Wenn der Mensch zur MenschIn wird - oder:

Wieviel »Gleichberechtigung« verträgt das Land?

How much »equality« the country can stand?

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Liste Femanzen Dr. Eva Marie von Münch (Liste Femanzen)

Oberkellner @, Sunday, 04.10.2015, 18:44 (vor 3137 Tagen)

F426 Dr. Eva Marie von Münch geboren 1936 in Beuthen (Oberschlesien) – Studium der Rechtswissenschaften – Juristin und Journalistin u.a. für DIE ZEIT - von 1993 bis 2002 Vizepräsidentin des Goethe-Instituts – Veröffentlichung: „Erben und Vererben“ für die Stiftung Wartentest gemeinsam mit Dr. Beate Backhaus; „Ehe- und Familienrecht von A-Z“; „Zusammenleben ohne Trauschein“ (2009) – verheiratet mit Ingo von Münch (von 1987 bis 1991 Senator wissen Wissenschaft und Kultur sowie zweiter Bürgermeister in der Freien Hansestadt Hamburg) - Anschrift: Hochrad 9, 22605 Hamburg

Karriere mit Faktor X
Juristinnen fordern eine neue Quote
Düsseldorf
Bei der Feier zum 40. Geburtstag des Deutschen Juristinnenbundes bot sich vorige Woche das gewohnte Bild. In den vorderen Reihen Justizminister, Gerichtspräsidenten, Abgeordnete, Vorsitzende von Fraktionen und Ausschüssen. Den Festvortrag aber hielt die Präsidentin des Deutschen Bundestages – Rita Süssmuth im roten Kostüm. Der wichtigste Satz ihres vorab verteilten Manuskripts war der Stempelaufdruck „Es gilt das gesprochene Wort“. Statt des vorbereiteten Referates zur Frauenbewegung im allgemeinen und der Geschichte des Juristinnenbundes im besonderen hielt Frau Süssmuth eine kämpferische Rede. Auf die Nerven gehe ihr eine „appellative Politik“, die immer nur gute Absichten deklamiere, aber nichts bewirke. Sie forderte konkrete Verbesserungen für Frauen, für die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf so selbstverständlich sein müsse wie für Männer. Und schließlich: „Wer die Quote nicht will, muß beweisen, daß er ohne sie auskommt. Auf den Beweis bin ich gespannt.“
Die Herren in den ersten Reihen klatschten höflich, die Juristinnen aber applaudierten begeistert. Die „Quoten-Frage“ wurde so unversehens zum wichtigsten Thema dieser Jubiläumstagung. Eine Unterkommission des Juristinnenbundes legte einen Bericht vor, der auf 44 Schreibmaschinenseiten die soziale Wirklichkeit von Frauen konfrontiert mit der vierzig Jahre alten Forderung des Grundgesetzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Das Ergebnis ist verheerend. Es gibt kaum einen Bereich und kaum eine Organisation, in der Führungspositionen nicht fest in Männerhand wären. Das gilt für Wirtschaft und Verwaltung genauso wie für die Kirchen, die Schulen, die Justiz, die freien Berufe (Rechtsanwälte, Ärzte, Notare, Handwerker) bis hin zum Deutschen Sportbund, die Gewerkschaften, die Parteien (mit Ausnahme der Grünen) und die Universitäten. Es gilt für die Aufsichtsräte der Industrie, für die leitenden Positionen bei den meisten Zeitungen und Zeitschriften und Rundfunkanstalten.
Angesichts dieser Lage machen die Juristinnen einen differenzierten Vorschlag zur Quotierung. Sie empfehlen nicht – wie die Grünen – die starre Quote fünfzig zu fünfzig. Sie möchten eine „Quote X“, wobei X dem Frauenanteil einer Organisation oder eines Lebensbereichs entspricht. Das bedeutet: Für Justiz und Verwaltung müßte der Frauenanteil sich bei neu eingestellten Richtern und Beamten an den erfolgreichen Examenskandidaten orientieren. Politische Parteien sollten Frauenquoten von 40 bis 45 Prozent für Parteiämter und Listenplätze bereitstellen und eine Wahlrechtsreform müßte garantieren, daß Frauen auch auf ungünstigen Listenplätzen dennoch die Chance hätten, gewählt zu werden.
Das Votum für die Quotierung ist den Juristinnen nicht leicht gefallen. Noch vor drei, vier Jahren wäre so ein Beschluß kaum möglich gewesen. Renate Damm, seit sechs Jahren erste Vorsitzende des Vereins, Chef-Justitiarin des Springer-Verlags, hat den Meinungswandel auch persönlich vollzogen – von einer vehementen Quoten-Gegnerin („Ich bin doch keine Quoten-Frau“) ist sie zu einer ebenso vehementen Befürworterin der Quote geworden, „weil sich sonst eben überhaupt nichts bewegt“. Auch kann der Juristinnenbund im Rückblick auf die vierzig Jahre seiner Arbeit ein Lied davon singen, wie lange es dauern kann, bis eine seiner Forderungen wirklich Gesetz wird. Die Beseitigung des väterlichen Entscheids beim elterlichen Sorgerecht ist erst nach elf Jahren durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts durchgesetzt worden. Die Gleichstellung der nichtehelichen Kinder, die das Grundgesetz verspricht, konnte erst nach siebzehn Jahren verwirklicht werden. Die gesetzliche Regelung nichtehelicher Lebensgemeinschaften, rechtliche Schranken für die Gentechnologie, einheitliche Richtlinien für die Beratungspraxis beim Schwangerschaftsabbruch in allen Bundesländern, eine die Kindererziehungszeiten berücksichtigende Reform des Rentenrechts – für all diese Bereiche hat der Juristinnenbund Vorschläge gemacht, Gesetze sind sie bisher nicht.
Auch das Votum der Juristinnen für die Quotierung wird sich nicht von heute auf morgen in die Tat umsetzen lassen. Doch dieser Vorschlag, der auch den leisesten Anflug von Larmoyanz vermeidet, sollte von nachdenklichen Frauen, wie von Politikern und Parteien nicht übersehen werden. Eva Marie v. Münch

http://www.zeit.de/1989/39/karriere-mit-faktor-x

Tatort Ehebett
Gleiches Recht gibt es nur auf dem Papier
Saarbrücken
Frauen in Spitzenpositionen sind nach wie vor Solitäre in der Kette der Männer“, sagt Renate Damm auf der Arbeitstagung des Deutschen Juristinnenbundes in Saarbrücken und blickt ins Auditorium auf die Ehrenplätze der ersten Reihe: eine Frau und nur Männer – Präsidenten, Staatssekretäre, Vorsitzende, Honoratioren, Funktionsträger allesamt. Doch wie schwer fällt es ihnen, vorm weiblichen Fachverband das rechte Wort zu finden! Der Oberbürgermeister appelliert an die Juristinnen, bei ihrer Arbeit nur ja auch Gefühl walten zu lassen (wußten wir es nicht? Frauen sind emotional; wenn sie das vergessen, wird, oh Schreck, ihr Blick hart, das Kinn kantig, die Ellenbogen spitz). Der Justizminister redet Wolkiges aus dem Umfeld von Gleichberechtigung, Emanzipation und Geschlechterdiskriminierung. Über 200 juristische Fachfrauen quittieren es mit freundlicher Gelassenheit, amüsierter Ungeduld, um dann zur Tagesordnung überzugehen.
Seit jeher ist der Juristinnenbund weder biederer Frauenverein noch feministischer Kampfverband. Seit jeher begleitet er die Bonner Rechtspolitik teils mit kritischen Stellungnahmen, teils mit eigenen Gesetzentwürfen. Seine Arbeitsgruppen beschäftigten sich schon früh mit der Frage, ob neue Technologien im Bereich der Gentechnik, bei der Mikroelektronik mit Blick auf ihre Auswirkungen auf die Arbeitsplätze gesetzgeberische Konsequenzen erfordern. Er kritisiert heftig den Kompromiß bei der Rentenreform, der Anfang nächsten Jahres in Kraft treten wird, und die ungerechte Besteuerung alleinerziehender Eltern. Er warnt – zusammen mit anderen juristischen Fachverbänden – vor dem geplanten neuen Scheidungsfolgenrecht.
Neu in der Palette der Themen des Juristinnenbundes ist die Frage der Gleichstellung von Frauen in der Europäischen Gemeinschaft. Die Hamburger Juraprofessorin Heide Pfarr – allemal gut für eine Analyse mit glitzernder Rhetorik – nimmt das Thema zum Anlaß, die aktuelle Lage ohne jede Larmoyanz darzustellen. Im Grunde geht es heute nicht mehr um Gesetzesänderungen. Die Gleichstellung von Frauen im Gesetz ist so gut wie lückenlos verwirklicht. Doch das Gesetz bleibt Papier. Die reale Situation von Frauen ist nicht besser, sondern eher schlechter als vor 30 Jahren. Das gilt für ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt genauso, wie für ihre Beteiligung in Partei und Parlament. Dieser mittelbaren und verschleierten Diskriminierung will Heide Pfarr „bedingt und befristet“ mit einer gezielten Frauenförderung abhelfen. Gleichberechtigt, so meint sie mit Recht, sind nur Frauen mit „männlich geprägtem Lebensmuster“. Sie fordert gleiche Chancen für Frauen „als Frauen“, also nicht nur dann, wenn sie Männern zum Verwechseln ähnlich sind. Das kann, so Heide Pfarr, nur gelingen, wenn Frauen eine Zeitlang deutlich bevorzugt werden. Die Benachteiligung der Männer sei in Kauf zu nehmen. Wer dies mit dem Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes verhindern wolle, interpretiere Artikel 3 in ein Männerschutzrecht um.
Wie die gezielte Frauenförderung aussehen soll, bleibt offen. Ist die Quotierung, wie sie jetzt wieder in der SPD eifrig diskutiert wird, ein legitimer, ein wünschenswerter Weg? Führen Gleichstellungsstellen, wie es sie inzwischen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gibt, wirklich weiter? Mangelt es ihnen an Kompetenz oder sitzen nur die falschen Frauen am richtigen Platz? Warum haben diese Stellen bisher so wenig bewirkt? Brauchen wir eine Wahlrechtsänderung nach süddeutschem Muster, um eine bessere Repräsentanz von Frauen auf den Listen der Parteien zu erreichen? Fragen über Fragen. Der Juristinnenbund wird sich ihnen in den nächsten Jahren stellen müssen.
„Tatort Ehebett“ könnte das zweite Thema – die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe – griffig lauten. Unser Gesetz bestraft nur die „außereheliche“ Vergewaltigung mit mindestens zwei Jahren Freiheitsentzug. Zwischen Verheirateten ist Vergewaltigung allenfalls eine Nötigung, und der Täter kann mit einer Geldstrafe davonkommen. Schon lange wird darüber gestritten, ob nicht die sexuelle Selbstbestimmung in der Ehe ebenso geschützt werden müsse wie die unverheirateter Partner oder von Personen, die sich völlig fremd sind. Hamburgs Gesetzesinitiative, die für eine Gleichbehandlung plädiert, blieb schon im Bundesrat auf der Strecke.
Juristinnentag: Tatort EhebettSeite 2/2
Sicherlich: Allen Beteiligten ist klar, daß diese Gesetzesänderung keine große praktische Bedeutung haben würde. Es geht aber um die Klarstellung, daß eine Frau sich mit der Unterschrift auf dem Standesamt ihrem Mann nicht schutzlos ausgeliefert hat; daß die Heirat kein „besonderes Gewaltverhältnis“ schafft, in dem eine Ehefrau verpflichtet ist, ihrem Mann sexuell jederzeit zur Verfügung zu stehen. Man mag zweifeln, ob der Strafrechtsschutz wirksam Gewalttätigkeiten in der Ehe begegnen kann. Und ein Mann im Gefängnis kann seine Familie nicht mehr ernähren. Fast die Hälfte der vor der Gewalttätigkeit ihrer Männer ins Frauenhaus geflüchteten Frauen geht nach einiger Zeit in die Familie zurück, meist mangels anderer Möglichkeiten.
Jutta Limbach, Rechtsprofessorin in Berlin, schlägt deshalb vor, die Ahndung von Vergewaltigungen in der Ehe dem Familiengericht zu übertragen. Der Richter hätte Gelegenheit, mehr beratend als strafend tätig zu werden, den Staatsanwalt aus dem Verfahren herauszuhalten und dem Strafrecht fremde Regelungen, wie die Zuweisung der Ehewohnung oder des Sorgerechts für gemeinsame Kinder, mit einzubeziehen – bis hin zur Einleitung des Scheidungsverfahrens. Ein Vorschlag, der nicht auf ungeteilte Zustimmung stößt, aber vielleicht geeignet ist, die steckengebliebene Diskussion wieder flottzumachen.
Auffallend, wie sehr sich die Mitgliederstruktur des Juristinnenbundes geändert hat. Neben den altgedienten Kämpinnen der traditionellen Frauenbewegung haben auch dort die Yuppies Einzug gehalten, erkennbar am erstklassig geschnittenen Blazer oder Hosenanzug; neben ihnen die Referendarinnen und Studentinnen in Jeans und selbstgestricktem Pullover und Frauen aus der grünen Szene im Indienrock mit Holzpantinen. Wenn es gelänge, all diese Frauen unterschiedlichen Lebenszuschnitts und unterschiedlicher politischer Couleur unter einen Hut zu bringen – und nicht nur im Juristinnenbund – dann könnten sie vielleicht werden, was für ihre eigene Gleichstellung so notwendig ist: eine spürbare politische Kraft.
Eva Marie von Münch

http://www.zeit.de/1985/40/tatort-ehebett

Japans Frauen wollen mehr Lebensqualität Von Eva Marie von Münch
Japans Töchter erheben sich" und: „Madame Butterfly wachsen Flügel", schrieben im Juli vorigen Jahres die Zeitungen, als die Sozialdemokratische Partei Japans unter Führung ihrer Vorsitzenden Takako Doi einen sensationellen Sieg bei den Oberhauswahlen errungen hatte. Unter den 36 erfolgreichen Kandidaten der SPJ waren 11 Frauen nicht nur in Japan eine Sensation. Ein halbes Jahr später, am 18. Februar dieses Jahres, sah alles ganz anders aus. Bei den politisch sehr viel wichtigeren Wahlen zum Unterhaus (dort wird der Ministerpräsident gewählt) gab es wieder eine absolute Mehrheit für die konservativen Liberaldemokraten - wie seit 35 Jahren. Unter den 512 Abgeordneten sind 12 Frauen - 2 4 Prozent. In der Fraktion der regierenden LDP sitzt keine einzige Frau, zwei Ministerinnen wurden entlassen. Mayumi Moriyama, im Wahlkampf als Gegenfigur zu Takako Doi aufgebaut, verlor ihren Job. Im Zentrum der Macht sind Japans Männer wieder unter sich. Was ist los mit Japans Fauen? Sie stellen ja auch hier die Mehrheit der Wahlberechtigten und votieren innerhalb eines halben Jahres einmal entschieden für die „Madonna Strategie" der Takako Doi, die sich mit Verve für eine konsequente Frauenpolitik einsetzt und ein halbes Jahr später ebenso entschieden dagegen.
Die Forderungen japanischer Frauen sind denen in Westeuropa zum Verwechseln ähnlich. Aufstiegschancen im Beruf, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Teilhabe an der politischen Macht, Empfängnisverhütung, Altersversorgung.
Frauenwelt und Männerwelt aber sind in Japan noch heute strikt getrennt „Die japanische Frau ist umgeben von drei Mauern", sagt Keiko Higushi, Professorin in Tokio: Heirat, Kinder, Alte. Von der jungen Japanerin wird erwartet, daß sie mit 25 Jahren verheiratet ist. Noch heute kommt etwa die Hälfte aller Ehen durch ein formelle Ehevermittlung (omiai) zustande. Man trifft sich zum ersten Mal beim Vermittler und entscheidet dann, ob man einander heiraten will. Die Frau kann nein sagen - einmal, zweimal, vielleicht auch ein drittes Mal. Dann aber gerät sie unter Druck es wird schließlich langsam Zeit, einen passenden Mann zu finden und nicht als altbackener „Weihnachtskuchen" sitzenzubleiben. Der Vermittler hat vorher geprüft, ob die Familien zueinander passen, ob das Milieu stimmt. Darauf kommt es an. Ehen, die ohne Vermittler geschlossen werden, gelten als Liebesheirat. Das heißt aber nicht viel. Liebe spielt in japanischen Ehen selten eine Rolle. Auch vor Liebesheiraten schalten Eltern häufig einen Detektiv ein - sie wollen wissen, mit wem sie es zu tun haben.
Für europäische Beobachter ist die trockene Emotionslosigkeit, mit der japanische Frauen von ihren Männern sprechen, verblüffend. Die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach, die auf einer Veranstaltung des Goethe Instituts von den „drei Z" berichtete, die in deutschen Ehen wichtig seien Zeit, Zuwendung, Zärtlichkeit , erntete prompt den spontanen Zwischenruf: „Wie romantisch!" Japanische Frauen erwarten und erhalten von ihren Männern weder Zeit noch Zuwendung, Zärtlichkeit schon gar nicht. Wenn sie Glück haben, sind sie nach der Heirat finanziell versorgt, wenn nicht, müssen sie das Familieneinkommen aufbessern durch Teilzeitarbeit.
Achtzig Prozent der jungen Japanerinnen sind, dem sanften Druck der Familie folgend, mit 25 Jahren verheiratet. Danach wird von der Frau erwartet, daß sie ihren Beruf aufgibt und ein bis zwei Kinder bekommt. Ein Sohn sollte darunter sein. Geburtenkontrolle geschieht durch Kondom oder Abtreibung. Die Pille wird in Japan zwar produziert, aber nur für den Export. Frei verkäuflich ist sie nicht. Sobald die Frau Mutter wird, muß sie ihre ganze Kraft darauf verwenden, ihre Kinder in die Hierarchie des japanischen Bildungswesens einzufädeln. Der „richtige" Kindergarten, die „richtige" Schule, die „richtige" Universität entscheiden über die Zukunft des Kindes und damit auch über das Ansehen der Familie. Verantwortlich dafür ist die Mutter. Sie organisiert Schularbeiten, Nachhilfestunden, Zusatzkurse.
Außerdem hat sie für die Schwiegereltern zu sorgen, die meist im Haus des ältesten Sohnes leben. Eine Altersversorgung nach westlichem Muster gibt es in Japan nicht.
Bei einer Umfrage erklärten mehr als die Hälfte aller japanischen Ehefrauen, sie würden nicht oder jedenfalls nicht diesen Mann wieder heiraten. Dennoch ist die Scheidungsrate extrem niedrig. Lebensformen für Aüeinstehende gibt es nicht, schon gar nicht vor der Ehe. Allenfalls im Alter finden sich Witwen zur Lebensgemeinschaft des „Gemeinsamen Grabmals" zusammen, ziehen die „Gesinnungsverwandtschaft" der Blutsverwandtschaft vor
Die Männerwelt sieht völlig anders aus. Ein japanischer Mann tritt nach seiner Berufsausbildung in eine Firma ein. Dort bleibt er, dort macht er Karriere. Die Firma ist einerseits ein Industriebetrieb nach westlichem Muster, andererseits eine Gemeinschaft der Firmenangehörigen. Arbeitnehmer schulden der Firma nicht nur den vollen Einsatz ihrer Arbeitskraft, sondern auch volle Solidarität. Selbst die Inanspruchnahme des gesetzlichen Mindesturlaubs gilt manchmal als Verletzung dieser Solidarität. Der Arbeitgeber schuldet den Firmenangehörigen Fürsorge und Schutz. Kündigungen gibt es praktisch nicht. Mit dem Eintritt in die Firma ist eine gewisse Mindestkarriere nach dem Rolltreppenprinzip garantiert. Nicht jeder kommt ganz oben an, aber jeder kommt etwas weiter. Nur Frauen, die vorzeitig aussteigen nach der Heirat, bleiben für immer draußen.
Nach dem Arbeitstag ist das Leben in und mit der Firma nicht zu Ende. Dann geht der japanische Mann mit dem Chef oder einigen Kollegen „einen trinken". Vom späten Nachmittag an bevölkern ganze Rudel japanischer Geschäftsleute die Vergnügungsviertel in den großen Städten. Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich: dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, gedeckte Krawatte. Das ist die Stunde der Halbwelt. Zwar ist die Prostitution seit 1956 gesetzlich verboten, doch ein flüchtiger Blick in die Seitenstraßen nach Einbruch der Dunkelheit zeigt: Das „Wassergewerbe" ist ein Teil des japanischen Alltags wie die Firma, die Familie und das allabendliche Verkehrschaos. Auch diese Halbwelt hat ihre Hierarchie. Tausende von Hostessen und Bardamen, von Freudenmädchen in den soaplands sorgen für Unterhaltung und Entspannung. Der Alkohol gehört dazu wie das Öl im Getriebe eines Autos.
Die Top Etage dieser Unterhaltungsindustrie besetzen die Geishas. Eine Geisha ist keine Prostituierte im westlichen Sinn, sondern eine gut erzogene, gebildete Frau. Sie beherrscht den Ritus der Teezeremonie, trägt den Kimono vorschriftsmäßig, sie kann singen und tanzen, und sie liest die Zeitung schon deshalb, weil sie informiert sein muß über das, was vorgeht in der Welt, wenn Geschäftsleute sich abends bei ihr treffen. Vor allem eines gehört zu ihrem Berufsethos: Diskretion. Wer nach europäischen Vorbildern sucht, wird am ehesten auf die griechischen Hetären verfallen: elegante, kultivierte Frauen, erzogen zum Vergnügen der Männer. Käuflich, aber nicht billig. Sex kann, muß aber nicht eingeschlossen sein in ihre Dienste. Zu einem wichtigen Essen, bei dem es um einen Vertragsabschluß geht, würde ein Japaner schwerlich seine Ehefrau mitnehmen, wohl aber eine Geisha. Europäische Geschäftsleute und Politiker haben damit gelegentlich ihre Schwierigkeiten.
So ist der japanische Mann seiner Firma verpflichtet, hat die Familie im Hintergrund und die Vergnügungsindustrie zu Füßen. Nachts sitzt er im Vorortzug, benebelt vom Sake, und kommt gegen Mitternacht nach Hause. Die Ehefrau serviert ihm ein Essen, richtet ihm das Bad und steckt ihn ins Bett. Zärtlichkeit und Zuwendung erübrigen sich schon mangels Zeit.
Die Vereinten Nationen haben Japan kürzlich auf der Rangliste der Lebensqualität unter allen Nationen Platz eins gegeben, gemessen am Bruttosozialprodukt und Pro Kopf Einkommen. Die Japaner haben davon nicht viel. Ihre Wohnungen in den großen Städten sind winzig, die Grundstücke horrend teuer, die Mieten extrem hoch, die Altersversorgung ist schlecht, das soziale Netz kaum existent. Aber sie haben Geld. In den Straßen von Tokio und Osaka trifft man die Frauen: Die unvermeidliche Handtasche der Edelmarke Gucci oder Vouitton über der Schulter, das Hermes Tuch um den Hals. Angeblich kommt die europäische Mode, die Ärmel der sündhaft teuren französischen Seidenblazer einfach aufzukrempeln, auch aus Japan. Für die kleinen Japanerinnen sind die Ärmel einfach zu lang.
Das mag stimmen oder nicht, das teure Outfit zählt in Japan, nicht nur für Frauen. Der Mann, der am Wochenende Golf spielt - das ist kein Luxussport in Japan , hat selbstverständlich eine perfekte Golfausrüstung. Den Golfplatz mit Gras und Bäumen aber findet er nicht, jedenfalls nicht in erreichbarer Nähe. Viele spielen Golf in einem Käfig, umspannt von grünen Netzen. Dort läßt sich wohl ein Ball schlagen, aber nicht wirklich Golf spielen. Wer mit dem Super Schnellzug Shinkansen von Osaka nach Tokio fährt, sieht Dutzende solcher Golf Käfige, am Rande einer Siedlung oder auch auf dem Dach eines Hochhauses. Es sind japanische Frauen, die heute in Frage stellen, welchen Sinn es macht, in einem reichen, hochindustrialisierten Land zu leben, wenn Männer eingesperrt sind in das Korsett von Karriere und organisiertem Firmenleben, wenn Frauen weggesteckt werden in die traditionelle Enge der asiatischen Familie, im Beruf schlecht bezahlt als Teilzeitkraft und hübsche „Blume im Büro" oder entspannende Unterhalterin im „Wassergewerbe". Kiyoko Takeda, emeritierte Professorin der Christlichen Universität, meint, Frauen seien heute das „nationale Gewissen Japans". Sie kritisiert vor allem den Luxus. Noch ein van Gogh, noch ein Renoir für Millionen von Yen, nur für die Vorstandsetage eines Industriekonzerns oder für den Safe - warum? Noch ein Prestige Grundstück in New York oder Hamburg - wofür? Ließe sich nicht sinnvoller investieren? Michiko Nakijama, Rechtsanwältin und Spezialistin für Arbeitsrecht, hält Japan für einen „Arbeitsstaat" und die Bundesrepublik im Gegensatz dazu für einen „Urlaubsstaat". Sie plädiert dafür, die Arbeitsbedingungen der japanischen Industrie den Bedürfnissen der Frauen anzupassen. Das hieße Reduzierung der Arbeitszeit und der allabendlichen Vergnügungstouren böte Frauen die Chance, im Beruf zu bleiben, auch wenn sie Kinder haben. Akiko Domoto, Abgeordnete im Oberhaus, spricht von der „Kehrseite des wirtschaftlichen Wachstums", setzt sich für eine „menschenorientierte Politik" ein und für ein „gerechteres soziales System auch für die Alten und Schwachen". Solche Forderungen stoßen durchaus auf Sympathien. Das erklärt den Wahlsieg von Takako Doi im vorigen Jahr. Sie wecken aber auch Ängste. Denn nichts könnte in Japan so bleiben wie es ist, wenn sie wirklich zum Ziel der Politik würden: die japanische Familie nicht, ihr Gegenstück, die Halbwelt des „Wassergewerbes" nicht, und das Prinzip der Firmengemeinschaft, die Arbeitnehmer bis in die Nacht hinein vereinnahmt, schon gar nicht. So wählten die Japaner eben doch lieber, was sie kennen - trotz Korruption und Sex Skandal, trotz Umweltzerstörung und der unpopulären Mehrwertsteuer. Ein Fiasko für die Frauen? „Keineswegs", kommentiert selbst die konservative Mayumi Moriyama: „Ein Schritt zurück. Jetzt folgen zwei Schritte nach vorn "

http://www.zeit.de/1990/43/gefangen-im-luxus

Am 1. Juli nächsten Jahres tritt das neue Eherecht in Kraft (I)
Von Eva Marie v. Münch
Keines der fünf Bücher des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches ist im Laufe der gut 75 Jahre seiner Geltung so drastisch und so grundlegend geändert worden, wie das fünfte Buch mit der Überschrift Familienrecht. Bei seinen wichtigsten Bestimmungen, die die Ehe, die Ehescheidung und das Verhältnis zwischen Eltern und Kinder betreffen, ist fast nichts so geblieben wie es ursprünglich war.
Als das BGB am 1. 1. 1900 in Kraft trat, enthielt es in § 1354 den Satz: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu“. Auch in Fragen der Haushaltsführung und der Kindererziehung entschied in Streitfällen der Mann allein. Arbeitsverträge seiner Frau konnte er auch gegen ihren Willen kündigen. Der gesetzliche Güterstand war die Verwaltung und Nutznießung des Mannes am Frauen vermögen; das heißt: hatte die verheiratete Frau eigenes Geld, so konnte allein der Mann darüber verfügen und ihm allein gehörten die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau.
Dieses Ehemodell des BGB, das man heute, ohne zu übertreiben, streng patriarchalisch nennen kann, ist schon während der Vorarbeiten zum Gesetz im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts außerordentlich heftig umstritten gewesen. Die einen – unterstützt von der damals sich entwickelnden ersten Frauenbewegung – hielten es für reaktionär und eines modernen Gesetzes für unwürdig. Eine so starke ehemännliche Übermacht – so hieß es in einer Reichstagsrede – erwecke Übermut auf der einen Seite und Hinterlist auf der anderen.
Andere, wie etwa der Jurist Otto von Gierke, fanden es zu individualistisch und zu stark von römisch-rechtlichen Prinzipien beeinflußt; ihnen schien eine strikte Gehorsamspflicht der Ehefrau gegenüber dem Mann innerhalb der „Organischen Einheit“ Ehe angemessener. „Ist es ein unabweisbares Bedürfnis..., den Ehemann zum passiven Zuschauen bei allen möglichen Operationen seiner Frau zu verurteilen? Entspricht es unserem deutschen Rechtsbewußtsein, daß der Mann nicht mehr als der geborene Vertreter der Frau gelten soll?“ Gierkes Frage wirkt heute eher komisch, damals wurde sie ernst genommen.
Das als Kompromiß zwischen diesen extremen Positionen schließlich Gesetz gewordene Eherecht des BGB ist im wesentlichen bis zum 31. März 1953 in Kraft geblieben. Am 1. April 1953 trat das dem Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“) entgegenstehende Recht außer Kraft. Dader Gesetzgeber seinem grundgesetzlichen Auftrag nach Anpassung des alten Rechts an die neue Verfassung nicht nachgekommen war, hatten jetzt die Richter das Wort. Schritt für Schritt formten sie ein neues Eherecht: Einigungspflicht statt Entscheidungsrecht des Mannes, Gütertrennung statt Verwaltung und Nutznießung. Erst 1957 kam das Gleichberechtigungsgesetz mit dem neuen gesetzlichen Güterstand, der Zugewinngemeinschaft, 1961 das Familienrechtsänderungsgesetz mit einer Neugestaltung des Rechts zwischen Eltern und Kindern, Änderungen des Eheschließungsrechts und einer Erschwerung der Scheidung, auf die wir noch zurückkommen werden.
Das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts, unter dem Datum vom 14. Juni 1976 im Bundesgesetzblatt verkündet, ist fürs erste der Schlußstein in dieser Entwicklung; den Namen Erstes Eherechtsreformgesetz trägt es freilich nach den Reformen der 50er und 60er Jahra zu Unrecht. In seinem ersten Teil enthält es die Eherechtsreform, im zweiten die Reform des Scheidungsrechts – in der Öffentlichkeit hält man dies zu Unrecht häufig für den einzigen Inhalt des Gesetzes –, ein dritter Teil bringt die Neuordnung des Scheidungsverfahrens, die eine Konzentration aller mit einer Scheidung zusammenhängenden Fragen bei den neu zu schaffenden Familiengerichten vorsieht.
Der umstrittenste Teil der Eherechtsreform war das Namensrecht; es ist bereits seit dem 1. Juli 1976 geltendes Recht. Seitdem kann ein Brautpaar bei der Eheschließung entweder den Namen des Mannes oder den Namen der Frau zum Familiennamen und damit auch zum Namen der gemeinsamen Kinder wählen. Heiratet also Herr Stark Fräulein • Hübsch, so kann das Ehepaar sich entweder Stark oder Hübsch nennen. Können sie sich nicht einigen, so ist der Name des Mannes Familienname, dann heißen sie also Stark.
Der Ehegatte, dessen Name nicht Ehename wird, kann seinen Geburtsnamen dem Ehenamen voranstellen. Wird also der Name Stark Ehename, so kann Frau Stark sich Hübsch-Stark nennen, wird der Name Hübsch Ehename, so kann Herr Hübsch sich Stark-Hübsch nennen. Die gemeinsamen Kinder bekommen aber nur den Ehenamen, nicht den Doppelnamen des Elternteils, dessen Name nicht Ehename geworden ist.
Einen aus beiden Geburtsnamen zusammengesetzten Doppelnamen können Brautpaare aber nicht zum Familiennamen wählen. Der ursprüngliche Entwurf hatte das noch vorgesehen; der Bundesrat hat dies ebenso wie die Rückwirkung des neuen Namensrechts abgelehnt, weil sonst das große Chaos in den öffentlichen Urkunden ausgebrochen wäre. So bleibt es nun bei der „kleinen Lösung“: Das neue Namensrecht gibt den Verlobten ein einfaches Wahlrecht zwischen dem Namen des Mannes und dem Namen der Frau und es gilt nur für Ehen, die nach dem 1. Juli 1976 geschlossen sind.
Bisher liegt der Prozentsatz der Männer, die bei der Heirat den Namen ihrer Frau annehmen, unter 2 Prozent. Die praktische Bedeutung des neuen Namensrechts wird also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht sehr groß sein. Sie beschränkt sich auf Fälle, in denen der Name des Mannes sehr häßlich oder ein nichtssagender Allerweltsname ist oder der Name der Braut ganz besonders verlockend klingt.
Mißbilligt’ wird die Namenrechtsreform vor allem von den deutschen Adelsverbänden. Ihr Ausschuß für adelsrechtliche Fragen weist in einer Anzeige darauf hin, daß Ehemänner, die – den Namen der adlig geborenen Ehefrau annehmen, damit nicht die „Zugehörigkeit zum historischen deutschen Adel“ erwerben. Im Gotha rischen sie „gegebenenfalls als Namensträger“ im Anschluß an die Familienartikel aufgeführt, einer Art Strafecke für bürgerliche Ehemänner.
Ob die Ehefrauen in der Bundesrepublik am 1. Juli 1977 ein Freudenfest feiern werden? Das Motto müßte sein: die Hausfrauenehe ist, abgeschafft. Bisher (und bis einschließlich 30. Juni 1977) gilt noch das durch das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 umformulierte „alte“ BGB. Danach ist die Frau in erster Linie zur Haushaltsführung, der Mann zum finanziellen Unterhalt der Familie verpflichtet. Die Ehefrau darf nur dann berufstätig sein, wenn sie dadurch ihre familiären Verpflichtungen nicht vernachlässigt; wenn die Einkünfte des Mannes für den Familienunterhalt nicht reichen, ist sie aber verpflichtet zu arbeiten. Im Beruf oder Geschäft des Mannes muß sie mitarbeiten, „soweit dies nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben, üblich ist.“ Für diese Mitarbeit innerhalb des Üblichen bekommt sie nichts.
Das bedeutet: die Frau eines Beamten oder eines Rechtsanwalts darf gegen den Willen ihres Mannes auch dann nicht berufstätig sein, wenn sie aus ihrem Arbeitseinkommen eine Haushälterin bezahlen könnte und wollte, die Bauersfrau, die Gastwirtsfrau und die Frau eines Lebensmittelhändlers müssen ohne Bezahlung mitarbeiten, egal, wie viele Kinder sie haben.
In jedem Fall liegt die Haushaltsführung ganz überwiegend in der Hand der Frau, im Normalfall hat sie kein eigenes Einkommen. Das Gesetz gibt ihr deshalb mit der „Schlüsselgewalt“ die Möglichkeit, in den Grenzen ihres „häuslichen Wirkungskreises“ Rechtsgeschäfte zu schließen, deren Folgen allein der Mann trägt. Simpel gesagt: die Frau kann im Supermarkt einkaufen, der Mann muß zahlen.
Das neue Eherecht wird mit Wirkung vom 1. Juli 1977 an das Bild ändern. Dann müssen beide die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen regeln. Beide sind berechtigt, berufstätig zu sein, beide müssen auf die Familie Rücksicht nehmen. Eine Mitarbeitspflicht im Geschäft des anderen gibt es nicht mehr. Jeder darf „Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie“ abschließen, für die auch der andere haftet. Kurz: die Hausfrauenehe, die dem Gesetzgeber noch 1957 selbstverständlich schien, wird jedenfalls im Gesetz nicht mehr zu finden sein.
An der sozialen Realität wird das freilich zunächst nicht viel ändern. Mag sein, daß die eine oder andere Familienmutter am 1. Juli vor ihren Eheherrn tritt, ihn auf seine Pflichten im Haushalt und bei der Kindererziehung hinweist und auf ihr Recht zur Selbstverwirklichung im Beruf pocht. Sie kann das tun und sie braucht die Konsequenzen nicht zu fürchten wie früher.
Nach dem alten Recht ist die nachhaltige Verletzung der Haushaltspflichten ein Scheidungsgrund, und wer schuldig geschieden ist, bekommt weder Unterhalt noch kann er damit rechnen, die Kinder zu behalten. Auch nach dem neuen Recht kann ein Mann sich scheiden lassen, spätestens nach 5 Jahren, meistens schon nach 3jährigem Getrenntleben; doch seine finanziellen Verpflichtungen können dennoch weiter bestehen und die Kinderverteilung hängt nicht mehr an der Frage, wer eheliche Pflichten verletzt hat und wer nicht.
Ginge es allein nach dem Gesetz, so hätten Mitte nächsten Jahres alle Ehefrauen die Wahl zwischen Haushalt, Beruf oder einer Kombination aus beidem. In der Praxis haben sie diese Wahlmöglichkeit meistens nicht: Ihre Ausbildung ist schlecht, ihre Berufsaussichten sind schlecht, ihre Bezahlung würde schlecht sein und ihr Selbstvertrauen ist nach einigen Jahren der Isolation in Haushalt und Familie mindestens angeknackst. Diese Voraussetzungen zu ändern, wird mehr Zeit brauchen als die Änderung des BGB.
Ein zweiter Artikel in der nächsten Ausgabe befaßt sich mit dem Scheidungsrecht

http://www.zeit.de/1976/43/hausfrauen-ehe-abgeschafft

HOMOSEXUALITÄT
Mit heißer Nadel
Von Hipp, Dietmar
Die Hamburger Familienrechtsexpertin Eva Marie von Münch über die Verfassungsklage der Länder Bayern und Sachsen gegen die Homo-Ehe
Eva Marie von Münch, 65, renommierte Familien- und Verfassungsrechtsautorin, setzt sich seit den siebziger Jahren in Büchern und Artikeln für die rechtliche Normierung nichtehelicher Lebensgemeinschaften ein. Sie ist seit 38 Jahren mit dem Staatsrechtslehrer Ingo von Münch verheiratet.-------------------------------------------------------------------
SPIEGEL: Frau von Münch, in dieser Woche verhandelt das Bundesverfassungsgericht über zwei Eilanträge aus Bayern und Sachsen gegen das so genannte Lebenspartnerschaftsgesetz der rot-grünen Koalition. Das Gesetz soll homosexuellen Paaren eine "eingetragene Lebenspartnerschaft" ermöglichen und ihnen so weitgehend gleiche Rechte einräumen wie Eheleuten. Glauben Sie, dass es wie geplant am 1. August in Kraft treten kann?
Von Münch: Ich denke nein. Das Verfassungsgericht muss geradezu eine einstweilige Anordnung erlassen, um das Inkrafttreten des Gesetzes zu verhindern.
SPIEGEL: Sie waren doch immer für so ein Vorhaben?
Von Münch: Prinzipiell schon. Aber das Gericht hat, bevor es später über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes im Einzelnen befinden kann, nun erst einmal abzuschätzen, welche Folge schlimmer ist: Wenn das Gesetz jetzt in Kraft tritt und dann später vielleicht teilweise oder ganz wieder aufgehoben werden muss, oder wenn es erst einmal auf Eis gelegt wird, bis die umstrittenen Fragen geklärt sind.
SPIEGEL: Und das ist weniger schlimm?
Von Münch: Aus Sicht der Verfassungsrichter ja. Was ist denn, wenn ein schwules Pärchen etwa in Nordrhein-Westfalen, wo es ja auch schon Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetz gibt, auf Grund der neuen Möglichkeiten eine dieser Lebenspartnerschaften schließt? Was wäre, wenn einer von beiden kurz darauf bei einem Autounfall ums Leben kommt, der andere seinen geplanten Erbanspruch als Lebenspartner geltend macht - und die Verwandten des Verstorbenen protestieren, weil mittlerweile diese Regelung kassiert worden ist? Oder wenn in einem Prozess ein Lebenspartner von seinem neuen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte - hätte ein darauf aufbauendes Urteil auch dann Bestand, wenn das Gesetz später von Karlsruhe gekippt würde? Diese Rechtsunsicherheit kann das Verfassungsgericht nicht wollen.
SPIEGEL: Wie wichtig wird schon für die vorläufige Entscheidung sein, welche Tendenz sich bei den Richtern für das spätere Endurteil abzeichnet?
Von Münch: Nur wenn sie die Klagen von vornherein für aussichtslos halten würden, müssten sie das Gesetz erst einmal in Kraft treten lassen.
SPIEGEL: Die Klagen haben also Substanz?
Von Münch: Ich denke, die Richter werden sich die Sache in Ruhe anschauen wollen. Das Gesetz ist mit so heißer Nadel gestrickt, da gibt es etliche Angriffspunkte. So verbietet das Gesetz zwar, dass jemand, der verheiratet ist, eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen darf. Umgekehrt wäre das aber sehr wohl möglich - das darf eigentlich nicht sein. Und ob es der Koalition wirklich gerichtsfest gelungen ist, das Gesetz aufzuspalten in einen Teil, der noch durch den Bundesrat muss, und einen Teil, der auch gegen den Willen der Ländermehrheit in Kraft treten kann, ist angesichts der Pannen, die dabei passiert sind, durchaus zweifelhaft.
SPIEGEL: Inhaltlich wird vor allem die weitgehende Gleichstellung der Homo-Partnerschaft mit der verfassungsrechtlich besonders geschützten Ehe kritisiert.
Von Münch: Es ist doch geradezu rührend, mit welcher Akribie vor allem die Schwulen-Politiker der Grünen darauf gedrängt haben, die Ehe Punkt für Punkt nachzubilden, bis hinein in das "Milch- und Margarinegesetz" und das "Bundeskleingartengesetz". Und ich glaube auch, dass diese weitgehende Parallelführung etlichen Verfassungsrichtern ein Stück zu weit geht - vor allem, wenn man bedenkt, dass Ähnliches ja auch im Steuerrecht geplant ist.
SPIEGEL: Sachsens Justizminister Manfred Kolbe macht auch geltend, wenn es schon gewisse Partnerschaftsprivilegien geben solle, dann nicht nur für homosexuelle Paare, sondern prinzipiell auch für "nicht geschlechtsbezogene Lebensgemeinschaften" wie etwa Geschwister oder Mütter mit erwachsenen Kindern.
Von Münch: Da ist auf jeden Fall was dran, auch wenn Verwandte untereinander natürlich viele dieser Rechte schon haben, die die schwulen und lesbischen Pärchen bekommen sollen. Aber dass auch sie beispielsweise fast dieselben steuerlichen Vorteile haben sollen wie Familien, in denen Kinder aufwachsen, kann niemand ernsthaft verlangen.
SPIEGEL: Wie werden die Verfassungsrichter letztlich entscheiden?
Von Münch: Ich glaube, dass sie das Gesetz am Ende passieren lassen - aber nur unter erheblichen Einschränkungen. Ich hoffe jedenfalls, dass das Gericht seine familienfreundliche Linie fortsetzt und deshalb nicht so sehr trennen wird zwischen traditioneller und Homo-Ehe, sondern sich fragen wird: Welche Privilegien brauchen Lebensgemeinschaften mit Kindern, und welche brauchen die Paare, ob hetero- oder homosexuell, die zwar ohne Nachwuchs bleiben, aber partnerschaftliche Pflichten eingehen wollen, von denen der Staat ja auch profitiert; denken Sie etwa nur an die Pflege des Partners bei Krankheit oder im Alter.
SPIEGEL: Die kinderlose Ehe verdient folglich aber nicht mehr Privilegien als die homosexuelle Lebenspartnerschaft?
Von Münch: Richtig. Zwar heißt es, die prinzipielle Fähigkeit von Mann und Frau zur Reproduktion sei der Grund dafür, dass heterosexuelle Paare gegenüber homosexuellen bevorzugt werden. Nur: Warum dürfen alte Leute dann heiraten? INTERVIEW: DIETMAR HIPP

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-19594666.html

Väter wollen Rechte, aber keine Pflichten
Von Eva Marie von Münch
Dem Vater wird verboten, in irgendeiner Form Kontakt zu dem Kind aufzunehmen und sich auf weniger als 500 Meter dem Kind zu nähern. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das vorstehende Verbot wird dem Vater hiermit ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Mark angedroht.“ Die drakonischen Sätze aus der Entscheidung eines deutschen Amtsgerichts vom Oktober dieses Jahres hängen an der Pinnwand des Naturfreundehauses in Köln, als Anfang November ein neuer Verein gegründet wird. Er heißt: „Väteraufbruch für Kinder“. Untertitel: „Bundesinitiative für mehr Rechte für bessere Väter für unsere Kinder“.
Was verbirgt sich hinter diesen wolkigen Formulierungen? Die große Mehrzahl derer, die sich in Köln versammelten, um den Väteraufbruch via Vereinsregister zu beginnen, sind junge Männer. Sie haben mit ihrer Partnerin – der Mutter des gemeinsamen Kindes – einige Zeit ohne Trauschein zusammengelebt, dann trennten sie sich, meistens im Krach. Die Mutter zog aus und nahm das Kind mit.
Solche Väter haben von unserem Recht wenig zu erwarten. Sie müssen Unterhalt zahlen für das Kind, Elternrechte haben sie nicht. Über Schule, Beruf, Wohnung, Freunde entscheidet die Mutter allein. Wenn sie will, kann sie dem Vater erlauben, das Kind zu besuchen, mit ihm zu spielen, mit ihm in Ferien zu fahren. Will sie das nicht, bleibt dem Vater nur die Möglichkeit, ein Besuchsrecht vor Gericht zu erkämpfen. Das setzt aber voraus, daß der Vater den Richter davon überzeugen kann, daß „dies dem Wohle des Kindes dient“. Wenn die Eltern zerstritten sind, entscheiden Gerichte fast immer gegen den Vater. Der, dem die oben zitierten Sätze qua Gerichtsbeschluß ins Haus kamen, muß, wenn er sein Kind sehen will, in 500 Metern Entfernung vom Kinderspielplatz auf einen Baum klettern, um Sohn oder Tochter mit dem Fernrohr zu betrachten. Die Entscheidung ist kein Einzelfall. „Davon haben wir eine ganze Sammlung“, sagt Werner Sauerborn, frisch gekürter Vorsitzender des neuen Vereins.
Der Väteraufbruch von Köln will deshalb für eine Änderung der Gesetze kämpfen. Die magere Verbesserung des Besuchsrechts nichtehelicher Väter, die ein Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium vorsieht, reicht ihnen nicht. Sie wollen das gemeinsame Sorgerecht auch für nicht verheiratete Eltern und die gesetzlich verbriefte Möglichkeit, bei einer Trennung das Kind in die Obhut des Vaters zu geben.
Und die Mütter? Wenn eine Lebensgemeinschaft mit Kind und ohne Trauschein auseinandergeht, und wenn die Väter dann mehr Rechte für sich verlangen, was planen sie für die Mütter? Unterhalt – wie nach einer Scheidung? „Dafür muß eigentlich die Gesellschaft aufkommen“, sagt Werner Sauerborn, „persönliche Abhängigkeiten nach der Trennung lehnen wir ab.“ Im Klartext heißt das: Eine Frau, die nach einigen Jahren der Lebensgemeinschaft mit Mann und Kind sich vom Partner trennt, soll dem Vater möglichst gleichberechtigt das Sorgerecht überlassen, Ansprüche für sich selbst hat sie nicht. Wenn sie berufstätig war und ist, mag das gehen. Wenn sie aber dem Kind zuliebe auf eine eigene Karriere verzichtet hat, ist „die Gesellschaft“ dran. Zur Zeit heißt das: Sozialhilfe. Wie bequem für die Väter!
Für die Mütter sprach in Köln Jutta Oesterle-Schwerin. Bundestagsabgeordnete der Grünen und Mitglied in deren Arbeitskreis Familienpolitik. Sie ließ kein gutes Haar an den Plänen der aufbrechenden Väter und am zaghaften Reformvorschlag aus dem Hause des Justizministers: „Frauenfeindlich“ nannte sie beides und forderte bei allem Verständnis für die väterlichen Defizite: „Laßt uns diesen kleinen Rest an Matriarchat!“ Mehr Rechte für Väter hält sie erst dann für denkbar, wenn „die Gesellschaft“ Frauen wirksam unter die Arme greift. Soll heißen: ein Erziehungsgeld, das den Unterhalt der Mutter wirklich deckt und dies mindestens bis zum dritten Lebensjahr des Kindes, Ganztagskindergärten in ausreichender Zahl, Ganztagsschulen, Quotierung aller Arbeitsplätze und Teilzeitarbeit für Männer und Frauen. Dann, ja dann würden Mütter mit sich reden lassen. Vorher aber nicht.
Auf solch goldene Zeiten wollen die Väter im Aufbruch nicht warten. Sie wollen ihr Sorgerecht hier und heute. „Frauen können nicht loslassen“, riefen sie aus dem Publikum und „euer Muttermythos schadet den Kindern“.
So geriet die Gründungsveranstaltung der neuen Väter in Köln unversehens zur Konkurrenz um das Betroffenheitsmonopol. Verlassene Väter schilderten mit bewegenden Worten den Blick ins leere Kinderbettchen. Alleinstehende Mütter wollen neben dem Alltagsstreß alles ertragen, nur den Besuch des ehemaligen Lebensgefährten nicht, der aber doch der Vater ihres Kindes ist.
Der Bielefelder Psychologieprofessor Uwe-Jörg Jopt hätte hier vermitteln können. In seinem einführenden Referat war von „Kooperation“ die Rede und von „Lernprozessen der Eltern“, die es in Gang zu setzen gelte. Er sprach von einer „Macht-Asymmetrie zugunsten von Frauen“, die das Gespräch zwischen Eltern eher erschwere als erleichtere. „Eine Frau, die sowieso das Sagen hat, wird es sich dreimal überlegen, ob sie dem Vater freiwillig entgegen kommt. Dient das dem Kindeswohl?“ Darüber hätte sich reden lassen. Nur schlug sich Jopt in der Diskussion ganz und gar auf die Seite der Väter. Den Müttern warf er vor, sie ließen sich ohne Not auf ein antiquiertes Mutterbild festnageln, verweigerten Emanzipation statt sie voranzutreiben. Damit zementierte er, was er eigentlich verhindern wollte: starre Fronten.
Jutta Oesterle-Schwerin fühlte sich als „Buh-Frau des Abends“, wiederholte tapfer ihre Forderungen, doch ein Gespräch mit ihr ergab sich nicht. So blieb am Ende alles beim alten. Väter verlangen mehr Rechte, Pflichten wollen sie nicht. Mütter geraten ins Abseits, klammern sich an ihr Kind und tun so, als gäbe es den Vater nicht. Beide erwarten von „der Gesellschaft“, daß ihnen ihr Risiko abgenommen wird. Da werden sie wohl noch eine Weile warten müssen

http://www.zeit.de/1988/47/starre-fronten/seite-1

Noch ist Justitia meist ein Mann
In der nächsten Woche tagen in Hamburg Juristinnen aus aller Welt. In ihrem Fachgebiet sind sie indessen in der Bundesrepublik noch eine verschwindend kleine Minderheit.
Von Eva Marie von Münch
Meine Herren“ – so begann vor mehr als 30 Jahren der Grandseigneur der deutschen Strafrechtsprofessoren, Graf zu Dohna, eines Tages wie gewohnt seine Vorlesung an der Bonner Universität, um ein wenig irritiert, aber doch freundlich fortzufahren „und wenn ich sage meine Herren, so sind damit natürlich auch Sie gemeint, verehrte Kollegin.“ Der Nachsatz galt der einzigen Jurastudentin, die in seiner Vorlesung saß. Jura studierten damals eben Männer, das war so gut wie selbstverständlich. Das Jurastudium galt als „abstrakt“, man glaubte, es setze in besonderem Maß die Fähigkeit zu logischem Denken voraus und sei deshalb „unweiblich“. Offenbar fand meine Großmutter das auch; ihr Kommentar zur Jura studierenden Enkelin: „Um Gottes willen, warum denn, sie sieht doch ganz passabel aus.“
Gewiß gehören solche Sätze heute nicht mehr zum ständigen Repertoire von Großmüttern und Tanten, ganz ohne Nachwirkung sind sie dennoch nicht. In den Hörsälen der rechtswissenschaftlichen Fachbereiche sind die Mädchen heute keine absoluten Außenseiter mehr, aber sie sind eine Minderheit geblieben. Von über 35 000 westdeutschen Jurastudenten waren im Wintersemester 1971/72 5182 Frauen, das sind nicht ganz 15 Prozent. Abiturientinnen studieren weit öfter Anglistik (56,7 Prozent), Kunstgeschichte (54,4 Prozent) oder Germanistik (47,7 Prozent), oder sie werden Volks- oder Realschullehrer (65,7 Prozent). Noch seltener als in juristischen Vorlesungen sind sie nur in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern zu finden.
Juristinnen begegnen der ständig wiederkehrenden Frage, ob sie denn Jugendrichterin werden wollten, gelassen mit „mal sehn“, und ihr emanzipatorisches Reizempfinden ist durch die Tatsache, daß sie ganz überwiegend von Männern unterrichtet werden, ebensowenig überstrapaziert wie in den Fällen, in denen bei der Rückgabe einer Klausur der Professor ausdrücklich darauf hinweist, es seien einige recht gute Arbeiten abgegeben worden, „sogar von Damen“. Dafür sind sie offenbar zielstrebiger und hartnäckiger als ihre Schwestern von der Germanistik: Ihre Erfolgsquote ist mit 74 Prozent genau doppelt so hoch wie bei den Studentinnen der Kulturwissenschaften (37 Prozent).
Hilde Benjamin war eine der ersten
Bis vor kurzem waren Frauen auch in den praktischen juristischen Berufen eine seltene Ausnahme. Erst seit 1922 zu den juristischen Staatsexamen zugelassen – und in der NS-Zeit weitgehend unerwünscht –, stellten sie in der Bundesrepublik noch 1965 weniger als 5 Prozent aller Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte. Eine der ersten Frauen, die im Jahr 1924 in Deutschland das Referendarexamen bestand, warHilde Benjamin. Vermutlich war sie die einflußreichste Juristin der deutschen Nachkriegszeit, wenn auch die Bewertung ihrer Tätigkeit in Ost und West völlig gegensätzlich ist. Schon 1949 wurde sie Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR. Der Vorsitz in vielen spektakulären politischen Schauprozessen hat ihr im Volksmund den Beinamen „die rote Guillotine“ eingetragen.
Als Sinnbild ist Justitia immer eine Frau gewesen, in concreto war sie meistens ein Mann. Erst neuerdings beginnt sich dies in größerem Umfang zu ändern.
Nach der kürzlich veröffentlichten Richterstatistik des Bundesjustizministeriums hat sich die Zahl der weiblichen Richter in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Zu Beginn des Jahres 1965 waren 4,1 Prozent aller Richter und 3,1 Prozent aller Staatsanwälte Frauen; am 1. Januar 1975. stellten sie bereits 10,7 Prozent der Richter und immerhin 7 Prozent der Staatsanwälte. An Hand der Zahlen für die bei Gerichten und Staatsanwaltschaften tätigen Richter auf Probe wird deutlich, daß dieser Trend sich weiter fortsetzt: Auch die Zahl der Nachwuchsjuristinnen im Justizdienst ist um rund 100 Prozent gestiegen – bei Gericht von 10,7 auf 20,9 Prozent, bei den Staatsanwaltschaften von 6,9 auf 15,9 Prozent. Wenn diese Entwicklung nicht durch gezielte frauenfeindliche Stellensperren gebremst wird, so wird bald jeder 5. Richter oder Staatsanwalt eine Frau sein.
Dies darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß der größte Teil bei den unteren und mittleren Instanzen hängenbleibt. Die Top-Etage erreichen auch in der Justiz nur wenige. Beim Bundesgerichtshof amtieren 67 Richter und 3 Richterinnen, beim Bundesverwaltungsgericht sind von 77 Richtern nur 2 Frauen, und beim Bundesfinanzhof bleiben die 39 Richter-Männer unter sich. Gemessen daran ist das Verhältnis Mann/Frau beim Bundesverfassungsgericht noch rosig, wo Wiltraut Rupp-v. Brünneck als einzige Frau „nur“ 15 Männern gegenübersteht. Auch sie – seit ihrem Sondervotum zum Abtreibungsurteil prominenteste Juristin hierzulande – meint, sie habe Karriere gemacht, teils weil, teils obwohl sie eine Frau ist.
Kühl, nüchtern oder erotisch?
Selten sind Frauen auch unter den Anwälten; ihr Prozentsatz ist dort in den letzten zehn Jahren nahezu konstant geblieben: 1965 betrug er 4,1 Prozent, 1975 gerade 5 Prozent. Der Grund dafür ist schwerlich das „Wesen der Frau“, der die richterlichen Tugenden des Ausgleichens und Abwägens angeblich mehr liegen als die scharfzüngige Eloquenz eines Strafverteidigers oder der analytische Verstand eines Wirtschaftsanwalts. Wahrscheinlicher ist, daß das Angebot von Teilzeitarbeit und zeitweiser Beurlaubung, das der Staat seit 1969 Richterinnen (und seit 1974 auch Richtern) macht, die ihre Kinder „in häuslicher Gemeinschaft tatsächlich pflegen und betreuen“ wollen, den Frauen den Entschluß, Richter zu werden und es zu bleiben, wenn sie Kinder haben, leichtmacht. Alle Vorteile der beamtenrechtlichen Arbeitsplatz- und Existenzsicherung werden ihnen auch dann garantiert, wenn sie einige Jahre lang ihren Beruf nicht ausüben. Je nach Kinderzahl und Familiensituation sind dadurch individuelle Lösungen möglich, die ein Anwaltsbüro in der Regel nicht bieten kann.
Juristinnen „beruflich und wissenschaftlich zu fördern, ihre Interessen im öffentlichen Leben wahrzunehmen, internationale Beziehungen zu pflegen und Einfluß zu nehmen auf die Gestaltung des Rechtslebens“ hat sich der deutsche Juristinnenbund vorgenommen. Für den Einfluß auf die Gestaltung des Rechts – und das bedeutet vor allem: Einfluß auf seine Veränderung – hat er in den letzten 25 Jahren reichlich Gelegenheit gehabt. Noch nie in der deutschen Geschichte ist das Tempo der rechtlichen Entwicklung in den sogenannten Frauenfragen so rasant gewesen wie in dieser Zeit. Der Juristinnenbund hat die verschiedensten Reformvorhaben vom Ehe- und Familienrecht bis zum Beamtenrecht – vor allem, soweit sie Frauen betreffen – teils angeregt, teils kritisiert, teils kommentiert. Vom 25. bis 29. August wird er als Gastgeber eine Tagung des Internationalen Juristinnenbundes in Hamburg veranstalten.
Die Vorstellung, daß mehr als 300 juristisch versierte Frauen aus beinahe allen nichtkommunistischen Staaten über Gleichberechtigung und Familienplanung diskutieren, mag Assoziationen zu „Frauenrechtlerinnen“ wecken: kühl, nüchtern, unweiblich. Das ist ein Klischee, selbst bei Frauen. „Ich müßte eine Nüchterne werden“ schreibt Karin Struck („Die Mutter“), „müßte Jura oder Wirtschaft studieren“; aber sie hält das für eine Flucht in „Auswegvorstellungen“: Ihre Sehnsucht ist es, „eine Große Erotische Mutter zu sein“.

http://www.zeit.de/1975/35/noch-ist-justitia-meist-ein-mann

Ein Plädoyer für Frau Kollegin
Juristinnen berichten über ihre Lern-Prozesse
Von Eva Marie von Münch
Justitia entläßt ihre Töchter“ steht auf dem Umschlag eines Buches, das soeben im Berliner Elefanten Press Verlag erschienen ist und sich das Ziel gesetzt hat, „auf biographischer Ebene ein Stück Berufsgeschichte“ aufzuschreiben:
Juristinnen: Berichte, Fakten, Interviews. Herausgegeben von Margarethe Fabricius-Brand, Sabine Berghan, Kristine Sudhölter. Elefanten Press, Berlin, 1982. 24,80 Mark. Die drei Herausgeberinnen sind Juristinnen; sie haben Kolleginnen interviewt, Lebensläufe gesammelt, Erfahrungsberichte angeregt, um so eine Art „Juristinnenreport“ zustande zu bringen. Studentinnen schildern ihre Schwierigkeiten beim Studium, Anwältinnen und Richterinnen erzählen aus dem Berufsalltag, Frauen aus der „freien Wirtschaft“, Professorinnen und Politikerinnen kommen zu Wort, Umsteigerinnen, die Studienfach oder Beruf gewechselt haben, beschreiben ihr „Durchhängen“ in der Uni und ihren „Frust“ während der Referendarzeit, der Deutsche Juristinnenbund wird vorgestellt, ein paar geschichtliche Daten finden sich im Anhang.
Wer das Buch durchblättert, wird manches vermissen (nicht eine einzige Verfassungsrichterin wird porträtiert) und über langatmigen Selbstdarstellungen gelegentlich ungeduldig werden. Aber vieles ist wiederzufinden, das den eigenen Erfahrungen entspricht. Daß Frauen die Universität primär als Heiratsmarkt sehen, ist ein offenbar unausrottbares Vorurteil. Daß eine Frau, wenn sie schon ernsthaft Jura studiert, Jugendrichterin werden sollte, ein zweites. Die dämlichen Witzchen aus der Strafrechtsvorlesung mit „Berta Bumske“ und „Frau Busig“ in den Hauptrollen gibt es offenbar noch immer, ebenso Professoren, die jede Vorlesung konsequent und pointiert mit „Meine Herren“ beginnen. Ältere Sekretärinnen machen Berufsanfängerinnen nach wie vor das Leben schwer, weil sie es ablehnen, sich von einem „jungen Huhn“ in die Maschine diktieren zu lassen; männliche Vorgesetzte jonglieren zwischen Jovialität, Ablehnung und Anbiederung, wenn sie nach dem richtigen Umgangston mit der Kollegin suchen.
Erstaunt hat mich bei der Aufzählung dieser „Diskriminierungen“, die viele Seiten des Buches füllt, wie wenig sich in den zwanzig Jahren seit meiner eigenen Studienzeit geändert hat. Die gleichen Witze, die gleichen Mätzchen, die gleichen Vorurteile. Damals glaubten wir, das würde sich geben, sobald mehr Frauen auch in den sogenannten männlichen Disziplinen auftauchten. Heute sitzen in juristischen Anfangsvorlesungen statt zehn Mädchen mindestens dreißig unter hundert Männern und noch immer heißt es: „Wenn sie bis zum 7. Semester ihren Doktor nicht geheiratet hat, muß sie ihn selber machen.“
Erstaunt hat mich aber auch, mit welcher Hingabe sich gerade die jüngeren unter den Juristinnen in jede Kleinigkeit vertiefen, die auch nur von Ferne an eine Verletzung des Gleichheitsgebotes erinnert. Manchen reicht es schon, wenn männliche Kollegen sie als erste durch die Tür gehen lassen, um sich diskriminiert zu fühlen, andere empfinden es als Erniedrigung, wenn ein Mann ihnen aus dem Mantel hilft oder ihnen die Richterrobe abnimmt – des Standard-Witzchens „Darf ich Sie ausziehen, Frau Kollegin“ bedarf es kaum.
Immer wieder klagen Studentinnen, daß die eigene Stimme im Hörsaal nicht trägt, schon die Aufforderung „bitte etwas lauter“ wird als mieser Männer-Trick entlarvt. Gar nicht zu reden von den Schwierigkeiten bei der „Verbeamtung“, die heute offenbar als Gipfel der Seligkeit gilt. Wenn Justitias junge Töchter so verletzbar sind und in narzißtischer Selbstbeschau immer wieder die Schrammen betrachten, die irgendein Mann ihnen im Kampf um den begehrten Job oder einfach nur mal nebenbei zugefügt hat, dann können sie wohl leider noch lange nicht entlassen werden, jedenfalls nicht in die freie Wildbahn. Eher brauchten sie einen Schonraum, eine Art Freigehege, in dem sie sich unbehindert von der rauhen Wirklichkeit entfalten können. Nur müßten die Mauern und Zäune, die diesen Freiraum schützen, gut kaschiert sein – der psychischen Verletzbarkeit der Schützlinge wegen.
Einige Berufsfrauen reagieren weniger allergisch. Richterinnen, Politikerinnen, Professorinnen antworten öfter mal: „Ich habe mich nie so empfunden, als Frau so extra“ oder „Ich habe nichts bemerkt ... die politische Entwicklung war damals die wesentliche. Manchen ist die Scheu anzumerken, den Ruf als streitbare „Frauen-Frau“ ein für allemal wegzuhaben; einzelne geben gar zu, daß die „Kavaliersmasche“ der Männer für die eigene Karriere schon mal hilfreich sein könne.
Für viele von ihnen kommt die Stunde der Wahrheit erst, wenn es darum geht, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen. Die Angst, weder dem einen noch dem anderen gerecht zu werden, spricht aus vielen Erfahrungsberichte. „Als Frau mit Kind denkt man gar nicht mehr an Karriere, sondern an Überhaupt-Arbeiten“ sagt eine „Dritteltags-Anwältin“ aus Berlin. Die Hamburger Jura-Professorin Heide Pfarr – unter ihresgleichen noch immer ein Paradiesvogel – meint kategorisch: „Wenn ich ernstlich ein Kind gewollt hätte, das wäre nicht gegangen. Entweder hätte ich die Hochschullaufbahn an den Nagel hängen müssen, oder ich wäre an den Rand gedrängt worden.“ Mehr als eine subjektive Wahrheit? Ein paar Seiten weiter sagt ihre Berliner Kollegin Jutta Limbach (drei Kinder) mit etwas forcierter Munterkeit just das Gegenteil: Nach Hausarbeit und Kinderkram kehrt sie „mit erfrischtem Gemüt“ an den Schreibtisch oder in den Hörsaal zurück. An ein paar „unvermeidliche Opfer in der Kleinkindphase“ kann sie sich erinnern, aber wenn sie selbstkritisch zurückschaut, bedauert sie eher den fehlenden „Mut zum vierten Kind“. Mit spürbarer Antenne für die handfeste Praxis nennt die Bundestagsabgeordnete Herta Däubler-Gmelin ihre persönlichen Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf: genug Geld, um sich wirklich gute Hilfen zu leisten, eine intakte Großfamilie, eine robuste Gesundheit und viel Organisationstalent.
Ob vier Kinder oder keine, ob Haushaltshilfe oder Halbtagsjob – gemeinsam ist diesen Juristinnen, daß sie nicht in falsch verstandener Sensibilität um eine heile Welt trauern, die es nicht gibt, sondern versuchen, in der vorhandenen Wirklichkeit zurechtzukommen; mit unterschiedlichen Rezepten und vermutlich nicht ohne Schrammen, gewiß, aber auch nicht ohne Gewinn.

http://www.zeit.de/1982/39/ein-plaedoyer-fuer-frau-kollegin

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Die ultimative Dienstleistungsoffensive des Antifeminismus

Ein bisschen Frauenhass steht jedem Mann!

wikimannia statt femipedia

Liste Femanzen Dr. Eva Marie von Münch

Oberkellner @, Sunday, 04.10.2015, 18:47 (vor 3137 Tagen) @ Oberkellner

Den Präsidenten des Deutschen Juristentages bedrückt der Qualitätsverlust der Gesetzgebung
Von Eva Marie von Münch
Als Marcus Lutter vor sechs Jahren zum Präsidenten des Deutschen Juristentages gewählt wurde, schlugen viele erstmal in Kürschners Gelehrtenkalender nach, um festzustellen, wer das denn eigentlich ist. Dort steht: Professor für Bürgerliches Recht und Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn. Ein Wissenschaftler also. Mancher hat sich damals gefragt: Warum macht der das? Warum übernimmt ein deutscher Professor ein Ehrenamt, das viel Arbeit macht und mit lästigen Repräsentationspflichten verbunden ist, in dem wissenschaftliche Erfolge und einträgliche Gutachten aber nicht winken? Marcus Lutter hat diese Frage sicher oft gehört, denn die Antwort kommt prompt: „Rechtspolitik fasziniert mich.“ Doch sogleich bildet sich über seiner Nasenwurzel ein ganzer Fächer kleiner Fältchen, und er ergänzt mit Nachdruck: „Aber Rechtspolitik ohne Parteipolitik!“
Politik jenseits der Parteien, ist das nicht eine Illusion? „Vielleicht bin ich blauäugig“, sagt er, „aber ich probier’s halt. Wenn Sie sich die Ergebnisse des Parlamentarismus ansehen – die sind nicht gut.“ Was Lutter bedrückt, ist der „Qualitätsverlust der Gesetzgebung“, die umständliche, aufgeblasene Sprache neuer Gesetze, die Zersplitterung des Rechts in viele kleine unübersichtliche Verordnungen. Nirgends ein großer Wurf, nur kleinkariertes Herumwursteln. Er springt auf und holt aus seinem Arbeitszimmer ein schmales Bändchen. „Sehen Sie sich das an: das japanische BGB in deutscher Übersetzung. Das ist nichts anderes als ein Vorentwurf zu unserem Bürgerlichen Gesetzbuch, den haben die Japaner damals einfach übernommen. Knapp in der Sprache, klar im systematischen Aufbau, ein schönes Gesetz. Das stammt aus dem 19. Jahrhundert. So etwas gibt es heute nicht mehr.“
Seit langem träumt Marcus Lutter von einem Redaktionsbüro für neue Gesetze, das jeden vom Bundestag beschlossenen Paragraphen einer Qualitätskontrolle unterzieht, schlechte Gesetze redigiert und faule Kompromisse schlicht ans Parlament zurückverweist.
Daß dies ein Traum bleiben wird, weiß er wohl selbst, und nicht zuletzt deshalb ließ er sich zum Präsidenten des Deutschen Juristentages wählen. Damit übernahm er den größten und ältesten juristischen Fachverband und den mit der umfassendsten rechtspolitischen Tradition. In Berlin im Jahre 1860 gegründet, hat der Juristentag, zunächst seine Aufgabe darin gesehen, den politischen Zusammenschluß der deutschen Staaten zu fördern. Rechtseinheit als Voraussetzung der Staatsgründung – das ist der Grundgedanke, dem der Juristentag seine Entstehung verdankt. Die großen Kodifikationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – vom Strafgesetzbuch über das BGB bis zur Konkursordnung – sind ohne seine Beteiligung kaum denkbar. Später, in den zwanziger Jahren, begleitete er die Reformbestrebungen der Weimarer Republik; 1933 löste er sich selbst auf, um nationalsozialistischer Gleichschaltung zu entgehen. 1949 wurde er neu gegründet und betrieb bis in die sechziger Jahre hinein die gesetzliche Neuordnung der Bundesrepublik. Dann folgte eine Phase der Turbulenzen. Manche spotteten nicht ganz zu Unrecht über den konservativen Honoratiorenverein, gelegentlich nutzten Interessenverbände das Podium, um ihren höchst eigensüchtigen Forderungen Nachdruck zu geben.
Als Marcus Lutter 1982 die Präsidentschaft übernahm, wäre zweierlei möglich gewesen: ein langsames Einschlafen unter den Klängen der Gebetsmühle gekonnter Paragraphenreiterei oder die Radikalisierung unter dem Kampfgeschrei rechter wie linker Interessengruppen. Beides ist nicht geschehen. Der Juristentag ist in den vergangenen Jahren interessanter geworden, lebendiger und auch politischer. Es geht nicht mehr nur um Themen wie die Neukonzeption des Werkvertragsrechts oder die Eigenkapitalsausstattung von Unternehmen, sondern auch um Sterbehilfe, die künstliche Befruchtung beim Menschen oder die rechtliche Neuordnung des Rundfunks. Vor zwei Jahren diskutierten in Berlin Politiker aller Parteien über das Thema „Parteienstaat und die Bewältigung der Zukunftsaufgaben“. Daß es gelang, den Grünen Otto Schily aufs Podium zu holen, kam bei der eher konservativen Struktur des Juristentages fast einer Revolution gleich. In diesem Jahr wird der CSU-Politiker und ehemalige bayerische Kultusminister Hans Maier den Festvortrag halten. Thema: „Recht und Politik“, Lutters Thema also, wieder einmal.
Die Möglichkeiten politischer Einflußnahme des Deutschen Juristentages sieht der Präsident darin, von den Rechtspolitikern Liegengelassenes oder Abgeblocktes aufzunehmen und ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu heben und in der Kritik bereits vorhandener rechtspolitischer Entwürfe. Das Programm des diesjährigen Juristentages in Mainz vom 27. bis 30. September greift solche Fragen auf: nichteheliche Lebensgemeinschaften, das Entmündigungsrecht für Erwachsene, die Harmonisierung des Umweltschutzes, die Rechtsstellung Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und – last not least – ein Riesenthema: die Vereinfachung des Steuerrechts. Über mangelnde Aktualität ist wahrlich nicht zu klagen.
Bleiben Wünsche offen? Aber ja. „Was ich gern gehabt hätte, ist das Thema Arbeitskampf“, sagt Lutter, „das ist seit zwanzig Jahren dran.“ Nach den Regeln des Juristentages hätte ein Thema also lauten müssen: Empfiehlt es sich, den Arbeitskampf zwischen Tarifpartnern gesetzlich zu regeln? Die politische Brisanz liegt auf der Hand. „Das habe ich nicht durchsetzen können“, sagt der Präsident bedauernd, „die wollten das nicht, die Arbeitgeber nicht und die Arbeitnehmer auch nicht, und gegen die geht eben nichts.“
Thema zwei: die Juristenausbildung. „Da sagen alle: Das hatten wir schon. Hatten wir auch. Nur ist die Ausbildungsordnung immer noch schlecht. Ich bin ein Verfechter des Einheitsjuristen, gegen eine Aufspaltung des Studiums in mehrere Fachrichtungen. Aber warum sollen die Studenten nicht Schwerpunkte wählen können? Müssen denn unbedingt alle das gleiche lernen?“
Lutters eigene Karriere ist eher ungewöhnlich. Nach der klassischen Juristenausbildung wurde er erstmal Notar im pfälzischen Städtchen Rockenhausen. Nebenher habilitierte er sich an der Universität Mainz, wurde bald an die damals neu gegründete Universität Bochum berufen und ging von dort nach Bonn. Dazwischen war er Gastprofessor in Berkeley und hat in Brüssel, Paris und Rom wissenschaftlich gearbeitet. Sein Arbeitsgebiet ist das Wirtschaftsrecht mit deutlichem Akzent auf dem Europarecht. Mittlerweile hat er fünfzig Studenten promoviert, vier Habilitanden (darunter jüngst eine Frau) verdanken ihm den Einstieg in die wissenschaftliche Karriere. Seine Leidenschaft für die Rechtspolitik ist vielen seiner Professoren-Kollegen so fremd, wie seine Sammlung moderner Bilder und sein italienischer Sportwagen. „Ich bin halt kein Normalprofessor“, ist ein Satz, den er gern und fröhlich wiederholt.
Einem ungeschriebenen Gesetz folgend geht seine Amtszeit nun nach sechs Jahren zu Ende. Sein Nachfolger wird wohl ein Richter werden: Harald Franzki: Präsident des Oberlandesgerichts Celle.
So fragen sich heute viele, die vor sechs Jahren fragten, wer dieser Lutter denn eigentlich ist: Was macht der Lutter denn jetzt? Lehrstuhl und Institut in Bonn bleiben ihm, gewiß. Aber wohin mit seiner Leidenschaft für die Rechtspolitik? Ein Vorschlag: Wie wäre es mit der Gründung eines Europäischen Juristentages, der im Vorfeld der europäischen Einigung ähnliches bewirken könnte, wie vor hundertvierzig Jahren der Deutsche Juristentag für den Zusammenschluß der deutschen Staaten? Dafür wäre Marcus Lutter gewiß ein idealer Präsident.
http://www.zeit.de/1988/39/nur-kleinkariertes-herumwursteln
Seit langem gehört Professor Ingo von Münch, der am 26. Dezember das 80. Lebensjahr vollendet, zu den prominentesten deutschen Juristen, mit einem weltweiten Ruf. Er ist zudem einer der wenigen Staats- und Verfassungsrechtler, die das nie endende Spannungsverhältnis zwischen Politik und Recht, zwischen Freiheit und Bindung an die Rechtsordnung, nicht nur im Elfenbeinturm ihrer Wissenschaft untersucht, sondern auch an den Schaltstellen staatlicher Machtausübung erfahren haben. Diese Durchdringung von Jurisprudenz und Politik hat sein Leben und sein Lebenswerk nachhaltig beeinflusst.
Der gebürtige Berliner studierte nach dem Abitur in Goslar Rechtswissenschaften in Frankfurt und an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. 1959 promovierte er und habilitierte sich 1964 mit einer Schrift, deren Thema seither immer bedeutsamer geworden ist: "Das völkerrechtliche Delikt in der modernen Entwicklung der Völkerrechtsgemeinschaft."
Nach acht Jahren Lehre an der Ruhr-Universität Bochum nahm Ingo von Münch 1973 einen Ruf an die Universität Hamburg an, der er bis zu seiner Emeritierung 1998 verbunden blieb. Die Hansestadt wurde dem Liberalen, der 1968 in die FDP eingetreten war, zur beruflichen und politischen Heimat. Er wurde 1985 zum FDP-Landesvorsitzenden gewählt und führte die Elbliberalen bei der Wahl vom 17. Mai 1987 mit 6,5 Prozent nicht nur zurück ins Rathaus, sondern auch in eine Neuauflage der sozialliberalen Koalition. Für seine Partei war das nach neun bitteren Jahren außerparlamentarischer Existenz fast so etwas wie eine politische Wiedergeburt. Für ihn selbst begann damit eine Lebensphase als Vollzeitpolitiker, denn er war unter den SPD-Bürgermeistern Klaus von Dohnanyi und Henning Voscherau Senator für Kultur und Wissenschaft und Zweiter Bürgermeister. Zu seinen politischen Zielen gehörte damals die Einführung des kommunalen Ausländer-Wahlrechts, für das er sich beharrlich einsetzte, als dieses Thema auch in der eigenen Partei noch äußerst umstritten war.
Jedoch war ein Leben als Berufspolitiker nicht das, was Ingo von Münch und mehr noch seiner Frau Eva-Maria, einer profilierten Familienrechtlerin, als erstrebenswertes Ziel für die zweite Lebenshälfte erschien. Als Henning Voscherau 1991 für seine Partei erneut die absolute Mehrheit erobert hatte, wurde die mit 5,4 Prozent nur knapp ins Parlament zurückgekehrte FDP für die Senatsbildung nicht mehr benötigt. Zwar bot die SPD den Liberalen eine Fortsetzung der Koalition an, doch die Elbliberalen mochten darauf nicht eingehen. Ingo von Münch schied nicht nur aus dem Senat aus, sondern er verzichtete auch auf sein Bürgerschaftsmandat.
Danach begann für den umtriebigen und eloquenten Top-Juristen, was man seine "dritte Karriere" nennen könnte: Er lehrte als Gastprofessor in Australien, Frankreich, Neuseeland, Südafrika und den USA und beriet auch die Regierungen. Das verschaffte ihm internationales Renomee.
In der Bundesrepublik gewann er als Verfassungsrechtler vor allem mit einem führenden Kommentar zum Grundgesetz Profil, aber auch mit Untersuchungen zur Rechtslage des Deutschen Reiches, der Bundesrepublik und der DDR, zur deutschen Staatsangehörigkeit und zu anderen staatsrechtlichen Themen.. Die Universität Rostock verlieh ihm 1994 die Ehrendoktorwürde - ein Dank für seine intensive Mitwirkung an der wissenschaftlichen Aufbauarbeit nach der Wende und den damit verbundenen Herausforderungen.
Ingo von Münch hat sich nie gescheut, auch heiße Eisen anzufassen. Das bewies er 2009 mit einem mutigen Buch über ein schlimmes Kapitel der Zeitgeschichte: "Frau komm" behandelt die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen in den Jahren 1944/1945.
Dieser bedeutende Jurist und Rechtslehrer hat den juristischen Nachwuchs stets gefordert und gefördert, beides war und ist ihm wichtig. Er hat sich auch als gefragter Doktorvater einen bundesweiten Ruf erworben, nicht zuletzt durch ein höchst lesenswertes Buch über Promotionen, dessen Lektüre den Doktoranden zu Guttenberg und andere sicher vor den bekannten peinlichen Problemen bewahrt hätte. So mancher Dr. jur. hat Anlass, dem Professor Ingo von Münch für kritischen Zuspruch und Ermutigung dankbar zu sein, und er kann an seinem 80. Geburtstag sicher sein, dass es daran auch nicht fehlt.

http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article112215137/Top-Jurist-und-Politiker-auf-Zeit.html

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Die ultimative Dienstleistungsoffensive des Antifeminismus

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