Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

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Noch einmal zur jüngeren Geschichte

carlos, Monday, 22.05.2006, 01:22 (vor 6559 Tagen) @ Scipio Africanus

Servus, Scipio! :-)

?Obwohl ich nicht direkt angesprochen bin, äussere ich mich zu diesem Thema, da es mich interessiert.?

Freue mich ganz im Gegenteil, daß es Dich interessiert; lese Deine Beiträger gerne!

?Die zentrale Frage lautete - wenn ich das richtig verstanden habe - ob es mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung vereinbar sei, die "Leugnung des Holocaust" als Straftatbestand zu erfassen und damit unter Strafe zu stellen.
Obwohl ich keinerlei Sympathien für derartige Ansichten hege, und ich durchaus vermute, dass die Gründe dieser Geschichtsforscher in aller Regel nicht ehrenwert sind, halte ich diese Rechtspraxis für bedenklich.?

So weit ich beurteilen kann, ging es Magnus hauptsächlich darum; für mich ging?s darum, falls überhaupt, nur unter ferner liefen, bzw. um nur ein Steinchen aus einem Riesen-Haufen. Und richtig: Wollte man eine Diskussion ausschließlich darauf abstellen, dann hättest du sicher recht mit Deiner Einschätzung.

?Ich stelle fest, dass das Verbot die anvisierten Ziele verfehlen muss. Der Wunsch nach dem "nie wieder" kann nicht durch Gesetze verwirklicht werden. Moral und Gesinnung, ja Bewusstsein lässt sich nicht verordnen.
Ebenso zeigt sich, dass sich Neonazismus nicht durch Publikationsverbote eindämmen lässt. Sie sind vielleicht sogar kontraproduktiv, denn durch das Verbot können sich Nazis als politisch Verfolgte darstellen.
Durch das Verbot der Leugnung des Holocaust wird eine echte Auseinandersetzung erschwert. Das Resultat davon ist eine Scheinauseinandersetzung, die sich in ritueller Empörung erschöpft. Eine Tabuisierung erschwert oder verhindert in vielen Fällen eine echte Aufarbeitung.?

Richtig; schon immer war das so, besonders aber heute im Zeitalter das Internets. Wie gesagt, ich ziele beileibe nicht auf den Holocaust allein ab; es geht um eine ganze Epoche. Wie sich Nazis nun selber gerieren, das läßt sich momentan ja parademäßig in Sachsen studieren. Was bringt es denn, wenn die Riegen aller im Landtag vertretenen Fraktionen sich vor laufender Kamera abwenden, so nach dem Motto: ?Pfui... mit denen gefilmt werden... nein, nein...!? Und keinem fällt dabei seltsam auf, daß die PDS sich wie selbstverständlich zum erlauchten Kreise der ?Guten? rechnen darf, die sich abwenden... Dabei schützt und unterstützt sie gerade in letzter Zeit immer offener und frecher eine Rehabilitation früherer Stasi-Spitzel und Foltermeister aus Bautzen oder aus der vormaligen Ost-Berliner Stasi-Zentrale in der Normannenstraße. Die PDS ist auch die Partei, mit der die WASG unserer dicken Cleo ins Vereinigungs-Lotterbett strebt. Diese frech und offen zur Schau getragene Gemengelage ist schlicht unerträglich für Mord- und Folteropfer, Hinterbliebene, sowie für jeden aufrechten Demokraten! Und solange dies so bleibt und außerdem die konservative Rechte aus dem gesellschaftlichen Diskurs in den Tele-Medien permanent ausgeschlossen wird, wird erst recht eine NPD mehr und mehr Zulauf erhalten...

?Ungeklärt muss auch die Frage bleiben, ob die Argumente, die für das Verbot sprechen, nicht auch auf andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit angewandt werden können. Soll das Verbot der Leugnung ausschliesslich für den Holocaust gelten, oder sollen beispielsweise auch die Verbrechen der Türken an den Armeniern als Genozid gewertet werden, und soll jemand, der dies verneint, bestraft werden ? Diese Frage wurde in der Schweiz mit ja beantwortet. Wer öffentlich behauptet, dass an den Armeniern kein Völkermord verübt wurde, der macht sich strafbar. Solche Gesetze haben die Tendenz, sich auszuweiten. Es kann aber nicht die Aufgabe des Gesetzgebers sein, die Deutung geschichtlicher Ereignisse per Gesetz festzuschreiben, selbst dann nicht, wenn die Faktenlage Eindeutigkeit nahelegt.?

Du siehst es ja selber... Daß in Deutschland kaum darauf hingewiesen werden darf, daß die Türken gegen die Armenier noch viel brutaler und sadistischer vorgegangen sind, hat verschiedene groteske Gründe. Zum einen war das deutsche Kaiserreich mit dem Osmanischen Reich verbündet. Für den Genozid an der Armeniern hegte man deswegen kein sonderliches Interesse; entsprach er doch nicht deutscher Staatsräson, wobei man einräumen muß, daß die anderen europäischen Mächte der damaligen Zeit auf anderen Erdteilen ebenso mitleidlos zu Werke gingen; auch darin schenkte keiner dem anderen etwas.
Der Völkermord an den Armeinern zeitigte jedoch in meinen Augen zwei entscheidende Besonderheiten: Zum einen bildete jenes Massaker zwischen 1917 und 1920 gewissermaßen nur das Finale, weil eben Massaker an Armeniern, Griechen, Assyrern und anderen seit dem Fall von Konstantinopel und von Dardanellen und Bosporus Tradition geworden waren: Es entspricht zutiefst osmanischer Tradition, besiegte Feinde immer wieder aufs Neue zu demütigen, zu quälen, zu erniedrigen. Vergeben, Verständigung... Fremdwörter. Zweitens hätte Hitler bei den Türken in Sachen Grausamkeit noch etwas dazulernen können: Dörfer und Städte wurden systematisch entvölkert, die Menschen zu Hunderttausenden in die syrische Wüste getrieben, wo sie elend verreckten, jungen Schwangeren schlitzte man reihenweise die Bäuche, riß das Ungeborne heraus und zerhackte es vor den entsetzten Augen der Armenier... All das ist wirklich geschehen und kein ersponnener Alptraum!
Ironie der Geschichte: Franz Werfel, ein österreichischer Schriftsteller, Literatur-Nobelpreisträger und gebürtiger Jude, er zum Katholizismus konvertierte, setzte mit seiner bahnbrechenden Saga ?Die 40 Zage des Musa Dagh? dem Völkermord an den Armeniern ein literarisches Denkmal... Vor Hitler mußte er nach Kalifornien fliehen; in Berkeley ist er gestorben und beerdigt worden... Wenn Du Zeit hast, Scipio, dann lies? das Buch; jede einzelne Seite ist es wert!
Hierzulande treiben die Türken-Verbände durch die Bank Randale, weil die deutsche Kultusminister-Konferenz überlegt, den Völkermord an den Armeniern auch in die Geschichtsbücher aufzunehmen; als ob man angesichts historischer Fakten erst groß überleben müßte... Zwei Ungeheuerlichkeiten par excellence! Vor so viel Kroppzeug spucke ich nur noch aus!!

?Die Sensibilitäten sind ausserordentlich verschieden. So hätte eine Aussage wie "Juden sind genetisch minderwertig und eine ursprünglich parasitäre Rasse" mit Sicherheit strafrechtliche Konsequenzen. Die sinngemäss gleiche Aussage konnten Schreiberlinge vom Spiegel aber völlig unbeschadet gegenüber Männer behaupten, als sie in einem Artikel über das Y - Chromosom als "verkrüppeltes X - Chromosom" schwadronierten und das männliche Geschlecht als ursprünglich parasitäre Lebensform bezeichneten. Es zeigt sich also, dass nur gesellschaftliche Sensibilitäten über die Anwendung oder Nichtanwendung entscheiden. Somit ist der Willkür Tür und Tor geöffnet.?

Völlig richtig.

?Soweit das Gesetz ausschliesslich auf den Holocaust angewandt werden soll, ist es wohl nur als Resultat der Geschichte Deutschlands verständlich.?

Danke für diese Diplomatie! ;-)

(...)

?Oft wird die "Singularität des Holocaust" als Argument angeführt, um das Gesetz zu rechtfertigen. Dem stehe ich ablehnend gegenüber. Jedes geschichtliche Ereignis ist einzigartig, und sei es nur in Raum und Zeit. Jedes Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird am Holocaust gemessen und wird in der Regel dadurch verharmlost. Erst wenn Analogien herstellbar sind, wird es in der Öffentlichkeit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit wahrgenommen. Ich erinnere an den Bosnienkrieg, wo erst ein Bild eines abgemagerten Häftlings hinter Stacheldraht, das an Nazi - KZ`s erinnerte, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren vermochte.?

Du hast ja gesehen: So singulär war der Holocaust gar nicht! Rufen wir uns zudem Rassentrennung und Ausrottung indigener Völker in den USA ins Gedächtnis... Die wurden ja auch versklavt, bzw. ausgerottet, weil sie eben nicht weiß waren. Wo sollte da schon rein gedanklich ein Unterschied zum Rassismus der Nazis bestehen? Da ist keiner! Da war noch nie einer! Ein Blinder am Krückstock vermag das zu erkennen!

(...)

Mach?s gut! :-)
carlos


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