Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Deutsch

Nihilator ⌂, Bayern, Sunday, 04.06.2006, 01:46 (vor 6588 Tagen) @ Ralf

Hallo Ralf!

Wirken unkomplizierte Kunstwerke schöner auf Dich als ungeheuer
detailreiche und auf den ersten Blick undurchschaubare?


Es geht hier genau nicht um "detailreich und auf den ersten Blick
undurchschaubar", sondern um "sinnlos kompliziert".

Wie kannst Du diese Feststellung treffen? Vermeintlich sinnlos, allenfalls.
Sprache unterliegt einem evolutionären Prozeß, sie wird von den Sprechern entwickelt. Sinnloses würde sich da niemals erhalten, allenfalls etwas, dessen Sinn Dir sich nicht gleich erschließen mag.
Wie katastrophal die Ignoranz gegenüber gewachsenen Sprachstrukturen ist, hat die letzte Rechtschreibreform gezeigt. Bei der von vor etwa einem Jahrhundert war noch spürbar, daß die Verantwortlichen mit Feingefühl und Verständnis an die Sprache herangingen, bei der letzten nicht mehr.
Und so kommt es, daß wir so schöne Neuschreibungen wie "Frau Merkel und Herr Stoiber sind zusammen gekommen", "der Arbeiter ging in seinen wohl verdienten Ruhestand", "wir haben zurzeit keine Probleme" bewundern dürfen - Getrennt- oder Zusammenschreibung ist ja für den Sinngehalt nicht wichtig, oder?

Deutsch ist eine komplizierte, stellenweise unlogische (aber z.B. nicht

so

schlimm wie englisch), dabei aber wunderschöne Sprache von ungeheurem
Ausdrucksreichtum. Dies durch verschiedene Eigenheiten, beispielsweise

die

Neubildungsfreudigkeit durch Zusammensetzungen.


Deutsch ist eine ungenießbare Mischpoke aus germanischen und romanischen
Sprachkonzepten, die sich aber nicht etwa ergänzen, sondern einfach
nebeneinander stehen (vielleicht am leichtesten sichtbar an dem Wirrwarr
aus Stamm- und Endbeugung).

All das trifft viel mehr für die englische Sprache zu. Kennzeichnend für das Englische sind für sehr viele Begriffe alternative Worte germanischen bzw. romanischen Ursprungs. Ein Grund, warum ein halbwegs vollständiges englisches Wörterbuch etwa dreißig Prozent mehr Wörter beinhaltet als ein deutsches.
Übrigens sind deutsche Texte -entgegen landläufiger Meinung- auch kaum länger als englische. Die Redundanz (also "überflüssiger Ballast" ohne Informationsgehalt) der deutschen Sprache beträgt etwa 70%, die der englischen 68%.
Ja, und dann die germanische und romanische Steigerung - das ist im Deutschen doch einheitlicher gelöst, oder?
Geht Dir die Logik ein, warum "thread" anders gesprochen wird als "read"?
Ein englischsprachiger Literat (glaube, Shaw war das), ein Verfechter einer Sprachreform, hat sich einmal mit der "Logik" der englischen Sprache befaßt. Er meinte, das Wort "fish" könne man genausogut "ghoti" schreiben, denn
- gh von laughter = f
- o wie in women = i
- ti wie in nation = sh
Im Deutschen kannst Du jedes geschriebene Wort, auch ein unbekanntes, sofort richtig aussprechen, wenn Dir ein paar (durchgängige) Regeln bekannt sind.

von ungeheurem Ausdrucksreichtum.


Das wird von vielen Sprachen behauptet, und dürfte objektiv schwer messbar
sein.

Klar. Am Verläßlichsten sind da Aussagen von Nicht-Muttersprachlern, und die lauten oft so.

Das ist so'n Punkt, den ich oft gehört, aber nie wirklich eingesehen habe.
Um nur einfach Englisch zu nehmen: Da kann man Wörter eigentlich genauso
zusammensetzen, nur dass man in den meisten Fällen das Leerzeichen
dazwischen stehen lässt - eher eine Frage der Rechtschreibung denn der
Sprache an sich. Die ganzen englischen Wort-Neuschöpfungen, die als
Anglizismen in die Deutsche Sprache einfließen und von Deutsch-Puristen
heftigst beklagt werden, sind im Grunde der beste Gegenbeweis.

Quatsch. Daß bei uns Wörter aus anderen Sprachen übernommen werden, ist keine Aussage über die Qualität unserer / der anderen Sprache. Es sagt etwas über kulturelle Hegemonie und über unser eigenes Verhältnis zu unserer Sprache, also letztlich über unser Selbstwertgefühl, aus.

Dagegen bestehen die "verschiedenen Eigenheiten" der Deutschen Sprache vor
allem aus einem gigantischen Ballast, den Deutsch mit sich rumschleppt. Am
bekanntesten sicher die pseudo-willkürlichen Artikel für Sachen (tragen
die in irgendeiner Form zum "Ausdrucksreichtum" bei?),

Ich würde sagen, ja.

z.B. eine krude Satzstellung (statt einer klaren
Subjekt-Prädikat-Objekt-Reihenfolge wird in Deutsch krampfhaft versucht,
das Prädikat an die 2. Stelle eines Satzes zu ziehen, außer natürlich in
den Fällen, wo das nicht gilt (sonst wär's ja kein Deutsch), also etwa
Nebensätze (Prädikat am Ende) oder fragen (Prädikat vorne)), unklare
Regeln für das Auseinanderbrechen zusammengesetzer Verben (vorgeben -->
ich gebe vor, übergeben --> ich übergebe), von Rechtschreibregeln mal ganz
zu schweigen.

Na, ist doch toll! Allein an der Stellung der Satzbausteine läßt sich also erkennen, ob ein Satz eine Frage darstellt, auch ohne Fragezeichen. Das können andere Sprachen z.T. nicht vorweisen.

Das mit den "Dichtern und Denkern" war auch nur eine kurze Zeitspanne in
der Deutschen Geschichte.

Falsch! Die deutsche Kultur existiert so, na sagen wir knapp 1.500 Jahre? Den größten Teil dieser Zeit hat sie Europa massiv beeinflußt und hatte eine führende innovative Rolle.

Ohne da jetzt größeres Fachwissen vorgaukeln zu wollen, behaupte ich mal,
dass die Chinesen und Japaner mit ihren Schriften einen Griff ins Klo
getan haben. Da kann man sofort einwenden, dass diese Schriften sehr
kunstvoll sind, Kalligraphie förden, auch die Aussage, dass die japanische
Schrift z.B. die Fähigkeit zum blitzschnelle Auseinandernehmen und
Neuzusammensetzen komplizierter Strukturen fördert (eine Fähigkeit, die in
den 60ern und 70ern bei der Kopie und Neukonzeption westlicher Technologien
sicher sehr hilfreich war), habe ich schon gehört, und die Begründung klang
recht überzeugend.

Trotzdem ist das alles nicht die Aufgabe einer Schrift. Die eigentliche
Funktion - Sprache auf einem Blatt Papier aufzuzeichnen - ist
offensichtlich wesentlich einfacher zu haben, und mir ist zumindest nicht
bekannt, dass die chniesische oder japanische Schrift diese Aufgabe
generell besser erfüllen würden als Buchstabenschriften, sie sind einfach
nur um Größenordnungen komplizierter; und damit halte ich sie letzlich für
eine Fehlentwicklung.

Ich kenne mich wirklich nicht gut mit Silbenschriften aus, aber eines ist mir klar: die Bildhaftigkeit dieser Schriften beeinflußt Denkweisen. Und solche Texte sind dadurch eindeutig schneller erfaßbar. Da gibt es doch immer wieder Asiaten, die eine Buchseite ca. 2s anschauen und dann aus dem Gedächtnis zitieren können... in lateinischer Schrift ein ziemliches Unding.
Jedenfalls kommen die Symbolschriften dem menschlichen Denken besser entgegen. Auch wir lesen ja Wörter normalerweise als Gesamtbild und nicht Buchstabe für Buchstabe, wie folgender schöner Satz beweist:
Nach eienr Stidue der Cmabridge Uinverstiat, ist es eagl in wlehcer Reiehnfogle die Bchustebaen in Woeretrn vokrmomen. Es idt nur withcig, dsas der ertse und lettze Bchusatbe an der ricthgien Stlele sthet. Der Rset knan total falcsh sein und man knan es onhe Porbelme leesn. Das ist, wiel das mneschilche Geihrn nciht jeden Bchustbaen liset sodnern das Wrot als gaznes.
Nachteilig für die Asiaten sind natürlich die lange Lernphase und die Nachteile in der elektronischen Datenverarbeitung. Letzteres aber auch nur, weil diese Techniken von Westlern für Westler (in gewohnter Ignoranz) entwickelt wurden.

Um Dich zu beruhigen: Genau so wenig, wie ich davon überzeugt bin, dass es
eine gute Idee wäre, die chinesische oder japanische Schrift abzuschaffen,
bin ich der Meinung, dass Deutsch aussterben sollte - das macht alles
Dreies nicht unbedingt Sinn. Das ändert aber nichts daran, dass ich alle 3
Sachen für nicht besonders gelungen halte.

Na Gott sei Dank! ;-)
Ist halt Deine Meinung dazu, meine ist anders.


Freundlicher Gruß,
nihi

--
CETERUM CENSEO FEMINISMUM ESSE DELENDUM.

MÖSE=BÖSE

Fast ein Jahr lang suchte sie Hilfe bei Psychiatern, dann wandte sie sich Allah zu.


[image]


gesamter Thread:

 

powered by my little forum