Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Der SPIEGEL zur Urteilsbegründung

Alex, Thursday, 30.01.2003, 01:08 (vor 7774 Tagen)

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,232882,00.html

Im Zweifel für die Mütter

Von Dietmar Hipp, Karlsruhe

Differenziertes Urteil: Die Vorschrift, nach der Väter nichtehelicher Kinder nur dann ein Sorgerecht bekommen können, wenn die Mutter zustimmt, ist verfassungskonform, sagt das Bundesverfassungsgericht. Für Altfälle muss aber eine neue Regelung her, und auch die heutige Praxis könnte die Verfassungsrichter erneut beschäftigen.


AP

Bundesverfassungsgericht: Die bisherige Rechtslage ist im Wesentlichen verfassungskonform


Christian G. riss beide Arme nach oben, ballte sie zu Fäusten, als Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier den für ihn entscheidenden Satz verkündete: Die Sorgerechtsregelung für nichteheliche Kinder sei mit dem Grundgesetz, "insoweit nicht vereinbar, als eine Übergangsregelung für Eltern fehlt, die sich noch vor In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 getrennt haben". Das heißt zwar: für alle nicht verheirateten Eltern, die nach diesem Stichtag noch zusammen gelebt oder gar erst danach ein Kind bekommen haben, hat die jetzige Sorgerechtsvorschrift Bestand. Denn das Verfassungsgericht hält es für ganz vernünftig, dass bei Nichtverheirateten zunächst die Mutter das alleinige Sorgerecht bekommt, und ein gemeinsames Sorgerecht nur bei Konsens der Eltern möglich ist. Doch G., der seinen Kampf ums Sorgerecht für seinen nichtehelichen Sohn bis vors Bundesverfassungsgericht geführt hat, hat für sich zumindest einen vorläufigen Sieg errungen - und für alle Väter, die in einer vergleichbaren Situation sind. Denn G. hatte sich von seiner damaligen Lebensgefährtin Margarethe H. bereits 1996 getrennt, zu einem Zeitpunkt, als Nicht-Ehemänner gar keine Möglichkeit hatten, ein Sorgerecht zu bekommen. Erst ab Mitte 1998 wurde die Regelung geschaffen, nach der Väter auch ohne Trauschein ein gemeinsames Sorgerecht bekommen können - wenn die Mutter zustimmt.

Weil G. und H. eine solche Sorgerechtsvereinbarung also gar nicht abschließen konnten, als sie noch gemeinsam mit ihrem Kind zusammen lebten, muss der Gesetzgeber jetzt im Nachhinein eine Möglichkeit schaffen, dass Väter wie G. doch noch zu einem Sorgerecht kommen können - auch dann, wenn die Mutter nach der Trennung nicht mehr zu einer solchen Vereinbarung bereit war. Auch in einem zweiten Fall aus Hessen, den das Verfassungsgericht mit zu entscheiden hatte, könnte der Vater von einer solchen Regelung profitieren, auch da lag die Trennung schon etliche Jahre zurück. Kurios: Für Fälle, die aus einer Zeit stammen, als das Gesetz ganz restriktiv war, soll folglich ein großzügigeres Recht gelten als für heutige Fälle, wo das Gesetz sich immerhin schon in Richtung gemeinsames Sorgerecht reformiert worden ist.

Bis 31. Dezember hat der Gesetzgeber jetzt Zeit, für solche Altfälle einen Weg zu ebnen, auf dem die Väter gerichtlich überprüfen lassen können, ob trotz ablehnender Haltung der Mutter "eine gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht entgegensteht" - sprich: ob die ablehnende Haltung der Mutter den Interessen des Kindes dient, oder auf anderen, möglicherweise auch eigennützigen Motiven beruht.

Eigentlich, das hat die Verhandlung in Karlsruhe gezeigt, wäre das auch der Königsweg für alle anderen Fälle gewesen. Denn sehr viele Mütter - genaue Zahlen gibt es nicht, aber Anhaltspunkte, dass es in mehr als der Hälfte aller Fälle so ist - verweigern die Zustimmung zur gemeinsamen Sorge, und nicht immer steht dabei das Kindeswohl im Vordergrund. Mal, erzählen Familienexperten, will die Mutter einfach den Familiennamen des Kindes selbst bestimmen, und bedient sich dazu des Sorgerechts, mal scheut sie aus anderen Gründen den Gang zum Jugendamt, mal ist das Sorgerecht für das Paar einfach gar kein Thema, weil es in der Erziehungspraxis ganz gut läuft - und wenn die Beziehung in die Brüche geht, ist es für den Vater zu spät. Ein mögliches Motiv ist auch, ein Druckmittel gegen den Vater zu haben, wenn es um Unterhaltsfragen oder ähnliches geht - spätestens dann, wenn das Paar sich schon getrennt hat, oder eine Trennung abzusehen ist. Wegen solcher Gemengelagen, das sagt sogar ein Frauenverband wie der Deutsche Juristinnenbund, könnte eine gerichtliche Überprüfung, wie jetzt für die Altfälle vorgesehen, auch in anderen Fällen gut tun.

Doch so weit wollten die Verfassungsrichter nicht gehen. Dazu war ihnen die Faktenlage zu unsicher, eben weil es derzeit keine verlässlichen Untersuchungen gibt über die Häufigkeit solcher Sorgerechtsvereinbarungen oder die Motive der Mütter, wenn sie dazu "Nein" sagen. Doch dieser empirische Mangel bot den Richtern offenkundig die Möglichkeit, auch jene Kolleginnen oder Kollegen einzubinden, die vielleicht doch stärkere Zweifel an der gegenwärtigen Regelung hatten:

Denn trotz ihres prinzipiellen Plazets erteilten die Richter jetzt dem Gesetzgeber die Aufgabe, "die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob seine Annahme" - dass es generell dem Kindeswohl dient, wenn das gemeinsame Sorgerecht nur im Konsens erteilt werden kann - "auch vor der Wirklichkeit Bestand hat". Sollte dies nicht der Fall sein, das stellten die Richter schon heute mit deutlichen Worten fest, muss der Gesetzgeber doch noch den Vätern einen Zugang zum gemeinsamen Sorgerecht verschaffen, der nicht vom Willen der Mutter abhängt, sondern davon, was für das Kind am Zuträglichsten ist. Diesem Prüfauftrag widmete auch Präsident Papier einen beträchtlichen Teil der mündlichen Urteilsbegründung - der Gesetzgeber muss also davon ausgehen, dass die Sache in Karlsruhe quasi auf Wiedervorlage liegt.

Erst einmal hat das Gesetz aber eine Chance bekommen, sich zu bewähren. Nach wie vor hängt also alles davon ab, ob Mütter und Väter, wenn schon nicht den Bund fürs Leben, so wenigstens den Bund fürs Sorgerecht schließen. Klar bleibt damit aber auch: Nichtverheiratete Väter behalten in Erziehungsfragen eine deutlich schwächere Position als verheiratete, denn bei Ehepaaren gilt auch im Falle einer Scheidung gemeinsames Sorgerecht erst einmal weiter - und im Konflikt fall hat nicht die Mutter das letzte Wort, sondern das Familiengericht. Im Klartext: Wer als Mann in Sachen Sorgerecht auf Nummer sicher gehen will, sollte heiraten.

Ganz en passant hat also das Bundesverfassungsgericht mit dieser Entscheidung den rechtlichen Abstand zwischen Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft zementiert. Vor ein paar Monaten konnte sich derselbe Verfassungsgerichtssenat zu einer solchen Aussage nicht durchringen: Damals ging es um die so genannte Homo-Ehe, und fünf der acht Richter billigten dieses Rechtsinstitut, ohne auf ein von den übrigen (konservativen) Kollegen gefordertes "Abstandsgebot" zwischen Ehe und anderen Lebensgemeinschaften zu bestehen. Jetzt, so scheint es, hat das Pendel wieder in die konservative Richtung ausgeschlagen.

Für G. allerdings könnte sich der persönliche Triumph doch noch als Pyrrhussieg erweisen: In seinem Fall, das haben die Familiengerichte jedenfalls bisher schon durchscheinen lassen, dürfte ein gemeinsames Sorgerecht eher nicht dem Kindeswohl dienen, weil wegen des arg zerrütteten Verhältnisses zwischen ihm und seiner Ex-Partnerin ein solcher Zwang zur Gemeinsamkeit wohl nur neues Konfliktpotenzial liefern würde - und neue Prozesse zur Folge hätte.


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