanten Reaktion auf Krisen einerseits, und dann dem postheroischen Alltag hin- und heroszillieren. Und die verblüffenderweise über eine Art Hebel verfügen, um zwischen dem heroischen und dem postheroischen Zustand zu switchen. Man kennt das aus vielen Hierarchien, wo in Momenten der Krise eben doch das Wort von oben zählt und alle anderen wissen, wir überleben diese Krise nur, wenn wir uns jetzt zusammenreißen und doch mal alle an einem Strang ziehen. Aber dann wird irgendwann die Krise für beendet erklärt und alles fällt wieder in einen Normalzustand des Auseinanderlaufens und des nur gelegentlichen Miteinander-Arbeitens zurück. Das ist so ähnlich wie mit bestimmten Pilzen, Schleimpilzen, die auch sich nur aus Bakterien bilden können, wenn die Bakterien lange genug einzeln bestimmte Flächen abgegrast haben und da keine Nahrung mehr zu finden ist. Dann schließen sie sich Bakterien zu einem Pilz zusammen, wandern ein paar Meter und fallen dann wieder auseinander und fangen wieder an zu grasen. So ähnlich hin- und her-switchend zwischen zwei verschiedenen Zuständen stelle ich mir auch Gesellschaften vor."

Resümee: Dann stellt sich freilich die Frage, ob eine Gesellschaft, die zwischen dem Heroischen und dem Postheroischen hin und her zu switchen versteht, dabei auch immer alle ihre Bürgerinnen und Bürger, alle Gemeinschaften und Subkulturen mitnehmen kann. Könnte es am Ende nicht sein, dass ein abgehobenes postheroisches Management die heroische Drecksarbeit anderen überlässt? Wäre der Postheroismus eine tragfähige, philosophische und moralische Idee und kein politisch-ökonomisches Steuerungsmittel, dann müsste er sich an seinen Zielen messen lassen. Postheroismus wäre also nicht deswegen gut, weil die Wirtschaft dann noch besser funktioniert, sondern die Idee wäre gut, wenn sie die Welt etwas friedlicher, gerechter und ökologischer machen würde. Zweifel daran sind angebracht.
Die Utopie einer postheroischen Gesellschaft, die sich neue Werte wie Zivilcourage, Selbstbestimmung und individuelle Verantwortung zum Maßstab gemacht hätte, wäre am Ende nur zu verwirklichen, wenn sie mehr als das Denken des Einzelnen, der Gemeinschaft und der Gesellschaft erfassen würde. Nämlich den Menschen als Gattung. Besonders gut stehen die Chancen dafür indes nicht. Aber es gibt Hoffnung.

Und das Ganze komplett ->
http://www.deutschlandradiokultur.de/postheroismus-wenn-helden-nicht-mehr-noetig-sind.976.de.html?dram:article_id=299526

Ich hoffe, dass niemand genervt ist. :-D
Wenn man den obigen Link anklickt, dann wird man bemerken, dass dies ein Konzentrat ist, welches ich m.E. noch in einem erträglichen Umfang dargereicht habe.

Unterhaltsamer wird das Thema in dem Video mit Akif Pirinçci.

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