Gender-Mainstreaming - Segen oder Fluch fuer die Gleichberechtigung
Hallo zusammen
Ich moechte an dieser Stelle die Diskussion ueber ein Konstrukt eroeffnen, das in Zukunft erhebliche Bedeutung fuer Europa haben wird: naemlich Gender Mainstreaming (GM).
Was haltet ihr von GM? Wo liegen die Staerken? Wo die Schwaechen? Ist es moeglich, mittels Gesetz und Buerokratie eine Gleichberechtigung zu erzwingen? Erzwingt GM ueberhaupt die Gleichberechtigung der Geschlechter? Wie steht's mit allfaelligen unerwuenschten Nebenwirkungen?
Es geht mir darum, Argumente fuer und gegen GM zu sammeln. Aber auch auf welchem weltanschaulichen Naehrboden eine solche buerokratische 'Loesung' der Geschlechterproblematik gedeihen kann, interessiert mich brennend.
Meine Position:
Als eher liberal denkender Mensch stehe ich buerokratischen Massnahmen, die eine bestimmte Verhaltensaenderung in der Gesellschaft erzwingen sollen, aeusserst skeptisch gegenueber; dazu kommt, dass solche 'staatlich verordneten' Verhaltensaenderungen IMHO noch nie von Erfolg gekroent waren, oder aber deren Nebenwirkungen schlimmer waren, als die 'gesellschaftliche Verhaltensstoerung' selber.
Nehmen wir den GM-Text (siehe Link) mal etwas auseinander:
'Hierbei geht es darum, die Bemuehungen um das Vorantreiben der Chancengleichheit nicht auf die Durchfuehrung von Sondermassnahmen fuer Frauen zu beschraenken, sondern zur Verwirklichung der Gleichberechtigung ausdruecklich saemtliche allgemeinen politischen Konzepte und Maßnahmen einzuspannen, indem naemlich die etwaigen Auswirkungen auf die Situation der Frauen bzw. Der Maenner bereits in der Konzeptionsphase aktiv und erkennbar integriert werden ('gender perspective'). Dies setzt voraus, dass diese politischen Konzepte und Massnahmen systematisch hinterfragt und die etwaigen Auswirkungen bei der Festlegung und Umsetzung beruecksichtigt werden.'
Offenbar beschraenkte sich das Vorantreiben der Chancengleichheit bislang darauf, Sondermassnahmen fuer Frauen durchzufuehren. IMHO das einzig Positive in diesem Text: die Praxis der Gleichstellungsaemter und -beauftragten wird recht ehrlich beschrieben; implizit ein Eingestaendnis dafuer, dass diese ihre eigentliches Ziel (Gleichberechtigung) verfehlt haben und es auch gar nie haetten erreichen koennen - ansonsten waere ja gar kein neuer Ansatz notwendig.
Dann kommt es aber knueppeldick: 'zur Verwirklichung von (Geschlechter-)Gleichberechtigung' seien 'saemtliche allgemeinen politischen Konzepte und Massnahmen einzuspannen', indem 'etwaige Auswirkungen auf die Situation der Frauen bzw. der Maenner bereits in der Konzeptionsphase aktiv und erkennbar integriert werden'. Dem Primat der Geschlechtergleichberechtigung soll also alles andere untergeordnet werden. Es mag zwar sein, dass Maenner und Frauen (statistisch gesehen) 'Unterschiede zwischen den Lebensverhaeltnissen, den Situationen und Beduerfnissen' aufweisen, dass es also keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt. Aber es gibt auch Unterschiede zwischen den Lebensverhaeltnissen von Armen und Reichen, zwischen Erwerbstaetigen, Selbstaendigerwerbenden und Arbeitslosen, zwischen Behinderten und Nichtbehinderten - sogar zwischen Sehbehinderten, Gehbehinderten, Hoerbehinderten etc. gibt es erhebliche Unterschiede in ihren spezifischen Lebensverhaeltnissen; weshalb sollen all diese Unterschiede offenbar weniger wert sein als Geschlechterunterschiede? Und weshalb sollen alle Anstrengungen der EU lediglich auf die Geschlechtergleichberechtigung fokussiert werden? Es existieren prinzipiell soviele unterschiedliche Lebensverhaeltnisse, wie es lebende Menschen gibt. Muesste dann konsequenterweise nicht jeder Mensch auch individuell bewertet und behandelt werden? Letzteres ist natuerlich in der Praxis absolut unmoeglich.
Desweiteren sollen die 'politischen Konzepte und Massnahmen systematisch hinterfragt und die etwaigen Auswirkungen bei der Festlegung und Umsetzung beruecksichtigt werden'. Hier begegnen wir Technokratendenken in Reinkultur: bereits die direkten Auswirkungen sind allein schon aufgrund der grossen Zahl von politischen Konzepten und Massnahmen innerhalb der EU nicht mit vernuenftigem Aufwand abschaetzbar - von den mittelbaren Auswirkungen ganz zu schweigen. Dazu kommt, dass viele Faktoren gar nicht quantifizierbar sind; d.h. es ist prinzipiell (und in der Praxis sowieso) unmoeglich alle relevanten Auswirkungen und Folgen von Massnahmen abzuschaetzen. Der GM-Text gaukelt schlichtweg das Unmoegliche als machbar vor; ebensogut koennte man das Wetter in Europa fuer die naechsten 90 Tage versuchen vorherzusagen. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass hier eine nach ideologischen (und damit willkuerlichen) Gesichtspunkten agierende gigantische Buerokratie aufgebaut wird.
Ausserdem wuerde es ja nicht ausreichen, bloss die Auswirkungen abzuschaetzen, man muesste ja auch Massnahmen ergreifen, um Gleichberechtigung zu erzielen. Welche Stellen zu diesen Massnahmen berechtigt waeren und mit welchen Machtmitteln sie ausgestattet wuerden steht nirgends; man muss sich sogar fragen, ob die in Demokratien ueblichen Machtmittel ueberhaupt ausreichten um diesem Ideal in vernuenftigem Masse nahezukommen. Wie geht man mit Menschen um, die sich solchen Massnahmen widersetzen? Wie geht man mit Menschen um, die getroffene Massnahmen unterlaufen?
Ausserdem ist der GM-Text der EU derart schwammig formuliert, dass man kaum etwas konkretes herauslesen bzw. nahezu alles hineininterpretieren kann. Es gehe darum, 'das rechtliche Instrumentarium, die Finanzmittel und die Analyse- und Moderationskapazitaeten der Gemeinschaft zu mobilisieren, um auf allen Gebieten dem Beduerfnis nach Entwicklung ausgewogener Beziehungen zwischen Frauen und Maennern Eingang zu verschaffen'. Weder wird definiert, was 'ausgewogene Beziehungen zwischen Frauen und Maennern' sind, noch wer sie definieren kann. Trotzdem sollen Gesetze geschaffen und Kohle zur Verfuegung gestellt, um das bislang nicht Definierte (und das IMHO gar nicht befriedigend Definierbare) zu erreichen. Je nachdem, wie konsequent GM in der Praxis durchgezogen wird ist alles moeglich: vom nutzlosen Papiertiger bis zur buerokratisch-totalitaeren Geschlechterdiktatur, dem sich alles andere absolut unterzuordnen hat.
Fazit: Die Geschlechtergleichberechtigung gemaess GM-Text ist schon aufgrund der gigantischen Zahl von Variablen und Unwaegbarkeiten nicht zu verwirklichen, beinhaltet aber bei konsequenter Durchfuehrung hohe Risiken hin zu (geschlechterbezogenem) Totalitarismus und Installation von unnoetiger Buerokratie. Wer besitzt die Definitionshoheit darueber, was Gleichberechtigung ist? Gemaess dem Text ist ja Geschlechterparitaet in einer bestimmten Gruppe (z.B. in Parlamenten) kein ausreichendes Merkmal von Gleichberechtigung. Wie kann man beispielsweise die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten eines alleinerziehenden Teilzeiterwerbstaetigen, eines erfolgreichen Karrieristen, eines Langzeitarbeitslosen, eines begabten, erfolgreichen Kuenstlers, eines voellig auf fremde Hilfe angewiesenen Tetraplegikers miteinander vergleichen? Wie kann man in einer derart pluralistischen Gesellschaft einen auch nur einigermassen gesellschaftlich tragfaehigen Konsens darueber finden? Mit welchen Machtmitteln soll die Gleichberechtigung durchgesetzt werden und wie verhaelt man sich gegenueber Widerborstigen?
Hinweis: einen sehr interessanten Text findet man uebrigens auch auf Michails Website 'Der Maskulist' (www.maskulist.de) unter Kapitel 3 (Die Brunnenvergiftung), Unterkapitel B (Herkunft und Ziele) und D (Gender-Mainstreaming - kurze Einfuehrung).
Gruss
Maesi
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Maesi,
24.08.2004, 23:34
- Re: Gender-Mainstreaming - Segen oder Fluch fuer die Gleichberechtigung - Welfe, 25.08.2004, 02:29
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Max,
25.08.2004, 14:30
- Re: Gender-Mainstreaming - Segen oder Fluch fuer die Gleichberechtigung - Maesi, 30.08.2004, 21:09
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Hetzi,
25.08.2004, 16:10
- Re: Gender-Mainstreaming - Segen oder Fluch fuer die Gleichberechtigung - Maesi, 30.08.2004, 21:01
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Altschneider,
25.08.2004, 17:30
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Ekki,
25.08.2004, 19:57
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30.08.2004, 21:04
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31.08.2004, 11:37
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Maesi,
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Nick,
03.09.2004, 01:57
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03.09.2004, 11:42
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