Dann macht doch selbst einen Verein auf (Genderscheiss)
Verein Uetze-Hänigsen: Schützen kritisieren Gleichberechtigung der Frau[/b]
Im Schützenverein Uetze-Hänigsen dürfen erstmals seit 92 Jahren Frauen Bürgerkönig werden. Oder Bürgerkönigin. Das gefällt längst nicht allen. Vor allem junge Männer haben Vorbehalte, wie der Vereinsvorsitzende erstaunt feststellt.
Hannover/Uetze
. Wenn Achim Schacht wirklich klar machen will, was an jenem Abend auf dem Spiel stand im Heim des Bürgerschützenvereins Hänigsen, dann erzählt er die Geschichte von der 15 Jahre alten Hanna, Beste mit dem Lichtpunktgewehr und deshalb Kinderkönigin 2016. Wie sie ihren Opa zur Versammlung schickte, damit er für die Zukunft der Frauen stimmte. Und dass sogar ihr Onkel mit Aufenthalt auf einer Karibikinsel an der historischen Abstimmung teilnehmen wollte, per Post. Nur plante der Vorstand um Achim Schacht nicht auch noch, Briefwahl einzuführen. Er war beschäftigt mit einer größeren Revolution. In Hänigsen wankte eine beinahe hundertjährige Gewissheit, und sie wankte bedenklich, wie etliche Schützen spürten. Dann fiel sie.
„Man hat nur einen Versuch“
Im Bürgerschützenverein Hänigsen sollte beschlossen werden, dass Männer und Frauen in Zukunft gleiche Rechte haben. Künftig sollten auch Frauen Bürgerkönig werden können, und das würde in der Praxis bedeuten: Frauen könnten beim jährlichen Schießen auf die Bürgerkönigsscheiben erstmals seit 1925 zum gemeinsamen Wettbewerb antreten. Seit Jahrzehnten war es so, dass nur Männer diesen Titel gewinnen konnten, weil nur Männer auf die Scheibe anlegen durften. Und der Vorsitzende Schacht weiß aus Erfahrung: „Das Ding ist begehrt. Man hat nur einen Versuch mit drei Schuss. Es gibt Männer, die unbedingt gewinnen wollen, es aber nie geschafft haben.“
Das hört sich sehr nach dem wahren Leben an. Man ahnt schon, dass Gegner dieser vor Kurzem aufgekommenen Gleichberechtigungsidee Konkurrentinnen fürchten. Bürgerkönig zu sein bedeutet in Hänigsen ja nicht irgendwas. Vom Prestige des besten Schützen abgesehen, winkt dem Sieger ein gesellschaftliches Großereignis. Am Montag des Schützenfestes, viele im Dorf haben sich extra Urlaub genommen, setzen sich Verein und zwei Musikkapellen vom Festplatz aus in Marsch. Mindestens 120 Menschen schauen dann zu, wie die Bürgerscheibe ans Haus des neuen Königs gedübelt wird. Tradition ist auch, dass der neue Monarch alle Gekommenen bewirtet, was sich meist im Rahmen von Flaschenbier und Mettbrötchen abspielt.
In Zukunft könnte der Umzug für eine Frau stoppen, man muss es sich allmählich wohl vorstellen. Die Jahreshauptversammlung des Bürgerschützenvereins beschloss vor Kurzem mit 29 gegen 23 Stimmen bei sieben Enthaltungen, dass in Zukunft auch Frauen am Wettbewerb teilnehmen dürfen. Königinnen werden möglich sein.
Dass es so gekommen ist, hat wohl auch an Kathleen Sacher gelegen. Sie ist 20 Jahre alt, nahm regelmäßig an Deutschen Meisterschaften teil, zum Beispiel in der Disziplin Luftpistole, und sie ist praktisch mit dem Schießsport groß geworden. „Die Königswürde ist das Größte, was man erreichen kann“, sagt sie. So hat Kathleen Sacher es auch auf der Versammlung erzählt und gehofft, schwankende Kameraden auf die Seite des Fortschritts zu ziehen. Ihr Beitrag hat nicht sehr lange gedauert, aber weil sie dachte, dass es knapp wird bei der Abstimmung, hatte sie sich dazu entschlossen. Eine neue Generation meldete sich zu Wort, eine Generation, die nicht länger kampflos hinnehmen will, was immer schon so war. Darunter Kathleen Sacher, die um Unterstützung warb, und Hanna, die ihren Opa schickte. Nichts läuft, wenn sich niemand drum kümmert.
Es gab erstaunliche Positionen im Club. Achim Schacht, seit Langem ein Verfechter der Gleichberechtigung im Verein, lotete im Vorfeld die Stimmung aus. Er war selbst überrascht, wer wie abstimmte. „Viele jüngere Männer waren dagegen, da bin ich immer noch irritiert, die hatte ich nicht auf meinem Zielradar. Dafür hatten Ältere kein Problem damit, dass auch Frauen schießen dürfen.“ Junge Männer fürchteten weibliche Konkurrenz, weil sie selbst einmal König sein wollen, vermutet Schacht. Manche sprachen auch von Tradition, die bewahrt werden müsste, aber das glaubt Schacht wohl nicht jedem. Und schließlich waren auch die meist älteren Jahrgänge der Damenabteilung dagegen, dass tradierte Überlieferungen zugrunde gehen wie Dinosaurier nach einem Meteoriteneinschlag. Sie hätten, wird im Club vermutet, lieber weiter unter sich die Beste der Damen ausgeschossen.
Junge Frauen fordern
Schon vor einigen Jahren gab es den Versuch, Königinnen zu ermöglichen. Aber damals fand die Idee überhaupt keine Unterstützung. Erst die jungen Frauen wollten eine Änderung, und der Vorsitzende Schacht hat ein Interesse daran, sie im Klub zu halten. Im Bürgerschützenverein Hänigsen gibt es zwar 410 Mitglieder, ein Viertel darunter Frauen, aber auch hier sind die älteren Mitglieder deutlich in der Überzahl. Schacht und sein Vorstandsteam wollen ihnen bieten, was auch männlichen Mitgliedern seit 1925 möglich ist: die Chance auf die Königswürde oder Königinnenwürde für den/die KönigIn. Semantisches wird später zu besprechen sein.
Ehe nun der Gedanke aufkommt, in Hänigsen bei Uetze hätte nur eine knappe Mehrheit den Schuss in Sachen Fortschritt gehört, und zudem verspätet Anfang 2017, sagt Achim Schacht: „Gleichberechtigung ist überall ein Thema und noch lange nicht überall umgesetzt. Da muss man nur auf Vorstände in Dax-Unternehmen gucken. Wir in Hänigsen leben nicht wie bei Asterix und Obelix.“
Die Königsangst
In Hänigsen gibt es die Angst der Männer, eine Auszeichnung nicht mehr zu bekommen. Man könnte das Phänomen Königsangst nennen. Doch der Begriff betitelt in Schützenvereinen das Gegenteil: absichtliches Vorbeischießen, um später nicht als König die Bewirtung für Kameraden und Spielmannszüge zahlen zu müssen – ein oft teures Vergnügen.
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In Hannover ist das Problem elegant gelöst
Hannover kürt seit Jahrzehnten eine Stadtkönigin – aber zusätzlich zu dem Stadtkönig, sodass die Männer bei der Einführung der neuen Regelung nicht um ihre Königswürde fürchten mussten. „Mich erstaunt, dass es derartige Diskussionen überhaupt noch gibt“, sagt Hannovers Schützenchef Paul-Eric Stolle: „Mir fällt bei uns im Verband kein Verein ein, bei dem da keine Gleichberechtigung herrscht.“ Uetze-Hänigsen zählt zum Kreisschützenverband Burgdorf, der aus hannoverscher Sicht „schon immer etwas traditioneller aufgestellt war“, sagt Stolle.
Während östlich von Hannover also darüber diskutiert wird, ob Frauen Königswürde tragen dürfen, gehen die Fragen im Rest der Republik längst weiter. Dürfen Schwule oder Lesben Schützenkönige sein? Oder Muslime? All so etwas machte zuletzt bundesweit Schlagzeilen. Hannovers Schützenchef Stolle hat darauf eine klare Antwort: „Man muss heute weltoffen sein – sonst gibt es den Schützensport irgendwann nicht mehr.“
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