Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Eva Hermann: EMMA ruft zum Mobbing auf...

susu, Saturday, 06.05.2006, 00:15 (vor 6536 Tagen) @ Maesi

Als Antwort auf: Re: Eva Hermann: EMMA ruft zum Mobbing auf... von Maesi am 02. Mai 2006 20:29:51:

Hallo Maesi

Art. 5 des GG garantiert u.a. auch die Meinungsfreiheit:
[..]
Ob bei einer allfaelligen Suspendierung eine Verfassungsklage moeglich/aussichtsreich waere, kann ich nicht beurteilen. Trotzdem sollte man diesen Artikel den Emma-Machern wieder mal in Erinnerung rufen; immerhin schuetzt er ja auch ihre Taetigkeit. Sollte es zu einer Suspendierung oder gar Entlassung Hermans kommen, waere der juristische Teil IMHO von eher untergeordneter Bedeutung; weit bedeutender waere die politische Komponente. Frau Herman hat lediglich ihr verfassungsmaessig garantiertes Recht auf freie Meinungsaeusserung wahrgenommen, sie keine in Absatz 2 aufgezaehlten Schranken verletzt. Sie hat desweiteren als Privatperson gehandelt und ihre Meinung nicht als jene der Tagesschau-Redaktion oder gar des Senders, wo sie arbeitet, ausgegeben; auch in dieser Hinsicht haben ihre Arbeitgeber also keinerlei Anlass irgendwelche Massnahmen in Erwaegung zu ziehen. Allenfalls kann der betroffene Sender sich von den Aeusserungen Frau Hermans distanzieren, damit auch der verbohrteste Holzkopf schnallt, dass sie als Privatperson gehandelt hat.

Das ist richtig, allerdings schrieb ich ja auch, sie könne gegen eine Suspendierung klagen. Und würde gewinnen. Was allerdings nicht bedeutet, daß die Tagesschau-Redaktion verpflichtet ist, ihr die Moderation der Sendung zu überlassen. Es wäre arbeitsrechtlich Problematisch sie zu entlassen oder zu suspendieren, aber unproblematisch sie in eine weniger exponierte Position zu versetzen. Zumal das offenbar mit ihrem Kollegen auch ging (z.B. von der 20-Uhr Ausgabe zur 13 oder 17 Uhr-Ausgabe).

Ich zitiere hier nochmals das Grundgesetz:
'Artikel 3
[Gleichheit vor dem Gesetz; Gleichberechtigung von Maennern und Frauen; Diskriminierungsverbote]
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Maenner und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat foerdert die tatsaechliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Maennern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religioesen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.'
Von Gleichstellung steht hier gar nichts, nur von Gleichberechtigung. Der Rahmen der Gleichberechtigung ist durch das GG vorgegeben und umfasst auch das Diskriminierungsverbot.

Nein. Die Gleichberechtigung ist durch Absatz 2 gegeben. Die Zusammenfassung oben bezieht sich auf die einzelnen Absätze, Abs. 1 regelt die Gleichheit vor dem Gesetz, Abs. 2 die Gleichberechtigung, Abs. 3 die Diskriminierungsverbote.

Was Du unter Gleichstellung verstehst, weiss ich ich nicht; aber Deine Behauptung 'Gleichbehandlung durch andere Organe des Staates, Koerperschaften und Privatleute heisst Gleichstellung und folgt nicht zwangslaeufig aus der Gleichberechtigung' ist widerlegt, sofern man den Artikel 3 GG der Gleichberechtigungsdefinition zugrundelegt. Denn an die Gesetze haben sich alle zu halten - egal, ob staatliche Organe, Koerperschaften oder Privatleute.

Nur unter deiner zweifelhaften Annahme, Art.3 Abs.3 wäre Teil der Gleichberechtigung. Nachdem ich in meinem Posting schrieb, daß Gleichberechtigung, durch Abs.2, Gleichstellung jedoch durch Abs.3 definiert werde, wundert mich, daß du meinst mich nicht zu verstehen, wenn ich über Gleichstellung spreche. Für mich sind die Begriffe durch die beiden Artikel demarkiert, wenn du sie anders verwenden möchtest, ist das OK, aber dadurch das du diese Begriffe anders definiert widerlegt meine Aussage ja nicht.

Grau ist alle Theorie! In der politischen Praxis basiert Gleichstellung praktisch nur auf dirigistischen Massnahmen (z.B. Gender Mainstreaming). Soweit es sich um Gesetze handelt, koennen umgesetzte Massnahmen sogar nur dirigistischer Natur sein. Nennen wir das Kind beim Namen: Gleichstellung wird in der Praxis normalerweise im Sinne einer Gleichschaltung verstanden; irgendwo wird eine Differenz zwischen den Geschlechtern festgestellt, und das wird dann sofort und ohne weitere Nachforschungen als ungerecht hingestellt. Diese antiliberale Gleichstellungsideologie erhebt dabei alles zur oeffentlichen Angelegenheit: das Geschlecht der Aussteller an einem Christkindlmarkt ebenso wie die geschlechterspezifische Aufteilung der Hausarbeit in den Familien oder das (maennliche) biologische Geschlecht von Aufsichtsraeten/operativen Geschaeftsleitungen multinationaler Konzerne. Folgerichtig masst sich diese Ideologie auch an, ueberall dirigistische Massnahmen zu erlassen und zu vollziehen.

Ich widerspreche hier der Auffassung Gesetze seien zwangsläufig dirigistisch, zumal die Trennung zwischen privater und staatlicher Autorität durch entsprechende Rechtsvorschriften geregelt wird und Gesetze diese Grenze auch zugunsten privater Entscheidungen verschieben können.

Die liberale Form der Gleichberechtigung jedoch anerkennt die Grenzen zwischen der oeffentlichen Sache (res publica) und den Privatangelegenheiten. Was Privatangelegenheiten anbelangt hat die Republik keinerlei direkte Einmischungsbefugnis. Deshalb koennen Ehepaare nach ihrem Gusto die Haus- und Erwerbsarbeit unter sich aufteilen, ohne dass den Staat das etwas angeht; deshalb kannst Du als Privatperson wen immer du willst in Deine Wohnung lassen oder eben nicht reinlassen, ohne dass ein von Dir Abgewiesener sich auf die Gleichberechtigung berufen kann und von Dir als Wohnungsinhaber eine Gleichbehandlung rechtlich erzwingen kann.

Richtig, aber genau diese Freiheiten sind ebenfalls gesetzlich zugesichert. Im zweiten genannten Fall sind sie durch einen Artikel des GG (13) und Strafrechtliche Sachverhalte (§§123, 124) geregelt.

Juristisch koennen sie sich zweifellos darauf berufen. Das aendert natuerlich nichts daran, dass dieser Absatz im Widerspruch zum propagierten Ideal steht. Geschlechtliche Gleichbehandlung durchzusetzen, indem man die Menschen aufgrund des Geschlechts ungleich behandelt, ist ein Widerspruch in sich.

Richtig.

Diese Denke impliziert auch, dass die staatlichen Organe ueber dem von ihnen propagierten Gleichbehandlungsgebot, welches fuer den Normalbuerger gilt, stehen; ansonsten duerften sie die Normalbuerger (=Untertanen) ja gar nicht ungleich behandeln. Eine aeusserst gefaehrliche Denke!
Mit der Einfuehrung des Antidiskriminierungsgesetzes (eine geradezu klassische dirigistische Massnahme) soll beispielsweise die Beweislast dem Arbeitgeber aufgebuerdet werden. Wenn dieses Gesetz kommt (und ganz so sieht es derzeit aus), waere also die weibliche Bewerberin fuer einen Vorstandsposten am erheblich laengeren Hebel, denn ihr Arbeitgeber in spe muesste nachweisen, dass er sie NICHT diskriminiert hat. Und sowas ist in der Praxis nahezu unmoeglich, es sei denn die abgelehnte Bewerberin wiese eine erhebliche Minderqualifikation auf - wobei in Einzelfaellen selbst die 'erhebliche' Minderqualifikation einer weiblichen Bewerberin gem. EuGH (vgl. Rechtssache C-407/98 Abrahamsson und Anderson gegen Elisabeth Fogelqvist) kein Grund zur Verweigerung einer Anstellung darstellt, sofern die Bewerberin 'ausreichend' qualifiziert ist.

Hier argumentierst du unseriös, denn das Gericht gab den Klägern Recht. Die ausreichende Qualifikation ist nicht hinreichend für eine Bevorzugung gegenüber besser qualifizierten Mitbewerbern und die entsprechende Regelung in der nationalen Gesetzgebung ist nicht mit dem EU-Recht vereinbar.

susu


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