Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Der große Unterschied zwischen § 217 und § 218

Beelzebub, Thursday, 03.01.2008, 02:02 (vor 6014 Tagen) @ Nihilator
bearbeitet von Beelzebub, Thursday, 03.01.2008, 02:08

Dieser Vergleich zieht nicht, weil -entgegen der feministischen
Sichtweise- ein Fötus ein eigenständiges Lebewesen ist und eben kein
Körperteil der Mutter.

Das ist keine "feministische" Sichtweise. "Eigenständig" ist Leben, wenn es eigenständig zu überleben imstande ist - und sei es auch nur für Augenblicke. Für einen Embryo, der eigenständig zu keinem einzigen Atemzug imstande ist, trifft das nun mal nicht zu.

Aber diese Diskussion hatten wir ja schon mal. Lassen wir's einfach dabei bewenden, dass du deine Ansicht hast und ich meine. Einigen werden wir uns in dem Punkt wohl nie.

Deine Auffassung von Recht und Unrecht ist also nachweislich

lediglich

an

den gerade aktuellen juristischen Kontext gebunden. Andere Urteile -
medizinische z.B. - klammerst du explizit aus.


Meine Auffassung von Recht und Unrecht hat allerdings was mit Gesetzen

zu

tun. Nicht dass ich der Ansicht bin, unsere Gesetze seien alle der
Weisheit letzter Schluss, aber als allgemein verbindliche
Handlungsgrundlage sind sie allemal besser als nebulöse
Moralvorstellungen.


Ein schmaler Grat. Bei der Aufarbeitung des Dritten Reiches war man sehr
wohl der Auffassung, daß ein Mensch sich an nebulösen Moralvorstellungen
und nicht an geschriebenem Unrecht zu orientieren habe. Es kann von ihm
erwartet werden, daß er geltendes Recht als Unrecht erkennt und nicht
befolgt.

Genau. Daher auch die hier von mir zitierte Radbruch'sche Formel, nach der gesetzliches Unrecht von übergesetzlichem Recht unterschieden werden kann. Allerdings gilt die wirklich nur für zum Glück seltene extremste Extremfälle wie z.B. das "Recht" des dritten Reiches oder das der stalinistischen Sowjetunion. Und es haben sich bislang selbst die katholisch-konservativsten meiner Berufskollegen nicht zu der Behauptung verstiegen, besagte Formel sei auf die derzeitige Fassung von § 218 anwendbar.


Wir führen hier aber eine rechtliche Diskussion, keine medizinische. *gg*

Der § 218 orientiert sich nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen,
sondern schlicht und einfach an praktischen Erwägungen. Daher z.B. die
völlig willkürliche, nicht mit irgendeiner einschneidenden Veränderung der
Frucht korrellierende Dreimonatsfrist. In anderen Ländern gibt es andere.

Die Medizin macht sich hier allenfalls zum Handlanger, um Argumentationen
zu liefern. Das hat sie bei anderen zweckdienlichen "Rechtsetzungen" auch
schon getan. Es mag keinen zweifelsfreien Nachweis geben, daß ein Embryo
ein Mensch ist, zumal Mensch verdammt schwer zu definieren ist, aber es
gibt auch keinen dagegen. Und im Zweifel...??

Auch die Diskussion hatten wir schon in epischer Breite. Und wenn du ernsthaft an den rechtlichen Aspekten dieser Materie interessiert bist - ganz so einfach, wie du es hier darstellst, ist es nicht - dann kannst du hier eine einschlägige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachlesen.

Dann müßte Abtreibung als Mord oder Totschlag
verfolgt werden. Merkwürdigerweise ist das nicht mal in solchen Ländern
der Fall, die sich noch (aber hoffentlich nicht mehr lange) fest im
Würgegriff der Kirche befinden.


Ist doch Blödsinn. Spezielle Tötungstatbestände orientieren sich nicht am
Opfer, sondern am Täter. Keiner würde wohl behaupten, daß Kindstötung -bis
vor wenigen Jahren ebenfalls ein eigener Tatbestand- deshalb milder
bestraft gehörte, weil das Opfer kein Mensch sei.

Nein, die Kindstötung wurde aus einem anderen, den hiesigen Vertretern der Christenfraktion wohl nicht ganz angenehmen Grund milder behandelt. Die strafrechtliche Privilegierung der Kindstötung galt nämlich nur für das Töten nichtehelicher Kinder. Dieses anachronistische Gesetz stammte aus einer Zeit, als es noch als Schande galt, ein "uneheliches" Kind zu haben und als "uneheliche" Kinder als "zeitlebens mit einem Makel behaftet" - so wörtlich in einer katholischen Sexualaufklärungsbroschüre aus dem Jahre 1954 - bezeichnet wurden. Dass dies heute nicht mehr so ist, gehört übrigens zu den Verdiensten der vielgeschmähten "68er". Dank deren Vorarbeit wurde dieser gräßliche § 217 StGB, der für die Tötung nichtehelicher Kinder durch die Mutter (übrigens nur durch die Mutter, der Vater musste in diesem Fall mit 'lebenslänglich' rechnen) eine stark abgemilderte Strafe vorsah, im Jahre 1998 (endlich!) gestrichen. Wäre es nach der "heiligen Mutter Kirche" (*verächtlich ausspuck*) gegangen, dann wären "uneheliche" Kinder noch heute Lebewesen zweiter Klasse mit vermindertem Strafrechtsschutz.

Ganz anders § 218. Der war nie dazu gedacht, jemanden zu privilegieren. Im Gegenteil, nur er ermöglichte die strafrechtliche Ahndung eines Schwangerschaftsabbruches, einem völlig eigenständigen Tatbestand. Es mag sich bei einem nasciturus - die alte Fassung von § 218 sprach beinahe poetisch von "Leibesfrucht" - meinetwegen eine Vorstufe menschliches Leben handeln. Ein Mensch ist es jedenfalls nicht, war es noch nie. Weder im medizinischen , noch im rechtlichen Sinn. Das erkennt man nicht zuletzt an den Folgen der Gesetzesänderung.

Dadurch, dass § 217 gestrichen wurde, kann nunmehr jede Tötung geborener Kinder als Mord oder Totschlag bestraft werden.

Wäre demgegenüber § 218 rest- und ersatzlos gestrichen worden, dann wäre jeder Schwangerschaftsabbruch straflos geworden, selbst dann, wenn er gegen den Willen der Schwangeren vorgenommen worden wäre. Letzteres haben übrigens die Radabfems, die immer so lauthals die vollständige Streichung des § 218 gefordert haben, nie begriffen. Das Brett vor dem Hohlkopf, das bei denen den Verstand ersetzte, liess das nicht zu.

Gruß & Autobahnabriss

Beelzebub


P.S. § 217 StGB lautete:

(1) Eine Mutter, welche ihr nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, wird
mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

--
"Ihre Meinung ist widerlich. Aber ich werde, wenn es sein muß, bis zum letzten Atemzug dafür kämpfen, dass Sie sie frei und offen sagen dürfen." (Voltaire)

Ich denke, also bin ich kein Christ. (K. Deschner)


gesamter Thread:

 

powered by my little forum