Liste Femanzen Heide Oestreich Teil 1 (Liste Femanzen)
F96 Heide Oestreich geboren 1968 in Bonn (NRW) - Studium der Politikwissenschaften und Germanistik an der FU Berlin - Besuch der Evangelischen Journalistenschule in Berlin - seit 1999 Redakteurin bei der Tageszeitung taz für Geschlechter- und Gesellschaftspolitik - http://www.xing.com/profile/Heide_Oestreich - oes@taz.de - http://www.duz.de/tmp/cache/image/duz_fe_author/610/2035757178512392ab66a15.jpg
Welche Frau darf es sein?
Ortstermin unter Frauen: Trendforscher Matthias Horx hat für die neue Zeitschrift "emotion" Leserinnen katalogisiert und mal wieder einen Megatrend ausgemacht: die "Glücksstrateginnen"
VON HEIDE OESTREICH
Der Mann vom Seniorenmagazin ist definitiv falsch hier. Er ist selbst schon ein Senior und fragt, warum denn die Frauen, die ihre demenzkranken Eltern pflegen, in Matthias Horx' schöner Frauentypologie nicht vorkommen. In der Tat, unter den "Glücksstrateginnen", in denen der Trendforscher Horx gestern im Berliner Hyatt-Hotel die Zukunft der Frauen erblickte, kommt das Thema Pflege nur als Pflege des Selbstbildes vor. Kein Wunder: Horx hat für die neue Frauenzeitschrift von Gruner + Jahr emotion deren Leserinnen katalogisiert - sie aber zugleich zu einer Art Avantgarde der Frau von morgen erklärt.
Emotion ist Psychologie heute heruntergezoomt bis kurz vors Brigitte-Niveau. Keine Diäten, keine Mode, dafür emotionales Selbstdesign: "Richtig Konflikte lösen", "Mut zur Selbsthilfe", der "Mythos Multitasking" und was man heute noch alles so braucht in seiner komplizierten Beziehung und dem prekären Job. Die Leserinnen der Zeitschrift (Auflage: 125.000) sehen sich, so stellt Horx heraus, als durchweg optimistische junge Pragmatikerinnen, Glücksstrateginnen eben. Offenbar sind sie noch etwas zu jung für das Thema Demenz. Der Seniorenjournalist verlässt den Raum.
Übrig bleiben viele sportlich-frisch gehaltene, aber vom Arbeitsstress nicht ganz unberührt gebliebene Frauen, die sich meist als "freie Journalistin" vorstellen. Als freie Journalistin braucht man heute ja auch eine ganze Menge Optimismus, die Anwesenden können mit dem Label "Glücksstrategin" durchaus etwas anfangen. "Und welcher Glückstyp sind Sie?", fragt meine Nachbarin mich interessiert. Leider bin ich in Selbsttypologisierung nicht so geübt. Sie dagegen outet sich als Typ 2, die "Sterntalerin", die etwas verträumt auf ihr Glück wartet - aber immer aus allem das Beste macht. Zur Auswahl stehen noch "Self-Designerinnen" (Karrieremütter wie Silvana Koch-Mehrin), "Pippilotta-Deluxe" (Kreative Projektemacherinnen à la Charlotte Roche) und die "Glücks-Diana", die Einzige, die noch nicht so glücklich ist, sondern dem Glück etwas unsicher hinterherjagt. Aber das ist nur die allerkleinste Gruppe unter den vieren.
Matthias Horx kündet der deutschen Wirtschaft mittlerweile schon seit 15 Jahren vom "Megatrend Frauen", den er in den emotion-Leserinnen verkörpert sieht. Seit dem Jahr 2000 gibt es mehr gut ausgebildete Frauen als Männer. Aus dieser Umkehr schließt mittlerweile nicht nur Horx, dass Frauen bald mehr arbeiten, mehr Geld haben, mehr konsumieren - und deshalb dringend als Zielgruppe ins Auge gefasst gehören. Seit dem Merkel-Schock schwenkt auch die Medienwelt auf diese Schiene ein und schreibt nun allerorten "die Frauenrepublik" herbei, wie kürzlich der Spiegel. Großzügig übersehen solche Trendmeldungen, dass die gebildeten jungen Damen bisher meist in Teilzeitjobs landen, was den Konsum in Grenzen hält - und auch die Karrierechancen.
Kann sich ja alles noch ändern, aber bisher wirkt die schöne neue Frauenwelt des Herrn Horx deshalb oft etwas verzerrt. Gern wird dann auch der Wunsch für die Wirklichkeit genommen: Die Frauen wollen beruflich erfolgreich sein und eine gleichberechtigte Partnerschaft. Sie wollen auch eine schöne "Work-Life-Balance" zwischen Kindern und Beruf. Diese Balance erkaufen sich bisher die meisten jedoch mit dem Verzicht auf Karriere, der dann auch eine Unwucht in die Partnerschaft bringt, weil man finanziell abhängig bleibt. Aber das ist unter den gegebenen Umständen tatsächlich eine geeignete "Glücksstrategie": Mit einem wirklich gleichberechtigten Konzept wäre man um einiges stärker gestresst. Und das schadet ja der "Wellness", die laut Horx für diese Klientel auch äußerst wichtig ist.
Aus der Marketingperspektive interessant ist dabei, dass Zeitschriften wie emotion genau in der Lücke zwischen diesem positiven Wunschselbstbild und der Realität operieren. Letztendlich sind die Leserinnen der emotion in der schwierigen Phase der Teilzeitarbeit mit kleinen Kindern. Was kommt danach? Lande ich auf dem "Mommy-Track"? Schaffe ich es, mit Kindern voll zu arbeiten? Wie reagiert mein Chef, wenn die Kinder krank sind? Und wie kann ich meinem Mann verklickern, dass er heute schon wieder daheim bleiben muss, weil ich einen wichtigen Termin habe? Oder: Wie kann ich "Glücksstrategin" bleiben, auch wenn ich nicht wieder in meinen Beruf zurückkehren kann? In einer solch schwierigen Situation braucht die Leserin in der Tat das, was emotion bieten möchte: Coaching. Coaching im Internet, Coaching auf dem Papier, Coaching am Wochenende, für nur 720 Euro pro Seminar.
Und warum alle trotz dieser schwierigen Lage so glücksstrategisch hoffnungsfroh sind? Weil man heute nicht mehr über "Neurosen und Probleme" redet, so Horx, der Optimismusverkäufer. Heute betreibt man "positive Psychologie", in der keine Neurosen und Probleme vorkommen. Und was keinen Namen hat, ist bekanntlich auch nicht da. Noch so ein Megatrend.
http://www.taz.de/1/archiv/?id=archiv&dig=2007/06/27/a0040
Die Wege des Drama-Feminismus
Alice Schwarzers neues Buch gibt "Die Antwort" auf Diätenterror und Arschficksongs. Es trifft einen Nerv. Trotz viel alter Polemik
VON HEIDE OESTREICH
Alice Schwarzer ist mit ihrem markigen Basis-Feminismus immer zur Stelle, wenn in der Öffentlichkeit eine kräftige weibliche Stimme gefragt ist - einfache Feindbilder inklusive. "Die Antwort", ihre aktuelle Zeitdiagnose, ist wieder eine merkwürdige Mischung aus dringend gebrauchter Schlagkraft und alten, etwas kruden Thesen.
Haben sehr viele Feministinnen sich produktiv verunsichern lassen, von neuen Männern, die das alte Feindbild bröckeln lassen, von der Entmündigung, die vom Opferdiskurs ausgehen kann, von der Imagekritik, die jüngere Frauen üben - Alice Schwarzer hat all dies nie angefochten. Das ist eine Stärke, wenn es heißt, einfach mal wieder kräftig dazwischenzuhauen. Und die Zeit dazu ist gekommen. Zugleich aber verursacht eine solche Brachialstrategie Kollateralschäden bei allen Themen, denen man nur mit Differenzierungen wirklich gerecht werden kann.
Die Stärken von Schwarzers Buch: Einige der von ihr selbst zu Tode gerittenen Themen sind durch neue Fakten wieder aktuell. So gibt es mittlerweile eine Inflation von Gewaltpornografie. Schwarzer hat diese früher extrem dramatisiert - jetzt hat sich die Lage wirklich zugespitzt und verlangt Erörterung. Schwarzers Dauerthema Diätenterror steht ebenfalls wieder auf der Agenda, nachdem die Modeindustrie mittlerweile bei der Kleidergröße "Zero" angelangt ist. Nun also sehen wir etwas verlorene Töchter zwischen Girlie-Ego und Mädchenzeitschriften, denen mit einer guten Portion Feminismus wirklich zu helfen wäre. Schwarzer liefert ihn, unerschrocken wie immer, und das ist gut so.
Aber das Kraftpaket Schwarzer bekommt man nie ohne seine Kehrseite. Sie ist Drama-Feministin - und das hat seinen Preis. In ihren Holzschnitten vom Islam hat Chomeini allen Musliminnen auf der Welt ein für alle Mal das Kopftuch an die Schläfen gehämmert - muslimische Feministinnen mit Tuch werden nur noch die Augen verdrehen. Das Kopftuch ist für Schwarzer noch schlimmer als "die westliche Nuttenmode" - man ahnt, warum die FAZ ihr Buch mit Freuden vorab druckte.
Auch beim Thema Sexualität wird die Dramatisierung unseriös: Pornografie setzt sie mit Gewaltpornografie gleich, Prostitution vermischt sie mit Zwangsprostitution und Menschenhandel. Freier sind "Nekrophile, die sich an sozial toten Frauen vergehen". Beziehungsgewalt gegen Frauen ist etwas, dem nur wenige "entkommen". Mit anderen Worten, die Sexualität ist ein Geschlechterschlachtfeld.
Zugleich muss aber auch Schwarzer zur Kenntnis nehmen: "SexualforscherInnen konstatieren eine herrschaftsfreiere Sexualität, auch zwischen den Geschlechtern." Hm. Sicher kann man diese Diskrepanz damit erklären, dass Fortschritt immer auch Backlash erzeugt. Doch die Pauschalität von Schwarzers Anklagen wirkt, wenn die Realität eben so unterschiedlich ist, zu grob.
Ihre Verzerrungen reichen bis zu glatten Fehlinformationen: So ist etwa für eine Abtreibung in der Tat eine Beratung obligatorisch. Doch keineswegs muss die Beraterin der Abtreibung zustimmen, wie Schwarzer behauptet. Ganz so arg wie in Alices Horrorland ist es eben doch nicht immer.
Diese Ungenauigkeiten sind bedauerlich, weil Schwarzer auf so viele Punkte hinweist, die eine Skandalisierung tatsächlich nötig haben. Da gelingt ihr auch der Brückenschlag zu jüngeren Frauen - nicht zuletzt, weil Schwarzer sich menschlich macht: Ja, auch sie hat diverse Diäten hinter sich.
Mit ihren klassischen Übertreibungen dürfte sie allerdings die intelligenten jungen Damen verprellen, die sich doch gerade heute einen neuen Feminismus wünschen. Ja, leider liegt der Verdacht nahe, diese Frauen wünschten sich wegen Alice Schwarzer einen neuen Feminismus. Das ist schade. Alice Schwarzer nämlich kann auch der neue Feminismus gut gebrauchen.
Alice Schwarzer: "Die Antwort", Kiepenheuer und Witsch, Köln 2007, 180 Seiten, 17,80 Euro
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2007/06/13/a0177
Heimtückische Urteile
Werden Frauen in der Rechtsprechung benachteiligt? Die Legal Gender Studies etablieren sich auch in Deutschland
Eine Frau ermordet den Ehemann, der sie jahrzehntelang gequält und geprügelt hat, als er schläft. Das Urteil: neun Jahre Knast. Ein Mann ermordet die Frau, die sich von ihm trennen will, aus Eifersucht. Das Urteil: zwei Jahre auf Bewährung. Irgendwie schräg? Das liegt, so argumentiert feministische Rechtswissenschaft, am von Männern gesetzten Recht.
Dieses und andere Phänomene wurde am Wochenende auf einer Tagung der Berliner Humboldt-Universität erörtert, mit der das erste deutsche Studienbuch "Feministische Rechtswissenschaft" vorgestellt wurde. In einem Workshop der Tagung wurde die oben erwähnte "Tötung des Familientyrannen", ein realer Fall, von der Göttinger Juristin Friederike Wapler und der Berliner Rechtsanwältin Bärbel Sachs analysiert. Jemanden im Schlaf umzubringen, gilt als "heimtückisch", weil das Opfer "arglos" schläft. Heimtücke aber ist eines der Merkmale, die aus einem Totschlag einen Mord machen und das Strafmaß erhöhen.
Der eifersüchtig mordende Mann dagegen handelt nach Meinung vieler Richter "im Affekt", was eher zum Totschlag passt. Dahinter steht die Vorstellung, dass die "Affekte" von jemandem, der losprügelt, mildernd zu werten sind. Drauflosprügeln tut man aber eher, wenn man der Stärkere ist. Die schwächere Person dagegen wehrt sich dann, wenn sie eine Chance auf Erfolg sieht - zum Beispiel, wenn der Stärkere schläft. Dies aber wird ihr dann als "Heimtücke" ausgelegt.
Man könnte also sagen, das Strafrecht begünstige in diesem Fall den jeweils Stärkeren und benachteiligt den Schwächeren. "Jeder, der körperlich unterlegen ist und deshalb eine List anwendet, kann nur einen Mord begangen haben und keinen Totschlag", resümierte Bärbel Sachs. Die Juristinnen sind übrigens nicht der Ansicht, dass das Strafrecht nun gleich umgeschrieben werden muss. Die Richter könnten auch annehmen, dass eine jahrelang verprügelte Frau, die immer noch bei ihrem Mann bleibt, offenbar psychisch so derangiert ist, dass sie keine andere Lösung sieht, als ihn umzubringen. Das Strafrecht kennt dafür den Terminus "Entschuldigender Notstand", nach dem eine solche Frau sogar freigesprochen werden könnte.
Dazu allerdings müssten Richter Einblick in die besondere psychische Konstellation geschlagener Frauen haben, die die Soziologie als "battered women syndrome" beschreibt und die erklärt, warum geschlagene Frauen oft in einer Art psychischen Abhängigkeit vom Schläger verharren. Um so etwas zu berücksichtigen, müssten Richter sich aber überhaupt erst einmal fortbilden. Wozu der deutsche Staat sie nicht verpflichtet. OES
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/11/27/a0131
Zweijahresverträge statt unbefristet
Die CDU-Politikerin Nadine Schön wollte nur nach Leistung beurteilt werden. Doch bei der Jobsuche merkte sie, wie Männer grundsätzlich bevorzugt wurden
BERLIN taz |„Hallo Leute! Bitte votet heute für die absolut beste ’voice of germany‘ Lena Sicks. Daaankeee!!!“ So twittert die Abgeordnete Nadine Schön, mit 28 Jahren die jüngste Abgeordnete der Union im Bundestag. Eine Juristin von der Saar, mit blondem Kurzhaarschnitt und Kastenbrille, die über Twitter auch munter verkündet, dass das Saarland am schönsten und die dortige Junge Union die Beste ist.
„Ich war wie ziemlich viele in meinem Alter gegen die Quote“, sagt sie. In der Schule seien die Mädchen gut durchgekommen, die SchülersprecherInnen waren meistens weiblich, erinnert sie sich. Es gab ein paar Angebote „nur für Mädchen“, aber die interessierten sie nicht. Quoten? „Ich fand es abstrus, dass eine Person einen Posten nur bekommen soll, weil sie eine Frau ist. Das war mir fremd, eine Debatte von vorgestern.“
In der Jungen Union, mit 16, da merkte sie dann schon, dass Frauen gesucht wurden, damit das Podium nicht schon wieder rein männlich ist. Sie profitierte: „Ich bekam viel Unterstützung, gerade weil die Quote bei uns nicht so berauschend war.“
Aber vor allem nach dem Studium, als es um den ersten Job ging, da tauchten die ersten Unterschiede auf: „Die Männer wurden unbefristet eingestellt. Die Frauen bekamen nur Zweijahresverträge. Ihr Gehalt war auch niedriger.“ Sie habe den Eindruck gewonnen, dass „bei den Frauen die Kinder schon mit eingepreist waren“, als würden alle Frauen Mütter und als seien sie dann alle nicht mehr verfügbar.
Sie wollen eine Quote, gegen die Überzeugung ihrer bürgerlichen Parteien: Drei Abgeordnete von CDU, CSU und FDP erklären, warum sie ihre Haltung geändert und die „Berliner Erklärung“ für eine 30-Prozent-Quote von Frauen in Spitzengremien unterschrieben habe.
Da nahm sie auch die Zahlen zur Kenntnis. Im Bundestag sitzt sie seit 2009 im Frauen- und Familienausschuss, in einer Zeit, in der die Debatte über Frauen auf Chefposten tobte. Jeden Monat neue Zahlen, die einen unterirdisch niedrigen Frauenanteil in der Wirtschaft belegten.
Und da sie selbst gerade ihre Kolleginnen erlebte, wusste sie auch, dass das keine Frauen sind, die angeblich „einfach nicht aufsteigen wollen“ oder „es nicht können“ – nicht ihre Generation. „Ich erlebe es so, dass Frauen sich nicht gleich vordrängen, wenn es um einen Posten geht. Aber wenn sie ihn annehmen, dann sind sie die Leistungsträger – im Kontrast zu so manchem Mann.“
Dagegen kann man aus ihrer Sicht zweierlei machen: das Kinderrisiko auf beide Elternteile verteilen – und eine Frauenquote einführen. Nadine Schön, die auch Vizechefin der Gruppe der Frauen in der Unionsfraktion ist, ist nicht zufrieden mit der Miniquote, die ihre Frauenministerin Kristina Schröder anstrebt.
Schröder verweist dabei gern auf junge Frauen, die sich auf ihre Leistung verlassen und der Ansicht sind, dass sie keine Quotenkrücke brauchen. Die junge Nadine Schön allerdings denkt das nicht mehr: Sie hat die „Berliner Erklärung“ für eine feste 30-Prozent-Quote unterschrieben
ES IST EIN GUTER FEMINISTISCHER WEG, FRAUEN ZU UNTERSTÜTZEN STATT SIE ZU BEVORMUNDEN
In der Bevormundungsfalle
Kommentar von HEIDE OESTREICH
Hat die taz "den gesamten Feminismus in die Nähe der Nazis gerückt", wie Monika Maron im Spiegel schreibt? Nein, und Birgit Rommelspacher, um deren Beitrag (taz vom 18. 1.) es geht, hat auch nicht alle Frauen, die für das Minarettverbot in der Schweiz stimmten, pauschal zu Rechtsextremen gestempelt, wie Claudia Pinl ihr antwortete (taz vom 23. 1.). Rommelspacher stellte vielmehr fest, der Feminismus sei nicht per se davor gefeit, von undemokratischen Ideologien instrumentalisiert zu werden. So haben manche Feministinnen gerade erst für das xenophobe Minarettverbot gestimmt.
Anhand verschiedener historischer Beispiele verwies Rommelspacher darauf, dass die Fahne der Emanzipation auch mal in einem Wind wehen kann, der eher freiheitsfeindlich ist. Auch die Nationalsozialisten hätten mit der angeblichen germanischen Geschlechtergleichheit Werbung für sich gemacht, führte sie an. Rommelspacher vertritt dabei selbst einen feministischen Standpunkt. Sie kritisiert lediglich jene Feministinnen, die ihr Bild von der richtigen Emanzipation über alles stellen - und dabei die angemessenen Mittel aus den Augen verlieren.
Es ginge den Minarettgegnerinnen vielleicht eher um Kopftücher als um Minarette, meinte nicht nur Claudia Pinl. Und was kann schon falsch daran sein, die weibliche Emanzipation über alles zu stellen? Und deshalb muslimische Traditionen zu bekämpfen, die Frauen extrem einschränken? Was ist falsch daran, wenn deutschstämmige Frauen auch für Musliminnen das Recht auf Liebe, Miniröcke, wallendes Haar und einen freien Geist in einem freien Körper einfordern? Nichts ist falsch daran. Ja, es ist sogar geboten, diese Freiheiten gegen religiöse und säkulare Fundis jeglicher Couleur zu verteidigen. Allerdings wird gelegentlich vergessen, dass es dabei eben um Freiheiten geht. Und dazu gehört auch die Freiheit, seinen Körper zu ver- statt zu enthüllen. Ein Verhüllungsverbot ist, ebenso wie ein Minarettverbot, das Gegenteil von Freiheit.
Heide Oestreich ist Redakteurin für Geschlechterpolitik der taz und setzt sich regelmäßig mit feministischen Konfliktlagen auseinander. Im Jahr 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuch-Streit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam".
Es zeugt übrigens von einem merkwürdigen Politikverständnis: das eine zu verbieten, wenn man etwas anderes meint. Schwerer wiegt, dass solche Feministinnen offenbar so angstgesteuert sind, dass sie ihr Unbehagen am Islam mal eben in einer mittelschweren Verbotsfantasie äußern. Da war die Frauenbewegung schon mal weiter.
Rückblende: Auf den Uno-Frauenkonferenzen der Siebzigerjahre gab es historische Zusammenstöße, als Feministinnen aus westlichen Industrieländern ihren Schwestern in den Entwicklungsländern erklären wollten, wie die sich von ihren Männern zu emanzipieren hätten. Die Frauen aus dem Süden hatten aber andere Probleme: Wer seine Existenz durch neokoloniale Ausbeutung der Industrieländer bedroht sieht, hat oft mehr mit Männern in gleicher Lage gemein als mit reichen Frauen aus der ersten Welt, die das lateinamerikanische oder afrikanische Patriarchat anprangern.
Alle Beteiligten haben aus diesen Konflikten gelernt. Sie haben pragmatische Wege gefunden, trotz aller Unterschiede und "Ungleichzeitigkeiten" solidarisch zu handeln. Wie kann ich diese Frauen jetzt und hier unterstützen, ohne meine feministischen Überzeugungen zu verraten? Diese Frage läßt sich nicht immer zugunsten des feministischen Prinzips entscheiden. Das war ein Lernerfolg.
Dieses historische Wissen droht im Islamstreit verloren zu gehen. Nun sitzt "uns" die Ungleichzeitigkeit nicht mehr in einer Uno-Konferenz, sondern in der U-Bahn gegenüber. Und je näher sie rückt, desto bedrohlicher wirkt sie. Schon wird das Verlangen groß, jene Frau befreien zu wollen, deren Kopftuch von vorsintflutlichen Ehrvorstellungen ihrer Eltern oder ihres Mannes zeugen könnte.
Ähnliche feministische Fronten gibt es auch am anderen Ende des sexualpolitischen Spektrums: beim Thema Prostitution. Feministinnen warfen in den Siebzigern aus Protest gegen die Unterwerfung von Frauen unter patriarchale Sexualfantasien die Scheiben von Bordellen ein. Und prompt organisierten sich die Huren und wehrten sich gegen diese Zerstörung ihrer Existenzgrundlage.
Auch bei diesem Streit ging es um eine patriarchal ausgerichtete Sexualität - nur war damals nicht die "Heilige", die Kopftuchfrau, sondern die "Hure" an der Reihe. Ja, beides sind vom Patriarchat entstellte und mißbrauchte Fantasien. Aber sie können beide auch feministisch gewendet werden: als selbstbestimmte Heilige oder als selbstbestimmte Hure.
align="center"> Selbstbestimmte Prostitution
Bei der Prostitution sind die meisten Feministinnen dazu gelangt, die Widersprüche auszuhalten. Die patriarchale Struktur der legalen Prostitution ist zu kritisieren, das Verbrechen der Zwangsprostitution natürlich zu bekämpfen. Andererseits sind die Huren dabei zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Nur so kann die vielgerühmte "weibliche Freiheit" entstehen.
Das kann auch der Weg für den Umgang mit den "heiligen" Kopftuchträgerinnen sein. Selbstbestimmung muss hier das Ziel sein: erst dann haben sie wirklich die Wahl, ob sie sich verhüllen wollen oder nicht. Und: man kann das Kopftuch als patriarchales Symbol kritisieren, ohne seiner Trägerin mit Verboten das Leben schwer zu machen.
Fragt man muslimische Frauen nach ihren Bedürfnissen, ist die Antwort ziemlich klar: Bildung. Arbeitgeber, die eine Kopftuchträgerin akzeptieren. Unterstützung bei Konflikten mit der Familie. Zufluchtswohnungen, wo sie familiären Zwängen entfliehen wollen. Aber auch separates Schwimmen für muslimische Frauen, die ihre Schamgrenzen eben nicht auf Knopfdruck erweitern können oder wollen. Und wer will Frauen eigentlich verbieten, ihren Körper - ganz matriarchal - für so heilig zu halten, dass sie ihn verhüllen wollen?
Es ist ein guter feministischer Weg, Frauen zu unterstützen statt sie zu bevormunden, auch wenn sie meines Erachtens mit einem gänzlich unangemessenen und provozierenden Symbol des Patriarchats auf dem Kopf herum spazieren. Das setzt die Fähigkeit voraus, Widersprüche auszuhalten - statt ihnen mit Verboten den Garaus zu machen.
Mythos Kampfkraft
Frauen sind im Durchschnitt kleiner als Männer und haben weniger Muskelmasse. Aber folgt daraus, dass sie die "Kampfkraft" der Truppe schwächen? Im Gegensatz zur Bundeswehr, die von guten Erfahrungen berichtet, wird in der Neuen Rechten gern der Untergang der westlichen Armeen durch kämpfende Frauen beschworen.
Jetzt hat Martin Böcker, rechtslastiger neuer Leiter des Uni-Magazins Campus der Bundeswehrhochschule in München, die Kampfkraftthese erneut aufgewärmt. Böcker gehört zum Umfeld des Instituts für Staatspolitik, das zeitweise vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Die Uni distanzierte sich, im Oktober könnte der studentische Konvent über die Ablösung Böckers entscheiden. (oes)
Die dritte Halbzeit
Frauenrechtlerinnen erwarten zur Fußball-WM eine Zunahme der Zwangsprostitution. Um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, haben sie eine Kampagne gestartet. Doch die ist bisher kein Treffer. Nicht nur Fans wollen damit in Ruhe gelassen werden, auch der Deutsche Fußballverband
VON HEIDE OESTREICH
Wo Männer in Mengen aufeinander treffen, ist in der Regel eine Art kollektiver Testosteron-Hochstand zu erwarten. Und so rüstet sich die deutsche Rotlichtszene zum Geschäft des Jahrzehnts, wenn nächstes Jahr die Fußball-Weltmeisterschaft das Land ereilen wird - und mit ihr eine ungewisse Zahl zusätzlicher Prostituierter. Doch weil es wenig legale Möglichkeiten gibt, als Prostituierte aus dem Ausland anzureisen, um hier Geld zu verdienen, rechnen die Behörden mit einer Vielzahl illegal eingeschleuster Huren.
Und da beginnt ein Problem. Wer illegal ist, ist auch erpressbar. Illegale Prostituierte können sich nicht wehren, wenn sie um Teile ihres Hurenlohns betrogen werden, wenn der Zuhälter Mehrarbeit fordert, wenn er mit Gewalt droht oder sie einsperrt. Oder wenn sie vielleicht gar nicht Huren sein wollten, sondern als Kellnerinnen angeworben wurden. Ab und zu macht die Polizei Razzien und erwischt in der Regel die Prostituierten, nicht die Zuhälter. Selten setzt sich eine der Huren dann dem hohen Risiko aus, ihre Menschenhändler und Ausbeuter anzuschwärzen, schließlich hat sie deren Macht schon zu spüren bekommen.
So weit, so schlecht. Die Dachorganisation der Frauenverbände, der Deutsche Frauenrat, sieht gerade deshalb in der WM eine gute Gelegenheit, die Gesellschaft gegen Ausbeuter in Stellung zu bringen und potenzielle Freier zu sensibilisieren. Informierte Kunden könnten unter Umständen erkennen, ob ihre persönliche Dienstleisterin unter Zwang arbeitet, und gegebenenfalls etwas unternehmen. Doch der Versuch der Frauen- und Menschenrechtsverbände, die Fußball-Öffentlichkeit für ungewollte Nebenwirkungen ihres Verhaltens zu sensibilisieren, stößt auf eine echte Abwehrmauer aus Fußballfunktionären und Teilen der Presse.
Es sieht aus wie ein Lehrstück über die Fallstricke von Frauenrechtskampagnen. Wie so oft bei so genannten Frauenthemen geht es erstens um etwas, das unangenehm intim ist: Zwangsprostitution, das klingt wie genitale Verstümmelung, sexuelle Gewalt, sexueller Missbrauch, Abtreibung - darüber spricht man nicht gerne.
Zweitens ist der Adressat anonym. Niemand geht öffentlich zu Prostituierten - und schon gar nicht zu Zwangsprostituierten. Auch das ist typisch für ein tabuisiertes Frauenthema. Gewalt in der Familie ist ebenso wie die sexualisierte Gewalt in der Zwangsprostitution etwas, über das der Täter selbstverständlich nicht spricht - das Opfer auch nicht.
Das führt, drittens, zu einem typischen Streit über das Ausmaß des Problems. Während die einen horrende Dunkelziffern in Umlauf setzen, haben die anderen leichtes Spiel beim Leugnen dieser Zahlen, gesichert sind sie schließlich nicht. Beim Thema Gewalt und Missbrauch ein altes Spiel, bei der Zwangsprostitution fängt es gerade an.
Bei der WM sollen bis zu 40.000 Prostituierte nach Deutschland einreisen, schätzt angeblich der Städtetag. Eine Bordellchefin aus Berlin merkte kürzlich im britischen Guardian an, man könne locker noch eine Null anhängen. In der Emma werden aus 40.000 ausländischen Prostituierten plötzlich 40.000 Zwangsprostituierte, als gäbe es da keinen Unterschied. Schon widerspricht der Kölner Oberbürgermeister, die Zahl sei ohnehin "nicht realistisch". Heike Rudat, Menschenhandelsspezialistin vom Landeskriminalamt Berlin, erklärt, es gebe für Menschenhandel keine seriöse Dunkelfeldforschung und deshalb auch keine verlässlichen Zahlen. Nur ein Bruchteil der gehandelten Frauen wird beim BKA aktenkundig, im Jahr 2003 etwa waren es gut 1.200. Diese Zahl ist sicherlich zu niedrig, weil die meisten Frauen es nicht wagen, eine Aussage gegen ihre Zuhälter zu machen. Bei doppelt so vielen finden die ErmittlerInnen eindeutige Hinweise auf Zwangsprostitution, aber die Frauen wollen nicht aussagen und fehlen deshalb in der Menschenhandelsstatistik. Doch die oft zitierte EU-Schätzung von 140.000 gehandelten Frauen pro Jahr scheint zwischen einfachen Schleusungen von Prostituierten und Menschenhandel mit Zwang und Ausbeutung keinen Unterschied zu machen und ist damit wohl zu hoch. Der Frauenrat versucht, diesen Zahlenrätseln zu entgehen: "Jede Zwangsprostituierte ist eine zu viel", so die Sprecherin Ulrike Helwerth.
Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist das große Graufeld, in dem sich illegale Prostitution abspielt. Es gibt eingeschleuste Prostituierte, die nur ihre Schleusungsgebühr abarbeiten, es gibt absurd überhöhte Gebühren, es gibt Schleuser, die diese Gebühr mit Gewalt eintreiben. Es gibt schließlich brutale MenschenhändlerInnen, die Frauen, die niemals als Huren arbeiten wollten, quasi kidnappen und als Sexsklavinnen halten. Dann haben Prostituierte "normale" Zuhälter, Zuhälter, die einen viel zu hohen Anteil einfordern oder die Zahl der Freier und die Art des Verkehrs bestimmen, und gewalttätige Zuhälter, die sie ausbeuten, verprügeln, vergewaltigen.
Die Grenzen sind für Außenstehende nicht immer leicht zu ziehen. "Die wollen doch als Prostituierte arbeiten!", hören Frauenrechtlerinnen deshalb oft vorwurfsvoll. Dass unterschlagener Lohn und das Aufzwingen von bestimmten Arten von Sex oder Freiern dennoch Zwangsprostitution und sexuelle Gewalt bedeuten, ist vielen Menschen nicht bewusst.
Gerade deshalb scheint es besonders sinnvoll, potenzielle Freier über diese Sachverhalte aufzuklären. Wobei man beim vierten Problem solcher Kampagnen angelangt wäre: den Männern, die sich den Spaß nicht verderben lassen möchten. Sie sind auch gegen Gewalt und ganz bestimmt gegen sexuelle Gewalt - aber bitte alles zu seiner Zeit und im rechten Rahmen. Dass bei der WM auch MenschenhändlerInnen und Zuhälter ihren Schnitt werden machen wollen, lässt sich kaum leugnen. Aber etwas anderes ist es, die schöne WM-Stimmung mit einem unappetitlichen Thema zu belasten. Der Frauenrat bat in Briefen an die Nationalspieler, die WM-Orte und den DFB genau darum: Fußballer, Funktionäre und die Städte könnten die Freier unter den Fans schlicht auf das Problem aufmerksam machen, dass sie sich unter Umständen an einer Gewalttat gegen Frauen beteiligen. Nur, die Adressaten waren gar nicht angetan.
"Sowohl der Bundestrainer als auch die Nationalmannschaft werden Ihrem gut gemeinten Appell aus grundsätzlichen Erwägungen nicht folgen", schrieb Georg Behlau, der das Büro der Nationalmannschaft leitet, im Herbst an den Frauenrat. Die Nationalmannschaft könne sich nicht für "offizielle Sonderthemen" einsetzen. Ähnliches las die damalige Bundesfamilienministerin Renate Schmidt, die den Frauenrat unterstützte und an DFB-Chef Gerhard Mayer-Vorfelder geschrieben hatte. Man schätze Schmidts "persönliches Engagement in dieser leidigen Angelegenheit", ließ Mayer-Vorfelder ausrichten. Aber die sozialen Aktivitäten während der WM beschränkten sich leider "auf Unicef und SOS-Kinderdörfer".
Die süßen Kinderlein also statt der leidigen leidenden Frauen. Trägt der DFB für das Verhalten seiner Fans Verantwortung? Selbstverständlich. "Ballance 2006" heißt das hübsche Projekt für "Integration und Toleranz für eine friedliche WM". "Zahlreiche prominente Sportler" sind als "Toleranzbotschafter" unterwegs, es gibt Workshops für Konfliktmanagement und Straßenfußball für Toleranz. Dass die Jungs sich prügeln könnten, das ist durchaus eingeplant. Aber dass auch Frauen betroffen sein könnten? Von sexueller Gewalt? Das soll ob seiner ganzen Unappetitlichkeit lieber ein Tabu bleiben.
Auch die Medien möchten die Gewalt gegen Frauen bitte säuberlich trennen von der Lust der Männer. Die Kampagne des Frauenrats hat bisher kaum ein Presseecho. Nur der Spiegel desavouierte sie mal eben nebenbei. Er berichtet über "wahre Orgien", die die Sexindustrie erwartet. Und dass nun die "Gegner der Prostitution" sich formieren. Die Gegner der Prostitution, das sind der Frauenrat und Renate Schmidt. Die aber sind gar nicht gegen Prostitution. Sie sind gegen Zwangsprostitution. Prostitution ist ein Beruf. Zwangsprostitution ist sexuelle Gewalt. Dem Spiegel ist das offenbar egal. Die als "Retterfraktion" lächerlich gemachten Frauen werden unter Prüderie verbucht. Denn ihnen gegenüber stehen diejenigen, "für die Fußball, Bier und Sex zusammengehören". Wenn das mal nicht der deutsche Fußballfan in seiner ganzen Lebensfreude ist, den man hier vor der Abstinenzler-Retterfraktion in Schutz nehmen muss.
Die Frauenrechtskampagne wird trotzdem stattfinden. Es werden Flugblätter verteilt, auf denen nachzulesen ist, was Hinweise auf Zwangsprostitution sein könnten. Es wird eine Hotline geben, bei der sich Freier anonym melden können, denen ihre Dienstleisterin merkwürdig vorkam. In Hamburg etwa werden Prostituierte am Bahnhof eine Beratungsstelle vorfinden. Und wer weiß: Wenn die heutige Frauenministerin Ursula von der Leyen die Initiative ihrer Vorgängerin noch einmal aufnimmt und beim DFB nachfragt, dann werden vielleicht auch die Fußballfunktionäre ihre Abwehrstrategie überdenken. Sprecher Harald Stenger zumindest ist inzwischen sensibilisiert: Es habe doch verschiedenste Bitten, Einwirkungen und Anfragen von allen Seiten gegeben, erklärte er der taz. Immerhin für einen Moment, so scheint es, hat man nun ein Auge auf die Realität. "Wir sind im Dialog mit der politischen Ebene", erklärt Stenger. "Und der Dialog ist noch nicht beendet."
Dass Jungs sich prügeln könnten,
das ist durchaus eingeplant.
Aber sexuelle Gewalt an Frauen?
Das soll lieber ein Tabu bleiben
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/01/04/a0139
Neues von der Front
Zerstörte männliche Identitäten gibt es nicht nur im "Spiegel", sondern jetzt auch bei der "Jungen Freiheit"
Die mediale Herrenfront gegen eine Politik, die sich um Geschlechtergerechtigkeit bemüht, hat gestern Zuwachs bekommen: Auch die rechtslastige Junge Freiheit hat nun entdeckt, dass Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) einer "totalitären Ideologie" anhängt, die "nach dem Kaderprinzip durch eine auserwählte Truppe Linientreuer von oben nach unten durchgesetzt werden soll".
Gemeint ist wieder einmal das Prinzip "Gender Mainstreaming", bei dem Politik darauf achten soll, dass sie Ungerechtigkeiten oder Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen eher abbaut als verstärkt werden sollen. Die Junge Freiheit, die gerichtlich durchsetzte, dass sie in Verfassungsschutzberichten nicht mehr erwähnt wird, folgt in Argumentation und Wortwahl dem Spiegel und der FAZ. Diese hatten von der Leyen ebenfalls unterstellt, mit Gender-Mainstreaming-Projekten die männliche Identität "zerstören" zu wollen. In der Jungen Freiheit präzisiert nun Männeraktivist und Geschlechterforscher Gerhard Amendt: "Wer Identitäten zerstört, zerstört Menschen."
Das allerdings hat die konstruktivistische Schule in der Jungenpädagogik, um die es geht, nun eigentlich nicht vor. Ihr geht es eher darum, die Identität der Jugendlichen in ihrer Einzigartigkeit zu stärken, indem einengende Stereotype in Frage gestellt werden. Was auch Soziologe Amendt wissen dürfte.
Die Junge Freiheit hat nicht nur die Inspiration, sondern auch Zitate und Beipiele der FAZ und dem Spiegel entlehnt. In dieser Hinsicht sind unsere beiden Meinungsführerzeitungen, die zusammen eine Auflage von fast anderhalb Millionen Exemplaren erreichen, also ganz auf der Linie eines Blatts, dem gemeinhin eine Scharnierfunktion zwischen rechtskonservativen und rechtsextremen Positionen zugesprochen wird.
Problematisch ist dabei nicht nur, dass Mainstream-Medien nahtlos in der Geschlechterfrage an den Rechtsextremismus anschlussfähig sind. Problematisch ist auch, dass die Artikel journalistisch sehr ähnlich sind. Dass die Junge Freiheit Diffamierungen und Anwürfe druckt, ohne die Angegriffenen zu Wort kommen zu lassen, verwundert bei einem solchen Tendenzblatt kaum. Dass aber auch Spiegel und FAZ auf journalistisches Handwerk verzichten und stattdessen eine Art Treibjagd veranstalten, zeigt, dass zumindest die journalistische Identität dieser Männer doch schon arg zerstört ist. Wenn daran mal nicht Ursula von der Leyen schuld ist. OES
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2007/01/13/a0115
Zerstörte Identitäten junger Männer
Streit um die Pädagogik für Jungen: Verunsichert die Kritik an ihrer Männlichkeit die armen Jungs erst recht?
Welche Methoden in der Jungenpädagogik im Einzelnen so angewandt werden, interessiert die Öffentlichkeit in der Regel kaum. Identitätsorientiert oder emanzipatorisch oder vielleicht "balanciert" - da gibt es ähnlich wie bei Psychotherapien verschiedene Ansätze. Eine der Richtungen hat nun die Öffentlichkeit aufgeschreckt: Die sogenannte "nicht identitäre" Jungenarbeit eines Berliner Pädagogenvereins wolle die Identität der Jungs "zerstören", legte der Spiegel kürzlich nahe. Er zitiert aus dem Protokoll einer Projektwoche, die der Verein "Dissens" veranstaltet hatte. Tatsächlich schreiben die Leiter des Workshops, das Ziel ihrer Pädagogik sei "die Zerstörung von Identitäten".
Das klingt alarmierend. Schon kursieren im Internet "Anmerkungen" des Männerforschers und Soziologen Gerhard Amendt: "Wer Identitäten zerstört, der zerstört Menschen." Einem Jungen ist in dieser Projektwoche laut Protokoll nahe gelegt worden, er habe eine Scheide und tue nur so, als sei er ein Junge. Amendt findet das pädagogisch mehr als zweifelhaft. Der Junge, so Amendt, sollte offenbar "im Kern seiner Identität erschüttert werden, damit er gefügig wird. Die Gewaltförmigkeit des ,pädagogischen Handelns' liegt auf der Hand."
Männlichkeit auflösen
Ist das das Konzept von "Dissens"? Die PädagogInnen des Vereins wehren sich nach Kräften: Der Spiegel-Autor "versuche, emanzipatorische Männlichkeitsentwürfe zu diffamieren", heißt es in einer Stellungnahme. "Uns geht es natürlich um die Stärkung von Identitäten", sagte Geschäftsführerin Andrea von Marschall der taz. Aber wie kam es dann zu der Aussage, Ziel sei die Zerstörung der Identität?
"Das war missverständlich formuliert", verteidigt sich Joachim Erath, der das Projekt seinerzeit mit leitete. Der Satz beziehe sich auf die theoretische Ebene: "Wir möchten starre Männlichkeiten, unter denen die Jungen oft sehr leiden, auflösen. Auch wenn du nicht die großen Muckies hast, kannst du trotzdem ein toller Typ sein, das soll den Jungs vermittelt werden", beschreibt er das Vorgehen.
Diese "nicht-identitäre" Jungenarbeit basiert auf dem theoretischen Konzept des Konstruktivismus. Die Geschlechterrolle, so lässt sich vereinfacht sagen, ist nicht fix, sondern wird in jeder Situation neu hergestellt: Durch Abgrenzung zum anderen Geschlecht und durch rollenkonformes Verhalten. "Doing Gender" nennt die Theorie das. Ein Beispiel: Ein Junge, der weint, würde in seiner Clique als "schwul" oder als "Mädchen" gelten. Deshalb weint er nicht - und konstruiert sich damit als Junge.
Der hehre Vorsatz der nicht-identitären Pädagogik ist nun, dass die Jungen die Beliebigkeit solcher Zuschreibungen wie "Jungs weinen nicht" erkennen. Sie sollen lernen, dass man auch Junge bleiben kann, wenn man weint. Oder eben, dass man den Jungen auch spielen kann, obwohl man biologisch betrachtet vielleicht ein Mädchen ist. Mit dieser Vorstellung hatten die Pädagogen die Jungen im Workshop provozieren wollen.
Männlichkeit fördern
Darf man das machen? Oder verwirrt man damit die ohnehin verunsicherten Jungs vollends? Das ist eine sehr grundsätzliche Frage, die an viele wunde Stellen rührt. Die Jungenarbeit hat sich im Gefolge der Mädchenarbeit entwickelt. Die aber kritisierte das dominante Verhalten der Jungs. Manche Pädagogin erwartet deshalb von der Jungenarbeit eine Art Pazifizierung der Rabauken. Einige JungenpädagogInnen folgen dieser Richtung und ermutigen Jungen, ihre "weiblichen Eigenschaften" zu entwickeln. Andere aber wenden sich genau dagegen. Sie wollen den Jungen zu einer positiven Haltung zur Männlichkeit verhelfen, indem sie deren "männliche" Bedürfnisse ernst nehmen.
Die meisten ProtagonistInnen der Jungenpädagogik beschreiten glücklicherweise einen Mittelweg. Reinhard Winter, Herausgeber des Überblickswerks "Praxis der Jungenarbeit", beschreibt ihn so: Man könne dem Jugendlichen nicht eine neue Identität überhelfen und die seine auch nicht mal eben "zerstören", sagte Pädagoge Winter der taz. "Die Jungen können lernen, wie sie Junge sein können, ohne andauernd an Grenzen zu stoßen: Grenzen der Beziehungsfähigkeit, Grenzen des sozialen Zusammenlebens - und auch Grenzen des Gesetzes", so Winter. Den konstruktivistischen Ansatz hält er dabei für sinnvoll: "Die Jugendlichen lernen, dass sie ihre Identität situativ herstellen und deshalb auch situativ verändern können", erklärt er. Das Herangehen von "Dissens" sei deshalb erst einmal gut und auch seriös.
Der Verein selbst betont, das provokante Vorgehen der Pädagogen habe mit der Zielgruppe zu tun gehabt: Es seien keine labilen, problematischen Jungen gewesen, sondern die neunte Klasse einer Realschule. "Das waren stabile Personen, die die Provokation als solche verstanden haben", sagt Andrea von Marschall. Ohnehin sei diese Art des Infragestellens von Identitäten nur eine von vielen unterschiedlichen Methoden des Vereins.
Pädagoge Winter hält die Aufregung um den Verein Dissens für unnötig: Man könne bei Schülern in einer kleinen Projektwoche ohnehin nichts zerstören. "Das viel größere Problem ist, dass sie in der Schule einer Dauerberieselung mit unreflektierten Geschlechterstereotypen ausgesetzt sind." Und diese können seiner Ansicht nach beide verbreiten: feministische LehrerInnen, die die Jungs pazifizieren wollen - genau wie Lehrer, die meinen, alle Jungs müssten Fußball lieben. Denn beides geht über die Bedürfnisse des Einzelnen hinweg. HEIDE OESTREICH
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2007/01/17/a0218
Freiheit statt Feminismus
In dem Band "Das F-Wort. Feminismus ist sexy" melden sich nun differenzierte, kluge Frauen und Männer zu Wort. Das "F" steht für sie zunächst für "Freiheit" - nicht die schlechteste Idee
VON HEIDE OESTREICH
Die Frau von heute geht mit aktuellen Rollenbildern eigentlich um wie mit Mode. Sie variiert Outfit und Persönlichkeit je nach aktueller Nachfrage, denn ohne Personen-Marketing läuft gar nichts. Sie präsentiert sich als selbstbewusste bis selbstironische Ich-AG. Als eine Art Reaktion auf diese Überforderung könnte man das zeitgleich anschwellende Sinnieren über ihre "Natur", ihre Hormonlage, ihre Gene, ihre angeborenen weiblichen Fähigkeiten deuten. Zwischen der "Ich kann alles"-Frau und der Entlastungsreaktion, der extremen Beschränkung ihrer Rolle durch die angebliche Natur wäre eigentlich das Spielfeld einer gesellschaftspolitischen Analyse anzusiedeln, die reale Spielräume von Frauen in ihren Rollenmodellen auslotet und zur Diskussion stellt.
Doch der öffentliche Raum, in dem die Analyse stattfinden könnte, ist merkwürdig leer. Die einen sind zu cool, um zuzugeben, dass sie Probleme haben könnten - und zu individualistisch, als dass sie sich politisch artikulieren würden. Und die anderen tragen lediglich ihr verstaubtes Frauen- und Mutterbild in einer Monstranz herum, garniert mit angeblichen genetischen Gegebenheiten.
Beiden gemeinsam ist, dass sie sich von feministischen Stimmen, die die Rollenbilder traditionell kritisiert haben, distanzieren. Der überlieferte Feminismus wird in diesem Raum nicht aktualisiert, er steht irgendwie daneben herum. Es gibt mittlerweile den einen oder anderen Ruf nach "neuem Feminismus", doch so recht konturiert ist das Gewünschte bisher nicht. Ein Sammelband aus dem Ulrike Helmer Verlag vereint nun Versuche, die Lücke zwischen "altem" Feminismus und dem, was heute nötig ist, zu schließen. Unter dem eher verschreckenden Titel "Das F-Wort. Feminismus ist sexy" hat die Frankfurter Autorin Mirja Stöcker Essays versammelt, die erstaunlich frisch und unverstellt in diesen Raum hinein argumentieren. Stöcker und ihre AutorInnen (ja, auch Männer) sehen eine Klammer, die "neuen" und "alten" Feminismus verzahnen könnte: So unterschiedliche Themen wie die Hirnforschung, die Befindlichkeit junger Männer oder das weibliche Schönheitsideal, das mittlerweile bei Kleidergröße zero angekommen ist, finden ihren kritischen Fluchtpunkt in dem Begriff der individuellen Freiheit, Ausgangspunkt eines jeden Feminismus - und auch aller Männer, die sich in Rollenzwängen unwohl fühlen, wie die beiden männlichen Autoren in ihren Beiträgen zu bedenken geben.
Dem Diktum von der angeblichen "Spaßbremse Feminismus" stellt Herausgeberin Mirja Stöcker die schlichte Frage entgegen, ob nicht mangelnde Kinderbetreuung oder der grassierende Diätwahn dann doch die größeren Spaßverderber seien. Der Feminismus werde quasi als "Botin der schlechten Nachricht" verantwortlich gemacht, meint Autorin Jenny Warnecke.
Die Stärke der Beiträge aber liegt darin, dass alle sich bemühen, den Freiheitsbegriff des alten Feminismus aus seinen identitätspolitischen Fängen zu befreien, ohne ihn deshalb aufzugeben. Sie versuchen, ihn unter neoliberalen Bedingungen neu zu füllen. Was macht man, nachdem alle Klagen gegen patriarchale und kapitalistische Strukturen gesungen sind? Wenn das Individuum in einem bloßen "Außerhalb" oder "Dagegen" keine Perspektive mehr findet? Dann könnte es darum gehen, die Strukturen an strategisch wichtigen Stellen nur so weit zu verflüssigen und zu reorganisieren, dass genug Spielraum für die Einzelnen entsteht. "Der Netzwerkgeneration läuft die Identitätspolitik gegen den Strich", heißt es bei Warnecke, aber "feministisches Know-how ist durchaus Netzwerkkompatibel". Dabei werden auch Anpassungsprozesse an veränderte ökonomische Strukturen vollzogen: wenn etwa festgestellt wird, dass man sich auf die Ernährerfunktion des Mannes nicht mehr verlassen kann. Aber es geht eben auch um Handlungsmöglichkeiten, die sich heute vielleicht eher um einzelne Probleme entwickeln als um ein leidendes Kollektivsubjekt. Statt Einheitsfront ist Bündnispolitik angesagt.
Dafür bedarf es immer noch der feministischen Information und Selbstverständigung, die von ihrem Stigma befreit werden müssen, das vermitteln alle AutorInnen. Und so geben sie durchaus Gegenfeuer. Etwa gegen die grassierende Biologisierung der Geschlechterdifferenz. Urhistorikerin Brigitte Röder verweist auf Untersuchungen der prähistorischen Archäologie, nach denen die Großwildjagd, angeblich Dauerbeschäftigung des prähistorischen Mannes, wohl eher die Ausnahme bei der Nahrungsbeschaffung darstellte. Dagegen zeigten Zahnabnutzungen, dass beide Geschlechter einträchtig am Feuer saßen und Leder weichkauten - und keineswegs nur die Frauen. Eva Maria Schnurr weist darauf hin, dass die Rede von der "Natur" der Geschlechter erst nach der französischen Revolution begann. Zuvor galten Frauen quasi als schwächere Männer, die aber zur Not durchaus einen Mann ersetzen konnten. Sie betont auch, dass die biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern kleiner seien als ihre Gemeinsamkeiten. Hormone, Synapsen und auch genetische Strukturen können sich schließlich, wenn die Umwelt es erfordert, durchaus verändern. Und sie berichtet von einem interessanten Experiment: Mädchen, die gut in Mathe sind, rechnen schlechter, nachdem sie eine Weile mit klischeehaltigen Werbefilmen für Backmischungen und Pickelcremes berieselt wurden. Sogar ihre Berufswünsche ändern sich danach: Sie wollen doch lieber Journalistik oder Linguistik studieren. Mit Klischeeglauben kann man sich also ziemlich gut selbst im Wege stehen.
Feminismus bleibt in dieser Sammlung klar im Modus der Kritik. Es gilt, Entfremdungen und Diskriminierungen aufzuspüren, die eben auch heute noch da sind. So zeigt Katrin Jäger die extremen Zerrbilder, die nach wie vor über Lesben im Umlauf sind. Die Kritik aber wird heute eben auch von Männern angewandt: Es ist der Spiegel-Online Redakteur Daniel Haas, der in seinem Essay zu TV-Casting-Shows darauf verweist, dass deren Spiel mit repressiven und pornografischen Strukturen mit dem üblichen "Wenn's ihnen selbst Spaß macht" nicht abgehakt werden kann. Die Journalistin Elke Buhr erinnert daran, dass die Suizidrate von Frauen mit Brustoperationen 73 Prozent über der "naturbelassener" Frauen liegen soll. Die Schönheitsindustrie bringe offenkundig nicht die Freiheit, die sie verspreche. Wer zu cool ist, dies zu kritisieren, entlarvt sich letztendlich selbst: "Eigentlich souverän wird ein zeitgemäßer Feminismus erst dann, wenn er sich traut, kritisch zu sein, ohne dabei Angst zu haben, als Spaßbremse zu gelten."
Hier ist ein Feminismus zu sehen, der wohl eher keine Frauen zu Demos auf die Straße treiben wird. Er beruht auf informierten Individuen. Und auch die können, ganz ohne Frauen- oder Männergruppe, zu einer kritischen Masse im Diskurs anwachsen. Was natürlich noch zu beweisen wäre.
Mirja Stöcker: "Das F-Wort. Feminismus ist sexy". Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus 2007, 150 Seiten, 12,90 €
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2007/05/16/a0178
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Die ultimative Dienstleistungsoffensive des Antifeminismus
Ein bisschen Frauenhass steht jedem Mann!
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- Liste Femanzen Heide Oestreich Teil 1 -
Oberkellner,
13.12.2013, 21:45
- Liste Femanzen Heide Oestreich Teil 2 - Oberkellner, 13.12.2013, 21:46