Andrea Geier schreibt heiße Luft (Bildung)
Auf Seite 884 (14) in diesem PDF:
http://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/Archiv/2014/ful_11-2014.pdf (6,1MB)
Schreibt Andrea Geier viel heiße Luft.
Andrea Geier ist Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft/
Genderforschung an der Universität Trier und Mitglied im Vorstand des Centrums
für Postcolonial und Gender Studies (CePoG).
Hier der Text und die Wertungen des Blablameter http://www.blablameter.de/
Gender als Analysekategorie
Entwicklungen und Tendenzen in den Gender Studies
ANDREA GEIER - Als disziplinenübergreifendes Forschungsfeld haben sich die Gender Studies an den Hochschulen etabliert. Was sind die Anfänge der Genderforschung? Was sind gegenwärtig die wichtigsten Trends des Forschungsfeldes? Ein Überblicksbeitrag.
Mitte Oktober wies ein österreichischer Student seine Universität in einem offenen Brief darauf hin, dass ein Foto von ihm nicht als Nachweis ihrer Internationalität tauge. Das Bild auf der Homepage der österreichischen Universität zeigte einen jungen Mann schwarzer Hautfarbe neben zwei jungen Frauen weißer Hautfarbe. Die Bildästhetik inszeniert nationale Zugehörigkeit über Farbkontraste. Die hell-dunkel-Differenz wird zusätzlich durch den Umstand verstärkt, dass beide Frauen blond sind. Diese Bildlogik verweist auf ein Selbstverständnis, in dem ‚Weißsein’ als identitätsstiftende Norm der Mehrheitsgesellschaft fungiert. Die Behauptung, dass auf dem Foto neben Mitgliedern der ‚Eigengruppe’ auch ein ‚Fremder’ zu sehen sei, kann nur plausibel erscheinen, wenn ein kulturelles Wissen vorausgesetzt wird, in dem die Hautfarbe weiß als Markierung der ‚Wir’-Gruppe fungiert und die Hautfarbe schwarz umgekehrt ‚Fremdheit’ signalisiert. Das Bild sollte einem positiven Image der Universität dienen und wurde nicht in rassistischer Absicht verwendet. Umso mehr demonstriert es die Bedeutung homogenisierender Vorstellungen von ‚Eigenem’ und ‚Anderem’ für das kulturelle Selbstbewusstsein. Solche Komplexität reduzierenden und diskriminierenden Repräsentationspraxen begegnen im Alltag in vielen Facetten: Man denke nur an die Regelmäßigkeit, mit der Artikel über den Islam mit Fotos Kopftuch tragender Frauen bebildert werden.
Die Frauen- und Geschlechterforschung ist Teil einer macht- und repräsentationskritischen Kulturanalyse, die dazu anleitet, scheinbare Selbstverständlichkeiten der Alltagswahrnehmung kritisch zu hinterfragen. Dabei ist gender weiterhin eine zentrale, aber nicht mehr die alleinige Untersuchungskategorie. Der Fokus liegt heute stärker auf der Vieldimensionalität von Differenzkonstruktionen – Geschlecht, Ethnizität, Klasse, sexueller Orientierung, Alter und religiöser Zugehörigkeit –, und gefragt wird dabei vor allem nach Hierarchisierungsprozessen, Strukturanalogien und Interdependenzen.
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Interdisziplinäres Forschungsfeld
Gender Studies sind keine einheitliche Disziplin, sondern ein interdisziplinäres Forschungsfeld, das durch ein Wechselspiel von fachbezogener Spezialisierung und interdisziplinärer Zusammenarbeit charakterisiert ist. Hieraus resultiert nicht nur die innovative Dynamik und Attraktivität der Gender Studies in Forschung und Lehre, sondern auch ein Innovationspotential für die einzelnen Fächer und Fachgruppen aus den Sozial-, Kultur-, Geistes- und Naturwissenschaften. Die intensive Arbeit an Theorien und Methoden führte zu einer Diversifizierung und grundlegenden Erweiterung der Geschlechterforschung. Einen Kristallisationspunkt dieser Veränderung bilden verschiedene Konzeptualisierungen der Kategorie gender.
Die Frage, wie aus biologischen Unterschieden weitreichende soziale Unterschiede abgeleitet werden, führte die Frauenforschung in den 1970er Jahren zur Analyse von Bedingungen, die dem Faktor Geschlecht in einer Gesellschaft Relevanz verleihen. Die Frauenforschung arbeitete die grundlegende Bedeutung kultureller Konstruktionen von Natur-Kultur-Differenzen heraus und zeigte, dass Geschlechterrollen soziale Konstruktionen sind (gender), die jedoch mit ‚Natur’, d.h. Unterschieden im biologischen Geschlecht (sex), begrün det werden. ‚Weiblichkeit’ und ‚Männlichkeit’ werden, wie schon Simone de Beauvoir in ihrer berühmten Studie Das andere Geschlecht (1949, dt. 1951) zeigte, relational zueinander bestimmt, aber dabei hierarchisiert. Die Vorstellung, dass es zwei Geschlechter gibt, die sich auf Grund ‚natürlicher Unterschiede’ sinnvoll ergänzen, ist ein kulturelles Ordnungsmuster, das Ungleichheit – Privilegien und Benachteiligungen in Bildungschancen, politischer Partizipation, Anerkennung kultureller Leistungen etc. – produziert und legitimiert. Die Frauenforschung untersuchte die (gesellschafts-)politischen, alltagspraktischen, individualpsychologischen und wissenschaftshistorischen Folgen einer solchen dichotomischen Konstruktion von Geschlecht im histori schen Wandel und betrachtete die Institutionen, die an deren Etablierung und Tradierung beteiligt sind. Sie fragte, in welcher Weise die Geschlechterdifferenz als ideologische Ressource symbolisch (re-)produziert wird, und – nicht zuletzt –, wie sich aus der Einsicht, dass sich Wissensordnungen historisch verändern und kulturspezifische Unterschiede aufweisen, emanzipative Impulse für eine geschlechtergerechte Gesellschaft gewinnen lassen.
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Cultural und performative turn
In den Gender Studies verschob sich der Fokus von der Analyse von Struktu- ren der Herrschaft, Gewalt und Hege- monie auf die Ebene der Subjekte. Im Zuge des cultural und performative turn bestimmte man seit Anfang der 1990er Jahre die Kategorie der ‚Konstruktion’ und damit geschlechtlicher Körperlichkeit gänzlich neu, und die symbolischsprachliche Herstellung des Systems der Zweigeschlechtlichkeit gewann interdisziplinär an Bedeutung.
Der Blick verschiedener Ansätze richtete sich auf die Akteurinnen und Akteure, die Geschlecht in sozialen Räumen zur ‚Aufführung’ bringen. Im Verständnis von Geschlecht als Handlung, als ‚doing gender’, treten alltägliche Zuschreibungs-, Wahrnehmungs- und Darstellungsroutinen in den Blick, welche die Handlungsmöglichkeiten von und Erwartungen an Individuen strukturieren. Diese sind durch ein Wechselspiel von Attribution und Darstellung am Arrangement der Geschlechter beteiligt und reproduzieren die Vorstellung einer zweigeschlechtlichen Welt. Die Identifikation mit einem Geschlecht und die Ausprägung von Geschlechtsidentitäten wird nicht als Eigenschaft einer Person, sondern umgekehrt ‚Innerlichkeit’ als Effekt kultureller Normierung verstanden.
In der dekonstruktiven Geschlechterforschung wird die Vorstellung biologischer Differenz als Effekt von diskursiven Regulierungsmechanismen aufgefasst, die Geschlechtskörper ‚naturalisieren’. Die Idee einer ‚natürlichen Substanz’ des Geschlechts wird, so Judith Butler in Das Unbehagen der Geschlechter (1990, dt. 1991), vor allem durch die Vorstellung von Kohärenz und Kontinuität hervorgebracht: Dass wir ein Leben lang ein und nur ein Geschlecht haben, dass es ausschließlich zwei Geschlechter gibt, dass diese Geschlechter eindeutig am Körper ablesbar und dass sie in ihrer Sexualität aufeinander bezogen seien. Dass der Zwang zur Wiederholung dieser Normen Subjekte allererst hervorbringt, bildet den Dreh- und Angelpunkt für die Frage, wie sie verändert werden könnten. Queer Studies sensibilisierten für das Zusammenspiel von sex, gender und sexuality im Denken der Differenz und ermöglichten die Beschreibung neuer Verhältnisbestimmungen von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung. In diesem Kontext gewannen die Konzepte Intersexualität, Transsexualität und Transgender an Bedeutung für die Reflexion kultureller Normalitätserwartungen.
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Das Dreigestirn gender, class und race
Während die Kategorie gender also komplexer wurde, etablierte sich auch das ‚Dreigestirn’ gender, class und race in der deutschsprachigen Forschungslandschaft. Die Kritik der Women of Colour am universalisierenden Geltungsanspruch eines weißen, von der bürgerlichen Mittelschicht getragenen Feminismus setzte das Problem der Repräsentation und des Eurozentrismus auf die Tagesordnung. Eine der methodisch folgenreichsten Erkenntnisse in diesem Zusammenhang war, dass sich verschiedene Formen der Unterdrückung nicht einfach addieren: Die Diskriminierungserfahrungen schwarzer Frauen unterscheiden sich von denen weißer Frauen, weil sie als schwarze Frauen unterdrückt werden, d.h. dass sich Frau-Sein und Schwarz-Sein nicht trennen lassen. Das Bewusstsein für die Verschiedenheit zwischen Frauen, das die us-amerikanische Literaturwissenschaftlerin bell hooks und andere einforderten, wurde begleitet von einem (selbst-)kritischen, postkolonial informierten Blick auf eine europäische Frauen- und Geschlechterforschung, die, wenn sie nach Ungleichheitsverhältnissen oder nach ähnlichen Erfahrungen von Frauen in anderen Kulturkreisen suchte, vor der Reproduktion von ‚Exotismen’ nicht gefeit war.
Die Gender Studies haben sich in den letzten 10 bis 15 Jahren für die Vieldimensionalität von Differenzkonstruktionen sensibilisiert, indem sie in kritische Auseinandersetzungen mit Queer Theory, Men’s Studies, Postcolonial Studies, Critical Race Theory und Diversity Studies getreten sind. Durch ihre lange Tradition in der Erprobung konkurrierender und durchaus auch konfligierender Konzepte zur Beschreibung kultureller Differenzkonstruktionen haben sich die Gender Studies heute als ein zentraler Schauplatz für produktive Verbindungen zwischen Forschungsansätzen, die mit Alteritätskonstruktionen befasst sind, etabliert. In dem Maße, in dem sich die Methoden, Themen und analytischen Anliegen der oben genannten Forschungsfelder überschneiden, haben sich die Perspektiven in den Gender Studies vervielfältigt. Doch unabhängig davon, dass disziplinäre Abgrenzungsbedürfnisse bestehen, teilen alle nicht-essentialistischen Forschungsansätze Kerngedanken: Dazu gehört, dass Kategorien wie Geschlecht, Ethnizität, Klasse, sexuelle Orientierung, Alter oder religiöse Zugehörigkeit nicht starr fixiert sind, sondern in flexibler Abhängigkeit stehen. Ebenso können einzelne Kategorien, gegenstandsbezogen, miteinander verwoben sein, aber es können auch Dominanzen auftreten. Mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen betrachten diese Forschungsansätze die Konstruktion von ‚Normalität’ durch ‚Differenz(en)’ bzw. ‚Devianz’, Ungleich heit(en) und damit verbundene Wertungsdiskurse, die Positionierungen von Subjekten und deren Handlungsspielräume im Schnittfeld sich überlagender Differenzkonstruktionen, mediale Repräsentationen eines (geschlechtlich oder ethnisch) ‚Anderen’ im historischen Wandel u.a.m. Sie befragen Modelle von Kultur(-kontakten) und sensibilisieren für die Mechanismen, die Grenzziehungen stabilisieren bzw. problematisieren. Sie analysieren Modi, Heterogenität und Vielfalt zu denken, und betrachten Identitätskonstruktionen im Kontext von transkulturellen und multiethnischen Räumen. Dabei entwickeln sie eine Aufmerksamkeit für Ambivalenzen in Machtausübung und Machtaneignung, die sich nicht allein auf staatliche Regierungs- und individuelle Handlungspraxen richtet, sondern auch die Bedeutung ästhetischer Konzepte und künstlerischer Werke für Wissensordnungen und Traditionsbildungen sichtbar macht. So unterschiedliche Themen wie Migration, Biopolitik, Kolonialgeschichte, Weltliteratur, Generativität, Erinnerungs- und Emotionsforschung profitieren heute davon, dass in den Gender Studies Strukturanalogien zwischen den Konstruktionen verschiedener Alteritäten und Prozesse der Überschneidung, Hierarchisierung und des Transfers betrachtet werden.
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Gewachsene Vielfalt
Zu den zentralen Entwicklungen der Geschlechterforschung zählen neben Theorie- und Methodendiskussionen Fortschritte in der universitären Institutionalisierung. Interdisziplinäre Zentren, Gender-Professuren und Studienangebote im Bachelor- oder Masterbereich, in denen sich Gender- mit Diversity- oder Postkolonialismus-Schwerpunkten verbinden, machen die gewachsene Vielfalt der Gender Studies in der deutschen Universitätslandschaft sichtbar. Ihre Attraktivität in der Lehre liegt vor allem in ihrem Potential, zentrale gesellschaftspolitische und ethische Fragestellungen zu adressieren und dabei grundlegende analytische Kompetenzen im Umgang mit kulturellem Wissen zu vermitteln.
Die Vielgestaltigkeit, in der sich Gender Studies heute an den Universitäten in Bezug auf Themen, Methoden und Disziplinen präsentieren, wird öffentlich kaum wahrgenommen. In der Berichterstattung dominiert ein Zerrbild, in dem die Geschlechterforschung als treibende Kraft einer politischen ‚Umerziehung’ – worunter für KritikerInnen etwa die Forderung nach Akzeptanz sexueller Vielfalt als Leitbild in Schulen fällt – diskreditiert wird. Leitideen wie Gleichberechtigung werden rhetorisch in ihr Gegenteil verkehrt. AntifeministInnen und RassistInnen fordern ‚Toleranz’ für diskriminierende Aussagen und inszenieren sich als ‚Tabu’-Brecher, die angeblich marginalisierten Positionen Aufmerksamkeit verschafften. Besonders besorgniserregend ist die Aggressivität, mit der in jüngster Zeit einzelne Forscher_innen öffentlich angegriffen werden.
Ihr Text: 1562 Zeichen, 181 Wörter
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Rainer
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Kazet heißt nach GULAG und Guantánamo jetzt Gaza
Mohammeds Geschichte entschleiert den Islam
Ami go home und nimm Scholz bitte mit!
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- Sciencesfiles .... bitte übernehmen Sie! -
Musharraf Naveed Khan,
30.12.2014, 00:10
- Andrea Geier schreibt heiße Luft - Rainer, 30.12.2014, 07:43
- Erfolgreiche Übernahme und... -
Michael,
30.12.2014, 12:34
- Erfolgreiche Übernahme und... - Red Snapper, 31.12.2014, 01:23