Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

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"Radikal" heißt "an die Wurzel gehend"

Ekki, Thursday, 25.05.2006, 21:26 (vor 6555 Tagen)

Hallo allerseits!

Ich möchte die Demographie-Diskussion einmal vom Kopf auf die Füße stellen.

Die ganze Diskussion ist m.E. schon deshalb verfehlt, weil sie entweder den zweiten Schritt vor dem ersten tut, indem sie bei bereits existierenden Familien ansetzt, oder aber die Bereitschaft zur Familiengründung durch rein finanzielle Anreize fördern will.

Vor allem Letzteres wurde im öffentlichen Diskurs schon mit dem ebenso bissigen wie zutreffenden Wort "Sprunggeld" bedacht und ist in meinen Augen - wenn man's recht bedenkt - vom Menschenhandel nicht allzuweit entfernt. Zumindest aber zeugt es von einer zutiefst erschreckenden, rein ökonomistischen Denkweise: Einen anderen Grund für die Nicht-Zeugung von Kindern als Geldmangel kann es ja wohl nicht geben - oder?

Wie, bitte schön, läuft denn wohl die Partnersuche ab? Etwa so:

Menschen-Männchen winkt Menschen-Weibchen heran (oder umgekehrt): "Ey, Kinder machen!"

So läuft's doch wohl eher nicht!

Um es auf den Punkt zu bringen:

Wir werden förmlich überschwemmt mit Beziehungspsycho(-pathen)-ratgebern, können alles Mögliche und Unmögliche über Kopulationstechniken lesen ... und

SCHEINEN WENIGER ALS IRGENDEINE GENERATION VOR UNS DARÜBER ZU WISSEN, WIE SICH ÜBERHAUPT "EINS ZUM ANDERN FINDET".

Dies aber ist die Wurzel des ganzen Problems, und deshalb tut in meinen Augen eine Diskussion not, die im Wortsinne "radikal" [= "an die Wurzel gehend"] ist, die zu dieser Wurzel vorstößt.

Denn weder ist der Mensch eine Pflanze, die vom Winde bestäubt würde, noch läuft die Fortpflanzung nach dem Motto: "Gibste den Leuten Geld, machen die Kinder."

Oder trifft vielleicht das genaue Gegenteil der oben aufgestellten These von unserer Ahnungslosigkeit in Fragen der Beziehungsanbahnung zu:

Wir sind uns - nicht zuletzt nach Freud, Reich u.a. - nur allzu gut über die Mechanismen der Partnersuche im Klaren - und "trauen uns" deshalb (in des Wortes doppelter Bedeutung!) immer weniger?

Gut möglich, daß beide Thesen auf jeweils verschiedene Menschen zutreffen.

Nicht ausgeschlossen auch Folgendes:

Wir wissen viel über die Mechanismen der Partnersuche, verlieren aber das Wesentliche aus dem Auge - nämlich die Fähigkeit, mit oder ohne viel Wissen einfach Hingabe an einen anderen Menschen zu wagen - auch mit dem nie auszuschließenden Risiko des Scheiterns?

VERHEEREND auch, daß im öffentlichen Diskurs - und die Gender-Foren sind hier in keinster Weise eine Ausnahme!!! - zwei Dinge in einen Topf geworfen werden, die schärfstens getrennt werden müßten:

Einerseits die Tragödien von - auf die ein oder andere Weise - zerbrochenen Familien (womit ich hier Partnerschaften meine, aus denen Kinder hervorgegangen sind, egal, ob mit oder ohne Trauschein).

Andererseits die Tragödien derjenigen, die ihr Leben lang nicht mal in die Nähe von Familiengründung gekommen sind, die auf dem von Ester Vilar und Michel Houellebecque so treffend beschriebenen erbarmungslosen Heiratsmarkt von vornherein aussortiert wurden.

Beide Schicksale sind gleichermaßen tragisch.

Wer aber die demographische Situation beklagt und ändern will, kann NICHT diejenigen in den Blick nehmen, die sehr wohl Nachwuchs gezeugt haben - das Auseinanderbrechen der Partnerschaften dieser Menschen macht ja die Zeugung des Nachwuchses nicht rückgängig.

Aber wie gesagt - beide Gruppen werden munter in einen Topf geworfen, und zu erschreckenden ökonomistischen Denkweise, die eingangs beschrieben wurde, kommt noch eine nicht minder erschreckende Schlampigkeit im Denken hinzu.

Das demograhpische Tief wird EINZIG UND ALLEIN von denjenigen verursacht, die sich nie fortgepflanzt haben.

Aber genau diese Menschen und ihr Schicksal - die Einsamkeit - haben heute keinerlei Lobby mehr.

Früher war das anders:

Einsamkeit und Partnersuche in allen ihren Aspekten und Verästelungen waren Gegenstand literarischer und musikalischer (Opern) Werke, die bis heute Weltgeltung haben.
Später dann Gegenstand der Psychoanalyse.
Danach Gegenstand von "Literatur" im Bereich zwischen Kitsch und Schund.

Und heute ist selbst mit Letzterem Schluß.

Die einzige Art von "Aufmerksamkeit", die einsame Menschen noch erfahren, erschöpft sich in Phrasen wie:

"Wer keine Chance kriegt, hat auch keine verdient."
"Alles bindungsunwillige und -unfähige Hedonisten, diese Singles."

Oder die scheinbar "mitleidsvollen" Varianten:
"Kopf hoch, jeder Pott findet seinen Deckel."
"Keine Bange - als Mann kannst du bis zuletzt Kinder zeugen, und überhaupt: Das Privileg eines Mannes ist, daß er im Gegensatz zur Frau mit dem Alter immer attraktiver wird."

Oder die religiös-esoterische Schiene:
"Was Gott tut, das ist wohlgetan."
"Wir haben alle unser Karma."

Alle diese und andere vergleichbare Aussagen sind nicht nur abgrundtief blödes Geschwätz, sondern geeignet, denjenigen, an die sie sich richten, das letzte Bißchen Hoffnung zu nehmen.

Im Zusammenhang mit der Versingelung der Gesellschaft wird oft der alte Adenauer zitiert mit seinem Ausspruch: "Kinder kriegen die Leute sowieso."

Man macht es sich in meinen Augen zu leicht, wenn man Adenauer - und mit ihm viele seiner Zeitgenossen, für die er stellvertretend sprach - der Dummheit zeiht.

Nein, diese Menschen hätten sich in der Tat nie vorstellen können, was heute mit der Gesellschaft geschieht. In welchem Maße eine Sehnsucht nach Partnerschaft, die die meisten Menschen wie eh und je ganz bewußt empfinden, bei immer mehr Menschen über immer längere Zeiträume hinweg schlicht ins Leere läuft.

Nein, dumm waren sie nicht, Adenauer und seine Generation. Mit Sicherheit aber hatten sie es in puncto Privatleben besser.

Warum reden also unsere Politiker und andere prominente Personen des öffentlichen Lebens zum Thema "Demographie" so, wie eingangs beschrieben?

Gedankenlosigkeit oder schlicht und ergreifend Mangel an Denkvermögen, an Analysefähigkeit überhaupt wären eine mögliche Erklärung.

Mir kommt allerdings in letzter Zeit immer öfter ein ganz anderer Gedanke:

Das hilflose Herumstochern unserer Prominenten in Sekundäraspekten des Themas "Demographie" ist in Wirklichkeit Ausdruck dessen, daß sie stumm vor Schrecken auf etwas starren, das ihnen vor Angst die Kehle zuschnürt, dem sie nicht steuern können, ein Verhängnis von so ungeheurer Schicksalhaftigkeit, daß in seinem Angesicht alle gelähmt sind - wie ein Kranker, der weiß, daß seine Krankheit unausweichlich zum Tode führen muß.

Auf die von mir hier aufgeworfenen Fragen weiß ich selbst keine Antwort.

Sicher bin ich allerdings, daß der Prozeß der Partnersuche bei der Gattung homo sapiens sapiens komplizierter und vielschichtiger ist als bei irgendeiner anderen bekannten Gattung von Lebewesen.

Und keiner wird dem Dilemma je entfliehen:

Man kann weder Ratio noch Emotio ganz ausschalten. Der Rat "Wage einfach die Liebe, ohne zu denken" ist genauso untauglich wie der entgegengesetzte Rat "Laß dich nicht von Gefühlen leiten, sondern gehe bei der Partnersuche rein pragmatisch vor."

Das allerdings war seit undenklichen Zeiten so.

Aber das, was wir heute erleben - die massenhafte Vereinsamung von Menschen, die sich nahezu ausnahmslos über ihren Wunsch nach Partnerschaft im Klaren sind und sich dazu bekennnen - dürfte es menschheitsgeschichtlich höchst selten, wenn überhaupt, gegeben haben.

Deshalb nun abschließend meine Fragen an Euch:

WIE SEHT IHR SELBST DAS SCHICKSAL VON MENSCHEN, DIE EIN LEBEN LANG GEGEN IHREN WILLEN ALLEIN BLEIBEN? MANCHER VON EUCH MAG SELBST BETROFFEN SEIN - ABER MIT SICHERHEIT KENNT JEDER VON EUCH MENSCHEN IN SEINER UMGEBUNG, AUF DIE DIES ZUTRIFFT. LASSEN SICH AUS DEN INVIDUELLEN SCHICKSALEN IRGENDWELCHE SCHLUSSFOLGERUNGEN ABLEITEN, DIE AUF GROSSE TEILE DER BEVÖLKERUNG ZUTREFFEN?

Noch eins zum Schluß:

Meine eigene Biographie und meine heutige Einstellung zum Thema sind bekannt, und es ist mir MITNICHTEN darum zu tun, mit diesem Thema als Aufhänger bestimmte Dinge zum x-ten Mal wiederzukäuen. Ich habe zu keinem Zeitpunkt vergessen, daß meine Lebenserfahrungen und meine gegenwärtige Haltung nicht verallgemeinerbar sind - bei keinem Thema. Und schon gar bei diesem Thema bin ich mir mehr als bewußt, daß der Mechanismus der Partnersuche etwas ist, was weder hier im Forum noch von sonst irgendwem vollständig ausgelotet werden kann. Das ist ein Thema, an dem sich die besten Geister abarbeiten werden, solange die Welt besteht, und wahrscheinlich wird dabei nie jemand an zu endgültigen Schlußfolgerungen gelangen.

Insofern wird das Ergebnis dieser Forumsdiskussion auch bei bester Anstrengung aller notwendigerweise bescheiden sein. Aber es interessiert mich schon sehr, wie Ihr darüber denkt.

Gruß

Ekki

--
Ich will ficken, ohne zu zeugen oder zu zahlen.
Lustschreie sind mir wichtiger als Babygeplärr.


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