Wenn der Mensch zur MenschIn wird - oder:

Wieviel »Gleichberechtigung« verträgt das Land?

How much »equality« the country can stand?

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Liste Femanzen Prof. Dr. Ina Kerner (Liste Femanzen)

Oberkellner @, Wednesday, 06.01.2016, 18:08 (vor 3043 Tagen)

F441 Dr. Ina Kerner – Studium der Politikwissenschaft an der FU Berlin - Juniorprofessur für Diversity Politics an der Humboldt Universität zu Berlin, Institut für Sozialwissenschaften und am Zentrum für transdiziplinäre Geschlechterforschung – Buchveröffentlichung: Differenzen und Macht, zur Anatomie von Rassismus und Sexismus (campus) - ina.kerner@sowi.hu-berlin.de - http://www.dampfboot-verlag.de/pictures/1/autoren/Kerner.jpg

Prof. Dr. Sabine Hark und Prof. Dr. Ina Kerner (Freitag)

Konstruktionsfehler
in der F-Klasse
Der neue Feminismus will nicht der alte sein, weil das Opferkleid schlecht zur konservativen Diskursmode passt
Auf den ersten Blick ist die Debatte um Familienpolitik, Gender Mainstreaming und neuen Feminismus zu begrüßen. Endlich wird wieder öffentlich darüber gestritten, was Geschlechtergerechtigkeit heißen könnte. Was sie mit Blick auf Politik und öffentliche Verwaltung bedeutet und was mit Blick auf Haushalts- und Fürsorgearbeit. Auf welchen Wegen sie erreichbar scheint. Und was ihre Konsequenzen wären. Dass es Bedarf an einer solchen Debatte gibt, beweist allein schon ihre Dauer. Spätestens seit Die Zeit im vergangenen Sommer nach einem neuen Feminismus rief und 15 beruflich profilierte Frauen Bilanz über Geschlechterfragen ziehen ließ, wird die Diskussion unentwegt befeuert. Die Nachrichtensprecherin Eva Herman verkündet, das Glück der Erde läge im Kinderwagenschieben und der Hausfrauenschaft; die Schriftstellerin Thea Dorn propagiert die neue F-Klasse, einen Quasi-Feminismus - sie mag das Wort Feminismus nicht - für durchsetzungsstarke Individualistinnen; der Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz poltert gegen eine Familienpolitik, die Männern das wahrhafte Mannsein unmöglich mache.
Schaut man sich das, was in den verschiedenen Beiträgen verhandelt wird, jedoch genauer an, und achtet man dabei besonders darauf, wer wen wie darstellt, so ist die Debatte nicht mehr vor allem gut, sondern vor allem bizarr. Oder auch bezeichnend, und zwar für die Kraft antifeministischer Rhetorik, die man etwas pessimistischer auch als die Macht des antifeministischen Diskurses beschreiben könnte. Eines Diskurses, der längst fast alle Statements der Debatte erfasst hat, und zwar nicht nur diejenigen der Hermans und Bolzens, sondern auch jene, die auf eindeutige Plädoyers für geschlechterpolitischen Wandel hinauslaufen. Also auf Proklamationen des alten, meist aber eines neuen Feminismus. Besonders deutlich wird dies beim Umgang mit der Figur des Opfers, die erstaunlich prominent ist in der aktuellen Geschlechterdebatte; als ob es nach nun schon gut 40 Jahren neuer Frauenbewegung und feministischer Theorie - zumindest in Westdeutschland - nicht auch nuancierter ginge.
Opfer - soviel ist sonnenklar - will unter den neuen Feministinnen keine sein. Das ist durchaus verständlich - zumal in einer Zeit, in der vor allem Stärke zählt, und in der symptomatischerweise "Du Opfer" auf den Schulhöfen als Schimpfwort grassiert. Weniger nachvollziehbar ist jedoch, warum es zum guten Ton des neuen Feminismus zu gehören scheint, sich vom alten Feminismus abzugrenzen. Wobei dessen Protagonistinnen, die alten Feministinnen also, in erster Linie der Selbstviktimisierung bezichtigt werden. Der neue Feminismus hebt sich vom alten dadurch ab, kein "Opferfeminismus" sein zu wollen. Das geht nun allerdings schon seit Jahren so.
"Der angebliche Feminismus ist in der Bundesrepublik zu einem Opferritual verkommen", konstatierte Signe Zerrahn bereits 1995. Die "Mütter der Bewegung" sähen jede Frau als "armes Häschen, das von der Gemeinschaft der Schwestern gehätschelt und getätschelt werden muss", schrieb Zerrahn in ihrem Buch Entmannt - Wider den Trivialfeminismus; als ob Konkurrenz und Ränkeschmiederei - so unangenehm sie auch sein mögen - vor feministischen Kreisen je halt gemacht hätten. Vier Jahre später bliesen Susanne Weingarten und Marianne Wellershoff - Autorinnen des Bandes Die widerspenstigen Töchter. Für eine neue Frauenbewegung - in das gleiche Horn. Angesichts einer bloß verhaltenen Begeisterung von Mädchen und jungen Frauen für die feministische Sache mutmaßten sie, dass jenen wohl "die pauschalisierende Opfer-Rolle zuwider ist, in die sie sich von der traditionellen Frauenbewegung gedrängt fühlen". Dieser sei ein entscheidender Fehler anzulasten: anstatt den notwendigen Kampf gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung zu führen, habe sie sich gemütlich in der Identität des Opfers eingerichtet.
Die fragwürdige These von der Passivität just jener Frauen, die das Label "Feministin" für sich beanspruchen, befeuert seit dem letzten Jahr nun auch Thea Dorn. Zumindest implizit. In ihrem Portraitband Die neue F-Klasse, einer Leistungsschau erfolgreicher weiblicher Biografien, betont sie, dass keine der Frauen, die sie interessierten, "in irgendeiner Weise Wert darauf legen würde, für benachteiligt oder gar für ›ein Opfer‹ gehalten zu werden". Das ist einer der Gründe, weshalb sie in ihrem Buch darauf verzichtet, positiv auf den "Feminismus" Bezug zu nehmen.
Nun ist nicht zu leugnen, dass es in feministischen Analysen tatsächlich um die unterschiedlichsten Facetten geschlechtlicher Benachteiligung geht, und dass Frauen da nach wie vor meist schlechter dastehen als Männer. Wer Nachweise sucht, schaue nur in den jüngsten Report des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zum Lohngefälle zwischen Frauen und Männern. Dazu kommt der Differenzfeminismus. Darunter versteht man eine Position, die den Unterschied der Geschlechter betont und zudem Werte, die traditionell Frauen zugeschrieben werden - etwa Fürsorglichkeit und Beziehungsdenken - aufwertet und gesamtgesellschaftlich relevanter zu machen trachtet. Der Differenzfeminismus bezieht sich mit diesem Programm also tatsächlich affirmativ auf Attribute, die eher Abhängigkeit und Selbstbescheidung nahe legen als Durchsetzungsvermögen. Aber muss man das - wie berechtigt mancher Einwand dagegen auch sein mag - als Selbstviktimisierung missverstehen? Und, weit gewichtiger: was legt nahe, eine heterogene politische Bewegung in ihrer Gesamtheit abzulehnen, bloß weil man einzelne ihrer Stränge und Akteurinnen für kritikwürdig hält? Das wäre, wie gegen die gesamte Bundesliga zu sein, bloß weil man findet, mehrere ihrer Teams spielten schlecht. Denn längst nicht jede selbsterklärte Feministin ist Differenzfeministin - viele betonen eher die Gleichheit als die Differenz der Geschlechter, oder gehen sogar noch einen Schritt weiter, und interessieren sich vor allem dafür, wie Vorstellungen von Geschlecht überhaupt erzeugt und gestützt werden. Gemeinsam ist ihnen allen jedoch, dass sie geschlechtlich vermittelte Ungerechtigkeit anprangern und adäquate Gegenmittel suchen, wie auch immer die im Detail aussehen mögen. Warum also diese einseitigen und verkürzenden Interpretationen?

Und woher kommt der Opferfeminismusvorwurf? Versuchen wir eine Antwort über einen kurzen Umweg.
Folgt man dem afroamerikanischen Philosophen Tommy Shelby, der sich in seinem unlängst erschienenen Buch We Who Are Dark um eine theoretische Fundierung schwarzer Solidarität bemüht, so lässt sich ein analoger Fall des diskreditierenden Gebrauchs der Opfer-Metapher in den USA beobachten. Konservative Kräfte, schreibt Shelby, diffamierten den Ruf nach schwarzer Solidarität als Ausdruck einer "Opfermentalität". Anstatt über ihre Situation zu lamentieren, sollten Afroamerikaner lieber aktiv die Chancen wahrnehmen, die Amerika biete. Der Kampf um "Rassengerechtigkeit" sei längst gewonnen; das Problem anhaltender Ungleichbehandlung sei daher auch nicht mehr strukturell bedingt, sondern eine Sache persönlicher Einstellungen und Einsatzbereitschaft.
Schon mal gehört? Vielleicht bei Dorn, die bekräftigt, in ihrem Programm der F-Klasse gehe es weniger um "Frauensolidarität um jeden Preis" denn um "Klasse-Frauen", ausgezeichnet "durch das individuell von ihr Erreichte und Gelebte"? Oder in der Zeit, die in einer Redaktionsnotiz just zu jener Ausgabe, die der Forderung eines neuen Feminismus verschrieben war, entschuldigend kundtat, "einen neuen Feminismus zu fordern war in den letzten 20 Jahren so ziemlich das Unsouveränste, was man als Frau tun konnte", denn "man outete sich damit nicht als kämpferisch, sondern als schwach, als eine, die sich noch immer als ›Opfer der Verhältnisse‹ begreift"? Es steht zu befürchten, dass die neuen Feministinnen - ob sie sich nun so nennen oder nicht - hier konservative, antifeministische Parolen reproduzieren. Das mag opportun sein in einer Welt, die von konservativem und antifeministischem Denken geprägt ist. Doch Opportunismus war noch nie eine Erfolg versprechende feministische Tugend. Man muss sich also fragen, ob nicht die Anschlussfähigkeit an dominante Diskurskonjunkturen zum Preis der feministischen Entsolidarisierung erkauft wird, zu einem Preis, der sich am Ende selbst für die Sache der F-Klasse als zu hoch erweisen könnte.
Nun sollte nicht so getan werden, als habe der Feminismus niemals die zweifelhafte politische Strategie des Moralisierens verwendet. Er hat. Und tatsächlich ist die Strategie des Moralisierens immer schon eine Strategie der Schwäche. Eine soziale Gruppe, die sich für benachteiligt hält, weist privilegierte soziale Gruppen darauf hin, dass deren Privilegien vor dem Hintergrund allgemeiner Gleichheitsversprechen ungerecht sind. Bei jenen Mitgliedern der privilegierten Gruppen, die die Ungerechtigkeitsdiagnose teilen, erzeugt das im Zweifelsfalle ein schlechtes Gewissen - und im Glücksfalle politisches Handeln. Nun finden wohl die meisten Menschen ein schlechtes Gewissen unangenehm - manchmal wollen sie daher nicht allzu viel zu tun haben mit jenen, die es in ihnen hervorrufen könnten. Unangenehm ist selbstverständlich auch der Job, ein schlechtes Gewissen zu erzeugen; man macht sich damit nicht beliebt. Die neofeministische Abwehr des Opferfeminismus kann vor diesem Hintergrund als Ansage verstanden werden, dass es ab sofort ohne Moralisieren gehen soll. Das ist zunächst angenehm für alle. Wie weit der Friede trägt, wird sich zeigen müssen. Denn es könnte sein, dass der Hinweis auf ungerechte Verhältnisse durch diejenigen, die besonders durch sie benachteiligt sind, immer gefährdet ist, als Moralismus interpretiert zu werden. Das ist kein Argument für aktives Moralisieren - aber die Vermutung, dass sich der Feminismus gegen den Moralismusvorwurf nicht vollends immunisieren kann. Er sollte es daher auch nicht versuchen, vor allem nicht mit dem Mittel der Entsolidarisierung.
Dass wir einen neuen Feminismus tatsächlich brauchen, darüber werden sich alle, die über Geschlechterverhältnisse nachdenken, wohl schnell einig werden können. Die Herausforderungen von heute sind andere als diejenigen, auf die der Feminismus der siebziger Jahre reagierte. Politisch sinnvoller als die Geste des großen Bruchs, demonstriert durch den Griff in die antifeministische Klamottenkiste, wäre hier allerdings eine durchdachte Revision. Eine Revision, die nach wie vor gültige Versatzstücke des Alten mit Neuem verbindet und Kraft eher aus ihren Zielen schöpft denn aus dem Versuch, sich im konservativen Lager beliebt zu machen - sei es durch die Rhetorik individueller Leistungsfähigkeit oder durch die Entsolidarisierung mit jenem Feminismus alter Schule, der durch das Anprangern gesellschaftlicher Strukturen und durch radikale Forderungen aufgefallen ist.
Schließlich, und das ist vielleicht mehr als nur eine Petitesse, wird an anderer Front stilisiert und gejammert, was das Zeug hält. Denn während die neuen Feministinnen wieder und wieder betonen, keine Opfer zu sein, viktimisieren sich in der aktuellen Geschlechterdebatte vermehrt die antifeministischen Männer. Vorreiter ist hier der Interessenverband MANNdat, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, öffentlich aufzuzeigen, "wo Männer überall zu kurz kommen". Ohne Stärkung der Rechte von Männern und Jungen, so der Verein, sei eine "wirkliche Gleichberechtigung" unmöglich. Einen lautstarken Leidensgenossen findet der Verein in Norbert Bolz, der sich ebenfalls als Opfer wähnt: Feministinnen, Politiker und Bevölkerungswissenschaftler arbeiteten an einer Umerziehung der Männer. Sie bürdeten ihnen Verantwortung für Haushalt und Familie auf und machten sie damit für Frauen unattraktiv. Was soll man dazu sagen?

http://www.freitag.de/2007/18/07181701.php

Staatsfeminismus | 27.07.2007 | Sabine Hark/Ina Kerner Eine andere "Frau" ist möglich
Die Regierung Merkel macht Gleichstellungspolitik nur für Alpha-Mädchen. Wie tatsächliche Geschlechtergerechtigkeit aussehen könnte

Wer in den letzten Jahren nach bekennenden Feministinnen oder wenigstens nach feministischen Bekenntnissen suchte, wurde meist enttäuscht. Es galt die Verona-Maxime: Am Besten fährt, wer sich aufreizend distanziert. Seit kurzem ist das anders. Selbst Familienministerin Ursula von der Leyen findet, "konservativer Feminismus" sei ein spannendes Konzept. Ohne Zweifel: Die Scham ist vorbei und Feminismus auch hierzulande auf die diskursive Bühne zurückgekehrt.

Verwundern sollte diese Rückkehr allerdings nicht. Verwundern sollte eher, dass sich der deutsche Feminismus zwischenzeitlich nicht mehr auf dem Spielplan fand. Denn das war, zumindest im internationalen Vergleich, ein Sonderweg. Wenn hierzulande nun nach einer längeren Pause wieder positive Bezugnahmen auf Feminismus zu finden sind, geschieht dies also mit einiger Verspätung; geschlechterpolitisch ist Deutschland eben langsam. Unsere - feministisch gesehen - erheblichen Modernisierungsdefizite belegen die Statistiken zum Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern oder zu deren unterschiedlicher Zeitverwendung ebenso wie etwa die Tatsache, dass rund 85 Prozent aller Professuren mit Männern besetzt und deutsche Vorstandsetagen praktisch frauenfrei sind. Aber auch die hysterischen Debatten zu "Rabenmüttern", "Wickelvolontariat" und der kuriosen These vom Dahinschwinden heterosexueller Erotik durch zunehmende Gleichberechtigung sind Index deutscher Provinzialität in Sachen Geschlechtergerechtigkeit.

Nicht ohne Ironie ist vor diesem Hintergrund, dass nun ausgerechnet Politikerinnen, die bis vor kurzem als feministisch unverdächtig galten, die Beseitigung dieser Modernisierungsdefizite auf ihre Agenda gesetzt haben. Allen voran Mittelstürmerin Ursula von der Leyen und Angela Merkel als geschickt die Mannschaftsteile verschiebende Abräumerin im Mittelfeld. Die zu diesem Zweck vorgenommene Verzahnung familienpolitischer Instrumente mit Gleichstellungspolitik, die bereits von Renate Schmidt eingeleitet worden war und nun von ihrer Nachfolgerin forciert wird, kann sich durchaus sehen lassen. Stutzig macht sie dennoch. Was wir seit 2006 erleben, ist nicht nur eine Art nachholende Gerechtigkeitspolitik; es ist auch die Übersetzung einer feministischen Forderung der siebziger Jahre - Verbesserung der Kinderbetreuungs-Infrastruktur als Voraussetzung für die Integration von Frauen in die Erwerbsarbeit - in schwarz-rote Regierungspolitik, die mit diesen Maßnahmen zudem unverhohlen demografische Ziele verfolgt.

Doch Feminismus, das zeigt sich hier, ist längst nicht gleich Feminismus; noch das radikalste Bewegungspostulat kann nach Dekaden in der Warteschleife in konservativen Maßnahmen enden. Dabei ist die neue, konservative Variante nicht deshalb konservativ, weil sie von einer christdemokratischen Ministerin in Umlauf gebracht wurde. Es lassen sich vielmehr eine Reihe von Gründen dafür anführen, warum und inwiefern wir es hier mit einer Politik zu tun haben, von der in überproportionalem Maße jene Frauen (und Männer) profitieren, die man auch vorher schon als gesellschaftlich privilegiert beschreiben konnte.

Schauen wir uns also die aktuelle Familien- und Geschlechterpolitik etwas genauer an, und setzen zu diesem Zweck eine am Paradigma der Intersektionalität geschulte feministische Brille auf. "Intersektional" meint, nicht allein die Genusgruppen "Männer" und "Frauen" im Blick zu haben und dabei davon abzusehen, dass diese intern jeweils äußerst heterogen sind. Ein intersektionaler Feminismus sucht zum einen danach, wie Geschlechterverhältnisse, Klassenverhältnisse und Fragen von Ethnizität und Rassismus in der Sozialstruktur und der institutionellen Verfasstheit einer gegebenen Ökonomie und Gesellschaft verbunden sind - im nationalen wie transnationalen Zusammenhang. Zum anderen beobachtet ein intersektionaler Feminismus, was mit diesen spezifischen, dennoch aufeinander bezogenen Verhältnissen unter den gegenwärtig zu erlebenden Bedingungen sozialer, politischer und ökonomischer Transformation geschieht. Drei verschiedene Aspekte fallen bei einer solchen Betrachtung ins Auge.

Erstens wird deutlich, dass wir es heute im Vergleich zu den siebziger Jahren mit einer deutlich veränderten gesellschaftlichen Konstellation zu tun haben. Einer Konstellation unter neoliberalen Vorzeichen, die auf dramatische Weise und im globalen Maßstab auch Geschlechterverhältnisse reorganisiert. Diese neoliberale Konstellation hat einen entscheidenden Einfluss darauf, welcher Ausgang aus dem gegenwärtigen Geschlechterarrangement möglich ist - und dabei handelt es sich nach wie vor um ein hierarchisiertes Geschlechterarrangement. Um eines zudem, das heterosexuelle Zweigeschlechtlichkeit nicht nur voraussetzt, sondern auch stets aufs Neue reproduziert. Vor diesem Hintergrund fallen nun bemerkenswerte Entwicklungen auf. Zum einen nämlich wird just in Zeiten von massivem Arbeitsplatzabbau, der Verallgemeinerung von Prekarität und der Ausweitung des Niedriglohnsektors auch für Frauen das Modell der allgemeinen Erwerbstätigkeit propagiert. De facto führt das dazu, dass diese neoliberal als Marktsubjekte emanzipiert werden, die, auf sich allein gestellt, die eigene Existenz zu sichern angehalten sind - von denen, die es schaffen, Lehrerinnen, Ministerinnen oder Finanzbeamtinnen zu werden, mal abgesehen. Zum anderen knüpfen sich an dieses für Deutschland neue Ideal der allgemeinen Erwerbsarbeit bloß verhaltene Ideen darüber, wie bisher Frauen zugewiesene Pflegearbeiten erledigt werden sollen - ausgenommen ist hier nur die nachmittägliche Kinderbetreuung. Man könnte also sagen, dass es sich hier um eine Politik handelt, welche die gesellschaftliche Frage der Nachwuchssicherung und Fürsorgearbeit allein mit deren Kommodifizierung zu beantworten weiß. Zumindest implizit wird sie als Angelegenheit betrachtet, die Frauen unter sich ausmachen (sollen). Das bedeutet einerseits - darauf hat die Frankfurter Soziologin Silvia Kontos hingewiesen -, dass die Reibungsverluste zwischen flexibilisiertem Arbeitsmarkt und Betreuungs- und Bildungsanforderungen von Kindern vor allem zu Lasten jener Frauen gehen, die sich den Zukauf von Betreuungsleistungen über den Markt schlicht nicht leisten können. Andererseits führt es zu der für feministische Kritik schwierigen Situation, dass berufliche Gleichstellungsgewinne besser gestellter Frauen nicht zu einer Umverteilung von Hausarbeit zwischen Frauen und Männern führen, sondern dass sie im Gegenteil eine Umverteilung von Hausarbeit zwischen Frauen nach sich ziehen. Arbeiten im Privathaushalt - gehen wir einmal von der heterosexuellen Kleinfamilie aus - bleiben damit "typische" Frauenarbeiten. Der Unterschied ist nur, dass diejenigen, die es sich leisten können, sie nicht mehr selber erledigen, sondern polnische Pflegerinnen, peruanische Putzhilfen oder französische Au-pair-Mädchen engagieren. Und diese arbeiten zumeist unter äußerst prekären, das heißt schlecht abgesicherten Verhältnissen.

Mit diesen Effekten eng verbunden ist der zweite Aspekt, der am aktuellen Staatsfeminismus auffällt. Es geht um den Umstand, dass unbeeindruckt von der seit mittlerweile bald drei Dekaden immer wieder formulierten feministischen Kritik von einem einheitlichen Kollektivsubjekt "Frau" ausgegangen wird. Man könnte sogar sagen, dass der konservative Staatsfeminismus diese Kritik aktiv hintertreibt. "Frau" meint heute zwar nicht mehr die heterosexuelle, nicht-erwerbstätige deutsche Mittelschichtshausfrau und Mutter, sondern die Vereinbarkeit von Karriere und Familie suchende heterosexuelle Frau und Mutter. Es wird aber weiterhin so getan, als seien alle Frauen gleich. Das staatsfeministische Gleichstellungsprogramm reproduziert damit nicht nur ein heteronormativ gerahmtes, hierarchisches Geschlechterarrangement, das Frauen und Männer als Genusgruppen mit je einheitlichen Lebenslagen und -interessen konstruiert. Es verhehlt auch, dass es selbst eine Politik ist, die zu neuen gesellschaftlichen Spaltungen beiträgt. Nicht zuletzt die Frage, wer von diesem Umbau der Geschlechterverhältnisse "von oben" profitiert und wer verliert, kann auf diese Weise kaum noch gestellt werden.
Drittens schließlich sticht ins Auge, dass derzeit - unter Bedingungen einer stets verknappenden Ökonomie der Aufmerksamkeit - die politische Energie vor allem auf Vereinbarkeitsfragen von Familie und Beruf gelenkt wird. Andere geschlechterpolitisch relevante Konflikte werden auf diese Weise tendenziell aus dem Spektrum feministischer Politiken ausgegrenzt. Das betrifft etwa die bereits beschriebenen ökonomisch und politisch motivierten Aktualisierungen von sozialen Trennlinien durch Klasse und Ethnie. Forciert werden damit nicht nur erhebliche Verwerfungen, Spaltungen und Hierarchien auch zwischen Frauen; erschwert wird zudem, etwa antirassistische Kämpfe ebenso wie globale Auseinandersetzungen um Verteilungsgerechtigkeit als genuin feministische Anliegen wahrzunehmen.

Das gilt aber auch für jene politischen Kämpfe, die als Körperpolitiken beschrieben werden können und deren Inhalt die Anfechtung eines gewaltförmig organisierten zweigeschlechtlichen Systems zur Einteilung menschlicher Körper ist. Ein System, das reguliert, welche Körper als normal und welche als abweichend und folglich korrekturbedürftig gelten, etwa bei der medizinischen Regulierung und Pathologisierung von Intersexualität oder durch die Behandlungsstandards von Transsexualität.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass der neue Feminismus konservativer Prägung problematisch ist, insofern er zwar als allgemeiner Feminismus verkauft wird, tatsächlich jedoch ein Feminismus für Wenige ist. Wenn Feminismus aber Geschlechtergerechtigkeit in einem umfassenden Sinne anstrebt - und das hieße auch, immer wieder danach zu fragen, wen und welche Anliegen er adressiert -, kann er sich nicht darauf beschränken, die Lebensbedingungen von "Alpha-Mädchen" zu verbessern. Er muss sich vielmehr der Frage stellen, welche Antworten er anzubieten hat für die hier nur kursorisch umrissenen, komplex ineinander verwobenen Herausforderungen einer globalisieren Welt, die in extremer Weise zugleich homogenisiert und trennt. Einer Welt, deren vordringlichstes Problem nicht die geglückte Work-Life-Balance westlicher "Unternehmerinnen ihrer selbst" ist.

Wenn die Zukunft des Feminismus nicht die eines bürgerlichen Spartenprojektes sein kann, bleibt die Aufgabe, darum zu streiten, welchen Anforderungen er heute Rechnung tragen muss. Unverkennbar ist, dass ein altes Versprechen ausgedient hat: Dass Politik im Namen aller Frauen machbar sei, ohne dass bestimmte Frauen dabei ausgeschlossen würden. Was folgt daraus für einen neuen Feminismus?

Zunächst einmal die Einsicht, dass Geschlechterverhältnisse nicht unabhängig von anderen gesellschaftlichen Teilungsverhältnissen existieren, verstanden und verändert werden können. Die Einsicht, dass wir es mit intersektionalen Verhältnissen zu tun haben, muss zur Leitlinie eines künftigen Feminismus gemacht werden. Denn wen die Achsen der Ungleichheit auf welche Weise trennen und verbinden und wie diese jeweils als Ausformungen von Macht und Herrschaft verfasst sind, das kann - darauf hat die Hannoveraner Sozialtheoretikerin Gudrun-Axeli Knapp hingewiesen - an der Genus-Gruppe "Frauen" allein nicht erkannt werden.

In einer Welt, zu deren hauptsächlichen Problemen der Zugang zu Nahrung und Behausung, zu Bildung und Wissen, die Erfahrung von Krieg und Verfolgung, Missbrauch und Gewalt, von Armut und Mangel, von Überflüssigkeit und verweigerter Anerkennung, von Rechtlosigkeit und Willkür, von Sexismus, Homophobie und Rassismus in ihren vielfältigsten Manifestationen gehören, kann es daher kein Zurück geben hinter die Einsprüche lesbischer und schwarzer, eingewanderter und queerer, postkolonialer und transgender FeministInnen. Der Anstrengung, Feminismus hinsichtlich dieser Aufgaben komplexer zu artikulieren, müssen wir uns alle unterziehen. Und zwar auch innenpolitisch.

Ein neuer, intersektionaler Feminismus, der sowohl die Erfahrungen als auch die widersprüchlichen Erfolge der zweiten Frauenbewegung zum Ausgang nimmt, um die vielfältigen, dynamischen Geschlechtergerechtigkeitsdefizite, mit denen wir nach wie vor zu kämpfen haben, mit erfolgverheißenden Strategien zu parieren, braucht daher vor allem dreierlei: Offenheit, Selbstreflexivität und Flexibilität. Offenheit für Belange und Anliegen, die er bislang nicht oder nur weit hinten auf der Tagesordnung hatte, wie Fragen von Staatsbürgerschaft und Illegalisierung.

Selbstreflexivität, weil es in einem breit angelegten politischen Projekt fast unumgänglich ist, dass es zu internen Verwerfungen kommt, dass interne Machtverhältnisse ihre Wirkungen entfalten und dass die gewählten Strategien mitunter in verschiedene Richtungen weisen. Wie ein Zusammspiel jener Varianten von Gender Mainstreaming, die eindeutig verschiedene Lebenswirklichkeiten von Männern und Frauen unterscheiden und damit Vorstellungen der Zweigeschlechtlichkeit reproduzieren, mit Ansätzen queerer Repräsentationspolitik, die darauf hinauslaufen, diese Unterscheidung gerade zu destabilisieren. Ein zukunftsfähiger Feminismus, der mehr sein will als ein Spartenfeminismus der Starken, braucht angesichts dieser Situation die Bereitschaft und Mechanismen, den eigenen Mainstream immer wieder zu hinterfragen und gegebenenfalls zu modifizieren. In der Unabgeschlossenheit, die die Ambivalenzen eines breit angelegten politischen Projektes immer mit sich bringen, sollte eher nach Vorteilen als nach Nachteilen gesucht werden.

Flexibilität schließlich braucht der neue Feminismus, um in einer zunehmend beweglichen Welt angemessen und am besten auch noch schnell reagieren zu können. Nicht alle Rezepte, die von der zweiten Frauenbewegung im Laufe der letzten Jahrzehnte erprobt wurden, sind veraltet. Aber als Patentrezepte für Gegenwart und Zukunft können wir sie keinesfalls werten.

Ein solches Programm mag den einen zu vage erscheinen oder auch zu anstrengend. Für andere wiederum wird es nach Freiheit klingen und vielleicht sogar nach Spaß. Auf den Versuch käme es an. Zu tun ist viel, und zum Nulltarif war eine bessere Welt noch nie zu haben.

http://www.freitag.de/2007/30/07301701.php

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