Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft

Andreas, Saturday, 15.10.2005, 02:42 (vor 6971 Tagen)

Guten Abend, alle zusammen!

Gerade lese ich dieses Buch und entdecke einen Abschnitt über Dogmatisierung in dem Kapitel über "Geist und Gesellschaft". Der Abschnitt ist interessant, weil er recht viel über die Entstehung von dogmatischen Weltbildern hergibt, zu denen man zweifellos auch den Feminismus zählen kann. Eine perfekte Beschreibung der Persönlichkeit einer Alice Schwarzer. Ich will euch das nicht vorenthalten:

Vor allem die Dominanz von Erfahrungen der Angst scheint die Neigung zur Bildung geschlossener Überzeugungssysteme und damit die Dogmatisierung von wesentlichen Bestandteilen dieser Systeme zu begünstigen. Ein andauernder Zustand der Bedrohung in der Persönlichkeit, besonders wenn er frühzeitig durch entsprechende Erziehungspraktiken und Milieueinflüsse installiert wird, ist offenbar eine wichtige Bedingung für die Entstehung solcher Glaubenssysteme. [...]
Personen, die in dieser Weise geprägt sind, also einen autoritär-dogmatisch strukturierten Glauben haben, legen bei der Lösung von Problemen ein Verhalten an den Tag, das darauf beruht, daß das System ihrer Überzeugungen eine relativ geringe Kohärenz besitzt, also stark voneinander isolierte Bestandteile aufweist. Sie haben das dem natürlichen Streben nach einer einheitlichen Weltorientierung entspringende Problem, ein kongruentes Glaubenssystem herzustellen, so gelöst, daß wegen dieser Isolierung interne Unvereinbarkeiten zwischen den Komponenten des Systems von ihnen nicht wahrgenommen werden, so daß kein Anlaß zur Revision besteht. Daraus ergibt sich eine erhöhte Immunität gegen relevante Argumente, verbunden mit der Bereitschaft, bestimmte Komponenten des Systems unter dem Einfluß akzeptierter Autoritäten auch dann zu ändern, wenn das keine Verbesserung der Kohärenz des Systems herbeiführt, d.h.: eine gewisse Nicht-Immunität gegen rational irrelevante Argumente, also einen Denkstil, den man als "Parteiliniendenken" charakterisieren kann, obwohl dieser Denkstil eigentlich einen Namen verdiente, der den berechtigten Prioritätsansprüchen der Theologie mehr entgegenkäme. [...]

Eine bestimmte Motivationslage, besonders ein emotional verwurzeltes Gewißheitsbedürfnis, sorgt also unter Umständen dafür, daß das Überzeugungssystem, mit Hilfe dessen sich die betreffenden Personen in der Realität orientieren, gleichzeitig in starkem Maße den Charakter eines Verteidigungsnetzwerkes gegen bedrohliche Informationen gewinnt, so daß die Abschirmungsfunktion, die Funktion der Sicherung, über die theoretische Funktion der Weltorientierung dominiert. Wir haben hier den in der klassischen Erkenntnislehre zu einer Rationalitätskonzeption bestimmter Art entwickelten Fall, daß das Gewißheitsstreben über die Wahrheitssuche den Sieg davon trägt. Das führt zu einer Abschließung des Orientierungssystems, das infolgedessen nun eine Selektionswirkung nicht in der Richtung systemrelevanter, sondern in der Richtung systemkonformer Informationen entfaltet. Man tendiert also dazu, eher bestätigende Informationen zu sammeln, als auf mit dem System unvereinbare Informationen zu achten und nach Alternativen zu suchen, um auf diese Weise unerwünschte kognitive Dissonanz zu vermeiden. Stößt man aber durch Zufall auf prima facie konträre Informationen, dann besteht die Neigung, sie entsprechend umzudeuten und auf systemkonforme Weise zu verarbeiten, also eine Immunisierungsstrategie anzuwenden, die auf die Erhaltung des Glaubenssystems abzielt, gleichgültig wie hoch die epistemologischen Kosten dieses Verfahrens sind. Unter Umständen ist man sogar bereit, die Logik zu opfern, um den Glauben nicht zu gefährden, wobei das autoritäre Motiv des Glaubensgehorsams bestimmten institutionell definierten Autoritäten gegenüber mitunter eine erhebliche Rolle spielt.


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