Wenn der Mensch zur MenschIn wird - oder:

Wieviel »Gleichberechtigung« verträgt das Land?

How much »equality« the country can stand?

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Liste Femanzen Prof. Dr. Ulrike Gräßel (Liste Femanzen)

Oberkellner @, Monday, 22.12.2014, 18:43 (vor 3436 Tagen)

F311 Prof. Dr. Ulrike Gräßel – Studium der Soziologie und Germanistik an der Universität Regensburg – Referentin für Frauenarbeit an der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayern, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Regensburg – seit 1993 Professorin für Soziologie/Sozialpolitik an der Hochschule Zittau/Görlitz (FH) im Fachbereich Sozialwesen. Arbeitsschwerpunkte: Sprache und Geschlecht, Soziale Arbeit mit Mädchen und Frauen, institutionalierte Frauenarbeit/Gleichstellungsstellen - Postanschrift: Hochschule Zittau/Görlitz, Hermann-Heitkamp-Haus, Zimmer 2.09, Brückenstraße, Ecke Furtstraße 2, 02826 Görlitz - u.graessel@hs-zigr.de - http://web.hszg.de/~graessel/pix/selbst.jpg

Wertorientierungen als Ressource in der Sozialen Arbeit für und mit Mädchen und Frauen

Soziale Arbeit mit und für Mädchen und Frauen wurde in den 1970er Jahren durch die Frauenprojektebewegung „entdeckt“. Seit dieser Zeit ist eine geschlechterorientierte soziale Arbeit in der Diskussion - positiv formuliert! Negativ formuliert ist eine geschlechterorientierte soziale Arbeit, und zwar anfänglich eine nahezu ausschließlich mädchen- und frauenorientierte soziale Arbeit, unter einem ständigen Legitimationsdruck. Und dies, obwohl eine differenzierte Zielgruppenorientierung in der sozialen Arbeit ansonsten eine niemals in Frage gestellte professionelle Selbstverständlichkeit1 ist. Immer wieder werden Argumente gegen eine explizite Mädchen- und Frauenarbeit vorgebracht, die in der Regel in dem Vorwurf der Diskriminierung von Jungen und Männern gipfeln. Dieser Vorwurf der Diskriminierung des „anderen“ Geschlechts - in dieser Variante dann von Mädchen und Frauen - wird mittlerweile auch gerne gegenüber den immer noch eher nur vereinzelt vorhandenen Jungen- und Männerprojekten erhoben.
Sehr ernste und durchaus auch ernst zu nehmende Bedenken werden hier im Zusammenhang mit der „Täterarbeit“ vorgebracht, eine Arbeit, die durch das seit Ende des Jahres 2001 endlich geltende Gewaltschutzgesetz angeschoben wurde. Diese Bedenken haben sich durchaus verständlicher Weise aus einer mittlerweile jahrzehntelangen Opfer, sprich Frauenperspektive auf das Phänomen der häuslichen Gewalt entwickelt: So heißt es in einer Stellungnahme der Teilnehmerinnen der Arbeitsgruppe autonomer Frauenhäuser zum Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung häuslicher Gewalt, dessen Bestandteil oben genanntes Gewaltschutzgesetz ist, - und dies sei hier stellvertretend für alle Skeptikerinnen und durchaus auch Skeptiker aus der praktischen sozial(politisch)en Arbeit zitiert: „In der 25jährigen Geschichte der autonomen Frauenhäuser haben wir es immer abgelehnt, Täterarbeit zu leisten. Ein Bestandteil des Aktionsplanes wird aber Täterarbeit und hoffentlich Täterächtung sein. Unsere Befürchtung ist allerdings, dass die finanziellen Mittel, die hierfür benötigt werden, bei den frauenparteilich arbeitenden Projekten abgezogen werden könnten. Dem werden wir aufs schärfste widersprechen und entgegentreten.“2 Stellvertretend für Warnungen aus der theoretischen bzw. wissenschaftlichen sozial(politisch)en Arbeit sei Margrit Brückner genannt: „Im Gegensatz zur Arbeit mit Schutz und Hilfe suchenden weiblichen Opfern ist die Arbeit mit männlichen Tätern eher noch in den Anfängen begriffen und bedarf des weiteren Ausbaus, allerdings ohne deshalb die Frauen- und Mädchenarbeit im Antigewaltbereich zu kürzen.“3
Das neueste Gegenargument gegen Mädchen- und Frauenarbeit (und mittlerweile auch gegen Jungen- und Männerarbeit) ist das Konzept des Gender Mainstreaming, allerdings ein falsch verstandenes Gender Mainstreaming.

Gender Mainstreaming als Argument für eine Arbeit mit Mädchen und Frauen (und Jungen und Männern)
Einleitend zu den folgenden Ausführungen soll - wie so oft - Paragraph 9 SGB VIII zitiert werden, in dem es heißt: "Bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben (der Jugendhilfe) sind (...) die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern."
Diese Forderung findet ihren Niederschlag im Prinzip des Gender Mainstreaming, das 1999 durch den Amsterdamer Vertrag für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union - also auch für die Bundesrepublik - verpflichtend wurde. Gender Mainstreaming zielt darauf ab, Geschlechterfragen zum integralen Bestandteil des Verwaltungs- und Entscheidungsdenkens und -handelns zu machen. Die Europäische Kommission definiert Gender Mainstreaming als „systematische Einbeziehung der jeweiligen Situation, der Prioritäten und der Bedürfnisse von Frauen und Männern in alle Politikfelder, wobei mit Blick auf die Förderung der Gleichstellung von Frauen sämtliche allgemeinen politischen Konzepte und Maßnahmen an diesem Ziel ausgerichtet werden und bereits in der Planungsphase wie auch in der Durchführung, Begleitung und Bewertung der betreffenden Maßnahmen deren Auswirkungen auf Männer und Frauen berücksichtigt werden“4. Insofern bedeutet der Begriff Gender Mainstreaming (wörtlich übersetzt "Hauptströmung Geschlecht") in klare und deutliche Worte gefasst nichts anderes als die Anerkennung der Tatsache, dass es ein erheblicher Unterschied ist, ob ich als Mädchen und Frau oder als Junge und Mann in dieser Gesellschaft aufwachse und lebe, dass aus diesem Unterschied unterschiedliche Bedürfnisse von Frauen und Männern erwachsen bzw. erwachsen können und dass diese unterschiedlichen Lebensumstände und Bedürfnisse auch tatsächlich berücksichtigt werden. Und genau dies, nämlich die Forderung nach Berücksichtigung der Lebensumstände und Bedürfnisse beider Geschlechter - wohlgemerkt: beider Geschlechter! - ist der Kern des Handlungsprinzips des Gender Mainstreaming. Da durch die Beschränkung auf stereotype Vorstellungen von Geschlechteridentitäten Jungen wie Mädchen, Männer wie Frauen betroffen sind, nimmt Gender Mainstreaming auch beide Geschlechter in den Blick. Dadurch können Auseinandersetzungen mit der Kategorie Geschlecht kein vermeintliches Frauenthema mehr sein und Frauen auch keine "Sondergruppe" mehr. Allerdings erlebt die Frauen- und Mädchenarbeit - genauso wie die sich allmählich entwickelnde Männer- und Jungenarbeit - derzeit eine merkwürdige Verkehrung des Gender-Mainstreaming-Prinzips: Der Verweis darauf wird dazu missbraucht, Unterschiede zwischen Frauen und Männern nun erneut zu tabuisieren oder aber die Existenzberechtigung reiner Frauen- und Mädchenprojekte oder Männer- und Jungenprojekte infrage zu stellen. Solche Gleichmacherei ist unzulässig. Die EU hat unmissverständlich festgestellt, dass die Lebenslagen von Mädchen im Vergleich zu denen der Jungen nicht nur andere sind, sondern dass sie nach wie vor durch strukturelle Benachteiligung gekennzeichnet sind und dass Gender Mainstreaming entsprechend eine Ergänzung und keinesfalls ein Ersatz bisheriger Frauenförderinstrumente ist, wie zum Beispiel Gesetzesvorgaben, Quotierung, die Institution der Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten oder der autonomen Praxis von Frauen- und Mädchenarbeit.5 Indem z. B. Mädchenprojekte zum einen ein wichtiger Beitrag zur Herstellung von Chancengleichheit sind wie auch der Auslöser für ein modernes Denken in der Kinder- und Jugendhilfe selbst, "befreit das Gender Mainstreaming die Mädchenpädagoginnen aus der Rolle der Bittstellerin, auf die sie bislang häufig verwiesen wurden. Ihre Anregungen und Erfahrungen müssten spätestens jetzt der Verwaltung und dem Jugendamt willkommen sein, damit sie ihrer originären Verpflichtung zur Umsetzung des Gender Mainstreaming nachkommen können"6.
Bedauerlicher, allerdings nicht überraschender Weise stellt sich genau hier das Problem: Niemand kann allen Ernstes daran glauben, es könne plötzlich, quasi über Nacht, zu einer Geschlechtersensibilität der Verwaltungen kommen.
An dieser Stelle rückt spezifisches Arbeitsfeld im Bereich der Frauen- und Mädchenarbeit in den Blickpunkt, nämlich das Arbeitsfeld der Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten. Wer, wenn nicht sie, sollte die mögliche Entwicklung überwachen (und korrigieren), dass sich die Politik des Gender Mainstreaming am Ende verflüchtigt, wenn alle verantwortlich sein sollen und sich letztlich kein einzelner - in der Regel keine einzelne! - mehr verantwortlich fühlt? Wenn Gender Mainstreaming als systematische Einbeziehung der jeweiligen Situation, der Prioritäten und der Bedürfnisse von Frauen und Männern in alle Handlungsfelder der Verwaltung tatsächlich ernst genommen wird, dann wird die Funktion der Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten also nicht etwa überflüssig, im Gegenteil: Durch das Konzept des Gender Mainstreaming kommt für die Gleichstellungsbeauftragte eine neue Aufgabe hinzu, nämlich die, innerhalb ihrer Verwaltung zu kontrollieren, dass Frauen- und Männerinteressen, Mädchen- und Jungeninteressen im täglichen Verwaltungshandeln auch tatsächlich berücksichtigt werden.

Diese wichtige Funktion der Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten wird zunehmend von Diplom-Sozialpädagoginnen bzw. Diplom-Sozialarbeiterinnen ausgefüllt, die in immer mehr Studiengängen für Soziale Arbeit auch entsprechend qualifiziert werden. Im Folgenden möchte ich einige Aspekte dieser spezifischen Arbeit zum einen für Mädchen und Frauen (in einer durchaus klassischen Stellvertretungsfunktion), zum anderen mit Mädchen und Frauen beleuchten, und zwar auf der Grundlage von Wertorientierungen.


Gleichstellungsarbeit auf der Grundlage von Wertorientierungen
Um Gleichstellungsarbeit auf der Grundlage von Wertorientierungen beleuchten zu können, muss eingangs die Frage geklärt werden, was „Werte“ sind: Ein Wert ist nach Kluckhohn „eine ausdrückliche oder stillschweigend inbegriffene Auffassung des Wünschenswerten, eigentümlich einem Individuum oder charakteristisch für eine Gruppe, die die Auswahl unter verfügbaren Handlungsweisen, -mitteln und -zielen beeinflusst“7. Werte sind also Vorstellungen, die von einzelnen Menschen, von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, aber auch in einer Gesellschaft allgemein als wünschenswert anerkannt sind und den Menschen Orientierung geben. Ein Wert kann dabei eine explizite oder implizite Auffassung des Wünschenswerten sein. Explizit, ausdrücklich, heißt: Ich trage meine Auffassung des Wünschenswerten durch Worte und/oder Taten nach außen. Die implizite Auffassung des Wünschenswerten würde bedeuten: ich denke oder handle im Stillen, eventuell auch unbewusst nach dem, was ich mir wünsche. Unbedingt zu Werten dazu gehören Normen. Und Normen sind Imperative, also in Handlungsanweisungen übersetzte Werte.
Eine zentrale Orientierung darüber, welche Werte und Normen in unserer Gesellschaft als wünschenswert anerkannt sind, findet sich in unserem Grundgesetz. An erster Stelle steht die Menschenwürde, die Freiheit und - ein Wert, der im Zusammenhang mit Gleichstellungsarbeit natürlich von zentraler Bedeutung ist - die Gleichheit vor dem Gesetz, in Bezug auf Männer und Frauen in Artikel 3 des Grundgesetzes die "Gleichberechtigung". Im selben Artikel des Grundgesetzes ist auch gleich die dazugehörige Norm formuliert: Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt werden (Art. 3, Abs 3 GG). Und: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin (Art.3, Abs 2 GG).
Was nun bei der folgenden Wertediskussion immer im Auge behalten werden sollte, ist, dass der Staat sich bei der Umsetzung dieses Wertes Gleichstellungs- bzw. Frauenbeauftragter bedient: Der Wert Gleichberechtigung ist in unserem Grundgesetz festgeschrieben, aufgrund dessen in den Landesverfassungen, aufgrund dessen wiederum in den Landkreis- und Gemeindeordnungen, und wiederum und letztendlich aufgrund dessen in den jeweiligen Satzungen der Kommunen, auf deren Grundlage Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragte bestellt werden, um diesen Wert umzusetzen. Noch einmal: Zur Umsetzung des Wertes bzw. der Werte Gleichheit, Gerechtigkeit oder Gleichberechtigung bedient sich unser Staat der Person der Gleichstellungsbeauftragten. Gleichstellungs- bzw. Frauenbeauftragte sind aufgrund dieses Wertes und der dazu gehörigen Norm, die beide im Grundgesetz festgeschrieben sind, bestellt.
Es ist davon auszugehen, dass die meisten Männer und Frauen einverstanden sind zum einen mit der Wertbestimmung "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", zum anderen mit der davon abgeleiteten Norm, dass niemand aufgrund seines Geschlechtes benachteiligt werden darf. Sehr viel „differenzierter“ wird der Inhalt dieses Grundgesetzartikels erfahrungsgemäß allerdings immer dann beurteilt, wenn es darum geht, ob dieser Wert und diese Norm so weit verinnerlicht ist, dass es über ein lapidares Einverständnis - unverbindlich und kostenlos! - hinaus um eine „ausdrückliche“ Auffassung dieses wünschenswerten Anspruchs geht, wie sie im Grundgesetz niedergelegt ist: Wenn da steht "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern", dann geht das vielen schon genau einen Schritt zu weit. Und wenn wir dort weiter lesen: "und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin", löst das bei vielen geradezu Empörung aus: Welcher bestehender Nachteile denn?

Gleichstellungs- bzw. Frauenbeauftragte wissen in aller Regel um bestehende Nachteile, insofern ist davon auszugehen, dass sie durchaus einem „ausdrücklich“ wertorientierten Ansatz der Gleichstellungsarbeit folgen - intuitiv oder auch reflektiert. Dabei ist der Begriff der Reflexion insofern von immenser Bedeutung, als er besagt, dass sich einen wertorientierten Ansatz von Gleichstellungsarbeit durch Reflexion auch aneignen kann!
Im Folgenden soll als ein explizit wertorientierter Ansatz der Gleichstellungsarbeit im Sinne des Grundgesetzes eine „emanzipatorische“ Gleichstellungsarbeit, eine „parteiliche“, klassisch: eine „feministische“ Gleichstellungs, Frauen- und Mädchenarbeit diskutiert werden.

Grundsätze emanzipatorischer, parteilicher oder feministischer Gleichstellungs, Frauen- und Mädchenarbeit
Eine emanzipatorische, parteiliche oder feministische Gleichstellungs, Frauen- und Mädchenarbeit ist ganz bestimmten Grundsätzen verpflichtet, wobei diese Grundsätze nicht nur leitend für die Arbeit von Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten sind oder besser: sein können, sondern ebenso für die soziale Arbeit mit Frauen und Mädchen „allgemein“. Zurückzuführen sind diese Prinzipien auf erste Überlegungen von Maria Mies über „Methodische Postulate zur Frauenforschung“8, sowie auf Margrit Brückners grundlegende Arbeiten zu diesem Thema9.
Der erste Grundsatz meint eine Zielstellung der Arbeit mit Mädchen und Frauen, die auf Emanzipation gerichtet ist. Emanzipation meint die Freilassung, Befreiung, Verselbständigung aus einem Zustand der Abhängigkeit oder Unterdrückung. Emanzipation kann auf zwei Ebenen erfolgen: auf der individuellen Ebene - eine Person emanzipiert sich z. B. aus der emotionalen oder finanziellen Abhängigkeit eines anderen Menschen - oder auf struktureller Ebene: eine soziale Gruppe überwindet z. B. ihre wirtschaftliche oder rechtliche Abhängigkeit von einer anderen. Demnach verstehe ich unter weiblicher Emanzipation heute, dass einzelne Frauen - oder als "explizite Auffassung des Wünschenswerten": alle Frauen - unabhängig werden von weiblichen Geschlechtsrollenstereotypen, von dem, was traditionell als „typisch weiblich“ gilt. Im Umkehrschluss meint die Emanzipation des Mannes die Befreiung einzelner Männer - bzw. als Wunschvorstellung: aller Männer - aus den Zwängen auch männlicher Geschlechterstereotypen, die Abkehr von traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit. Die Unterscheidung zwischen individueller und struktureller Emanzipation ist insofern zentral, da einzelne Frauen, die es „geschafft haben“, die individuell unabhängig und selbständig ihren eigenen Lebensweg gestalten, keineswegs als „Beweis“ dafür gelten können, dass Frauen heutzutage emanzipiert wären, dass es allen Frauen möglich wäre, ihre Biographie unabhängig und selbständig zu entfalten.
Zweiter Grundsatz: Empowerment10. Empowerment will Betroffene durch professionelle Arbeit ermächtigen, ihr Leben selbst zu bestimmen. Das bedeutet, dass Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragte nicht ausschließlich für die Frauen in Ihrer Kommune bzw. Organisation Dinge erledigen sollen, sondern auch alles dafür tun sollten, dass die Frauen, deren Interessen sie vertreten, die Chance bekommen, die Dinge selbst zu tun. In diesem Sinne müssen Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragte Informationen geben, Informationsbörsen organisieren, die Kinderbetreuungssituation thematisieren, einen Verein o. ä. motivieren, dass er Selbstbehauptungstrainings (statt der immer gleichen Bewerbungstrainings!) anbietet, et cetera. Hauptaufgabe der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten wäre demnach, - wie Aufgabe von Sozialarbeit wünschenswerterweise überhaupt! - Mädchen und Frauen bei der Beschaffung von Ressourcen zu unterstützen, die eine Lebensform in Selbstorganisation möglich machen.
Dritter Grundsatz: Ganzheitlichkeit. Ganzheitlichkeit meint nach Margrit Brückner11 die Berücksichtigung der gesamten Lebenssituation der Frauen und Mädchen und nicht nur Teilaspekte oder Probleme. Ein weiterer wichtiger Aspekt eines ganzheitlichen Blicks auf die Dinge ist darüber hinaus die Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Privatheit und Öffentlichkeit: Dies bedeutet z. B., dass individuelle Gewalt gegen Frauen ein Teilaspekt der strukturellen Gewalt gegen Frauen ist bzw. ein Teilaspekt der geschlechterdifferenzierenden und geschlechterhierarchischen Ordnung unserer Gesellschaft12. So hat sexuelle Belästigung natürlich etwas zu tun mit der - im wahrsten Sinne des Wortes - unverschämten Werbung für „Erotik-Messen“ überall im Lande. Selbstverständlich hat die Angst von Frauen und Mädchen, abends allein auf die Straße zu gehen, mit der verharmlosenden Darstellung von Vergewaltigungen zu tun, mit reißerischer medialer Berichterstattung oder auch mit den genannten Sexmessen. Und natürlich haben Männer - in diesem Fall sogenannte „Paschas“ - etwas mit der Doppelbelastung vieler Frauen zu tun! All diese „privaten“ Probleme von Frauen sind eben keine privaten Einzelprobleme, sondern Teil eines großen, zusammengehörigen Systems.
Vierter Grundsatz: Parteilichkeit. Parteilichkeit meint, ohne Einschränkung auf Seiten der Frau oder des Mädchens zu stehen und deren Belange an erste Stelle zu setzen. Eine wichtige Ergänzung: Gleichstellungsbeauftragte für Männer bzw. Jungen- oder Männerbeauftragte, die es in einigen wenigen Städten auch tatsächlich gibt, würden dann eben ohne Einschränkung auf Seiten des Mannes oder des Jungen stehen und dessen Belange an erste Stelle setzen.
Fünfter Grundsatz: Betroffenheit. Betroffenheit meint die von allen Frauen geteilte Erfahrung gesellschaftlicher Unterordnung, die Nähe und besonderes Verstehen der Frauen mit sich bringt und die Basis des Kampfes gegen weibliche Benachteiligung darstellt.

Ein ermächtigender (Empowerment) und ein ganzheitlicher Ansatz in der Arbeit mit und für Frauen und Mädchen sind sicherlich die am wenigsten umstrittenen Grundsätze einer emanzipatorischen Gleichstellungsarbeit - und auch gegen Emanzipation werden selten ernsthafte Argumente vorgebracht. Auch ist offensichtlich „Parteilichkeit“ in der Gleichstellungsarbeit, egal ob für Frauen und Mädchen oder für Männer und Jungen als „ethische Basis“13 kein Streitpunkt. Wie die praktische Umsetzung dieser Prinzipien erfolgt, ist eine andere Frage14.
Am schwierigsten scheint der Begriff der Betroffenheit zu fassen zu sein, dem ich mich „auf Umwegen“ nähern möchte, und zwar über den Begriff des „Frauenengagements“15 bzw. der feministischen Überzeugung. Eine feministische Überzeugung ist etwas, was nach Margrit Brückner unabdingbar ist für engagierte Frauen- und Mädchenarbeit. So kommt sie in ihren Untersuchungen zum beruflichen Selbstverständnis von Mitarbeiterinnen in Frauen- oder Mädchenprojekten zusammenfassend zu folgendem Fazit: Arbeit in einem Frauenprojekt ist mehr als ein Beruf und geht einher mit einer feministischen Überzeugung und einem Engagement für Frauen.
Eine feministische Überzeugung meint, von einem ungleichen Machtverhältnis der Geschlechter auszugehen, und zwar von einer sexistischen Struktur. "Sexistisch wären dann jene Verhaltensweisen, die in der Frau in erster Linie das Geschlecht (das für andere da ist) sehen, während das, was Frauen sonst noch sind, tun, sein oder tun können, hinter das bloße Geschlechtsein zurücktritt."16
Aufgrund dieser sexistischen Betrachtungsweise17 werden in unserer Gesellschaft Weiblichkeit, weibliche Werte und Eigenschaften definiert als Personenbezogenheit, emotionale Ausdrucksfähigkeit und Solidarität. Männlichkeit, männliche Werte und Eigenschaften werden dagegen in Verbindung gebracht mit einem Vorrang des Sachbezugs vor dem Personenbezug, als emotionale Kontrolle, Konkurrenzdenken, Leistung- und Erfolgsorientierung. Das sind Werte und Eigenschaften, die sich aufgrund der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung bei Männern und Frauen herausgebildet haben, eine Arbeitsteilung, die dem Mann den Bereich der Öffentlichkeit, der Arbeitswelt zuweist, der Frau den Bereich des Privaten, der Familie. Diese auch heute noch fortbestehende Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen bedingt unterschiedliche Rollenbilder und unterschiedliche Eigenschaften von Frauen und Männern. Dabei ist nicht ausschlaggebend, dass Frauen heutzutage auch erwerbstätig sind, sondern ausschlaggebend ist, dass sie auch erwerbstätig sind, ebenso wie manche Männer sich heute auch um ihre Kinder kümmern - beide Male ist die zweite Seite etwas, was „zum Normalen“ dazukommt.
Wichtig ist mir, dass ein feministischer Blick durchaus nicht die Augen verschließt vor dem Elend, das eine sexistische Gesellschaft auch für Jungen und Männer produziert, indem auch sie in vorgefertigte Zwänge, Muster und Klischees gepresst werden. So könnte man analog zur Beschreibung sexistischer Sichtweisen auf Frauen für sexistische Sichtweisen auf Männer formulieren, dass sexistisch all jene Verhaltensweisen wären, die in Männern in erster Linie das Geschlecht sehen, das aus starken, emotionslosen Jägern und Kriegern besteht bzw. moderner: aus rund um die Uhr außerhäusig erwerbstätigen Ernährern der Familie, während alles andere, was Männer sonst noch sind oder tun, sein oder tun könnten, dem gegenüber zurücktritt. Unter diesen Klischeevorstellungen leiden auch Jungen und Männer, und darum kümmern sich zunehmend auch Jungen- und Männerbeauftragte bzw. Gender Mainstreamingbeauftragte.

Zurück zur Betroffenheit: Auch wenn sich viele Frauen - von Männern ganz zu schweigen - einmal mit mehr, einmal mit weniger Vehemenz dagegen wehren: von diesen sexistischen Vorstellungen in unserer Gesellschaft sind alle Frauen und Männer betroffen - und sie sind auch alle mehr oder weniger engagiert an der Aufrechterhaltung dieser Verhältnisse beteiligt! Und alle Männer und Frauen sind auch von den aus diesen Verhältnissen entstehenden Über- und Unterordnungsverhältnissen betroffen, wobei sich Frauen immer noch häufiger in den Unterordnungsverhältnissen wiederfinden als Männer, obwohl mittlerweile auch deren Benachteiligungen ins öffentliche Bewusstsein dringen.
Betroffenheit meint also die von allen Frauen geteilte Erfahrung gesellschaftlicher Unterordnung. Diese Unterordnung wird zwar von vielen, gerade jungen Frauen sehr häufig geleugnet - wer definiert sich schon gerne als untergeordnet?! - doch ändert dies nichts an der vorhandenen Tatsache. "Welche Differenzen sich jedoch zwischen Frauen auftun können, wo die einen aus unmittelbarer Gewalterfahrung als persönlich erlittenem Schicksal urteilen und handeln, und die anderen sich aufgrund politischer Positionen und Einschätzungen von männlicher Gewalt als Frau strukturell bedroht sehen, darf nicht unterschätzt werden."18 Das bedeutet - und nun erlaube ich mir eine sehr persönliche Erläuterung - dass auch ich von männlicher Gewalt in unserer Gesellschaft bedroht bin, obwohl ich noch nie von einem Mann verprügelt worden bin. Auch ich habe Angst, nachts allein auf die Straße zu gehen, obwohl mir bis jetzt nicht: noch nichts passiert ist, aber zumindest noch nichts, womit ich bis jetzt, Dank Wen Do-Kursen und Selbstbehauptungstrainings, nicht fertig geworden bin. Ich bin betroffen als Frau in dieser Gesellschaft von dem, was Frauen in dieser Gesellschaft zugemutet wird, obwohl ich weder arbeitslos bin, noch alleinerziehend, noch von Sozialhilfe leben muss, keine sexuelle Gewalt erfahren habe et cetera. Ich könnte dafür andere Erfahrungen berichten.

Dieser hier vorgestellte emanzipatorische, parteiliche oder feministische Ansatz der Gleichstellungs, Frauen- und Mädchenarbeit enthält nun ein geradezu explosives Potential an Werten. Diese Werte können einerseits eine unendliche Ressource, eine unendliche Kraftquelle für das eigene Handeln bedeuten, andererseits eine unendliche Ressource für Spannungen. Spannungsgeladen ist dieser Ansatz immer dann - und dies ist oft der Fall - wenn diese Sichtweisen, diese Werte von dem jeweiligen Gegenüber (vom Bürgermeister über den Träger bis zur Geschäftsführung, zum Vereinsvorstand oder auch zur Kollegin) nicht nur nicht geteilt, sondern strikt abgelehnt werden. Dass Sozialpädagoginnen und Sozialarbeiter, die sich an einem solchen Ansatz orientieren, in ihrer Arbeit so oft auf eine solche, teilweise auch erschreckende Vehemenz (meistens in der Ablehnung!) stoßen, liegt daran, dass das, was sie tun, dass das, wozu sie entweder beauftragt sind oder zu dem sie sich bekennen, nämlich zu einem Wert, den unser Grundgesetz festgeschrieben und gleich dazu in eine Norm übergeführt hat, dass das nicht nur immer Ausdruck einer persönlichen Wertvorstellung ist, sondern immer auch Wertfragen bei anderen berührt, und zwar immer! Denn jeder Mensch ist entweder männlich oder weiblich bzw. fühlt sich entweder als Mann oder als Frau und ist insofern vom Thema Geschlecht bzw. Geschlechterverhältnisse immer in irgendeiner Art und Weise auch berührt. Und ein weiteres Problem: Anders als beim Thema Menschenwürde oder auch Freiheit der Person gibt es offensichtlich hinsichtlich des gesellschaftlich gewünschten, da im Grundgesetz festgeschriebenen Wertes der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, von Jungen und Mädchen (noch) keinen gesellschaftlichen Konsens.
Um beim Wünschen zu bleiben: Es ist zu wünschen, dass noch sehr viel mehr Männer und Frauen - auch innerhalb der sozialen Arbeit - die Auffassung des Wünschenswerten engagierter Frauen- und Mädchenarbeiterinnen und Jungen- und Männerarbeiter teilen, in diesem Fall die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, inklusive aller expliziten Normen.
http://web.hszg.de/~graessel/texte/wert.html

http://lserv.sozwes.htwk-leipzig.de/projekte/guesa/dateien/E_Ulrike%20Graessel[5].pdf


1
Prof. Dr. Ulrike Gräßel
Gleichstellungsarbeit in Sachsen – Erfolge, Erfahrungen und Perspektiven
im Spannungsfeld heutiger politischer und gesellschaftlicher
Entwicklungen
Die große ganze Frage der heutigen Tagung lautet ja „20 Jahre Gleichstellungsarbeit
in Sachsen – unterschätztes Erfolgsmodell oder notwendiger
Ballast der Politik?“ Die große und ganze Antwort auf diese Frage
lautet aus meiner Sicht: das kommt immer auf die Perspektive an!
Und prompt wurde mir EINE Perspektive zugewiesen, nämlich die positive,
da mein Arbeitsauftrag für heute war, über Erfolge, Erfahrungen und
Perspektiven im Spannungsfeld heutiger politischer und gesellschaftlicher
Entwicklungen zu berichten.
Und 20 Jahre Gleichstellungsarbeit in Sachsen IST eine Erfolgsstory –
ohne Frage! Auch wenn gerade in diesen Tagen angesichts der Kürzungen
im sozialen Bereich und ganz besonders in dem, der dezidiert auf
die Zielgruppe Frauen und Männer, Mädchen und Jungen zielt, dies der
einen oder dem anderen NICHT der Fall zu sein scheint! Und das werde
ich in meiner Erfolgsberichterstattung auch nicht unterschlagen!
Lassen Sie mich trotzdem mit ganz viel Positivem anfangen.
Viel Positives hat sich getan, nachdem am 29. November 1989 unmittelbar
nach der erst vierten Veranstaltung der Gruppe „Frauen für Frauen“
in Dresden, später umbenannt in „Freundeskreis Frauen suchen: Frauen“
unter dem Thema „Fraueninitiativen – warum? Wohin?“ eine Eingabe
an den Oberbürgermeister Berghofer formuliert wurde. In dieser Eingabe
verlangen die Frauen die Einrichtung eines Frauenhauses und Räumlichkeiten
für Begegnungsmöglichkeiten, für eine Frauenbibliothek, für
Arbeitsgruppen, für misshandelte Frauen und Frauen in Krisensituationen,
für die Einrichtung eines Notrufes für vergewaltigte Frauen sowie
Räume für eine psychologische und gynäkologische Beratungsstelle auf
Selbsthilfebasis. Und sie verlangen die Einrichtung eines vom DFD unabhängigen
Referates für Frauenfragen beim Rat der Stadt.1
1 Ramona Bechler, Aufbruch und Bewegung? Autonome Frauengruppen in Dresden 1980-1989/90, Magistraarbeit,
TU Dresden 2008, S. 60ff
2
Im Dezember 1989 wurde der Unabhängige Frauenverband (UFV) gegründet.
Über ihn und seine Dresdner Sprecherin Brunhild Friedel begannen
dann die Vorbereitungen zur Aufnahme der Arbeit einer „Leitstelle
für die Gleichstellung der Geschlechter“ im Dresdner Rathaus, die bereits
am 12. März 1990 ihre Arbeit aufnahm2.
Insofern ist es ein Mythos, wenn immer wieder behauptet wird, kommunale
Gleichstellungsstellen wären den Kommunen in Sachsen übergestülpt
worden! Den Kommunen vielleicht, offensichtlich aber NICHT den
Bürgerinnen dieser Kommunen – zumindest nicht allen: Es gab unbestritten
frauenbewegte Frauen in einer Frauenbewegung in der DDR –
sehr gut dokumentiert für Sachsen bzw. Dresden durch die Magistraarbeit
von Ramona Bachler über Frauengruppen in Dresden 1980 bis
1989/90 aus dem Jahr 2008 – es gab „also Frauen, die nicht auf der
Welle der staatlichen Frauenpolitik mitschwammen“3 und die solche Stellen
forderten, vergleichbar mit der Entstehung kommunaler Gleichstellungsstellen
im Westen:
Nach Jeanette Behringer4 geht die Initiierung kommunaler Gleichstellungsstellen
auf den Einsatz lokaler Fraueninitiativen zurück, die teilweise
von Politikerinnen und Frauen aus Gewerkschaften und Verbänden
gebildet oder zumindest unterstützt wurden.
Interessanterweise wurde diese Entwicklung zu Beginn der 80er Jahre
von großen Teilen der autonomen Frauenbewegung abgelehnt, da eine
Institutionalisierung von Frauenpolitik als „falscher Weg“ angesehen
wurde. Mit der Ausdifferenzierung der Frauenbewegung hat sich dies
aber verändert. Institutionalisierte Frauenpolitik wird mittlerweile von allen
akzeptiert bzw. auch für notwendig erachtet.
2 Christina Winkler, Zwanzig Jahre Gleichstellungsarbeit in Dresden – Chronik, unveröff. Manuskript, S. 3
3 Bechler, 2008: 8
4 Jeanette Behringer, Wenn das Geschlecht ihr (Un)wesen treibt. Frauenpolitik im Spannungsfeld zwischen
„Gleichheit“ und „Differenz“ unter besonderer Berücksichtigung kommunaler Frauenbeauftragter, Münster
1995, S.
3
„Klassische Gleichstellungsstellen“ entstanden so zwischen 1982 (Köln)
bis 1984 in Köln, Bielefeld, Kassel und Gelsenkirchen – also auch nur
ganze acht Jahre, bevor die ersten Stellen in den neuen Bundesländern
eingerichtet wurden! – es entstanden also ab 1982 Stellen, die alle nach
einem einheitlichen Muster eingerichtet wurden: als Stabsstelle direkt an
der Verwaltungsspitze – so später auch die erste Stelle in Dresden! -, um
der Querschnittsfunktion der Aufgabenstellung gerecht zu werden, mit
den Kompetenzen eines umfassenden Informationsrechts (Stichwort: Akteneinsicht!),
eines Teilnahme- und Rederechts an Sitzungen, Ausschüssen
und Kommissionen aller Gremien in der Verwaltung.
Ende 1985 gab es bereits 40 Gleichstellungsstellen, Ende 1986 100,
1987 270 und Mitte 1989 459 Gleichstellungsstellen. 1990 wurden in den
neuen Bundesländern 420 Gleichstellungsstellen geschaffen. Im Jahr
2006 gab es bundesweit 924 hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte.
Zurück zu dem Mythos, kommunale Gleichstellungsstellen wären den
Kommunen übergestülpt worden. Ein Indiz dafür wären die unterschiedlichen
Wege zur Besetzung von Gleichstellungsstellen ab dem Jahr 1990
gewesen. Und tatsächlich: Oftmals musste zu jener Zeit einfach jemand
gefunden werden, der, oder besser die diese Aufgabe übernimmt, um
von Seiten der Kommunalverwaltung den Gesetzesauftrag zu erfüllen.
Ein Zitat: „das ist so eine Berufung gewesen, was vom Gesetz her sein
musste“. Eine andere „wurde Gleichstellungsbeauftragte, weil niemand
anderes es machen wollte. Und weil das so war, ‚blieb es an mir hängen,
die Stadt war froh, dass es jemand macht‘“5. ABER: Von den 35 hauptamtlichen
Gleichstellungsbeauftragten, die wir damals, 1996/97, in unserer
Studie für den Freistaat Sachsen befragt haben, haben sich 27 ganz
normal beworben auf ihre Stelle6. Das heißt es gab genügend Frauen,
die wussten, um was es ging, und die wussten, dass sie bei dem, um
was es ging, mittun wollten.
Mittlerweile ist offensichtlich jede sächsische Kommune ihrer Pflicht zur
Bestellung einer Gleichstellungsbeauftragten nachgekommen:
5 Freistaat Sachsen, Kommunale Gleichstellungsbeauftragte in Sachsen, Dresden 1998, S. 107f
6 Ebd. S. 13
4
Derzeit arbeiten 50 hauptamtliche und ca. 370 ehrenamtliche Gleichstellungsbeauftragte
in Sachsen. Das ist ein Erfolg! Auch wenn – wie z.B. in
Chemnitz – die Arbeitsbedingungen für Gleichstellungsarbeit verschlechtert
werden!
Ein Erfolg ist es auch, wenn Gleichstellungsarbeit mittlerweile eine
Selbstverständlichkeit ist, zumindest eine öffentliche Selbstverständlichkeit
oder von mir aus auch eine „offizielle“ Selbstverständlichkeit – zu
diesen unterschiedlichen Selbstverständlichkeiten später mehr!
Gleichstellungsarbeit als Selbstverständlichkeit: Das war lange nicht der
Fall! Ich erinnere mich an einen Auftritt von mir noch im Jahr 2000 auf
dem „Forum im Sachsenclub“ zum Tag der Sachsen im Jahr 2000 in
Chemnitz. Dort sollten von geladenen Expertinnen und Experten dem
damaligen Sozialminister Dr. Hans Geisler Thesen zum Thema
(Auf)Wachsen in Sachsen vorgelegt und mit ihm diskutiert werden. Meine
heutzutage selbstverständliche Darstellung der Tatsache, dass es
ein ganz erheblicher Unterschied ist, ob ich als Mädchen und junge Frau
oder als Junge und junger Mann in Sachsen aufwachse, was ich an Beispielen
wie Sexueller Gewalterfahrung, Misshandlungserfahrungen, Tatverdächtigten-
und Verurteiltenzahlen, Suiziden, tödlichen Verkehrsunfällen
oder Berufswahlverhalten deutlich machen wollte, hat einen unglaublichen
Tumult ausgelöst! Sie werden es nicht glauben, aber erst, nachdem
der Kollege Lothar Böhnisch den Anwesenden lauthals versichert
hatte, ich hätte Recht und dass er mir voll und ganz zustimmen würde,
konnte ich mein Statement halbwegs ungestört zu Ende bringen! So etwas
wäre heute undenkbar! Eine Gendersicht auf das Thema Aufwachsen
in Sachsen würde heute angehört und auch wohlwollend angehört
werden!
Das ist ein Erfolg! Weitere Erfolge:
Ich habe vorhin festgestellt, dass mittlerweile offensichtlich jede sächsische
Kommune ihrer Pflicht zur Bestellung einer Gleichstellungsbeauftragten
nachgekommen ist.
5
Zumindest offiziell ist der im Artikel 3, Abs. 2 des Grundgesetzes festgelegte
Wert unserer Gesellschaft, die Gleichberechtigung von Männern
und Frauen, umgesetzt. Anders sieht es sicherlich noch aus hinsichtlich
der dazugehörigen Norm, also der dazugehörenden Handlungsmaxime,
die im selben Artikel festgelegt ist: Niemand darf wegen seines Geschlechts
benachteiligt werden (Art. 3, Abs. 3 GG). Und: Der Staat fördert
die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen
und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin
(Art.3, Abs. 2 GG). Das heißt, „der Staat“ – muss hinsichtlich der Gleichberechtigung
was tun! Und was tut er? Der Staat bedient sich bei der
Umsetzung dieses Wertes Gleichstellungsbeauftragter! Gleichstellungsbzw.
Frauenbeauftragte sind aufgrund dieses Wertes Gleichberechtigung
und der dazu gehörigen Norm, die beide im Grundgesetz festgeschrieben
sind, bestellt.
Es ist davon auszugehen, dass die meisten Männer und Frauen einverstanden
sind zum einen mit der Wertbestimmung "Männer und Frauen
sind gleichberechtigt", zum anderen mit der davon abgeleiteten Norm,
dass niemand aufgrund seines Geschlechtes benachteiligt werden darf.
Sehr viel „differenzierter“ wird der Inhalt dieses Grundgesetzartikels erfahrungsgemäß
allerdings immer dann beurteilt, wenn es darum geht, ob
dieser Wert und diese Norm so weit verinnerlicht sind, dass es über ein
lapidares Einverständnis – kostenlos und unverbindlich! – hinaus um
eine explizite Auffassung dieses wünschenswerten Anspruchs geht, wie
sie im Grundgesetz niedergelegt ist: Wenn da steht "Der Staat fördert
die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und
Männern", dann geht das vielen schon genau einen Schritt zu weit. Und
wenn wir dort weiter lesen: "und wirkt auf die Beseitigung bestehender
Nachteile hin", löst das bei vielen geradezu Empörung aus: Welcher bestehender
Nachteile denn?
Uns da kommen wir direkt zu den Aufgaben kommunaler Gleichstellungsbeauftragter,
zu Ihren Aufgaben, durchaus im Spannungsfeld politischer
und gesellschaftlicher Entwicklungen.
Relativ einfach formuliert, besteht Gleichstellungsarbeit darin, Diskriminierungen
zu verhindern.
6
Unter Diskriminierung versteht man die unterschiedliche und vor allem
ungerechte Behandlung bestimmter Personen oder Personengruppen
aufgrund ihrer Konfession, Nationalität, Rassen-, Klassen- oder Parteizugehörigkeit
oder aufgrund ihres Geschlechts, aufgrund von körperlichen
Merkmalen (Stichwort Behinderung) oder spezifischen Lebensformen
(Stichwort hier Homosexualität).
Wichtig für die Gleichstellungsarbeit ist die Unterscheidung von unmittelbarer
und mittelbarer Diskriminierung, die vor allem in der Rechtsprechung
eine Rolle spielt. Unmittelbare oder direkte, offene Diskriminierung,
das heißt eine absichtliche und ausdrückliche Schlechterstellung
von Frauen ist in unserer Rechtsprechung aufgrund Artikel 3 GG kaum
noch vorhanden. Sehr wohl auffindbar ist allerdings die mittelbare Diskriminierung,
die gegeben ist, wenn eine Regelung ihrem Wortlaut nach
zwar unterschiedslos auf Männer und Frauen anzuwenden ist, die Regelung
aber für die Personen eines Geschlechts wesentlich nachteiliger
ausfällt und diese Benachteiligung auf dem Geschlecht oder der Geschlechtsidentität
beruht. Ein Beispiel wären die Altersgrenzen im öffentlichen
Dienst, die in weiblichen Berufsbiographien z.B. aufgrund von
Kindererziehungszeiten oder der Pflege von Angehörigen nicht eingehalten
werden können.
Anhand dieser Differenzierung kann nun meiner Ansicht nach bisher erfolgte
Gleichstellungsarbeit in drei Phasen der Herausforderungen beschrieben
werden.
Die erste Phase wäre die des Sichtbarmachens gewesen, eine Phase, in
der es hauptsächlich um die Aufdeckung unmittelbarer, direkter Diskriminierung
ging. Bedauerlicherweise sind diese Phasen übrigens nie abgehakt!
So war das Aufdecken direkter Diskriminierung von Frauen in
dieser ersten Phase sicherlich nahezu der einzige Inhalt von Gleichstellungsarbeit,
doch ist auch DIESE Arbeit noch nicht erledigt. Dies wird
deutlich, wenn wir uns ein Beispiel derzeitiger direkter Diskriminierung
von Frauen in Sachsen ansehen, so z.B. die „Verwaltungsvorschrift der
Sächsischen Staatsregierung über den Erlass von Rechtsnormen und
Verwaltungsvorschriften“. Dort heißt es in Punkt 6, Absatz c:
7
„Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist auch sprachlich zu
berücksichtigen. Soweit es zweckmäßig ist, sollen maskuline Begriffe
durch geschlechtsneutrale Formulierungen ersetzt werden. (…) Die
gleichberechtigte Verwendung sowohl der femininen als auch der maskulinen
Form eines Wortes ist aus Gründen der Lesbarkeit des Textes in
der Regel zu unterlassen.“ Das sind so Sachen, die ärgern mich immer
ganz besonders: Man weiß zwar, dass irgendetwas gegen die Gleichberechtigung
verstößt, tut’s aber trotzdem! Aus Gründen der Lesbarkeit!!!
Ach Gottchen…
Das Ganze hat zur Folge, dass ich mich als Gleichstellungsbeauftragte
einer sächsischen Hochschule im neuen Sächsischen Hochschulgesetz
durchgehend als Gleichstellungsbeauftragter ansprechen lassen muss.
Ich finde das einfach unerträglich! Und Sprache – auch in Gesetzestexten!
– ist KEINE Formalie! Sie wissen das!
Die zweite Phase kommunaler Gleichstellungsarbeit kann als Phase der
Differenzierung bezeichnet werden. Schwerpunkt dieser Phase war das
Aufdecken mittelbarer Diskriminierung, die unbedingt im Zusammenhang
gesehen werden muss mit der „Entdeckung“ von Gender auch im Verwaltungsbereich
und hier vor allem mit der Entdeckung des Prinzips des
Gender Mainstreaming auch durch die Sächsische Staatsregierung. Die
Entdeckung und Propagierung dieses Prinzips, vor allem in der Art und
Weise, wie die ehemalige Ministerin für Soziales und heutige Dresdner
Oberbürgermeisterin, Helma Orosz, dies in ihrem Grußwort an die
Gleichberechtigungskonferenz der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten
in Sachsen im Jahr 2004 getan hat, ist für mich tatsächlich ein
Meilenstein in der Erfolgsgeschichte 20jähriger Gleichstellungsarbeit In
Sachsen: Ihrer Definition und ihre glasklare Erkenntnis, deren Inhalte
sich dankenswerter Weise übrigens auch immer noch auf der website
des Ministeriums finden:
„Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben
die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und
Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen. Geschlechtsneutrale
Lebenswirklichkeit gibt es nicht. (...)”
8
Erst wenn in allen Politikfeldern die gesellschaftlichen Benachteiligungen
von Frauen oder Männern - die uns heute noch gar nicht bewusst sind -
analysiert und klar benannt werden können, ist es möglich, bestehende
Geschlechterverhältnisse als veränderungsbedürftig einzustufen.
Erst dann können geeignete Maßnahmen konzipiert werden, um indirekte,
mit den Geschlechterrollen verbundene Benachteiligungen von Frauen
und Männern, von Müttern und Vätern, abzubauen.
Gender Mainstreaming führt folgerichtig immer zu gezielten Frauen- oder
Männerförderungsmaßnahmen."
Ich LIEBE diese Sätze und diktiere die meinen Studentinnen und Studenten
auch immer wieder als Grundlage für jeden Projektantrag, den
sie jemals in ihrem Sozialarbeiterischen Berufsleben stellen müssen!
Nun zur dritten Phase, zu derjenigen Phase, in der wir uns derzeit befinden,
und die doch irgendwie durch Resignation gekennzeichnet ist, nach
dem Motto: jetzt machen wir das seit 20 Jahren, bzw. im Westen seit 30
Jahren und rumgekommen ist immer noch nicht viel, geschweige denn,
dass wir uns selbst erledigt hätten!
Dieser resignativen Haltung ist dreierlei entgegenzuhalten: Zum ersten
ist eine solche Sichtweise die angeborene Bescheidenheit von Frauen!
Das war ein Scherz! Ich weiß, dass das mit Gender, Sozialisation und so
weiter und so fort zusammenhängt, aber wenn einer ein Phänomen immer
wieder und jedes Mal begegnet in Form einer noch so toughen Frau,
darf frau sich ja mal solche Gedanken machen bzw. solche Scherze erlauben….
Zum zweiten hat sich in Sachsen, was Gleichstellungsarbeit anbelangt,
wirklich viel getan. Auch hier werfen wir wieder einen Blick auf die website
des Ministeriums. Obwohl ich diesen Blick ja eigentlich gerade für die
Bilanz einer Erfolgsgeschichte nutzen wollte, kann ich mir an dieser Stelle
eine Anmerkung allerdings nicht verkneifen: Leider öffnet sich uns hier
keine website eines Frauenministeriums, eines Gleichstellungs- oder
Genderministeriums, sondern eine des Ministeriums für Soziales und
Verbraucherschutz, dem die Gleichstellung im Mai 2002 ja einverleibt
wurde.
9
Nun könnte frau ja sagen, das ist eine reine Formalie, damals wurde uns
diese Einverleibung ja sogar als Besserstellung, als besserer stant für
die Gleichstellungsarbeit verkauft – Sie erinnern sich! – aber eine reine
Formsache war das beileibe nicht: Martina Große konnte auf dem Sonderdelegiertentag
des Landesfrauenrates Sachsen im September diesen
Jahres im Gegenteil ganz klar belegen, dass dies eine Cent und Euro-
Angelegenheit ist: Solange Gleichstellung in Sachsen Ministerinnensache
war, stiegen auch die finanziellen Mittel für Gleichstellungsarbeit
kontinuierlich an. Seit der Einverleibung nehmen die Mittel genauso kontinuierlich
ab und werden laut Haushaltsplanung 2011 und 2012 UNTER
dem finanziellen Niveau von 1992 liegen! Das müssen Sie sich mal vorstellen!
Nun also tatsächlich ein Blick auf die website des Ministeriums für Soziales
und Verbraucherschutz, der zeigen soll, was derzeit an Frauen- bzw.
Gleichstellungspolitik in Sachsen läuft.
Unter der Überschrift Gender Mainstreaming finden sich zwei wirklich
bemerkenswerte Studien zum Thema im Gesundheitsbereich. Unter dem
Stichwort Berufsvorbereitung, Arbeit und Beruf und Vereinbarkeit von
Familie und Beruf finden sich jede Menge Hinweise auf Projekte, die hier
gefördert werden, ebenso unter dem Stichwort Vereine, Verbände und
Initiativen der Gleichstellungsarbeit, Geschlechtsbezogene Gewalt und
Menschenhandel, Gesundheit und Öffentlicher Dienst. Alles Erfolge! Und
Sie finden eine Überschrift Richtlinie Chancengleichheit. Auch die Verabschiedung
dieser Richtlinie im Mai 2007 kann unter Erfolg verbucht
werden! Und ich muss schon wieder auf die Finanzen zu sprechen
kommen, und zwar auf die Kürzungen im Entwurf des Haushaltsplans
2011/2012, letztendlich Streichungen im Bereich Förderung der
Gleichberechtigung von Frau und Mann.
10
Als ich diesen Entwurf zur Hand genommen habe, habe ich mit großer
Freude dem Vorwort zum entsprechenden Kapitel entnommen, dass die
„Förderung und Durchsetzung von Chancengleichheit und Gleichberechtigung
(..) elementare Anliegen und Zielstellungen der Politik des Freistaats
Sachsen“ sind. Ebenso, dass zur „Durchsetzung der gleichberechtigten
Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen“ der „Frauenanteil
in Führungspositionen (…) zu erhöhen“ ist, die „Chancen der Frauen auf
dem Arbeitsmarkt weiter zu verbessern sowie geeignete Rahmenbedingungen
zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen“ sind. Mit
ebenso großer Genugtuung habe ich zur Kenntnis genommen, dass geschlechtsbezogene
Gewalt „weiter nachhaltig bekämpft werden“ muss
und eine geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung weiter verbessert
werden sollte. Mit großer Verwunderung musste ich anschließend
die finanzielle Untersetzung dieser immensen Zielstellungen zur Kenntnis
nehmen! Wie um Himmels Willen soll das gehen! Zuweisungen für
Projekte, die über die Jahre sowieso nicht besonders umfangreich ausgefallen
sind, sollen auf Null gesetzt werden. Betroffen davon sind
selbstverständlich auch Projekte im Bereich der Gesundheitsförderung
oder der beruflichen Förderung, Bereiche, deren Unterstützung der Ministerin
für Soziales doch ein ganz besonderes Anliegen ist.
Kürzungen der Landesregierung in diesen Bereichen sind meiner Meinung
nach vor allem ein falsches Signal an die Kommunen. Anstatt in
diesem Bereich mit Kürzungen „voran“ zu gehen, sollte die Sächsische
Staatsregierung ein Signal setzen und zeigen, dass ihr die Gleichberechtigung
von Frau und Mann nicht nur ein „Anliegen“ ist, sondern auch etwas
„Wert“ ist. So könnte sie auch die kommunalen Verantwortungsträger
und Verantwortungsträgerinnen ermutigen, weiter in die kommunale
Gleichstellungsarbeit, getragen von ihren Beauftragten und den unterschiedlichsten
Organisationen, zu investieren, um Chancengleichheit
und Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen, Jungen und Männern
ein weiteres Stück näher zu kommen.
So viel zu dem Spannungs- oder besser Minenfeld heutiger zumindest
politischer - finanzpolitischer Entwicklungen, und zwar zu explosiven
Entwicklungen!
11
Sie sehen, wir stecken mittendrin in dieser dritten Phase der Gleichstellungspolitik
in Sachsen: Eine Phase, die – verstärkt durch die Kürzungen
im gleichstellungspolitischen Bereich – von Resignation gekennzeichnet
ist und von einer immer deutlicher werdenden gläsernen Decke: es gibt
uns, es gibt Sie als Gleichstellungsbeauftragte, wir sind seit langem in
den Kommunen und in den Verwaltungen angekommen, wir haben uns
einen Platz erkämpft, wir haben viel erreicht, der Wert Gleichberechtigung
ist nicht nur im Grundgesetz verankert, sondern als Wert bei allen
Männern und Frauen angekommen und trotzdem: Irgendwie geht‘s nicht
weiter!
Was – neben Mittelkürzungen! – hindert Gleichstellungsarbeit also noch?
Auffällig ist doch Folgendes: „Abnehmende Geschlechterungleichheit ist
in einer beträchtlichen Anzahl von Organisationen oder in deren Teilen
zu beobachten, während sich in anderen Organisationen Geschlechterungleichheit
beibehält, vergrößert oder subtilisiert. Auch können Verund
Entgeschlechtlichung gleichzeitig in ein- und derselben Organisation
vorhanden sein, und in einer Reihe von Organisationen kann eine Vielfalt
von Geschlechterstrategien diagnostiziert werden, von denen nicht wenige
widersprüchlich sind.“7
Diese Beobachtungen macht Ursula Müller in ihrem Aufsatz „Organisation
und Geschlecht aus neoinstitutionalistischer Sicht. Betrachtungen am
Beispiel von Entwicklungen in der Polizei“ in der jüngsten Ausgabe der
„Feministischen Studien“ ja ja, so was gibt’s noch, und so was les ich
auch immer noch! – und Sie können sicherlich alle diese Erfahrungen
bestätigen, weil Sie sie tagtäglich machen.
Woran liegt das, was sind die Gründe für solche Erscheinungen?
Helfen kann uns hier ein Blick auf den Zusammenhang zwischen Organisationen,
Geschlecht und Gesellschaft, und zwar ein neoinstitutionalistischer
Blick:
7 Ursula Müller, Organisation und Geschlecht aus neoinstitutionalistischer Sicht. Betrachtungen am Beispiel von
Entwicklungen in der Polizei, in: Feministische Studien 1/2010, S. 40-55: 40
12
Neoinstitutionalistisches Denken betrachtet gesamte Organisationen als
Akteure, die unterschiedliche Interessen bedienen bzw. unterschiedliche
Aufgaben erfüllen müssen: Sie müssen sich in erster Linie selbst erhalten,
sie müssen sich nach außen modern und kompetent darstellen und
sie müssen ihre Organisationsmitglieder bei Laune halten. Aufgrund dieser
teilweise auch divergierenden Aufgaben gibt es in Organisationen
das Phänomen der „Entkoppelung“, die organisationale Trennung von
Formalstruktur und Aktivitätsstruktur. Erstere ist niedergelegt in darstellbaren
Regeln, Organigrammen, Leitbildern, Selbstdarstellungen, Hauptsatzungen
u.a.m., bestimmt aber in keiner Weise bzw. nicht unbedingt
die vorherrschenden Praktiken im Organisationsalltag. Nach ‚außen‘ –
wobei das ‚Außen‘ sowohl eine externe wie eine interne ‚Umwelt‘ sein
kann, z.B. die Gleichstellungsbeauftragte in der ‚Umwelt‘ einer Personalkommission
– nach außen also ist die Organisation den veränderten
Umweltanforderungen angepasst; nach ‚innen‘ wird weiter so gehandelt,
als gäbe es keine Regeln.
„Um die Entkoppelung soweit möglich zu machen, dass keine internen
Irritationen entstehen – Diskrepanzen zwischen formalen Bestimmungen
zu tatsächlichen Entscheidungen herauszufinden, ist meist nicht allzu
schwierig – muss als interne Voraussetzung eine weitgehende Abschottung
verschiedener organisationaler Einheiten voneinander gegeben
sein. Dass die eine Hand nicht weiß – oder zumindest formal nicht wissen
kann, nicht zuständig ist, oder trotz Zuständigkeit nicht informiert
wird – dass die eine Hand also nicht weiß, was die andere tut, ist zentrale
Bedingung“8 dafür, dass das Ganze funktioniert.
Aus neo-institutionalistischer Sicht werden Organisationen entlarvt als
nicht unterwegs zur ‚objektiv‘ besten Problemlösung, sondern als auf
der Suche nach derjenigen Lösung, die optimal sozial akzeptiert ist! Das
wichtigste Ziel für Organisationen ist dabei die Beibehaltung und nach
Möglichkeit Vergrößerung ihrer Legitimität gegenüber relevanten ‚Umwelten‘.
8 Ebd.: 43
13
Diese Umwelten können extern sein wie Kunden, Bürgerinnen und Bürger,
staatliche Regelungsinstanzen, EU-Richtlinien zur Gleichstellung,
oder intern wie Gleichstellungsbeauftragte.9
Um sich selbst beizubehalten bzw. um ihre eigene Legitimität möglichst
zu vergrößern, ahmen Organisationen durchaus Aktionen anderer Organisationen
nach. Dabei wird entweder nachgeahmt, wenn eine Organisation
unsicher ist oder wenn andere Organisationen als besser legitimiert
und erfolgreicher erscheinen als die eigene. Dies beobachtet Ursula Müller
auch für Gleichstellungsarbeit: Irgendwann, so meint sie, sahen sich
einige Vorreiter-Organisationen in Deutschland durch internen Druck wie
auch durch externe positive Beispiele bemüßigt, eine für Anti-
Diskriminierung zuständige organisationale ‚Adresse‘ einzurichten, also
eine Gleichstellungsstelle oder eine Frauenbeauftragte. Hierdurch entstand
eine Unsicherheit für andere Organisationen, die beobachten
mussten, ob sich eine Veränderung der Beschaffung von Legitimität und
Ressourcen ergäbe, und viele reagierten mit nachahmenden Prozessen
der Installierung einer ‚Beauftragten‘ für Frauen, Gleichstellung, Gleichberechtigung,
Frauenförderung etc.10
Das heißt, Organisationen wie die Telecom – als Quotierungsvorreiterin!
– ahmen einerseits nach (skandinavischen Vorbildern z.B.), und werden
nachgeahmt werden, da sich Erfolge bereits eingestellt haben: der Frauenanteil
bei der Telekom hat sich bereits jetzt schon erhöht, das Unternehmen
hat bundesweite Aufmerksamkeit erregt, inwieweit sich dieser
Coup finanziell niederschlagen wird, bleibt abzuwarten! Das muss aber
nicht heißen, dass die einzelne Frau, die bei der Telecom arbeitet, was
davon hat!
9 Vgl. ebd.: 44
10 Vgl. ebd.: 45
14
Das heißt, meine Hochschule hat zwar schon einige Preise abgeräumt
im Bereich von Frauenförderungsprojekten, und zwar aufgrund der an
unserer Hochschule vorhandenen teilweise vorbildlichen Formalstruktur,
was Gleichstellung anbelangt, die sich ausgezeichnet an die äußere
Umwelt – in diesem Fall die entsprechenden Jurys – verkaufen lässt.
Auf der anderen Seite gibt es an unserer Hochschule aber immer noch
Fakultäten mit nur einer einzigen Professorin, es gibt immer noch Berufungskommissionen
ohne eine einzige Frau und einzelne Gremienmitglieder
verdrehen immer noch die Augen, wenn die Gleichstellungsbeauftragte
– wie es ihr Recht und auch ihre Pflicht ist (Formalstruktur!) –
zur Tür reinkommt und tatsächlich mitmachen will!
Solche Widersprüche – preiswürdig gegenderte Formalstruktur – und zutiefst
sexistisches Verhalten in der Aktivitätsstruktur, sprich bei den einzelnen
Akteuren und Akteurinnen, das ist das, was Sie, was uns an dies
gläserne Decke stoßen läßt! Die besten Verwaltungsvorschriften, Erlasse
und Gesetze nützen nix, wenn wir die Aktivitätsstrukturen nicht verändern,
wenn der Gedanke der Gleichstellung nicht nur formal sondern
handlungsleitend in der Verwaltung, bei den einzelnen angekommen ist!
Sie sehen, Sie haben mindestens noch weitere 20 Jahre lang zu tun!

http://gleichstellungsbeauftragte-sachsen.de/picture/upload/VortragGraessel(1).pdf

Dresdner Mädchen auf der Überholspur? Präsentation des Lebenslagenberichtes 2011
04.07.2011

Am 4. Juli 2011 fand um 19 Uhr im Saal des Stadtmuseums Dresden eine Veranstaltung der Reihe "Dresdner Frauengespräche" statt.
Anlass ist die Präsentation des Berichtes "Mädchen und junge Frauen in Angeboten der Dresdner Kinder- und Jugendhilfe" - Tendenzen und Empfehlungen. Dieser wurde von den Mitgliedern des Förderkreises für Mädchen und junge Frauen, einer Fach-Arbeitsgemeinschaft der Jugendhilfe gemäß SGB VIII, erarbeitet.
Unter der Moderation von Dr. Kristina Wopat haben nach dem Einführungsvortrag von Prof. Dr. Ulrike Gräßel (Professorin für Soziologie/Sozialpolitik an der Hochschule Zittau/Görlitz) die Gäste Claus Lippmann (Amtsleiter Jugendamt), Clarissa Bachmann (Frauen- und Mädchengesundheitszentrum MEDEA e. V.) und Claudia Döring (Kinder-, Jugend- und Familienhaus Plauener Bahnhof des VSP e. V.) zu folgenden Themen diskutieren:


Umrahmt wurde die Veranstaltung von Ausschnitten aus der Wanderausstellung "MädchenWelten", der Landesarbeitsgemeinschaft Mädchen und junge Frauen in Sachsen, welche im Jahr 2009 im Rahmen einer Fachtagung entwickelt wurde.
Der Lebenslagenbericht kann für eine geringe Versandkostenpauschale von 2 Euro über das Kontakformular dieser Homepage bezogen werden.

http://www.maedchenarbeit-sachsen.de/news/index.php?rubrik=&news=142048

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Die ultimative Dienstleistungsoffensive des Antifeminismus

Ein bisschen Frauenhass steht jedem Mann!

wikimannia statt femipedia

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Henry @, Monday, 22.12.2014, 22:50 (vor 3435 Tagen) @ Oberkellner

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Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Oliver, Tuesday, 23.12.2014, 08:47 (vor 3435 Tagen) @ Henry

...... zumal das verlinkte Bild folgende Fehlermeldung bring:



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Liebe Grüße
Oliver


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