Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Mal eine andere Frage..

Stadtmensch, Thursday, 13.07.2006, 16:16 (vor 6508 Tagen) @ Altschneider

Wie immer sehr umfassend dargestellt, Altschneider!

Du spielst hier auf die "Unvereinbarkeit" von Familie und Beruf an, die es
meiner Meinung nach so nicht gibt, sondern nur den Unwillen, den Preis für
das zu zahlen, was man will.

Unvereinbar mit der Wirklichkeit ist vor allem der Glaube, alles gleichzeitig haben zu wollen. Es mutet schon gruselig an, wenn Kinderkriegen rein auf dem Hintergrund von schnöden Soll-/Haben-Bilanzen beleuchtet wird. Bei dieser Art von Herzlosigkeit wünscht man sich lieber, dass solche Leute möglichst nicht verantwortlich für Kinder sind.


Eine Möglichkeit ist sicher die von dir angesprochene: man verzichtet auf
Kinder, beide sind mehr oder weniger voll erwerbstätig, die bequeme
Version also. Ich sehe darin kein großes Problem - weltweit haben wir eher
das Problem der Überbevölkerung und mich persönlich interessiert es nicht
die Bohne, ob "die Deutschen aussterben".

Sagen wir mal so: Schade wäre das Verschwinden der deutschen Kultur schon, wenn ich mir z.B. eine deutsche Kultur i.S.d. kürzlich beendeten WM ansehe: Weltoffen, gastfreundlich, humorvoll. Es mag natürlich trotzdem denen schwerfallen, sich darüber zu freuen, für die es schon ein Problem darstellt, dass David Odonkor oder Gerald Assamoa eben auch Deutsche sind. Die "deutsche Kultur" wird nicht aussterben und die BRD wird nicht zu einer türkischen Provinz mutieren. Wäre dies ein omnipräsentes Problem, hätten wir vor Jahren schon einen gewissen Herrn Schimanski vor die Tür setzen müssen (inkl. "Hänschen", seinen niederländischen Asssistenten). Was als "Verlust der deutschen Kultur" gefürchtet wird, gründet sich folglich auf willkürlichen Bauchentscheidungen darüber, was als "deutsch" einzustufen ist (Schimanski ja, der Dönerladen um die Ecke nein). Einfach ist das nicht, das behaupte ich nicht. Aber das Integrationsproblem nicht angehen zu wollen, ist die jämmerlichste und "undeutscheste" Art und Weise, sich einem Problem zu stellen.


Aber natürlich ist die bequeme Lösung nicht der Wunsche aller. Eine
besondere Benachteiligung für Frauen mit Kindern ergibt sich allerdings
nur, wenn man die Lebenswelt des Mannes als direkten Maßstab nimmt. Fast
zu allen Zeiten und in fast allen Ländern heute, in denen der
Lebensstandard nicht so hoch ist wie hierzulande, beteidigen sich Frauen
am Erwerb des Lebensunterhalts, wenn auch nicht immer auf die gleiche Art
wie Männer. Ich konnte das sehr schön in Kenia beobachten - die Männer
schaffen in der Fabrik, die Frauen fertigen Waren für ihre diversen
Marktstände an - oder betreuen die heimische Krume.
Die Kinder sind meist dabei, allerdings besteht hier der Vorteil, dass das
Konzept der Großfamilie noch üblich ist, also Verwandte abwechselnd die
Kinder betreuen. Also nicht so einfach übertragbar, das Modell, zeigt
aber, dass es diese "grundsätzliche" Unvereinbarkeit nicht gibt.
Vielleicht sollten wir daraus aber lernen, dass Frauen eben nicht
benachteiligt sind, wenn sie nicht in jedem Beruf mindestens die Hälfte
der Besatzung stellen, sondern dass es durchaus Berufe gibt, die für
Mütter besser geeignet sind als andere.

Es ist kein Zufall, dass Frauen nur in einer relativ begrenzten Zeitspanne überhaupt gebärfähig sind. Großeltern und andere Verwandte hatten lange Zeit die Aufgabe, einen Teil der Kinderbetreuung zu übernehmen, um jungen Eltern die wirtschaftliche Kraft zu erhalten. Demgegenüber steht der hohe soziale Druck, den solche "verschworene" Gemeinschaften auf ihre Mitglieder ausüben. Aber eines ist klar: Die Wiedereinführung von Großfamilien hierzulande ist überhaupt nur dann denkbar, wenn soziale Verelendung auf breiter Basis um sich greift und für längere Zeit alternativlos ist. Es wäre aber durchaus überlegenswert, über Großfamilien-ähnliche Lebensgemeinschaften für die Zeiten der Kindererziehung nachzudenken. Das lässt sich prinzipiell auch ganz ohne Staat bewerkstelligen.


Was bedeutet das jetzt für uns? Einen bequemen Weg, um alles zu bekommen,
gibt es sicher nicht - auch wenn uns das die feministischen Entwürfe
vorgaukeln.
Natürlich werden Frauen einige Einbußen hinnehmen müssen, wenn sie mehrere
Jahre aus dem Berufsleben ausscheiden - was aber auch für Männer gilt.
Dafür können sie dann aber auch ein Kind zumindest in den ersten
Lebensjahren erziehen. Wer das als Frau nicht will - nun, es ist ja nicht
gesagt, dass die Frau die Erziehung in den ersten Jahren übernehmen muss -
ein kurzer beruflicher Ausstieg während der letzten Schwangerschaftmonate,
schnelles Abstillen und dann kann sich der Mann um die Kinderbetreuung
kümmern. Dabei sollte man sich dann aber auf ein Kind, max. 2,
beschränken, sonst nimmt der berufliche Rückstand zusehr zu. Wie auch
immer - das bedeutet natürlich, dass man nicht soviel verdient, wie man
verdienen könnte - und das wird als Nachteil gesehen.

Siehe oben: Eine Entscheidung für Kinder, die nach dem Kosten-/Nutzen-Modell gefällt wird, kann nur mit roten Zahlen enden und klammert jedes liebevolle Motiv, Kinder zu bekommen, von vornherein aus. Solche Kinder, die man sich quasi wie ein schickes Möbelstück ("Guckma, können wir auch") zulegt, tun mir leid.


Es ist natürlich schade, dass deutsche Unternehmen so unflexibel sind - es
wäre durchaus schön, wenn man ein Kleinkind mit zu Arbeitsplatz nehmen
könnte (wenn es denn geht - bei Büroarbeit etwa).

Das ist wiederum ein typisch deutsches Problem. Hierzulande geht es in den meisten Firmen nicht um ergebnisorientiertes Arbeiten, sondern um hierarchisches Arbeiten. Deshalb fürchten sich viele Vorgesetzte vor dem Kontrollverlust, wenn sie über den Arbeitnehmer nicht isoliert und ausschließlich verfügen können. Dabei geht es nur um einen Interessensausgleich und eine Respektierung elterlicher Leistung. Es geht keineswegs darum, betriebliche Entscheidungsmechanismen oder Autoritätsgefälle auszuhebeln. Generell ist der Gedanke "Arbeitnehmer = Dispositionsmasse" aber unerträglich (wie ihn der Neoliberalismus fordert) und er ist sicher nicht auf Eltern beschränkt.


Andere Möglichkeiten: beide arbeiten halbtags und teilen sich die
Kindererziehung.

Eines muss klar sein: wer immer sich entscheidet, das beide Eltern
arbeiten und Kinder haben, wird zwangsläufig mehr Arbeit, mehr Aufwand,
weniger Freizeit haben als Leute ohne Kinder oder die Menschen, die das
von Klausz favorisierte Modell der Ernährerfamilie vorziehen. Das ist der
Lauf der Dinge, völlig normal und kein Nachteil.

Die Form - Mann arbeitet, Frau erzieht und macht Haushalt ist durchaus ein
Kompromiss, der für beide den Aufwand minimiert, wobei hier die Belastung
des Mannes höher ist. Daher würde ich bei diesem Modell auch ein Kind
nicht für ausreichend halten. Ich halte dies allerdings unter den
gegebenen Umständen für nicht realistisch und auch nicht erstrebenswert.
Gefährlich ist es allemal, weil dann in ein paar Jahren alles wieder von
vorne beginnt. Die Grundlagen sind zerstört worden und müssen erst neu
geschaffen werden - und es ist die Frage, ob Männer dies nach den
Erfahrungen der letzten Jahre auch wirklich wollen. Vorausseztung wäre
zumindest, dass die Erwerbsarbeit der Männer wieder respektiert und als
wichtiger Beitrag zur Erziehung der Kinder gewertet wird und nicht als
Drückebergerei vor dem allzuharten Erziehungsgeschäft. Und es würde
voraussetzen, dass Frauen wieder akzeptieren, dass es dann ihre Aufgabe
wäre, die Arbeiten und Obliegenheiten zu übernehmen, die nicht unmittelbar
mit der Erwerbsarbeit gekoppelt sind.

Da habe ich so meine Zweifel, was die Regenerationsfähigkeit der angesprochenen "Grundlagen" angeht. Ich denke, diese (unsere) Generation hat da auf breiter Basis verloren. Ein Ende des Geschlechterkrieges ist bisher nicht absehbar, zumal die Grabenkämpfe ja auch nicht strikt zwischen den Geschlechtern verlaufen, sondern sich krakenhaft bis in intimste Bereiche und in persönlichste Lebensumstände aller Art fortentwickeln, oft ganz unabhängig von geschlechtlichen oder Rollen-Aspekten. Aber da würde ich mich gerne in meiner Einschätzung umstimmen lassen!


Nicht dass ich ausgebildete Pädagogen unterschätze: aber ich halte
jegliches Modell, dass die Erziehung der Kinder weitgehend dem Staat
überlässt, also Erziehungsleistung auslagert und standardisiert, für
problematisch. Mir war auch nie so recht klar, warum die Familienmodelle
unbedingt geändert werden mussten - das Frauen auch vorher schon
mitarbeiteten und Geld verdienten, war eigentlich selbstverständlich - und
bei weitem keine besondere Belastung. Diese entstand durch die Femiprop
erst in den Köpfen der Leute.

Nein, der Staat kann es noch so gut meinen, er wird letztendlich alles falsch machen. Im übrigen haben die Femis die "Außenwelt", die Männer überwiegend vertreten haben, mit dem üblichen weiblichen Trick (schmollen und sexuelle Diskreditierung Männern gegenüber) erobert - haben also auf ein ihnen sehr vertrautes Reglementierungsmuster gegenüber ihren männlichen Mitmenschen zurückgegriffen; weshalb man die meisten Populärfeministen auch getrost als "reaktionär" umschreiben kann. Gegenprobe: Leistungen von Frauen, die "in Männerbereiche eingebrochen sind", sind faktisch kaum vorhanden. Nach wie vor tummeln sich Frauen trotz überbordender Unterstützung in beruflicher Hinsicht vorwiegend dort, wohin sie auch ohne Vulgärfeminismus am liebsten gehen würden. Das ist einerseits klug - wer will schon den Managertod sterben - andererseits dann unglaubwürdig, wenn im Gegenzug über "gläserne Decken" im beruflichen Werdegang lamentiert wird oder die makro-ökonomische Bedeutung typisch männlicher Arbeit ins Lächerliche gezogen wird. Ach und nochwas: Respekt ist ein zentraler Begriff, nicht nur hier. Von dem Tag an, an dem ich zum ersten Mal hörte, Frauen können dieses und jenes besser, sind die eigentliche Krönung der Menschheit etc.pp., habe ich aufgehört, darüber nachzudenken, wie es Frauen im allgemeinen so geht oder welche Schwierigkeiten sie im Speziellen haben könnten. Ist doch klar: Wer unsereins mit Respektlosigkeit und falscher, überzogener (und vielfach lächerlicher) Stigmatisierung begegnet, muss sich nicht wundern, nicht für voll genommen zu werden. Wer darüber hinaus selbst zu dieser Einsicht zu doof ist und immer weiter nur auf "Prinzessin" machen will, soll zur Hölle fahren. Arschlecken.


Wie dem auch sei - letztlich wird es jeder für sich selbst entscheiden,
welcher Weg der richtig ist. Weniger im ideologischen Sinn, sondern
dadurch, dass sich im Alltag immer die Wege einschleifen, die beiden
Eltern den geringsten Aufwand bescheren. Das kann, je nach Einkommenslage
und Mentalität, durchaus sehr unterschiedlich sein. Das feministische
Rumgepfriemele im Privatleben der Leute hat uns heute eine Situation der
Orientierungslosigkeit beschert, deren Folgen wir zunehmend erleben
werden. Ob dies eine Chance für einen Neuanfang ist, wird sich zeigen.

So isses.

Gruß
Stadtmensch

--
Desire is irrelevant. I am a machine.


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