Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Eva Hermann & Co. - Der nächste wichtige Diskussionsbeitrag

Maesi, Saturday, 29.04.2006, 14:49 (vor 6786 Tagen) @ Ekki

Als Antwort auf: Eva Hermann & Co. - Der nächste wichtige Diskussionsbeitrag von Ekki am 27. April 2006 12:43:

Hallo Ekki

Lest mal hier:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,413260,00.html

Habe es durchgelesen. An Frau Hermans Schreibe kann man einiges kritisieren. Was Herr Mohr allerdings dazu geschrieben hat, ist nun wirklich peinlich. Er kritisiert die 'gute alte Familie': sie sei nicht nur das Liebesnest gewesen sondern auch eine 'Terrorgemeinschaft', eine 'kleine Hoelle in den eigenen vier Waenden'. Dass solche Familien existiert haben (und noch existieren) steht ausser Frage. Jedoch: ueberall, wo Menschen zusammenkommen, zusammenleben, zusammenarbeiten, koennen solche 'Terrorgemeinschaften' entstehen. Im Erwerbsleben hat man dem sogar einen Namen gegeben: Mobbing. Vermeiden koennte man 'Terrorgemeinschaften' nur, wenn man jeglichen direkten Kontakt von Menschen untereinander unterbaende, womit man natuerlich das Kind mit dem Bade ausschuettete. Insgesamt argumentiert Herr Mohr ausschliesslich auf einer abstrakt dogmatischen Ebene; jegliche Pruefung seiner Behauptungen auf praktische Relevanz vermeidet er tunlichst.

So schwadroniert er etwa davon, dass in 'Hunderttausenden von Psychoanalyse- und Therapiestunden schwer gestoerte Vaeter-Toechter- oder Muetter-Sohn-Beziehungen repariert werden muessen' und registriert noch nicht einmal, dass dies ausgerechnet zu einer Zeit geschieht, da noch nie so wenige intakte Familien existiert haben, waehrend frueher in Zeiten intakter, buergerlicher Familien kaum Menschen therapiert werden mussten. Da stellt sich unweigerlich die Frage, was hier eigentlich therapiert wird und weshalb.

Ebenso interessant seine Betrachtungen ueber die islamische Welt: ueber die in einzelnen Laendern vorkommenden Selbstmordattentate, undemokratischen Strukturen, ueber Ehrenmorde usw. Hier werden wohlfeile, rassistische Vorurteile ueber muslimische Familien breitgewalzt, was aber mit Frau Hermans Text ueberhaupt nichts mehr zu tun hat, denn sie proklamiert ja nicht das Ideal der 'islamischen Familie' und schon gar nicht irgendwelche undemokratische Strukturen, Selbstmordattentate oder gar Ehrenmorde. Aber selbst wenn man muslimische Familien betrachtet, kann man diesen ganz bestimmt keine Selbstmordattentate zur Last legen, weil letztere eine junge Erscheinung sind waehrend muslimische Familien schon seit bald 1400 Jahren existieren; desweiteren steht die Zahl der Selbstmordattentate in keinem Verhaeltnis zur Zahl der muslimischen Familien. Die Unlogik in Herrn Mohrs Behauptungen springt einem geradezu ins Auge.

Besonders lustig ist es dann, wenn er die moderne Patchwork-Familie ins Feld fuehrt. Die Patchwork-Familie ist nichts anderes als der klaegliche Versuch, wenigstens Reste der buergerlichen Familienidylle irgendwie in die postfamiliale Zeit zu retten. Wenn Herr Mohr Familien generell als 'Terrorgemeinschaften' diffamiert, dann muss dies logischerweise auch fuer Patchwork-Familien gelten. Dieser Widerspruch in seiner Argumentation scheint ihm aber gar nicht aufzufallen. Und wieviele tatsaechlich funktionierende Patchworkfamilien es in der Praxis gibt, weiss kein Mensch.

Und dann natuerlich der ultimative Schlag mit der Nazi-Keule! Garfield hat hier dankenswerterweise bereits darauf hingewiesen, dass die Nazis mit der traditionellen buergerlichen Familie wenig am Hut hatten. Hinzuzufuegen waere dem noch, dass Kindern damals eingebleut wurde, sogar ihre eigenen Eltern zu denunzieren, wenn sich diese nicht linientreu verhielten - mit der traditionellen buergerlichen Familie hat das natuerlich nichts zu tun. Auch muesste man hier, bestuende ein kausaler Zusammenhang zwischen Naziherrschaft und traditionellen Familienstrukturen, nazihafte Genozide auch in anderen Weltgegenden (insbesondere nach Herrn Mohrs Auffassung in islamischen) feststellen koennen. 'Godwin's law - you lose' ist man versucht Herrn Mohr zuzurufen, denn dieser schwachsinnige Einwurf bewegt sich auf allerunterstem Niveau 'antifaschistischer' Rabulistik.

Fazit: Die buergerliche Familie dient Herrn Mohr als Projektionsflaeche fuer seine antifamilialen, antiislamischen, antifaschistischen Vorurteile. Seine Argumente sind entweder in Bezug auf Frau Hermans Polemik irrelevant (Familie als Stuetze der Naziherrschaft, Ehrenmorde in islamischen Familien) oder widersprechen sogar voellig den real feststellbaren Verhaeltnissen (Psychotherapiestunden fuer Opfer aus intakten Familien, Selbstmordattentate als Folge von Zustaenden in islamischen Familien).

Gruss

Maesi


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