Jackie DeShannon (Allgemein)
Volkslieder werden in der Seele des Volkes geboren und verbleiben unsterblich in ihr. Sie sind deshalb oft schon sehr alt und, wenn ihre Eingebung in Zeiten geschah, in denen Ware und Geld noch nicht zur alles verschlingenden Macht geworden waren, so sind ihre Schöpfer unbekannt und alle Spuren ihres Werdens zergangen.
Volkslieder sind nicht planbar oder konstruierbar und deshalb sind sie in der Regel nicht das Werk großer Komponisten. Auch entziehen sie sich der Marktlogik auf besondere Weise. Wie alles im Kapitalismus dürfen sie die Welt nur als Ware betreten und haben die Profitoption zu erfüllen aber dann streifen sie diese Herkunft ab und treten in das Reich der Freiheit ein. Sie verankern sich, ähnlich der Sprache, in Millionen Seelen, deren geheime Bindung sie durch einen unaussprechlichen Zauber vermitteln.
Auch in unseren Zeiten entstehen Volkslieder. Als Beispiel: Einige Sachen von Bob Dylan sind moderne Volkslieder geworden. Seine, aber auch alle anderen modernen Songs, mussten die Welt als Ware der Musikindustrie betreten, d.h. in einer dokumentierten Rechtsform, welche die Benennung von Verfasser des Textes, der Melodie und der Eigentumsrechte an beidem einschließt. Wann immer ein modernes Lied zum Volkslied wird, können wir deshalb seine Schöpfer benennen, und wie bei den technischen Erfindungen stellen wir fest, dass es fast ausschließlich Männer waren.
Wie komme ich auf das Ganze? Es hat sich so zugetragen. Vor einigen Tagen bin ich bei allerschönstem Wetter mit dem Motorrad durch Zweibrücken gekommen und habe dort Halt gemacht. Zweibrücken liegt in Rheinland-Pfalz an der Grenze zum Saarland und ist geprägt durch die herrlichen barocken Landschaftsgärten absolutistischer Fürsten. Ich stand neben dem „Rosengarten“ in den man nur mit Eintritt hineinkommt. Dort verbummelten Rentner ihren Nachmittag. Es wurde eine Bühne aufgebaut und eine Band prüfte die Akustik. Sie spielten zwei Songs aus den mittleren 60-er Jahren. Beim ersten war ich sofort wie in einer anderen Welt. Das kannte ich irgendwoher. (Der zweite war von den Beatles. Den Titel musste ich suchen: Er heißt: „I should have known better“ und ist nicht auf Platte, sondern nur in einem ihrer Filme veröffentlich worden). Als sie mit dem ersten fertig waren, applaudierte ich hingerissen zwischen den herumtrottenden Rentnern, die von der Darbietung überhaupt keine Notiz nahmen. Zu Hause fummelte ich mich durch. Es war der Song „When you walk in the room“ dargeboten sehr ähnlich dem hier:
https://www.youtube.com/watch?v=4XWQCLqab4o
also von den „Searchers“, eine Parallelband zu den Beatles, die ebenfalls aus Liverpool kommt und in ihren Anfangsjahren auf der Reeperbahn im Starclub im Wechsel mit den Beatles auftrat und mit diesen manche Stilelemente teilt. Alte, fette Herren geworden, treten sie heute immer noch mit unverändertem Repertoire in Tingeltangel-Shows auf. Und es klingt klasse:
https://www.youtube.com/watch?v=GHVTx_MgvVA
Es gibt noch viele, viele weitere Interpreten. Dieser wundervolle Popsong ist von einer Frau. Sie heißt Jackie DeShannon und war mir völlig unbekannt. Sie selbst ist damit nur auf den ganz hinteren Plätzen der Hitparade gelandet, erst die „Searchers“ machten ihre Schöpfung populär. Jackie DeShannon war ein begabtes Farmermädchen und Gott muss sie geküsst haben, als sie das schrieb. Später wurde sie Musikunternehmerin, die für die Musikindustrie den Stoff für ihre standardisierten Waren schreibt. Es ist nichts Umwerfendes mehr dabei herausgekommen, nur ein paar kommerzielle Erfolge.
Ihre Version ist immer noch die schönste
https://www.youtube.com/watch?v=mVCBSIn_1j0
Sie wirkt in ihre Darbietung verspielt, sehr glücklich und garnicht affektiert, eher amateurhaft, was wohl auch so war.
Sie lässt uns erkennen, dass damals, in Folge der 60-er Jahren, die ungefähr damit beginnen, auch andere Verläufe denkbar waren. Nicht nur die Katastrophe, die wir heute haben. Diese Katastrophe zu verstehen ist etwas anderes als sie zu akzeptieren. Die maskulistische Wagenburg hat nicht nur ihr Terrain verteidigt, sondern es sogar ausgedehnt. Verdanken tun wir das an allererster Stelle AH, aber nicht dieser verbissenen Frauenfeindschaft, die sich hier manchmal artikuliert. (Kemper uns so weiter sind in die Defensive geraten und machen Verzweiflungsfehler. Jeder weiß, wovon ich rede) Also kurz und gut, ich lass hier, in diesem Forum, Jackie DeShannon hochleben, denn an ihren Namen muss man erinnern, was ihre Liedschöpfung nicht nötig haben wird.