Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Rentenkürzung für Kinderlose gefordert

Maesi, Friday, 24.03.2006, 19:45 (vor 6822 Tagen) @ Salvatore

Als Antwort auf: Re: Rentenkürzung für Kinderlose gefordert von Salvatore am 16. März 2006 17:53:

Hallo Salvatore

Jahre, ja Jahrzehnte lang hat man gepredigt, die Familie sei der Hort der Reaktion. Noch heute fordern schwedische Feministinnen die Abschaffung der Ehe, auch wenn das wohl kaum einer ernst nimmt. Jahrelang war Kinderkriegen das Letzte und Reaktionärste, was man sich vorstellen konnte.
Jetzt wird das Geld knapp, und plötzlich ist von alledem keine Rede mehr.
Noch vor zehn Jahren haben sich Kinderlose absolut zeitgeistkonform verhalten, jetzt werden sie plötzlich zu Paria.
Ich erinnere mich noch gut: Was wurde seit den 70er Jahren nicht Alles bekämpft?
Autorität, Leistung, Konsum, die Familie im allgemeinen, Väter im besonderen, Werte usw. Eigentlich sollten sich doch alle freuen. All das wurde erfolgreich bekämpft, es exisiert kaum noch. Für ein links-alternatives Weltbild ist das ein voller Erfolg. Leider bleibt die Freude aus. Wenns ums Geld geht ist der Spaß schnell vorbei.

Voellige Zustimmung zu Deinen Ausfuehrungen - v.a. auch zu den als reaktionaer empfundenen Familien im allgemeinen und den Vaetern im besonderen.

Eines der Hauptprobleme der westlichen Wohlfahrtsstaaten ist IMHO die zunehmende Entkoppelung der Leistung von einer gleichwertigen Gegenleistung, der Rechte von adaequaten Pflichten, der Handlungen von den daraus resultierenden Konsequenzen; in vielen sozialen Bereichen wurde dadurch die in Jahrhunderten historisch gewachsene Ausgewogenheit, die Symmetrie des gegenseitigen Geben und Nehmens empfindlich gestoert. Nicht mehr der durch direkte Verhandlungen der Beteiligten erzielte Kompromiss mit Rechten und Pflichten bei allen Direktbetroffenen wird als der Koenigsweg angesehen, sondern Interessengruppen fordern zunehmend von der Obrigkeit Regelungen ein, die 'soziale Gerechtigkeit' in ihrem Sinne erzwingen sollen.

Eine ganze Generation von (feministischen) Ideologen hat die vaeterlichen Leistungen (naemlich die Sicherstellung der wirtschaftlichen Grundlagen) in den Familien kleingeredet. Dies war notwendig, um die eigentlich symbiotischen, muetterlich-vaeterlich austarierten Familienverhaeltnisse als Machtgefaelle zwischen Maennern und Frauen darzustellen; als 'patriarchales' System, in dem Maenner in Gestalt von Vaetern die Frauen in Gestalt von Muettern (und indirekt natuerlich auch die Kinder) ausbeuten. Parallel dazu wurden Vaeter systematisch durch den Sozialstaat ersetzt. Geerntet hat die Gesellschaft damit alleinerziehende Muetter, zwangsverpflichtete vaeterliche Unterhaltszahler und zunehmend Sozialaemter, die Muetter alimentieren. Fuer jeden ist klar, dass das schwache Glied in dieser Kette die zwangsverpflichteten Vaeter sind. Zwangsverpflichtung war noch nie sonderlich motivationsfoerdernd: weder als Wehrpflichtsoldat, noch als Sklavenarbeiter, noch als lediglich auf seine wirtschaftliche Funktion reduzierter Unterhaltszahler. Wenn diese Vaeter nichts mehr von der Familie haben ausser pekuniaeren Verpflichtungen, dann machen sie sich logischerweise vom Acker: entweder nachdem sie als Vaeter abgesaegt wurden oder inzwischen immer oefter auch praeventiv schon vor der Familiengruendung. Schliesslich wuchs mit der Generation von vaeterfeindlichen Ideologen ja auch eine ganze Generation von Jungen nicht bloss vermehrt ohne ihre (meist von ihren Muettern verstossenen) Vaeter auf sondern obendrein noch unter dem Dauerfeuer feministischer Propaganda von der 'Schaedlichkeit und Nutzlosigkeit ihrer biologischen Erzeuger'. Ihnen wurde seit fruehester Jugend vorexerziert, was mit ihnen passieren kann, wenn sie sich als Vater auf das postmoderne Hasardspiel 'Familie' einlassen. Welcher Begriff koennte uebrigens deutlicher den Vater vor den Kindern entmenschlichen als ebendieser Terminus 'biologischer Erzeuger'; grad so, als sei er irgendein anonymer Produzent in einem x-beliebigen Wirtschaftskreislauf, der nicht als Person wahrgenommen wird sondern lediglich ueber seine Produkte - hier des von ihm gezeugten Kindes.

Trotzdem glaube ich, dass die Schuld an der grassierenden Kinderlosigkeit nur z.T. den linksalternativen Architekten der postmodernen Gesellschaft in die Schuhe geschoben werden kann. Es besteht in allen Gesellschaften, die sich einen gewissen Wohlstand erarbeiten, eine allgemeine Tendenz zu weniger Kinder; das laesst sich statistisch belegen. Habe kuerzlich nochmals die US-Statistiken zur dortigen Geburtenentwicklung angesehen. Seit den 20er Jahren des 19. Jhds (!) nimmt die Zahl der pro Frau geborenen Kinder kontinuierlich ab. Natuerlich immer wieder unterbrochen von kurzzeitigen Babybooms (z.B. die 'Kriegsheimkehrer- Syndrome' nach Ende der beiden Weltkriege oder der 'Mini-Babyboom' um 1979 herum) und Einbruechen der Geburtenraten (z.B. in der Weltwirtschaftskrise oder waehrend den beiden Weltkriegen), aber die Tendenz weist seit 180 Jahren abwaerts. Der Pillenknick ab Mitte der 60er Jahre ist zwar spuerbar, er passt sich aber relativ gut in die Tendenz der sinkenden Geburtenraten ein. Aus diesem Grund glaube ich auch nicht, dass eine bessere Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Beruf, staerkere Subventionierung von Familien, laengere Elternzeiten, moralingetraenkte Kindermach-Appelle an die Adresse der Buerger oder breitangelegte Propaganda ueber die Vorteile von Patchwork-Familien die Geburtenrate substantiell erhoehen wuerde, weil die Korrelation zwischen Kinderarmut und Wohlstand wesentlich enger ist als zu allen sonstigen Parametern. Selbst Schweden, wo bezogen auf Familien sehr grosszuegige Regelungen herrschen, rangiert punkto Geburtenrate lediglich im europaeischen Mittelfeld.

Gruss

Maesi


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