Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Gender-Mainstreaming - Segen oder Fluch fuer die Gleichberechtigung

Maesi, Monday, 30.08.2004, 21:01 (vor 7382 Tagen) @ Hetzi

Als Antwort auf: Re: Gender-Mainstreaming - Segen oder Fluch fuer die Gleichberechtigung von Hetzi am 25. August 2004 13:10:58:

Was haltet ihr von GM? Wo liegen die Staerken? Wo die Schwaechen? Ist es moeglich, mittels Gesetz und Buerokratie eine Gleichberechtigung zu erzwingen? Erzwingt GM ueberhaupt die Gleichberechtigung der Geschlechter? Wie steht's mit allfaelligen unerwuenschten Nebenwirkungen?

Ich finde GM ist eigentlich ein recht interessanter theoretischer Ansatz in der Geschlechterdebatte.
Ich halte allerdings GM für ungeeignet um damit irgend eine konkrete politische Maßnahme zu setzen, denn jede konkrete Umsetzung widerspricht eigentlich dem Ansatz von GM, wonach das soziale Geschelcht (gender) wichtig sei. In der Umsetzung wird (mangels Alternativen) immer nach dem biologischen Geschlecht zwischen Männern unf Frauen unterschieden und nicht nach dem sozialen. Damit ist imho der Name Gender in praktisch allen GM-Umstzungen falsch verwendet.

Gutes Argument. Das bedeutet, dass der theoretische Ansatz GM erst dann in die Praxis umgesetzt werden kann, wenn gender praxisnah definiert werden kann. Wo aber kann man die verschiedenen gender in der Praxis am schaerfsten voneinander abgrenzen? Ausgerechnet in den sogenannt 'patriarchalischen' Gesellschaften! In unserer heterogenen Gesellschaft kann die Definition nicht einmal mehr annaehernd exakt sein, sie muesste vielmehr immer wieder situativ neu getroffen werden. Das aber oeffnet wiederum der Willkuer Tuer und Tor. Wie Du ganz richtig erkennst, wird man sich dann wohl wieder auf das biologische Geschlecht abstuetzen.

Ausserdem gibt es selbst in der Theorie von GM gewichtige Gegenargumente:

GM fordert die 'Anerkennung maennlicher und weiblicher Identitaeten'. Die derzeitige Version von GM geht von einem gender-zentrierten Weltbild aus. Dies macht es erforderlich, alles auf gender zu reduzieren, damit es fuer GM ueberhaupt fassbar wird; ansonsten muesste man auch den Kontext zwischen gender und Nicht-gender ziehen - dies wurde aber im Rahmen von GM bisher noch nicht einmal in der Theorie getan. Konsequenterweise muessten also auch nicht-gender-basierende Lebenswirklichkeiten miteinbezogen und in separate Mainstreaming-Konzepte gegossen werden.

Selbst wenn gender einigermassen exakt definierbar waere und die nicht auf gender fussenden Lebenswirklichkeiten ebenfalls mittels den entsprechenden Mainstreaming-Ansaetzen beruecksichtigt wuerden, waeren die erfolgversprechenden Massnahmen IMHO schlichtweg nicht spezifizierbar, weil man nicht weiss, wie die real existierenden Gesellschaftsgruppen funktionieren und interagieren; und selbst wenn erfolgversprechende Massnahmen spezifizierbar waeren (was ich schon mal bestreite), muesste man unter Beruecksichtigung saemtlicher Mainstreaming-Ansaetze sowie von real vorhandenen Sachzwaengen immer wieder Kompromisse schliessen - d.h. die Massnahmen koennten selten (wahrscheinlich nie) in der vorgesehenen Form realisiert werden, was wiederum zu voellig unvorhersehbaren Ergebnissen in der Praxis fuehrte. Das ganze erinnert mich irgendwie an die von Isaac Asimov in seiner Foundation-Trilogie erfundenen Wissenschaft der Psychohistorie...

Von der grundsätzlichen Ausrichtung her, sehe ich auch Probleme mit dem Mainstreaming Teil. Es beinhaltet damit eine Fokusierung auf den Mainstream einer Gruppe, also die Mehrzahl der Fälle (oder oft eigentlich eher das statistische Mittel einer Gruppe). Das beinhaltet automatisch, dass Minderheiten innerhalb einer Gruppe in der Betrachtung noch weiter marginalisiert werden. Die betrachtete Gruppe erscheint mit einen Mainstreaming-Blick oft auch viel homogener, als sie in der Wirklichkeit ist.

Dieses Problem besteht grundsaetzlich in allen demokratischen (also nach dem Mehrheitsprinzip) aufgebauten Gesellschaftsstrukturen: eine Minderheit kann durch die Mehrheit voellig demokratisch 'unterdrueckt' werden. Wirksamster Schutz dagegen sind IMHO die Menschenrechte sowie die buergerlichen Freiheitsrechte.

Gruss

Maesi


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