Hallo Yussuf!
Es ist natürlich ein Problem, daß die Justiz (auch) in Deutschland nicht wirklich unabhängig vom Staat ist, daß also die regierenden Bonzen durchaus Einfluß auf die Richter und damit auch auf ihre Urteile haben.
Aber Fälle wie der von Kachelmann sind etwas anders gelagert, denke ich.
Erst einmal gibt es das Problem, daß die deutschen Richter anscheinend häufig überlastet sind:
http://www.haz.de/Nachrichten/Panorama/Uebersicht/Richter-verstossen-mit-Absprachen-gegen-das-Gesetz
Zitat daraus:
„Wir haben eine Strafjustiz, die unverändert unterbesetzt ist.“ Die Vermeidung langer Prozesse und die Arbeitsüberlastung der Justiz sind – neben dem Opferschutz – die wichtigsten Motive für einen Deal.
Allerdings scheint mir das mit der Unterbesetzung eher ein Märchen zu sein. Das eigentliche Problem besteht wohl mehr in diversen Nebentätigkeiten der Richter:
http://causa-lenniger.grundrechtepartei.de/wp-content/uploads/2008/09/nebenverdienst-richter.pdf
Natürlich muß sich solch eine Überlastung der Richter zwangsläufig generell negativ auf die Wahrheitsfindung auswirken, auch dann, wenn der Angeklagte kein falsches Geständnis ablegt. So kann es eben auch geschehen, daß das nächstbeste Gutachten, das in das Bild paßt, das der Richter sich nach flüchtigem Aktenstudium und einer tränenreichen Aussage eines angeblichen Opfers zurecht gelegt hat, einfach unhinterfragt als Grundlage für die Verurteilung genommen wird.
Und selbst, wenn ein Richter nicht überlastet ist, dann läßt doch die Ausbildung der Richter in Deutschland einiges zu wünschen übrig, wie hier von Dr. Klaus Malek, einem Rechtsanwalt aus Freiburg, beschrieben wird:
http://www.strafverteidigervereinigungen.org/Strafverteidigertage/Material%20Strafverteidigertage/vortrag%20malek.htm
Zitate daraus:
Und dabei wird der Tatbestand noch verharmlost, wenn von einer mangelhaften Ausbildung des Strafrichters auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung gesprochen wird. Es ist die fehlende Ausbildung, die die Wahrheitssuche erschwert. Vom ersten Tag seines Studiums bis zum letzten Tag des Assessorexamens hat es der angehende Strafjurist, natürlich auch der zukünftige Strafverteidiger, mit vorgefertigten Sachverhalten zu tun, an denen nicht zu rütteln ist, und die in Frage zu stellen, den typischen juristischen Laien entlarvt.
...
Eine solche Ausbildung, die sich ausschließlich mit vorgefertigten Sachverhalten und niemals, und ich behaupte, es geschieht niemals, wenn nicht auf freiwilliger und nicht examinierter Basis, mit der Problematik der Wahrheitserforschung befasst, hat den angehenden Strafrichter, bevor er sich an seine - laut höchstrichterlicher Rechtsprechung - "ureigenste Aufgabe" macht, bereits tief geprägt. Wir Verteidiger erleben dies laufend. Ein aktuelles Beispiel aus der Praxis gefällig? - Aus einem nicht ganz unbekannten, derzeit beim Landgericht Mannheim anhängigen Verfahren wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs wird in der Wochenzeitung "Die ZEIT" vom 24. Februar 2011 Folgendes berichtet:
"Auch der Haftrichter, der am 20. März 2010 die Untersuchungshaft ... anordnet, offenbart bei seiner Zeugenaussage vor dem Landgericht Mannheim eine Gutgläubigkeit und Weltferne, die man bei einem Richter zuletzt erwartet hätte. Die Version des Beschuldigten K., wonach er mit Simone D. erst einvernehmlich sexuell verkehrt, nach einer Eifersuchtsszene ihrerseits dann aber für immer gegangen sei, sei ihm schlicht "nicht einleuchtend" erschienen, begründet der Richter seinen Haftbefehl. Außerdem gehe er grundsätzlich davon aus, "dass jemand, der einen anderen einer Straftat bezichtigt, wahrheitsgemäße Angaben macht."
...
Die Opfer einer Straftat lügen nicht (deshalb nennt man sie auch von Anfang an Geschädigte und nicht einfach Zeugen), Polizeibeamte lügen nicht, Kronzeugen lügen nicht, und wie wir jetzt wissen, auch Richter lügen nicht. Auch das ist eine Form der Wahrheitsfindung. Dass sie wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht, nimmt allerdings nur derjenige wahr, der sich mit diesen Erkenntnissen auch befasst hat.
Noch immer scheint die Kenntnis sämtlicher Theorien zur Wegnahme im Sinne des § 242 StGB für den angehenden Strafrichter wichtiger zu sein als etwa die Lektüre der aussagepsychologischen Werke von Arntzen, Bender/Nack/Treuer, Köhnken/Deckers, Trankell, Undeutsch, um nur einige der wichtigsten zu nennen, oder etwa des Standardwerkes von Karl Peters zu den Fehlerquellen im Strafprozess. Diese Werke sollten eigentlich zur Pflichtlektüre im Studium und zum Prüfungsstoff im Examen gehören.
Letztendlich kommt der Autor zu dem Fazit:
Eine professionelle Ausbildung des Strafrichters, wie sie anderen Berufen eigen ist, zur Bewältigung seiner "ureigensten" Aufgabe, der Feststellung der materiellen Wahrheit, mit anderen Worten: der Wahrheitssuche, ist nicht vorgesehen. Statt dessen gilt das Prinzip "learning by doing". Das Problem ist seit langem bekannt. Eine Änderung ist nicht in Sicht.
So sind Fehlurteile nicht wirklich verwunderlich, sondern die logische Konsequenz der Mißstände in der Justiz.
Freundliche Grüße
von Garfield