Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Was ist Gewalt?

Maesi, Monday, 27.08.2001, 22:12 (vor 8492 Tagen) @ Maya

Als Antwort auf: Was ist Gewalt? von Maya am 25. August 2001 20:32:10:

Hallo Maya

es ist sehr wohltuend, deine Postings zu lesen *aufatme* :-)

Danke gleichfalls. *Kompliment in huebsches Geschenkpapier eingewickelt an Maya zurueckgeb*

Eine Frage, die mich gelegentlich beschäftigt ist, wie Gewalt eigentlich zu definieren ist. Der Gewaltbegriff ist ein Konstrukt, das sich, wie man sieht, belieb*ig ausweiten oder beschränken läßt. Genau wie du sagst, wenn man den Gewaltbegriff sehr weit auslegt, sind wir alle zu 100% Opfer und Täter zugleich. Damit ist aber der Gewaltbegriff als Differenzierungsmittel zwischen sozial erwünschten und unerwünschten Handlungen hinfällig.
Das andere Extrem wäre, Gewalt streng nach der Definiton des StGB auszulegen. Damit erfaßt man allerdings nur die rein physische Gewalt.
Das ist zur Zeit das, was das Strafrecht veranstaltet. Die psychische Gewalt wird weitestgehend ausgeklammert.

Volle Zustimmung

Was wäre nun, wenn es geschlechtsspezifische "Präferenzen" gäbe für die eine oder andere Form der Gewalt? Die Statistik zeigt, daß physische Gewalt im Sinne des StGB wesentlich häufiger von Männern ausgeübt wird als von Frauen. Heißt das, daß Frauen weniger gewalttäig sind, oder ist es vielleicht so, wie meine Krim.Prof sagte, nämlich daß das Strafrecht Männer benachteiligt, weil nur die "männliche Form" der Gewalt kriminalisiert wird? Kriminalisierung ist ein gesellschaftlicher Vorgang. Die Gesellschaft entscheidet jeweils, welche Verhaltensweisen tolerabel sind und welche eben nicht. Nach dieser Lesart ist es nicht OK, jemanden zu verprügeln, aber es wird toleriert, daß jemand psychisch unter Druck gesetzt wird. Das konnte ich grade jüngst wieder feststellen, daß die letztgenannte Alternative bevorzugt von Frauen eingesetzt wird :-)

IMHO liegt es daran, dass physische Gewalt wesentlich einfacher zu definieren ist als psychische Gewalt. D.h fuer die Rechtsprechende Behoerde (Gerichte) ist es wesentlich einfacher, nachzuweisen (bzw. zu widerlegen), dass physische Gewalt stattgefunden hat, sowie die Schwere der Gewalt zu erkennen. Teilweise kann ja auch psychische Gewalt bestraft werden (z.B. Verleumdung, ueble Nachrede, Beleidigung, etc.), allerdings nur auf dem Wege des Zivilprozesses; der Nachweis solcher Tatbestaende ist meist ziemlich schwierig, sofern nicht in schriftlicher Form geschehen. Beleidigungen tun zwar weh, hinterlassen jedoch keine sichtbaren Spuren. Bei der oeffentlich wahrgenommenen Gewaltkriminalitaet erscheinen die Maenner wesentlich haeufiger als Frauen, sowohl in der Opferrolle als auch in der Taeterrolle. M.E. ist dies weitgehend eine Folge der unterschiedlichen Sozialisierung von Maedchen und Jungen.

Die Frage ist, wo man die Grenzen setzen möchte, um eben zu verhindern, daß der Gewaltbegriff entgrenzt wird, und andererseits sollte man sich darüber Gedanken machen, ob Gewalt wirklich immer nur mit physischer Gewaltanwendung gleichgesetzt werden kann.

Wo die Grenzen zwischen illegaler Gewalt und nicht vom Gesetz geahndeter Gewalt liegen (Bagatellfaelle), muss wohl immer wieder neu definiert werden. In diesem Sinne stimme ich dem Posting von Frau***** zu: psychische Gewalt wird individuell sehr verschieden erlebt. Sie ist abhaengig von: Kontext, Opfer-Taeter-Verhaeltnis, momentane Befindlichkeit, manchmal sogar vom Zufall und von weiteren Gegebenheiten. Dies unter Beruecksichtigung saemtlicher Parameter in Gesetzesform zu giessen, ist IMHO unmoeglich. Deshalb wird haeufig als psychische Gewaltdefinition verwendet: Gewalt ist, wenn man (frau) diese als solche empfindet. Eine solche Definition erlaubt es jedoch nicht, objektive Kriterien zur Schwere der Gewalt anzusetzen; somit ist fuer den einzelnen kaum abzuschaetzen, wann er gewalttaetig ist und in welchem Schweregrad. Verurteilt kann jemand wiederum nur dann werden, wenn er sich des Unrechts seines Tuns bewusst ist (Urteilsfaehigkeit).
Haeufig ist auch die Zahl der kleinen Gewalttaetigkeiten wichtig (systematische Gewaltanwendung): viele Nadelstiche tun eben sehr weh, waehrend ein einzelner oder nur wenige recht gut verkraftet werden koennen.

Gruss

Maesi


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