Liste Femanzen Christine Wittler (Liste Femanzen)
F460 Christine Wittler – geb. am 02.04.1973 in Rahden (NRW) – Studium der Kultur- und Kommunikationswissenschaften – von 1998 an arbeitete sie als Redakteurin für diverse TV-Formate - seit 2013 engagiert sie sich mit der Bewegung ReBelles für Körpervielfalt und -akzeptanz in Gesellschaft und Medien. Die ReBelles bestärken unter anderem Schülerinnen und junge Frauen in ihrem Selbstwertgefühl – post@tine-wittler.de - http://www.horrorwaty.de/wordpress/wp-content/uploads/2009/05/tine-wittler-einsatz-in-4-wanden-f-axel-kirchhofk640.jpg
“Ich brauche Feminismus, damit mein Körper wirklich mir gehört. Denn er ist nicht dafür da, dass andere ihn ansehen und bewerten. Sondern dafür, dass ich mich auf dieser Welt so bewegen kann, wie es für mich ganz persönlich richtig ist.”
http://werbrauchtfeminismus.de/tine-wittler/
Tine Wittler: Die mauretanischen Frauen sind sehr starke Persönlichkeiten
Am 28. Februar, 20.00 Uhr, stellt die Fernsehmoderatorin und Autorin Tine Wittler in Bad Blankenburg ihr Buch „Wer schön sein will, muss reisen“ vor. Foto: Agentur
Bad Blankenburg: Stadthalle | Die mauretanischen Frauen sind sehr starke Persönlichkeiten
BAD BLANKENBURG. Am 28. Februar, 20.00 Uhr, stellt die Fernsehmoderatorin und Autorin Tine Wittler in Bad Blankenburg ihr Buch „Wer schön sein will, muss reisen“ vor. Roberto Burian sprach im Vorfeld mit der Autorin.
Mit dem Namen Tine Wittler verbindet man automatisch die TV- Show „Einsatz in vier Wänden“, für welche Sie und ihr Team 2004 den deutschen Fernsehpreis erhielten. Nervt Sie das?
„Einsatz in 4 Wänden“ war ein sehr wichtiger Teil meines Lebens und meiner Karriere. Aber auch meine Bücher und meine anderen Unternehmungen wie meine Bar sind mir wichtig. Mit „Wer schön sein will, muss reisen“ kehre ich zu meinem ursprünglich erlernten Beruf, der journalistischen Arbeit, zurück. Das tun zu können, macht mich sehr glücklich. Ich brauche die Vielseitigkeit in meinem Leben.
Am 28. Februar lernen die Besucher der Bad Blankenburger Stadthalle die Autorin kennen. Für Ihr Buch „Wer schön sein will, muss reisen“ fuhren Sie ins afrikanische Mauretanien. Warum gerade dorthin und wie lange wurde recherchiert?
Insgesamt waren mein kleines Team und ich für sechs Wochen vor Ort und haben dort nicht nur für das Buch recherchiert, sondern auch gedreht. Der Dokumentarfilm zum Projekt kommt im Herbst in die Kinos. Mauretanien habe ich deshalb als Ziel gewählt, weil das dortige Schönheitsideal sich vom unsrigen stark unterscheidet: Traditionell gelten dort die runden und nicht die schlanken Frauen als besonders schön. Aber dieses traditionelle Schönheitsbild wandelt sich derzeit. Das hat die Recherchen noch einmal spannender gemacht. Mit meinem Titel „Wer schön sein will, muss reisen“ meine ich übrigens auch gar nicht in erster Linie die äußere Schönheit! Ich denke, dass es einen Menschen schön macht, wenn er offen und tolerant ist. Wenn er bereit ist zu lernen. Wenn er in der Lage ist, die Perspektive zu wechseln und sich auf Reisen zu begeben – ob nun im Kopf oder indem er wirklich seine Koffer packt und loszieht.
In der Islamischen Republik Mauretanien ist die Scharia Gesetz, welche die Eigenständigkeit der Frauen stark einschränkt. Ist es da nicht geradezu absurd, das Wort Schönheit überhaupt in den Mund zu nehmen?
Die mauretanischen Frauen sind sehr, sehr starke Persönlichkeiten. Sie haben sich trotz der Gesetzeslage in ihrem Land viele Freiheiten erkämpft und sind sehr aktiv, um ihre Ziele erreichen zu können. Gleichzeitig haben auch die Mauretanierinnen ein großes Streben nach „Schönheit“: Sie haben ihre eigenen Schönheitsrituale und Gepflogenheiten. Aber anders als wir deutschen Frauen, die wir uns oft mehr oder weniger freiwillig einem Schönheitsideal unterordnen, kann ein mauretanisches Mädchen sich zum Beispiel der traditionellen Zwangsfütterung, die es vereinzelt bis heute gibt, oft nicht entziehen. Es gibt viele starke Frauen in Mauretanien, die dagegen ankämpfen. Das ist sehr bewundernswert, und diese Frauen verdienen es, dass ihre Arbeit wahrgenommen und gewürdigt wird. Auch dies ist mein Anliegen.
Ihr Buch ist ein sehr persönlicher Bericht über eine Welt, deren Schönheitsideale ganz sicher andere sind als in Europa. Was hat Sie persönlich vor Ort am meisten beeindruckt?
Die mauretanischen Frauen haben ein starkes kollektives Bewusstsein dafür, wie sie gemeinsam daran arbeiten können, ihre eigene Situation zu verbessern. Und sie sind sich dessen sehr bewusst, dass äußere Schönheit nicht mit innerer Schönheit gleichzusetzen ist. Das leben sie auch. Und das hat mich tief beeindruckt.
Moderatorinnen oder Nachrichtensprecherinnen im deutschen Fernsehen haben fast immer die sogenannte Idealfigur. Bei manchen Models hat man den Eindruck, dass eine „Wirbelsäule auf Beinen“ über den Laufsteg stöckelt. Wie ist Ihre Meinung zum Schlankheitswahn?
Ich denke: Die grundlegende Frage, die eine Frau sich stellen sollte, ist die Frage danach, wofür ihr Körper da sein soll. Soll er dafür da sein, dass andere ihn anschauen, be- oder gar verurteilen – beziehungsweise ihn als „schön“ ansehen? Oder soll er dafür da sein, dass sie selbst sich genau so, wie es für sie persönlich richtig ist, auf dieser Welt bewegen und jene Dinge tun kann, die sie tun möchte? Mit meinem Buch rege ich dazu an, über genau diese Frage nachzudenken. Eine ehrliche Antwort darauf zu finden, hat mir persönlich sehr geholfen, den Wahn Wahn sein zu lassen. Es ist meine eigene Entscheidung, ob ich ein Teil dessen sein möchte oder nicht.
Sicher sind die Mehrzahl der Besucher bei den Lesungen Frauen. Welche Fragen müssen Sie am häufigsten beantworten?
Fragen, die vor Ort gestellt werden, sind oft ganz konkrete Fragen zur Lebenswirklichkeit der mauretanischen Frauen – wie es dort mit Beziehungen aussieht zum Beispiel. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass viele erst einmal sacken lassen müssen, was sie gehört haben, und eine ganze Weile darüber nachdenken. Mittlerweile diskutieren Lesungsbesucherinnen und –besucher meiner Tournee das Thema zum Beispiel auch in Gruppen bei facebook, um sich im Nachhinein auszutauschen und eine Möglichkeit zu finden, das Gehörte und das neue Wissen auch in ihr eigenes Leben zu integrieren.
Eine Frau mit einer anderen Figur als etwa Heidi Klum war damals etwas Neues im Fernsehen. Mittlerweile hat Cindy aus Marzahn die Stelle von Michelle Hunziker bei "Wetten, dass.?" übernommen. Sind die starken Frauen in den Medien auf dem Vormarsch?
Ich glaube fest daran, dass es notwendig und richtig ist, auch in den Medien jene Vielfalt abzubilden, die unsere Lebenswelt ausmacht.
Sie leben in Hamburg, haben aber schon so manche Ecke Deutschlands beruflich kennengelernt. Wie gefällt Ihnen Thüringen?
Ich mag Thüringen! Wir haben dort schon manches Mal gedreht und ich freue mich, zurückzukehren.
Als Moderatorin, Unternehmerin, Autorin und Wirtin haben Sie alle Hände voll zu tun. Wann oder wobei kann Tine Wittler relaxen?
Am besten entspanne ich mich in meinen eigenen vier Wänden. Ich liebe mein Zuhause. Aber um mit meinem Buch auf Reisen zu gehen, dafür verlasse ich es gern!
Vielen Dank für das Gespräch, wir sehen uns in der Stadthalle.
Tine Wittler ist eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Fernsehen. Denn sie ist unerwartet rund statt genormt schlank – und damit „anders“. Mit diesem „Anderssein“ wird sie ständig konfrontiert, ob sie will oder nicht.
Und beschloss deshalb, sich mit dem Thema genauer auseinanderzusetzen: Warum gibt es überhaupt so etwas wie „Schönheitsideale“? Wie verbindlich sind diese? Weshalb lassen sich gerade Frauen davon so dermaßen unter Druck setzen? Und wie kann man es schaffen, sich von diesem Druck zu befreien und die eigenen Energien sinnvoll zu nutzen? Im Rahmen ihrer Recherchen entdeckt Tine Wittler auch das unbekannte Wüstenland Mauretanien und beschließt, dieses Land persönlich zu besuchen und über diese Reise nicht nur ein Buch zu schreiben, sondern auch einen Dokumentarfilm zu produzieren (Regie: René Schöttler / Sept. 2013 / 93 Min.). Denn in Mauretanien ist alles anders, als wir es kennen: Dort gelten die runden Frauen als die schöneren, die begehrteren, die glücklicheren. Statt Diät zu halten und sich möglichst „dünne“ zu machen, nehmen junge Frauen hier, in einem der ärmsten Länder der Welt, gefährliche Medikamente ein, um an Gewicht zuzulegen. Und auch heute noch werden kleine Mädchen unter Gewaltanwendung regelrecht gemästet. Aber die mauretanischen Frauen sind stark. Und sie widersetzen sich immer öfter jenen Idealen, die ihnen übergestülpt werden sollen. „Dieses Buch, und das ist die Überraschung, ist eine Streitschrift für die Freiheit der Frauen und damit aller Menschen“, schreibt Oliver Bensch in seiner Rezension. Auf ihrer Lesetournee quer durch die Republik hat Tine Wittler ganz konkrete Forderungen im Gepäck und ruft Frauen und Männer im ganzen Land dazu auf, eine neue, starke Haltung zum Thema „Schönheit“ zu finden und zu leben. Mit der von Tine Wittler ins Leben gerufenen Bewegung „REBELLES“ können Leserinnen und Leser den Begriff „Schönheit“ gemeinsam neu definieren: Als etwas, das sich nicht auf Äußerlichkeiten, Ideale und Normen stützt, sondern die innere Kraft in den Mittelpunkt stellt.
Die Veranstalterinnen Das Autonome Mädchenhaus Kiel/Lotta e.V. und die Frauenberatungsstelle/Eß-o-Eß sind in ihrer Beratungspraxis täglich mit den Fragen rund um das Thema „Schönheitsideale“ und Selbststärkung konfrontiert und freuen sich auf diesen interessanten Film, die Begegnung mit einer starken Frau und eine angeregte Diskussion.
http://www.kiel.de/kultur/kulturforum/index.php?id=48927-164027
In Mauretanien gebe es gar keine Diskussion, ob eine Frau dick oder dünn sei, "sie ist schön", erklärt die TV-Moderatorin Tine Wittler. Ihr ist aber auch der aussterbende Brauch der "Gavage", also der Mästung von jungen Mädchen, noch begegnet.
Matthias Hanselmann: Tine Wittler ist jetzt für uns in einem Studio des WDR. Hallo!
Tine Wittler: Hallo aus Köln!
Hanselmann: Zunächst mal klären wir mal sozusagen das Vokabular: Welche Vokabel würden Sie denn nehmen, um Ihren Körper zu beschreiben?
Wittler: Also ich sage eigentlich immer, ich bin schlichtweg ein bisschen mehr als andere.
Hanselmann: Vollschlank?
Wittler: Nein, ich bin einfach mehr.
Hanselmann: Mehr als andere, oder würden Sie auch "rund" akzeptieren?
Wittler: Ich akzeptiere letztendlich jede Beschreibung, so lange sie nicht als Beleidigung gemeint ist, aber da sind die Nuancen oft sehr, sehr fein in unserer Gesellschaft.
Hanselmann: Der Ton macht die Musik, genau. Was hat Sie denn überhaupt dazu veranlasst, diese Reise nach Mauretanien zu unternehmen, nach Westafrika?
"Thema Schönheitsideale beschäftigt Frauen"
Wittler: Ich wollte eigentlich an meinem nächsten Roman arbeiten, und diesen Roman wollte ich schreiben zum Thema Schönheitsideale, weil ich einfach über die Jahre, die ich in der Öffentlichkeit stehe, gemerkt habe, wie sehr dieses Thema doch unsere Gesellschaft beschäftigt, gerade uns Frauen beschäftigt, und ich wollte meine Protagonistin in dem Roman auf eine Reise schicken. Die Idee hinter dem Projekt ist die Spiegelung. Also ich reise, ich verlasse meinen eigenen kleinen Kosmos und lerne eine neue Welt kennen, in der alles anders ist als ich es gewohnt bin.
Auf diese Reise wollte ich eigentlich die Romanprotagonistin schicken, und dann bin ich auf Mauretanien gestoßen, und eigentlich war dann relativ schnell klar, weil es über dieses Land so wenig bei uns gibt, um darüber zu erfahren, dass ich diese Reise letztendlich selbst antreten muss, stellvertretend für meine Protagonistin, mit all den Fragen, die ich zu dem Thema habe.
Hanselmann: Und mit Kameramann und Tonfrau. Und dann haben Sie die traditionelle Kleidung der mauretanischen Frauen angezogen, die Mlahafa, ein fünf Meter langes Stück bunten Stoff, der um den Körper gebunden wird. Wie sonst haben Sie denn Zugang gefunden zu den Frauen in Mauretanien?
Wittler: Also was uns – und damit meine ich jetzt auch wirklich das ganze Team – von Anfang an sehr, sehr wichtig war, war, den Menschen dort auf Augenhöhe zu begegnen. Also gerade wenn wir über Afrika sprechen, finde ich, haben wir hier oft einen sehr begrenzten Blick auf diesen Kontinent. Dazu gehört zum Beispiel, dass aufgrund der vielen Probleme, die dieser Kontinent hat, dass oftmals die Menschen, ja, lediglich als Opfer sozusagen wahrgenommen werden.
So etwas wollten wir nicht, sondern wir wollten auf Augenhöhe mit den Menschen und insbesondere mit den Frauen dort sprechen, und wir wollten auch zeigen, wie stark die Frauen dort sind, in einem Land, in einer islamischen Republik, in der die Scharia Gesetz ist, in der Frauen juristisch sehr, sehr benachteiligt sind, aber trotzdem bewegen sie Großes und sie sind sehr, sehr stark, und das wollten wir auch zum Ausdruck bringen.
Hanselmann: Sie zeigen in Ihrem Film, dass das Dicksein bei den Frauen in Mauretanien oft mit brutalen Mitteln erreicht wird, nämlich dadurch, dass schon Mädchen ab sechs oder sieben Jahren regelrecht gemästet werden, damit sie früh verheiratet werden können. Gavage wird das in diesem französischsprachigen Land genannt. Wie spielt sich diese Gavage ab?
"Junge Mädchen werden tatsächlich regelrecht gemästet"
Wittler: Also das Leblouh, das ist der arabische Ausdruck für diese Praxis, ist etwas sehr Altes, das gibt es schon sehr, sehr lange, das gibt es heute zum Glück nur noch selten. Junge Mädchen werden tatsächlich regelrecht gemästet, unter Anwendung von Gewalt, das heißt, wenn sie nicht mehr können oder wollen, werden, zum Beispiel mithilfe von Werkzeugen, ihre Gliedmaßen gequetscht, um den Druck auf sie zu erhöhen und um auch den Brechreiz zu unterdrücken, das heißt, diese Mädchen können dann mehr bei sich behalten, als es im Normalfall wäre.
Diese Praxis ist ein Missbrauch von Mädchenkörpern, von Frauenkörpern, der aber auf dem Rückmarsch ist. Das kann sich auch kaum jemand leisten. Essen ist in Mauretanien sehr, sehr teuer. Wer sich dort sattessen kann, ist reich und gesegnet. Es gibt aber eine moderne Variante dieser traditionellen Gavage, und die moderne Variante ist, dass viele junge Frauen freiwillig Medikamente einnehmen, aus der Tiermast, also Hormone, Hormonbomben, um möglichst schnell möglichst viel zuzunehmen. Und diese Praxis ist mindestens ebenso gefährlich, wenn nicht sogar gefährlicher, als die althergebrachte Variante der Zwangsfütterung mit Lebensmitteln.
Hanselmann: Worin besteht die Gefahr oder bestehen die Gefahren?
Wittler: Man nimmt dadurch sehr, sehr, sehr schnell zu, also wir haben uns berichten lassen von Frauen, die sozusagen aufquellen wie ein Ballon, das fängt am Oberkörper an, Aminetou Mint El Moktar, die Menschenrechtlerin, mit der wir vor Ort sehr, sehr eng zusammengearbeitet haben, die hat uns erzählt: Diese Frauen explodieren regelrecht, weil diese Gewichtszunahme so wahnsinnig schnell erfolgt, und das ist sehr, sehr gefährlich.
"Dicksein von Frauen immer noch gängiges Schönheitsideal"
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", ich spreche mit Tine Wittler, sie ist Autorin des Dokumentarfilms "Wer schön sein will, muss reisen", ihr Erfahrungsbericht aus Mauretanien in Westafrika, wo das Dicksein von Frauen immer noch gängiges Schönheitsideal ist. Dünne Frauen sind eklig, sagt ein Mauretanier in Ihrem Film, und dicke Männer sind hässlich, sagt eine Mauretanierin. Sie haben gesagt, dieses Schönheitsideal ist auf dem Rückzug – wir sollten aber vielleicht eher von einem Schönheitsdiktat reden, oder?
Wittler: Mauretanien ist ganz, ganz, ganz spannend, was das betrifft. Es ist so, dass die junge Generation der mauretanischen Frauen sich zunehmend an jenen Idealen und an jenen Bildern orientiert, die aus dem Ausland zu ihnen kommen. Mauretanien hat zum Beispiel keine eigenen Medien. Das heißt, alle Frauenbilder, die die Mauretanierinnen konsumieren können, kommen woanders her, und diese Bilder sind sehr anders. Sie beginnen dadurch natürlich, ihr althergebrachtes Ideal zu hinterfragen und sie beginnen, sich am Rest der Welt zu orientieren.
Gleichzeitig – das finde ich aber so beeindruckend an diesen Frauen – sind sie sich sehr dessen bewusst, was dort gerade passiert und dass dieser Wandel stattfindet, und sie legen trotzdem sehr viel Wert darauf, das auch zu erkennen und untereinander darüber zu diskutieren: Was passiert mit uns, wenn wir mit Medienbildern bombardiert werden? Und das ist eine Diskussion, die ich interessanterweise hier bei uns oftmals vermisse.
Hanselmann: Und es passiert täglich und massenhaft, dass wir mit Medienbildern bombardiert werden, im Sinne des Schlankheitswahns. Wie ist es mit Frauen in Mauretanien, die sich diesem – ich bleibe bei dem Wort – Schönheitsdiktat entziehen? Können sie das überhaupt und wenn ja, wer unterstützt sie dabei?
Wittler: Ja, die Frauen können das und sie tun es, und sie tun es, wie ich eben schon sagte, gerade in der jüngeren Generation. Mauretanien ist ein Land, das keine nationale Identität hat in dem Sinne. Es gibt dort sehr viele verschiedene Stämme, es gibt sehr viele verschiedene Bevölkerungsgruppen. Und all diese Bevölkerungsgruppen haben auf ihre Art und Weise alle ihr eigenes Schönheitsideal. Die Frauen reden darüber und eine lernt von der anderen, und dahingehend herrscht dort zum Beispiel eine sehr, sehr, sehr hohe Toleranz.
"Du bist eine Frau, also bist du schön"
Man sagt in Mauretanien: Du bist eine Frau, also bist du schön. Die Natur der Frau ist es, schön zu sein. Da gibt es gar keine Diskussion, ob sie dick oder dünn ist, sie ist schön – nicht wie bei uns, da heißt es zum Beispiel: Du bist nur schön, wenn du 90/60/90 hast oder wenn du lange blonde Haare hast oder keine Ahnung, einen besonders knackigen Hintern. Das schlägt sich zum Beispiel auch im Sprachgebrauch nieder, und auch das, glaube ich, macht diese Frauen so selbstbewusst, sodass sie in der Lage sind, trotzdem ganz, ganz, ganz immens und ganz engagiert für ihre Ziele zu kämpfen, auch wenn die politische Struktur in ihrem Land das eigentlich für sie gar nicht vorsieht.
Hanselmann: Frau Wittler, an einer Stelle in ihrem Film bin ich etwas stutzig geworden, da haben Sie sich nämlich einem Selbstversuch unterzogen und massenhaft Kamelmilch getrunken. Warum?
Wittler: Aus zwei Gründen: Zum einen, weil ich wissen wollte, wie fühlt sich das an? Wie fühlt es sich an, wenn ich gezwungen werde, immer weiter zu essen und zu trinken, obwohl ich eigentlich längst nicht mehr kann? Zum zweiten: Die Berichterstattung, die wir kennen in Bezug auf Afrika neigt tatsächlich dazu, die dortigen Menschen, ja, zum Opfer zu degradieren. Das wollte ich nicht. Ich wollte jetzt zum Beispiel nicht sagen: Ich bin bei der Gavage eines kleinen Mädchens dabei. Das wäre Voyeurismus gewesen und das wäre ein, ja, eine Art von sensationheischerischer Filmemacherei gewesen, die ich nicht unterstützen möchte.
Also haben wir gesagt: Wir verändern auch in diesem Fall den Blickwinkel, das heißt, ich nehme den Blickwinkel eines mauretanischen Mädchens ein oder versuche es zumindest, und wir konzentrieren uns in der Darstellung der mauretanischen Frauen nicht auf die Opferrolle, sondern auf das, was sie wirklich tun und engagiert bewegen, indem sie genau gegen diese Art der Zwangsmästung zum Beispiel seit vielen, vielen Jahren vorgehen, organisiert, aber dafür auch ihr Leben riskieren.
Hanselmann: Sie haben am Anfang gesagt, Sie waren auf der Suche nach der Frage oder nach der Antwort auf die Frage: Was macht schön? Haben Sie sie gefunden, können Sie sie in einem Satz sagen?
"Was einen Menschen schön macht"
Wittler: In zweien, oder sind es drei? Also für mich – und das habe ich auch in dem Titel versucht, auszudrücken –, für mich macht es einen Menschen schön, wenn er offen ist, wenn er tolerant ist, wenn er geistig beweglich ist, wenn er über seinen eigenen Tellerrand gucken mag, wenn er bereit ist zu lernen und wenn er in der Lage ist, die Perspektive zu wechseln. Und damit meine ich im weitesten Sinne auch das Reisen, also das Reisen entweder tatsächlich, indem ich meine Koffer packe und losfliege, oder das Reisen im Kopf, indem ich in der Lage bin, mich auf fremde Welten einzulassen. Und ich finde, das ist das, was einen Menschen schön macht.
Hanselmann: Vielen Dank, Tine Wittler, Fernsehmoderatorin, Romanautorin und Autorin des Dokumentationsfilms "Wer schön sein will, muss reisen". Alles Gute und viel Erfolg damit, Frau Wittler!
Wittler: Das können wir brauchen, ein Dokumentarfilm in Deutschland im Jahr 2011 hatte sage und schreibe 2900 Zuschauer im Kino, und wir würden uns sehr wünschen, das zu schaffen.
Hanselmann: Wünschen wir Ihnen auch. Danke! Tschüss!
Wittler: Danke!
Frauen sollten nach der Bestimmung ihres Körpers fragen. Die Filmemacherin berichtet über einen Selbstversuch.
Vechta „Offen sein, tolerant und fähig, die Perspektive zu wechseln“: Das bezeichnet die Moderatorin und Filmemacherin Tine Wittler als Schönheit. Frauen sollten sich überlegen, wofür ihr Körper da sei. „Ist es wichtiger, Größe 38 zu haben oder sich für andere einzusetzen? Das fragte Wittler am Dienstag, 24. März, nach der Vorführung ihres Dokumentarfilms „Wer schön sein will, muss reisen“ in der Vechtaer Schauburg-Cineworld, Kolpingstraße 29. Eingeladen hatte sie die Kontakt- und Beratungsstelle Selbsthilfe im Kreis Vechta.
Wohl auch, um eine Antwort für sich selbst auf die Frage, was schön ist zu finden, brach die 42-Jährige 2011 für knapp sieben Wochen nach Mauretanien auf. Dort gelten dicke Frauen, Wittler ist korpulent, als schön. „Dünne Frauen sind hässlich, wie Zahnstocher“, hörten 100 Zuschauerinnen im Film mauretanische Männer sagen. Das weibliche Schönheitsideal ist dagegen nicht das des übergewichtigen Partners. „Dicke Männer sehen hässlich aus“, sagen westafrikanische Frauen einhellig.
Das lässt die teilweise älteren Zuschauerinnen im Kinosaal staunen. Mehr noch ist es aber der freiwillige Selbstversuch, bei dem sich Tine Wittler einer so genannten Gavage (Zwangsmästung) unterzogen hat. Eine Gavage wird bereits ab einem Alter von fünf Jahren vollzogen. Sie endet in manchen Fällen tödlich, heißt es sogar.
Wittler sollte zehn Liter nahrhafte Kamelmilch trinken und vor Fett triefendes Fleisch mit Reis essen. Um den Brechreiz zu unterdrücken, wurden ihre Füße zwischen Stöcke gequetscht. Ein Schmerz sollte durch einen anderen abgelenkt werden. Um das dicke Schönheitsideal zu erreichen, nähmen Frauen, die nicht lesen könnten, zudem gewichtsfördernde Tabletten, die das Wachstum von Kamelen unterstützen, ein. Sie glauben, die Medikamente enthielten Kamelfleisch.
http://www.nwzonline.de/vechta/schoenheit-durch-kamelmilch-erreichen_a_25,0,1616739787.html
Cottbus Was als Romanidee begann, endete als Selbstversuch. Ursprünglich wollte die Autorin ihre rundliche Romanheldin Kaja nach Mauretanien schicken, in das Land, wo nicht XS-, sondern XXL-Frauen als besonders schön gelten.
Gemeinsam mit einem zweiköpfigen Kamerateam packte sie im Januar 2011 schließlich selbst die Koffer und flog – trotz Terrorgefahr und Reisewarnung des Auswärtigen Amtes – nach Westafrika. In ihrem Buch "Wer schön sein will, muss reisen", das Tine Wittler am Dienstag im Heron-Buchhaus vorstellte, dokumentiert sie die Erlebnisse einer Reise, die ihre Sicht des westlichen Schlankheitsideals nachhaltig verändert hat.
"Mauretanien gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Zwangsverheiratungen und die Genitalbeschneidung von Frauen sind keine Seltenheit. In der Öffentlichkeit müssen sich Frauen von einem männlichen Vormund vertreten lassen. Eine Pressefreiheit gibt es nicht", erzählt Tine Wittler. Ihr und ihrem Team ist es dennoch gelungen, mit Frauen vor Ort über das dort geltende Schönheitsideal und die Position von Frauen in der Gesellschaft ins Gespräch zu kommen: mit einer Frauenrechtlerin, die beklagt, dass Frauen krankmachende Hormone aus der Tiermast schlucken, um möglichst dick zu werden, oder mit einer mauretanischen Dolmetscherin, die einige Zeit in Deutschland gelebt hat, und die sich dem Schönheitsgebot ihres Landes nur noch eingeschränkt beugt. "Was ich erfahren und gesehen habe, war das spiegelverkehrte Bild unserer Gesellschaft. Es hat mir geholfen, unsere Situation besser zu verstehen", sagt die Autorin und zitiert eine Studie der Universität Bielefeld, wonach 53 Prozent der normalgewichtigen deutschen Mädchen sich für zu dick halten. Die deutschen Jugendlichen sind im weltweiten Vergleich am wenigsten zufrieden mit ihrer Figur. Meldungen wie diese und die mediale Abrechnung mit Prominenten, die nicht ganz dem Gardemaß entsprechen, geben Tine Wittler zu denken: "Wir brauchen eine Diskussion darüber, wofür der weibliche Körper eigentlich da ist. Doch nicht nur, um von anderen als schön angesehen zu werden. Ich habe mich dagegen entschieden. Und diese Freiheit sollte sich jede Frau nehmen", betont die Autorin.
Das Interview mit Tine Wittler erschien der stern-Printausgabe Nr. 32 am 07. August 2014.</
Frau Wittler, zehn Jahre lang waren Sie die lustig dralle Einrichtungsfee von RTL. 2013 wurde die Sendung abgesetzt. Täuscht der Eindruck, oder gibt es momentan nur noch Dünne im Fernsehen?
Tine Wittler: Ich fände es sehr schade, wenn ich nur aufgrund meines Körpers oder meiner äußeren Hülle vermisst würde. Immer wieder geht es in Interviews um mein Aussehen."
Es fällt aber schwer, mit Ihnen nicht über Äußerlichkeiten zu sprechen. Sie haben eine Mode-Linie für Mollige, haben Ratgeber wie "Pralle Prinzessinnen" geschrieben und drehten den Dokumentarfilm "Wer schön sein will, muss reisen".
Der Film und das Buch sind genau deshalb entstanden. Ich habe mich gefragt, warum unterwerfen wir uns Schönheitsidealen und warum muss ich mich ständig dazu äußern. Ich hatte nie Krieg mit meinem Körper, denn ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der dies keine Rolle spielte. Ich habe von meinen Eltern nie gehört, dafür bist du zu doof, zu dick, zu klein. Dennoch wollte ich wissen, warum wir uns diesen falschen Idealen unterwerfen. Es sollte das Thema meines sechsten Romans werden, aber dann kam alles anders. Es entstanden ein Reisetagebuch und ein Dokumentarfilm.
Für die Recherche sind Sie nach Mauretanien gereist...
In Mauretanien herrscht ein Schönheitsbild, das unseren Maßstäben völlig entgegengesetzt ist. Als attraktiv und wohlhabend gelten Frauen mit Rundungen. Allerdings wird in dem Land auch die Gavage praktiziert, das ist die Zwangsfütterung junger Mädchen. Sie sollen möglichst schnell und früh dem dort herrschenden Ideal entsprechen.
Sie haben die Gavage selbst erlebt?
Es ist eine Art von Folter. Da der Film nicht zeigen sollte, wie kleine Mädchen gequält werden, habe ich es selbst ausprobiert. Und ich war froh, als es vorbei war.
Zur Person:
Christine "Tine" Wittler wurde 1973 im westfälischen Rahden geboren. Nach dem Abitur studierte sie Kultur- und Kommunikationswissenschaften. Von 1998 an arbeitete sie als Redakteurin für diverse TV-Formate, 2002 erschien ihr erster Roman. Von Oktober 2003 an moderierte sie "Einsatz in 4 Wänden". In Hamburg-Altona eröffnete sie 2004 die Bar "Parallelwelt". Tine Wittler lebt mit ihrem Mann in Hamburg-Ottensen.
Wie sehen Sie Schönheitsideale?
Die Erkenntnis, dass äußere Schönheit viele verschiedene Erscheinungsformen haben kann, ist ein ganz großer Schritt zur eigenen Freiheit. Objektive Schönheit gibt es nicht. Punkt. Schönheitsideale sind immer abhängig von Raum und Zeit, sie unterliegen willkürlichen Maßstäben.
Hat die Reise Sie verändert?
Ich bin politischer geworden. Zum Beispiel durch die ReBelles, eine Organisation, die sich dafür einsetzt, Menschen nicht auf ihre äußere Hülle zu reduzieren. Zudem bin ich seit anderthalb Jahren mit meinem Buch auf Lesereise, seit September begleite ich den Film durch die Kinos und bin bei vielen Diskussionsrunden zu Gast.
Umso erstaunlicher, dass auf Facebook eine Anzeige kursierte, in der Sie für Diätpillen werben.
Ich habe dafür nie meine Zustimmung gegeben und bin von dem Hersteller auch nicht gefragt worden. Deshalb bin ich rechtlich dagegen vorgegangen.
Wann geht’s für Sie zurück ins Fernsehen?
Ich konzentriere mich momentan auf meinen Film. Wir arbeiten an einer englischen und einer französischen Version, um damit bei internationalen Festivals präsent sein zu können. Das Projekt ist mir derzeit das Wichtigste. Was danach kommt, wird man sehen.
"Für mich ist Gerechtigkeit nicht nur eine Frage der gleichen Rechte, sondern auch der Chancengleichheit. Aber diese Gerechtigkeit ist – leider – nichts, was einem „passiert“ oder gar selbstverständlich zur Verfügung steht. Gerechtigkeit muss weltweit – unter den verschiedensten Gesichtspunkten; auch unter solchen, die uns eigentlich „selbstverständlich“ erscheinen – noch immer erkämpft werden. Deshalb ist Aufstehen wichtig. Und deshalb bin auch ich dabei!"
--
Die ultimative Dienstleistungsoffensive des Antifeminismus
Ein bisschen Frauenhass steht jedem Mann!
wikimannia statt femipedia
gesamter Thread: