*dazzled*
Als Antwort auf: Halbwahrheiten von Jonathan am 20. Januar 2004 20:44:23:
Hallo Jonathan.
Ich habe zwar im Moment leider wirklich keine Zeit für eine längere Diskussionen, aber eine Frage stellt sich mir jetzt doch:
"Es geht hier nämlich gar nicht in erster Linie um die materielle Wirklichkeit, sondern darum, wie man uns die Wirklichkeit präsentiert."
Es gibt sie aber schon, diese Wirklichkeit, ja? Denn die oben zitierte Äußerung behauptet ja eine mögliche Unterscheidung - Wirklichkeit im "materiellen" und im "performativen" Sinne. Diese Differenzierung scheint unmittelbar eingeleuchtet zu haben oder einfach überlesen worden zu sein - zumindest gab es keine Fragen, was mich angesichts der Tatsache, daß es sich hierbei vielleicht um das zentrale Problem handelt, doch ein wenig überrascht. Gibt es denn unter jenen, unter den Begriffen Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus subsumierten Philosophen einen, der die Bestimmung dieser Grenze gewagt, der den Versuch, die Beschränkungen des Diskurses aufzuzeigen, unternommen hätte? Judith Butler kam, wenn ich mich richtig erinnere, bei diesem Versuch zu dem Ergebnis, daß, um zwischen "Natur" und "Kultur" unterscheiden zu können, bereits eine Differenzierung stattgefunden haben müsse, die wiederum nur eine künstliche sein könne; ihre Schlußfolgerung, "nicht nur das soziale ('gender'), sondern auch das biologische Geschlecht ('sex') sei das Ergebnis willkürlicher Prozesse", führte zum Vorwurf des Leugnens jeglicher Differenz wie zum Verdacht, nicht zwischen sprachphilosophischer und materieller Ebene unterscheiden zu können. (Deswegen die Frage Katharina Rutschkys: "Glauben Frauen, daß es Frauen gibt?") Mit dieser Kritik wird aber das eigentliche Problem nicht berücksichtigt, das sich genau auf die Frage dieser Grenze bezieht: Von welchem Aspekt kann man eigentlich behaupten, er sei nicht "konstruiert"? Wenn innerhalb der dekonstruktivistischen Debatte keine definierte Grenze existiert, kann man notwendigerweise alles als "nur" produziert "entlarven"; der Diskurs dehnt sich ins Unendliche, und wenn wir Foucault in seinem Kulturpessimismus richtig verstehen, wirken Diskurse nicht nur konstituierend für Machtverhältnisse, sondern auch für Ordnungssysteme, aufgrund derer eine menschliche Gesellschaft überhaupt erst existieren kann - und sind daher unvermeidlich. Die Vorstellung, durch Dekonstruktion von Diskursen den Diskursen an sich (und den sich durch diese zwangsläufig konstituierenden Machtverhältnissen) entkommen zu können, muß daher fragwürdig erscheinen.
Da die Methode offenbar keine definierte Grenzen kennt, stellt sich die Frage, ob poststrukturalistisches Arbeiten nur funktioniert, solange man sich selbst beschränkt? Denn andernfalls müßten wir letzten Endes doch zweifelsohne zu dem Schluß kommen, daß alles "Mensch-Sein" ein produziertes ist. Die materielle Wirklichkeit könnte wir demzufolge nur jenseits des Menschlichen finden - was bedeutet, daß wir sie nicht finden können, weil "wir" dann nicht "wären". Wie sollte es also möglich sein, "'den Diskurs' oder 'die Macht' abzuschütteln"? Welche definitorische Grenze scheidet also die "Klarheit aus der Verblendung" von der blinden Zerstörungswut?
"Vieles davon erscheint natürlich gerade uns hier als ein gemeinplatz. Man muss den Poststrukturalisten allerdings anrechnen, dass sie diese ganzen Mechanismen erst aufgezeigt und entlarvt haben (und das übrigens sehr detailliert und genau). Sie schrieben ihre Texte zu Zeiten, als die Medien- und Machtgläubigkeit des Großteils der Menschen (und auch der Intellektuellen) kaum gebrochen war. Das ist, denke ich, durchaus ein großer Verdienst."
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das verstehe: Ideologiekritik durch eine relativierende Sicht, z.B. das Beibringen bisher unterschlagener Argumente, gab es doch schon länger (z.B. ein ausgezeichnetes Buch "Verkappte Religionen" [1924] von C. Ch. Bry , aber auch vorher). Sind solche Kritiker automatisch Poststrukturalisten? Gibt es "richtige" und "falsche" Dekonstruktivisten, und wie unterscheidet man sie? Ist Judith Butler Poststrukturalistin?
"Hier wird es dann auch gefährlich. Denn an diesem Punkt bietet sich eine poststrukturalistische Philosophie ja förmlich an, missverstanden und missbraucht zu werden."
Vor einem Mißbrauch schützten z.B. klar definierte Grenzen (der Methode). Gibt es solche denn und wo liegen sie?
Freundliche Grüße, Andreas
gesamter Thread:
- Zwei neue Bücher -
susu,
19.01.2004, 20:40
- Fiese Sprache -
Daddeldu,
19.01.2004, 21:45
- ich wäre auch sehr dankbar, wenn Du uns noch mal - ideeAlist, 19.01.2004, 22:45
- Re: Fiese Sprache -
Sam,
19.01.2004, 22:51
- Re: Poststrukturalistisches ;-) - Andreas (der andere), 20.01.2004, 01:02
- Fiese Denkschule - Daddeldu, 20.01.2004, 03:09
- Re: Fiese Sprache -
Sam,
01.02.2004, 17:16
- Re: Danke. -
Andreas (der andere),
01.02.2004, 19:48
- Re: Danke. -
Sam,
02.02.2004, 16:59
- Re: Danke. -
susu,
02.02.2004, 17:26
- Re: Danke. -
Sam,
02.02.2004, 19:06
- Re: Danke. -
susu,
06.02.2004, 20:47
- Re: Danke. - Sam, 06.02.2004, 22:14
- Re: Danke. -
susu,
06.02.2004, 20:47
- Re: Danke. -
Sam,
02.02.2004, 19:06
- Re: Danke. -
susu,
02.02.2004, 17:26
- Re: Danke. -
Sam,
02.02.2004, 16:59
- Re: Danke. -
Andreas (der andere),
01.02.2004, 19:48
- Poststrukturalismus - abgedrehter Unfug -
Daddeldu,
20.01.2004, 04:43
- Poststrukturalismus - ist das nicht eher was fuer Herrn Zumwinkel? (n/t) - reinecke54, 20.01.2004, 12:09
- Halbwahrheiten -
Jonathan,
20.01.2004, 22:44
- Re: Halbwahrheiten - ideeAlist, 20.01.2004, 23:01
- Re: Halbwahrheiten - susu, 23.01.2004, 22:29
- *dazzled* -
Andreas (der andere),
24.01.2004, 22:51
- Re: *dazzled* -
susu,
25.01.2004, 04:41
- Re: *dazzled* -
Andreas (der andere),
25.01.2004, 10:32
- Re: *dazzled* -
susu,
25.01.2004, 17:31
- Re: =) - Andreas (der andere), 26.01.2004, 01:23
- Re: *dazzled* -
susu,
25.01.2004, 17:31
- Re: *dazzled* -
Andreas (der andere),
25.01.2004, 10:32
- Re: *dazzled* -
susu,
25.01.2004, 04:41
- Re: Zwei neue Bücher - Odin, 21.01.2004, 19:56
- Fiese Sprache -
Daddeldu,
19.01.2004, 21:45