Liste Femanzen Dr. Eva Marie von Münch (Liste Femanzen)
Den Präsidenten des Deutschen Juristentages bedrückt der Qualitätsverlust der Gesetzgebung
Von Eva Marie von Münch
Als Marcus Lutter vor sechs Jahren zum Präsidenten des Deutschen Juristentages gewählt wurde, schlugen viele erstmal in Kürschners Gelehrtenkalender nach, um festzustellen, wer das denn eigentlich ist. Dort steht: Professor für Bürgerliches Recht und Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn. Ein Wissenschaftler also. Mancher hat sich damals gefragt: Warum macht der das? Warum übernimmt ein deutscher Professor ein Ehrenamt, das viel Arbeit macht und mit lästigen Repräsentationspflichten verbunden ist, in dem wissenschaftliche Erfolge und einträgliche Gutachten aber nicht winken? Marcus Lutter hat diese Frage sicher oft gehört, denn die Antwort kommt prompt: „Rechtspolitik fasziniert mich.“ Doch sogleich bildet sich über seiner Nasenwurzel ein ganzer Fächer kleiner Fältchen, und er ergänzt mit Nachdruck: „Aber Rechtspolitik ohne Parteipolitik!“
Politik jenseits der Parteien, ist das nicht eine Illusion? „Vielleicht bin ich blauäugig“, sagt er, „aber ich probier’s halt. Wenn Sie sich die Ergebnisse des Parlamentarismus ansehen – die sind nicht gut.“ Was Lutter bedrückt, ist der „Qualitätsverlust der Gesetzgebung“, die umständliche, aufgeblasene Sprache neuer Gesetze, die Zersplitterung des Rechts in viele kleine unübersichtliche Verordnungen. Nirgends ein großer Wurf, nur kleinkariertes Herumwursteln. Er springt auf und holt aus seinem Arbeitszimmer ein schmales Bändchen. „Sehen Sie sich das an: das japanische BGB in deutscher Übersetzung. Das ist nichts anderes als ein Vorentwurf zu unserem Bürgerlichen Gesetzbuch, den haben die Japaner damals einfach übernommen. Knapp in der Sprache, klar im systematischen Aufbau, ein schönes Gesetz. Das stammt aus dem 19. Jahrhundert. So etwas gibt es heute nicht mehr.“
Seit langem träumt Marcus Lutter von einem Redaktionsbüro für neue Gesetze, das jeden vom Bundestag beschlossenen Paragraphen einer Qualitätskontrolle unterzieht, schlechte Gesetze redigiert und faule Kompromisse schlicht ans Parlament zurückverweist.
Daß dies ein Traum bleiben wird, weiß er wohl selbst, und nicht zuletzt deshalb ließ er sich zum Präsidenten des Deutschen Juristentages wählen. Damit übernahm er den größten und ältesten juristischen Fachverband und den mit der umfassendsten rechtspolitischen Tradition. In Berlin im Jahre 1860 gegründet, hat der Juristentag, zunächst seine Aufgabe darin gesehen, den politischen Zusammenschluß der deutschen Staaten zu fördern. Rechtseinheit als Voraussetzung der Staatsgründung – das ist der Grundgedanke, dem der Juristentag seine Entstehung verdankt. Die großen Kodifikationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – vom Strafgesetzbuch über das BGB bis zur Konkursordnung – sind ohne seine Beteiligung kaum denkbar. Später, in den zwanziger Jahren, begleitete er die Reformbestrebungen der Weimarer Republik; 1933 löste er sich selbst auf, um nationalsozialistischer Gleichschaltung zu entgehen. 1949 wurde er neu gegründet und betrieb bis in die sechziger Jahre hinein die gesetzliche Neuordnung der Bundesrepublik. Dann folgte eine Phase der Turbulenzen. Manche spotteten nicht ganz zu Unrecht über den konservativen Honoratiorenverein, gelegentlich nutzten Interessenverbände das Podium, um ihren höchst eigensüchtigen Forderungen Nachdruck zu geben.
Als Marcus Lutter 1982 die Präsidentschaft übernahm, wäre zweierlei möglich gewesen: ein langsames Einschlafen unter den Klängen der Gebetsmühle gekonnter Paragraphenreiterei oder die Radikalisierung unter dem Kampfgeschrei rechter wie linker Interessengruppen. Beides ist nicht geschehen. Der Juristentag ist in den vergangenen Jahren interessanter geworden, lebendiger und auch politischer. Es geht nicht mehr nur um Themen wie die Neukonzeption des Werkvertragsrechts oder die Eigenkapitalsausstattung von Unternehmen, sondern auch um Sterbehilfe, die künstliche Befruchtung beim Menschen oder die rechtliche Neuordnung des Rundfunks. Vor zwei Jahren diskutierten in Berlin Politiker aller Parteien über das Thema „Parteienstaat und die Bewältigung der Zukunftsaufgaben“. Daß es gelang, den Grünen Otto Schily aufs Podium zu holen, kam bei der eher konservativen Struktur des Juristentages fast einer Revolution gleich. In diesem Jahr wird der CSU-Politiker und ehemalige bayerische Kultusminister Hans Maier den Festvortrag halten. Thema: „Recht und Politik“, Lutters Thema also, wieder einmal.
Die Möglichkeiten politischer Einflußnahme des Deutschen Juristentages sieht der Präsident darin, von den Rechtspolitikern Liegengelassenes oder Abgeblocktes aufzunehmen und ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu heben und in der Kritik bereits vorhandener rechtspolitischer Entwürfe. Das Programm des diesjährigen Juristentages in Mainz vom 27. bis 30. September greift solche Fragen auf: nichteheliche Lebensgemeinschaften, das Entmündigungsrecht für Erwachsene, die Harmonisierung des Umweltschutzes, die Rechtsstellung Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und – last not least – ein Riesenthema: die Vereinfachung des Steuerrechts. Über mangelnde Aktualität ist wahrlich nicht zu klagen.
Bleiben Wünsche offen? Aber ja. „Was ich gern gehabt hätte, ist das Thema Arbeitskampf“, sagt Lutter, „das ist seit zwanzig Jahren dran.“ Nach den Regeln des Juristentages hätte ein Thema also lauten müssen: Empfiehlt es sich, den Arbeitskampf zwischen Tarifpartnern gesetzlich zu regeln? Die politische Brisanz liegt auf der Hand. „Das habe ich nicht durchsetzen können“, sagt der Präsident bedauernd, „die wollten das nicht, die Arbeitgeber nicht und die Arbeitnehmer auch nicht, und gegen die geht eben nichts.“
Thema zwei: die Juristenausbildung. „Da sagen alle: Das hatten wir schon. Hatten wir auch. Nur ist die Ausbildungsordnung immer noch schlecht. Ich bin ein Verfechter des Einheitsjuristen, gegen eine Aufspaltung des Studiums in mehrere Fachrichtungen. Aber warum sollen die Studenten nicht Schwerpunkte wählen können? Müssen denn unbedingt alle das gleiche lernen?“
Lutters eigene Karriere ist eher ungewöhnlich. Nach der klassischen Juristenausbildung wurde er erstmal Notar im pfälzischen Städtchen Rockenhausen. Nebenher habilitierte er sich an der Universität Mainz, wurde bald an die damals neu gegründete Universität Bochum berufen und ging von dort nach Bonn. Dazwischen war er Gastprofessor in Berkeley und hat in Brüssel, Paris und Rom wissenschaftlich gearbeitet. Sein Arbeitsgebiet ist das Wirtschaftsrecht mit deutlichem Akzent auf dem Europarecht. Mittlerweile hat er fünfzig Studenten promoviert, vier Habilitanden (darunter jüngst eine Frau) verdanken ihm den Einstieg in die wissenschaftliche Karriere. Seine Leidenschaft für die Rechtspolitik ist vielen seiner Professoren-Kollegen so fremd, wie seine Sammlung moderner Bilder und sein italienischer Sportwagen. „Ich bin halt kein Normalprofessor“, ist ein Satz, den er gern und fröhlich wiederholt.
Einem ungeschriebenen Gesetz folgend geht seine Amtszeit nun nach sechs Jahren zu Ende. Sein Nachfolger wird wohl ein Richter werden: Harald Franzki: Präsident des Oberlandesgerichts Celle.
So fragen sich heute viele, die vor sechs Jahren fragten, wer dieser Lutter denn eigentlich ist: Was macht der Lutter denn jetzt? Lehrstuhl und Institut in Bonn bleiben ihm, gewiß. Aber wohin mit seiner Leidenschaft für die Rechtspolitik? Ein Vorschlag: Wie wäre es mit der Gründung eines Europäischen Juristentages, der im Vorfeld der europäischen Einigung ähnliches bewirken könnte, wie vor hundertvierzig Jahren der Deutsche Juristentag für den Zusammenschluß der deutschen Staaten? Dafür wäre Marcus Lutter gewiß ein idealer Präsident.
http://www.zeit.de/1988/39/nur-kleinkariertes-herumwursteln
Seit langem gehört Professor Ingo von Münch, der am 26. Dezember das 80. Lebensjahr vollendet, zu den prominentesten deutschen Juristen, mit einem weltweiten Ruf. Er ist zudem einer der wenigen Staats- und Verfassungsrechtler, die das nie endende Spannungsverhältnis zwischen Politik und Recht, zwischen Freiheit und Bindung an die Rechtsordnung, nicht nur im Elfenbeinturm ihrer Wissenschaft untersucht, sondern auch an den Schaltstellen staatlicher Machtausübung erfahren haben. Diese Durchdringung von Jurisprudenz und Politik hat sein Leben und sein Lebenswerk nachhaltig beeinflusst.
Der gebürtige Berliner studierte nach dem Abitur in Goslar Rechtswissenschaften in Frankfurt und an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. 1959 promovierte er und habilitierte sich 1964 mit einer Schrift, deren Thema seither immer bedeutsamer geworden ist: "Das völkerrechtliche Delikt in der modernen Entwicklung der Völkerrechtsgemeinschaft."
Nach acht Jahren Lehre an der Ruhr-Universität Bochum nahm Ingo von Münch 1973 einen Ruf an die Universität Hamburg an, der er bis zu seiner Emeritierung 1998 verbunden blieb. Die Hansestadt wurde dem Liberalen, der 1968 in die FDP eingetreten war, zur beruflichen und politischen Heimat. Er wurde 1985 zum FDP-Landesvorsitzenden gewählt und führte die Elbliberalen bei der Wahl vom 17. Mai 1987 mit 6,5 Prozent nicht nur zurück ins Rathaus, sondern auch in eine Neuauflage der sozialliberalen Koalition. Für seine Partei war das nach neun bitteren Jahren außerparlamentarischer Existenz fast so etwas wie eine politische Wiedergeburt. Für ihn selbst begann damit eine Lebensphase als Vollzeitpolitiker, denn er war unter den SPD-Bürgermeistern Klaus von Dohnanyi und Henning Voscherau Senator für Kultur und Wissenschaft und Zweiter Bürgermeister. Zu seinen politischen Zielen gehörte damals die Einführung des kommunalen Ausländer-Wahlrechts, für das er sich beharrlich einsetzte, als dieses Thema auch in der eigenen Partei noch äußerst umstritten war.
Jedoch war ein Leben als Berufspolitiker nicht das, was Ingo von Münch und mehr noch seiner Frau Eva-Maria, einer profilierten Familienrechtlerin, als erstrebenswertes Ziel für die zweite Lebenshälfte erschien. Als Henning Voscherau 1991 für seine Partei erneut die absolute Mehrheit erobert hatte, wurde die mit 5,4 Prozent nur knapp ins Parlament zurückgekehrte FDP für die Senatsbildung nicht mehr benötigt. Zwar bot die SPD den Liberalen eine Fortsetzung der Koalition an, doch die Elbliberalen mochten darauf nicht eingehen. Ingo von Münch schied nicht nur aus dem Senat aus, sondern er verzichtete auch auf sein Bürgerschaftsmandat.
Danach begann für den umtriebigen und eloquenten Top-Juristen, was man seine "dritte Karriere" nennen könnte: Er lehrte als Gastprofessor in Australien, Frankreich, Neuseeland, Südafrika und den USA und beriet auch die Regierungen. Das verschaffte ihm internationales Renomee.
In der Bundesrepublik gewann er als Verfassungsrechtler vor allem mit einem führenden Kommentar zum Grundgesetz Profil, aber auch mit Untersuchungen zur Rechtslage des Deutschen Reiches, der Bundesrepublik und der DDR, zur deutschen Staatsangehörigkeit und zu anderen staatsrechtlichen Themen.. Die Universität Rostock verlieh ihm 1994 die Ehrendoktorwürde - ein Dank für seine intensive Mitwirkung an der wissenschaftlichen Aufbauarbeit nach der Wende und den damit verbundenen Herausforderungen.
Ingo von Münch hat sich nie gescheut, auch heiße Eisen anzufassen. Das bewies er 2009 mit einem mutigen Buch über ein schlimmes Kapitel der Zeitgeschichte: "Frau komm" behandelt die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen in den Jahren 1944/1945.
Dieser bedeutende Jurist und Rechtslehrer hat den juristischen Nachwuchs stets gefordert und gefördert, beides war und ist ihm wichtig. Er hat sich auch als gefragter Doktorvater einen bundesweiten Ruf erworben, nicht zuletzt durch ein höchst lesenswertes Buch über Promotionen, dessen Lektüre den Doktoranden zu Guttenberg und andere sicher vor den bekannten peinlichen Problemen bewahrt hätte. So mancher Dr. jur. hat Anlass, dem Professor Ingo von Münch für kritischen Zuspruch und Ermutigung dankbar zu sein, und er kann an seinem 80. Geburtstag sicher sein, dass es daran auch nicht fehlt.
http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article112215137/Top-Jurist-und-Politiker-auf-Zeit.html
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Oberkellner,
04.10.2015, 18:44
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