Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Warum nur die Mütter?

Christine ⌂, Sunday, 06.05.2007, 13:35 (vor 6213 Tagen)

Warum nur die Mütter?

Zum Thema "Gemeinsames Sorgerecht nicht verheirateter Eltern" fand am 2. Mai ein Fachgespräch in Berlin statt, das von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne veranstaltet wurde.

Gastgeberin war Ekin Deligöz, die sich seit 1998 im Bundestag in der Kinder- und Familienpolitik engagiert. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie Mitglied der Kinderkommission des Bundestages. Fünf Referenten boten in halbstündigen Vorträgen einen guten Einblick in die Komplexität dieses Themas. Die Sitzung war öffentlich und die Veranstalter waren hoch erfreut, dass sich trotz kurzfristiger Vorankündigung 60 Interessenten für die Veranstaltung angemeldet hatten. Die Teilnehmerschaft bestand aus allgemein Interessierten, Betroffenen, Anwälten, Verfahrenspflegern, Verbandsvertretern und einer Vertreterin des Bundesministeriums für Familie, Senioren Frauen und Jugend. Vom Väteraufbruch für Kinder e.V. nahm neben mehreren Berliner Mitgliedern auch der Hamburger Vorstand Gode Wilke teil, der extra nach Berlin angereist war.

Prof. Roland Proksch, Evangelische Fachhochschule Nürnberg, stellte kurz die Ergebnisse seiner Studie bei Scheidungseltern dar, nach der die Alleinsorge zur Ausgrenzung eines Elternteils führt, während die gemeinsame elterliche Sorge die Zusammenarbeit zwischen den Eltern fördert. Dieses Ergebnis sei im Wesentlichen auch auf Eltern übertragbar, die nicht miteinander verheiratetet sind. Deshalb sei das gemeinsame Sorgerecht ab Geburt des Kindes sinnvoll.

Dr. Thomas Meysen, Fachlicher Leiter des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V., meinte, dass der elterliche Streit unabhängig davon sei, ob das Sorgerecht von beiden Eltern oder nur von einem Elternteil ausgeübt werde. Er sprach sich gegen einen gerichtlichen Weg zur Erlangung der gemeinsamen Sorge aus. Es sei absurd, sich gerichtlich Streiten zu müssen, um dann die Sorge einvernehmlich gemeinsam auszuüben. Besser sei eine Regelung, die auch den Väter das Sorgerecht automatisch gewährt. In Fällen von Gewalt oder Unfähigkeit könnten dann die Mütter das staatlichen Hilfesystem aktivieren und die Alleinsorge beantragen. Auf meinen Zwischenruf "Warum nur die Mütter" reagierte er irritiert. Ich erklärte, das natürlich auch die sorgeberechtigten Väter das staatliche Hilfesystem aktivieren könnten, wenn die Mütter gewalttätig oder unfähig seien. Das sei ein Sonderfall, meinte er spontan, worauf eine heftige Diskussion auszubrechen drohte, die von Ekin Deligöz schnell gebremst wurde. Schließlich kam Dr. Thomas Meysen zu dem versöhnlichen Fazit, dass wir, wenn wir schon "gendern", natürlich auch in die väterliche Richtung gendern müssen.

Dr. Rainer Balloff, Vorstandsmitglied des Institut Gericht & Familie e. V, betonte die Bedeutung der Väter für ihre Kinder aus psychologischer Sicht und leitete daraus ab, dass ein gemeinsames Sorgerecht von Geburt an erforderlich sei. Er führte eine Reihe von guten Argumenten an, die für die gemeinsame Sorge sprechen, und zitierte u.a. die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach, die von den "pädagogischen Gestaltungskräften des Familienrechts" gesprochen habe. In diesem Sinne führte das gemeinsame Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete Eltern zu einer Stärkung der Kind-Vater Bindung.

Die Familienrichterin Sabine Heinke schilderte zwei Fälle mit nichtsorgeberechtigten Vätern aus der Praxis. Im ersten Fall wäre der Vater besser geeignet gewesen, um das Kindeswohl zu wahren, aber das Kind mußte bei der Mutter bleiben. Im zweiten Fall war der Vater aufgrund seiner neuen Familie nicht bereit, sich für sein Kind zu engagieren. Sie hielt deshalb eine Regelung für erforderlich, nach der die Väter einseitig ihre Bereitschaft zur Ausübung der elterlichen Sorge erklären müssen. Einen Automatismus per Gesetz lehnte sie ab, sofern er ohne weitere Anpassungen erfolgt. Beispielsweise müssten dann auch nichtverheiratete Mütter in gleichem Umfang Betreuungsunterhalt bekommen wie verheiratete Mütter. Diese Anregung in Richtung eines allgemeineren "politischen Tauschhandels" wurde in der späteren Diskussion leider nicht mehr aufgegriffen.

Dr. Angelika Nake, Mitglied im Deutschen Juristinnen Bund (DJB) und Vorsitzende der DJB-Kommission für Zivil-, Familien- und Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften , sprach sich gegen eine automatische Gewährung des Sorgerechts für Väter ab Geburt des Kindes aus. Schließlich gäbe es ja auch Fälle von Vergewaltigungen und dann sei es einer Frau nicht zuzumuten, dass sie quasi im Wochenbett einen Antrag auf Alleinsorge stellen müsse. Bei den "One-Night-Stands" gäbe es keine Partnerschaft und damit keine Grundlage für eine gemeinsame Elterlichkeit. Letztendlich wäre ein Automatismus bei der elterlichen Sorge nicht sinnvoll, weil man Väter zur Betreuung ihrer Kinder nicht zwingen könne. Sie hielt deshalb ein Modell wie in Frankreich, bei dem das Sorgerecht zusammen mit der Vaterschaftsanerkennung innerhalb eines Jahres nach der Geburt gewährt wird, für erwägenswert.

Die abschließende Diskussion wurde sachlich geführt und drehte sich u.a um die Frage, ob man bei der gesetzlichen Regelung grundsätzlich konfliktorientiert oder ressourcenorientiert vorgehen solle. Durch die Konfliktorientierung mögen Streitereien reduziert werden, aber es werden dadurch Ressourcen in Form von Kind-Vater Bindung & Betreuung verschenkt, die man mit einer Ressourcenorientierung besser aktivieren und entwickeln könnte. Die Diskussion blieb - genauso wie die Position von Bündnis 90 /Grüne zum Thema "Sorgerecht" - offen. Aber es gibt Grund zur Hoffnung, denn wenn eine Partei dieses Thema mit einem Fachgespräch aufgreift, dann tut sie das bestimmt nicht, um alles beim Alten zu belassen.

Rainer Sonnenberger
für den Bundesvorstand

Hier zu finden

--
7. Familienbericht http://dip.bundestag.de/btd/16/013/1601360.pdf
Seite 234, Familienarbeit: - Väter 70 Std. - Mütter 46 Std.
Siehe auch: http://www.wgvdl.com/forum/index.php?id=12360

--
Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein


gesamter Thread:

 

powered by my little forum