Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 1 - 20.06.2001 - 20.05.2006

67114 Postings in 8047 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Danke ! Endlich mal eine sinnvolle Frage statt Polemik

SiliKat, Monday, 07.11.2005, 11:58 (vor 6948 Tagen) @ Tomator

Als Antwort auf: Re: Ich... von Tomator am 07. November 2005 01:43:

"Menschen stehen darin in gewisser Weise höher als Tiere, und Männer höher als Frauen. Was dieses "höher" betrifft, so weiß jeder unverbildete Mensch weltweit, was damit gemeint ist."

... weiß das nicht. Würdest du mir das bitte mal näher erklären?

Danke ! Nun weiß ich nicht, wie ernsthaft die Frage wirklich gestellt ist. Ich weiß auch nicht, ob meine Antwort (wieder mal nicht) freigeschaltet wird. Daher will ich zunächst nur eine kurze Antwort geben, und etwas Prinzipielles vorweg sagen.

An der Uni wurde uns, mit Bezug auf eine Klausur gesagt: "Sie können den scheinbar absurdesten Standpunkt äußern, Sie müsse ihn nur begründen können, Belege anführen, überhaupt erkennen lassen, daß Sie ernsthaft nachgedacht haben. Wenn Sie etwas dagegen nur kommentieren wollen mit Worten wie "das find' ich gut, jenes find' ich scheiße", dann sollten sie sich überlegen, ob Sie nicht lieber woanders hingehn."

Weiter: Ich habe in meinem Regal das Buch "Geschlecht und Charakter" von Otto Weininger, Nachdruck 1980 der Erstauflage von 1903. Weininger vertritt einen wirklich extremen Standpunkt: der tiefststehende Mann stehe unendlich viel höher als das höchststehende Weib. Ähnliches sagt er darin übrigens, der selber Jude war, über das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden. Eines aber erlaubte er sich nicht: irgendwelche hämische, unüberlegt abschätzige Urteile über Frauen bzw. Juden. Ich gehe davon aus, daß er im persönlichen Umgang höflich und korrekt gewesen ist. Nach Einschätzung von Zeitgenossen, darunter Sigmund Freud, war er ein Genie. Auch Frauen haben mit Bewunderung über ihn gesprochen. Er hatte einen extremen Standpunkt, wie gesagt; aber er hat ihn ausgezeichnet begründet.

Und nun stelle ich mir vor, Weininger würde in diesem Forum beginnen zu schreiben. (Nicht daß ihn mit mir vergleichen wollte; ich bin gewiß kein Genie.) Seine Beiträge würden hier nicht freigeschaltet oder sie würden kommentiert mit Worten wie: "Schade, daß die Zeiten vorbei sind, als man noch einen Moment über sein Posting nachdachte, bevor man es der Welt anvertraute." Er wäre abgewürgt worden.

In der Tat: diesem Forum kann man problemlos Gehässigkeiten schreiben, wie sie auch in der "Emma" stehen; und absolute Belanglosigkeiten. Nicht geduldet werden hingegen ernsthafte theoretische Untermauerungen. Bezeichnenderweise können die manchmal dort erscheinen, wo man es nicht vermuten würde. Im Ergebnis sehe ich mich hier vertreten mit Beiträgen, die ich selbst für zweitrangig halte. Das ist oft enttäuschend.

Nun kurz zur Sache: Natürlich handelt es sich bei "höher" bzw. "tiefer" um bildhafte Ausdrücke. Sie stehen für das Verhältnis von Freiheit und Fundierung zweier Seinsschichten. Damit befaßt sich die Ontologie. Eingeführt und seitdem ständig weiterentwickelt wurde das Schichtenmodell

- geistiges Seiendes
- seelisches Seiendes
- organisches Seiendes
- anorganisches Seiendes

(in meinen Worten) durch Aristoteles. Wer Philosophie studiert, lernt das gleich im ersten Semester. Eine gründliche Darstellung und Weiterentwicklung findet sich bei Nicolai Hartmann: "Der Aufbau der realen Welt" (Erstauflage 1940). Ich zitiere der Einfachheit halber aus einer Philosophiegeschichte: Jede Schicht hat ihre eigenen Kategorien. Ihnen vorgelagert sind gewisse Fundamentalkategorien, die durch alle Schichten hindurchgehen, wenn sie auch dabei abgewandelt werden. So nimmt der Formtypus nach oben zu, während das Materiemoment nach oben mehr verschwindet. Die Einheits- und Gefügetypen steigern sich mit der Seinshöhe, aber ihre stärksten Formen sind die niederen. Die Kategorien der höheren Schicht können viele der niederen Schichten in einer "Überformung" enthalten, aber nicht umgekehrt...Die niederen Kategorien sind die stärkeren, jedoch sind die höheren Kategorien ihnen gegenüber in ihrem inhaltlichen Novum dennoch frei. So wird der Geist vom seelischen Leben getragen und steht und fällt mit diesem; dennoch hat er ein Mehr an Freiheitsspielraum und kann dadurch rückwirkend formen usw.

Du wolltest wahrscheinlich auf etwas Spezielles hinaus: Inwiefern sollen Männer höher stehen als Frauen ? Das ist in der Tat die entscheidende Frage. Bevor ich mir die Mühe einer Beantwortung mache, will ich jedoch erstmal warten, ob dieser Beitrag überhaupt freigeschaltet wird. Eines jedoch vorweg: viele Frauen, die politisch maßgebenden zumal, haben in diese Frage für sich bereits entschieden, ganz ohne Ontologie und Kategorialanalyse, und sie handeln auch danach. Und darin, besser gesagt: darin, daß wir darauf nicht antworten, liegt unser Problem.

Abwartende Grüße

SiliKat


gesamter Thread:

 

powered by my little forum