Ruf nach Werten = Angst vor dem Menschwerden
Als Antwort auf: Re: Maskulismus im Kontext einer neokonservativen Kulturrevolution von susu am 06. September 2005 20:41:37:
Streng genommen kann man Werte nicht herbeirufen. Sie sind apriorische Gegebenheiten, die man auffinden kann oder auch nicht. (Vgl. hierzu die grundlegenden Werke über Ethik von M.Scheler bzw. N.Hartmann.) Gemeint ist wohl eher der Ruf nach mehr oder weniger personifizierten Leitbildern. Dieser Ruf ist allerdings Ausdruck einer Selbst-Entmündigung.
Ich sehe für den Maskulismus - besser gesagt für eine seiner Untergruppen - eine Neigung, sich an demselben ideologischen Abgrund zu orientieren, in den der (feministische) Sexismus geraten ist. Deutlich vernehme ich das Letztere jedesmal etwa in den Worten irgendeiner Rednerin: "..., und ich sage dies als Frau,...", d.h. in dem Rekurs auf das Geschlecht auch dann, wenn es sinngemäß gar nicht darum gehen kann. Es wird demnach die Verantwortung, die eigentlich nur individuell möglich ist, abgegeben an ein Kollektiv, und zwar an ein Kollektiv, das die Hälfte der Menschheit umfaßt. Das ergibt ein ungeheures illusionäres Kraftgefühl. Es ist ein Kollektiv, das noch breiter ist als irgendeine eine Rasse. Daher ist Sexismus gefährlicher als Rassismus. Der Rückgriff auf dieses Kollektiv erfolgt aus Verantwortungsflucht, aus Ich-Schwäche. Dabei ist das Ich der meisten Menschen heute sicher nicht schwächer als früher, im Gegenteil. Aber die Aufgaben der Individuation sind höher geworden, und damit wird die Fall-Tiefe größer. Das Ich wächst nicht gleichmäßig mit den Aufgaben, die an die Individuation gestellt sind. Daraus entstehen dann Ängste und Atavismen (= Rückfälle in nicht mehr zeitgemäße Entwicklungsstufen).
Meines Erachtens ist recht verstandener Maskulismus korrektiv. Diese recht verstehenden Maskulisten sagen: Es ist richtig, daß die Geschlechter in der Auflösung begriffen sind; daß wir folglich immer mehr im Allgemein-Menschlichen aufgehen, und daß wir die Kräfte, die uns bisher hormongesteuert aus unseren Geschlechts-Eigentümlichkeiten erwuchsen, zu ersetzen haben durch Bewußtseinskräfte. Richtig ist insofern auch die feministische Bewegung, insoweit sie eine Anpassung der gesellschaftlichen Einrichtungen verlangt an die individuellen Möglichkeiten, die eine zunehmende Anzahl von Frauen an sich erfährt. Nicht richtig - also korrekturbedürftig - und äußerst gefährlich ist die feministische Bewegung jedoch, insofern sie vor der an sie gestellten Aufgabe der zivilisatorischen Arbeit zurückschreckt und stattdessen, angst-gesteuert, einen totalitären Staat anstrebt, der die in Auflösung befindliche Geschlechter-Polarität karikierend überzeichnet ("Gender-Mainstreaming") und einen biologistisch begründeten Krieg heraufbeschwört, der theoretisch (ideologisch !) und praktisch die halbe Menschheit in Frage bzw. zur Disposition stellt. Das tut sie zwar "nur" tendenziell, d.h. noch nicht direkt und nicht sofort. Sie ist aber notwendig darauf angelegt. Es ist ihre Teleologie.
Analog gibt es einen restaurativen" Maskulismus als Reaktion. Ihre Vertreter sind mir durchaus sympathisch. Es sind Männer, die sich nicht wohlfühlen, neuerdings überall von "Tussis" umgeben zu sein, ja von ihnen regiert zu werden. Der ganze öffentliche Bereich war ja ursprünglich männliche Fluchtzone. Alle öffentlichen Gebäude, wie Rathäuser, waren einstmals Männerhäuser. Heute haben Frauen ihren Herrschaftsbereich erweitert um den öffentlichen Bereich; ja sie haben diesen praktisch besetzt. Der ganze Staat ist ein einziges Frauenhaus. Daß darinnen jetzt noch zusätzlich "Frauenhäuser" entstehen, so als ob das nicht reichen würde, daß der Staat eines ist, stellt die größte denkbare Lüge ("Frauenhaus-Lüge") dar, gewissermaßen der GAU - größter anzunehmender Unfall - des männlichen Selbstverständnisses, seine größte Verhöhnung. Und darum verstehe ich die Männer, die endlich mal eine Kneipe kennenlernen wollen, wo garantiert keine Frau an der Theke steht; die in Behörden von ihresgleichen bedient werden wollen; die im Taxi nicht von einer Frau gefahren werden wollen, usw. In den islamischen Ländern fühle ich mich, offen gesagt, insofern wahrhaft befreit.
Ist dieser restaurative (die alten Zustände zurücksehnende) Maskulismus nun aber ebenso gefährlich wie der feministische Sexismus, der ein prähistorisches Matriarchat herbeisehnt ? Nein, keineswegs. Er ist ein Labsal für geschundene Männer; allerdings ist er kulturell unproduktiv.
Die relative Ungefährlichkeit hat seinen Grund in der Geschlechterpolarität selbst. Diese ist nicht vollständig. Der Mann ist mehr Mensch als die Frau; er umfaßt sie eher mit, als umgekehrt. Bildlich gesprochen: Eva ist aus einer Rippe Adams geformt (oder aus seiner Seite. Das französische côte bedeutet beides). Wenn es also heißt: "Man geht spazieren", so sind als Spaziergehende Männer wie auch Frauen gemeint; heißt es aber, "frau geht spazieren", so sind nur Frauen gemeint.
Positiv ist diese Polarität so ausgedrückt:
- Frauen bewahren die Menschheit (schaffen Vergangenheit);
- Männer evoluieren sie (schaffen Zukunft).
Wie dem nun sei: Es sind Frauen wie z.B. die Solanas, welche eine Dezimierung des männlichen Anteils im Menschengeschlecht, d.h. ihre Reduzierung auf 10 % gefordert haben; nicht sind es Männer, die Entsprechendes hinsichtlich des Frauenbestandes gefordert haben. Das haben sie nicht nötig. Sie wissen, daß nur durch sie und mit ihnen die Menschheit weiterlebt.
Fazit: Ich schließe mich der Auffassung an, daß ein produktiver Maskulismus nur ein solcher sein kann, dessen Vertreter in Freiheit ihre menschlichen Werde-Möglichkeiten, also ihre Zukunft ergreifen. Dann ist Maskulismus gleich Humanismus. Die Flucht in patriarchale Restgebiete ist therapeutisch wirkunsvoll, erholsam, kann aber kein Beitrag sein, die Gefahr eines sexistischen Totalitarismus zu bannen. Nicht durch Pflaster und Salben ist eine Krankheit zu heilen, auch nicht durch Bekämpfung einzelner Symptome, sondern am ehesten durch eine Stärkung der Immun- und Wachstumskräfte des Körpers, an dem die Krankheit ihr Unwesen treibt. Das bedeutet praktisch: nicht "nach Werten rufen" (oder nach dem Führer), sondern selber die jeweils eigenen Möglichkeiten wahrnehmen; mutig seinen eigenen Weg gehen, ohne Blick auf Anerkennung durch andere.
SiliKat
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Ridcully,
06.09.2005, 18:40
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Lucius I. Brutus,
06.09.2005, 21:00
- Re: Maskulismus im Kontext einer neokonservativen Kulturrevolution - Ridcully, 08.09.2005, 02:05
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susu,
06.09.2005, 23:41
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07.09.2005, 02:26
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Wodan,
07.09.2005, 12:49
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Odin,
09.09.2005, 03:46
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Lucius I. Brutus,
09.09.2005, 04:00
- Re: Maskulismus im Kontext einer neokonservativen Kulturrevolution - Odin, 09.09.2005, 12:26
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09.09.2005, 04:00
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Odin,
09.09.2005, 03:46
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Wodan,
07.09.2005, 12:49
- Ruf nach Werten = Angst vor dem Menschwerden -
SiliKat,
07.09.2005, 04:02
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Wodan,
07.09.2005, 12:42
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SiliKat,
08.09.2005, 02:56
- Re: Ruf nach Werten = Angst vor dem Menschwerden - Wodan, 09.09.2005, 23:35
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SiliKat,
08.09.2005, 02:56
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Nikos,
07.09.2005, 17:13
- Re: Ruf nach Werten = Angst vor dem Menschwerden - Jolanda, 07.09.2005, 22:41
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Wodan,
07.09.2005, 12:42
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Lucius I. Brutus,
07.09.2005, 15:45
- .. ach noch was susu - Lucius I. Brutus, 07.09.2005, 22:05
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susu,
08.09.2005, 00:31
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Lucius I. Brutus,
08.09.2005, 04:04
- Re: Maskulismus im Kontext einer neokonservativen Kulturrevolution - Ridcully, 08.09.2005, 17:03
- Re: Rollenbilder - Andreas (d.a.), 08.09.2005, 12:25
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Lucius I. Brutus,
08.09.2005, 04:04
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Odin,
07.09.2005, 02:26
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scipio africanus,
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- Re: Maskulismus im Kontext einer neokonservativen Kulturrevolution - Odin, 10.09.2005, 03:27
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Lucius I. Brutus,
06.09.2005, 21:00