Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Antwort vom Verteidigungsministerium zum Thema Wehrpflicht

Stefan G., Wednesday, 12.03.2003, 21:57 (vor 7904 Tagen)

meine Güte, das ging ja schnell! Heute morgen habe ich den Brief losgeschickt und gerade eben kam die Antwort. Guten Abend, erstmal!
Jörg, ich denke, eine Veröffentlichung der mail (ohne Namen) geht wohl in Ordnung. Die mail kam vom Büro für Bürgerfragen und die sind ja für Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Interessant war die Antwort auf jeden Fall. Neu war für mich, daß sich Artikel 12(2) nicht - wie ich interpretiert habe - auf Zwangsarbeit bezieht, sondern auf die Möglichkeit zur freien Berufswahl. Doch lest selbst:

"Die Bundesregierung sieht trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) vom 11. Januar 2000 in Sachen Tanja Kreil ./. Bundesrepublik
Deutschland
(allgemeiner Zugang von Frauen zum Waffendienst in den
Streitkräften) keine
Veranlassung, sich für die Ausdehnung der allgemeinen
Wehrpflicht auf Frauen
einzusetzen oder aus diesem Urteil Konsequenzen für
die allgemeine Wehrpflicht
für Männer zu ziehen. Die Bundesregierung sieht
insbesondere keinen Grund, als
Folge des Urteils in Überlegungen über eine
generelle Abschaffung der
allgemeinen Wehrpflicht einzutreten. Vielmehr
kann rechtlich an einer
allgemeinen Wehrpflicht nur für Männer festgehalten
werden.

Der in der Folge
des Urteils des Europäischen Gerichtshofs von der
Bundesregierung angestrebte
und inzwischen durch Änderung des Art. 12a Abs.
4 Satz 2 Grundgesetz (GG) und
weiterer Gesetze ermöglichte
gleichberechtigte Zugang von Frauen zu den
Streitkräften hat keine
Auswirkungen auf das Fortbestehen der allgemeinen
Wehrpflicht (nur) für
männliche Staatsbürger.

Die Beschränkung der
allgemeinen Wehrpflicht auf Männer ist die zulässige
Folge einer
gleichheitsrechtlichen Sondernorm der Verfassung (Art. 12a Abs.
1 Grundgesetz),
die insoweit eine mit Verfassungsrang ausgestattete
Ausnahme vom allgemeinen
Gleichheitssatz konstituiert. Dies ist von der
Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts anerkannt.

Letztlich wird durch die Wehrpflicht den
Männern auch nicht ? was die
Gleichbehandlungsrichtlinie im Schwerpunkt
verhindern will - die Wahl eines
bestimmten Berufs verweigert. Damit ist das
von Ihnen erwähnte Gebot der
Freiheit der Berufswahl nach Art 12 Abs 2 GG nicht
berührt. Es wird
lediglich zeitlich für die Dauer der Wehrdienstleistung die
Berufsausübung
verzögert. Unter Verhaltnismäßigkeitserwägungen erscheint dies
zumutbar,
weil auch Frauen ? durch frauenspezifische und auch
gesellschaftspolitisch
bedingte Nachteile (Schlagworte sind z.B.
geburtsbedingte Ausfallzeiten,
Kindererziehung, gesellschaftliche
Unterrepräsentanz) ? Verzögerungen ihres
beruflichen Werdegangs hinnehmen
müssen.

Das entscheidende Argument für die Beibehaltung einer allgemeinen
Wehrpflicht nur für Männer und die gleichzeitige Öffnung zum Zugang zu
allen
Truppengattungen der Streitkräfte für Frauen aufgrund freiwilliger
Bewerbung
dürfte eine möglichst gleiche Belastung des männlichen und
weiblichen
Bevölkerungsteils durch Verzögerungen des beruflichen
Werdeganges sein. Dabei
ist nicht entscheidend, dass z. B. auch Männer
Erziehungsurlaub beantragen
können. Entscheidend ist vielmehr, dass
geburtsbedingte Ausfallzeiten,
gesellschaftliche Unterrepräsentanz in
vielen Berufen sowie die tatsächliche
"Last" der Kindererziehung in der
Lebenswirklichkeit nach wie vor von Frauen
getragen wird. Gleiche
Belastungen für Männer sind teilweise bereits aus
biologischen Gründen,
teilweise wegen der tatsächlichen Lebensumstände nicht
gegeben.

Die Verfassung lässt auch künftig eine sachlich gerechtfertigte
Ungleichbehandlung von Frauen und Männern im Hinblick auf die allgemeine
Wehrpflicht zu; die gegebene Verfassungslage zwingt die Bundesregierung
weder
zur Erweiterung der allgemeinen Wehrpflicht auf Frauen noch zur
Abschaffung der
allgemeinen Wehrpflicht für Männern. Maßstab für den Umfang
der allgemeinen
Wehrpflicht ist insbesondere die Funktionsfähigkeit der
Streitkräfte. In diesem
vorgegebenen Verfassungsrahmen steht der
Bundesregierung nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein
weiter Ermessensspielraum zu,
innerhalb dessen sie entscheiden kann, ob den
Sicherheitsbelangen der
Bundesrepublik Deutschland besser durch eine
Wehrpflicht- oder eine Berufsarmee
entsprochen werden kann. Männer können
zu den in Art. 12a Abs. 1 GG
niedergelegten Dienstpflichten herangezogen
werden, soweit dies im Sinne des
Gemeinwohls notwendig ist; Frauen wird
eine ebensolche Verpflichtung wegen der
oben dargelegten Besonderheiten in
der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht
auferlegt. Nicht Art. 3 GG,
sondern die gleichheitsrechtliche Sondernorm des
Art. 12a Abs. 1 GG ist
hier die maßgebende Vorschrift."

Gruß
Stefan


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