Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Schulprobleme bei Jungen: Anzeichen für ein Umdenken

Garfield, Monday, 22.09.2003, 21:46 (vor 7900 Tagen) @ Frank

Als Antwort auf: Schulprobleme bei Jungen: Anzeichen für ein Umdenken von Frank am 20. September 2003 17:28:23:

Hallo Frank!

Ich bin mir nicht so sicher, daß spezielle Programme zur Förderung von Jungen oder mehr männliches Lehrpersonal dieses Problem wirklich lösen können.

Denn dieses Problem geht gar nicht so sehr von der Mädchenförderung aus, sondern von den Veränderungen des gesamten Schulsystems in den letzten Jahrzehnten.

In meiner Schulzeit habe ich immer wieder deutliche Unterschiede im Lernverhalten von Jungen und Mädchen festgestellt. Bei den Mädchen gab es viele, die sehr fleißig waren. Aber oft mangelte es ihnen an Kreativität. Sie waren prima darin, irgendwelche Definitionen oder Gedichte auswendig zu lernen und dann wortgetreu wiederzugeben. Aber wenn sie so eine Definition dann mal in Mathematik oder Physik praktisch anwenden mußten, dann fielen sie auf einmal weit hinter die Jungen zurück. Viele Mädchen hatte auch Probleme damit, Textaufgaben zu abstrahieren. Um es mal zusammen zu fassen: Überall, wo es darum ging, fleißig auswendig zu lernen, insbesondere in Sprach-Fächern, hatten die Mädchen im Durchschnitt klar die Nasen vorn. Wenn es aber darum ging, Wege zur Lösung mathematischer oder physikalischer Aufgaben zu finden, dann lagen die Jungen klar von. Es gab natürlich immer wieder auch Ausnahmen, also Jungen, die in Sprachfächern ebenfalls sehr gut waren und Mädchen, die sehr gute Leistungen in Mathematik brachten, aber das waren dann wirklich Ausnahmen. In der Regel war dieser Unterschied zwischen Jungen und Mädchen immer deutlich erkennbar, von der 1. bis zur 12. Klasse.

Ich war in Mathematik auch immer sehr gut. Die Theorie interessierte mich dabei kaum, aber es hat mir immer Spaß gemacht, schwierige Aufgaben zu lösen. Je anspruchsvoller der Lehrstoff wurde, umso besser war mein Notendurchschnitt in Mathe. (In der 11./12. Klasse stand ich dann oft 1,0.)

Ich bin nun aber im Osten aufgewachsen, also auch dort zur Schule gegangen. Meine Verlobte ist im Westen (in Nordrhein-Westfalen) aufgewachsen. Sie hat mir mal erzählt, wie es bei ihnen im Mathematik-Unterricht zuging. Da legte der Lehrer großen Wert darauf, daß bei Klassenarbeiten nur ein ganz bestimmter Rechenweg verwendet wird, der dann auch auf eine ganz bestimmte Weise aufgeschrieben werden mußte. Wer sich nicht daran hielt, bekam auch bei einer richtigen Lösung keinen einzigen Punkt für die Aufgabe. Das hatte schlicht und einfach den Grund, daß der Lehrer (ja, es war wirklich ein männlicher Lehrer) es beim Korrigieren der Aufgaben möglichst einfach hatte. Er wollte nicht lange diverse unterschiedliche Rechenwege nachvollziehen müssen, sondern auf den ersten Blick sehen, ob der Rechenweg "richtig" war.

Vielleicht war er einfach nur faul, aber vermutlich war er tatsächlich so überlastet, daß ihm gar keine andere Wahl blieb, wenn er sein Arbeitspensum noch schaffen wollte. Es ist einfach zu wenig Lehr-Personal in den Schulen, und so ist die Versuchung groß, das steigende Arbeitspensum eben durch solche Regelungen einzudämmen. Damit erstickt man aber jegliche Kreativität im Keim, und ich denke, daß ich unter solchen Bedingungen in Mathematik bestenfalls auf eine 3 gekommen wäre. Ich hätte mich da einfach nur gelangweilt.

Für Mädchen dagegen ist das ideal. Da sie im Auswendiglernen besser sind als Jungen, kommt ihnen das voll entgegen, und sie werden unter solchen Bedingungen auch in Mathematik und Naturwissenschaften besser abschneiden. Jungen dagegen, die den Unterricht gern etwas lässiger angehen und mehr zur "Improvisation" neigen, kommen mit solchen Unterrichtsmethoden nicht nur nicht zurecht, sondern sind damit total unterfordert. Ihre Kreativität wird eingeschränkt, und sie haben dann natürlich auch entsprechend keinen Spaß am Unterricht.

Das war in der DDR eben anders. Der wesentliche Unterschied zwischen den Schulsystemen bestand nicht darin, daß es mehr männliche Lehrer gab. Auch in der DDR gab es in den unteren Klassen fast nur weibliche Lehrer, und auch in höheren Klassen war der Anteil der weiblichen Lehrer noch groß. Der wesentliche Unterschied bestand darin, daß mehr Lehr-Personal da war. Die Schule ging üblicherweise ohne Unterbrechung etwa von 8 bis 14.30 Uhr durch, und den Rest des Tages konnten sich Schüler und Lehrer um Hausaufgaben, Klassenarbeiten und sonstige Unterrichtsvorbereitung kümmern. Heute geht der Unterricht mit manchmal stundenlangen Pausen von morgens bis abends durch, damit die relativ wenigen Lehrer es in dieser Zeit schaffen, alle Klassen zu unterrichten.

Ich glaube, daß das Geschlecht gar nicht so eine große Rolle spielt. Ich hatte in meiner Schulzeit immer wieder auch in Mathematik Lehrerinnen und habe da keinen wesentlichen Unterschied zu männlichen Lehrern festgestellt. Wichtiger ist, daß die Lehrer genügend Zeit für die Schüler haben und daß sie den Unterricht so gestalten können, daß Kreativität und Intelligenz wirklich gefordert und damit gefördert werden. Solange an unseren Schulen nur stur auswendig gelernt wird, wird die Situation so bleiben, wie sie jetzt ist oder sich sogar noch mehr verschlimmern. Spezielle Fördermaßnahmen für Jungen mögen ja durchaus sinnvoll sein, werden aber am Gesamtproblem leider nicht viel ändern können, denke ich.

Freundliche Grüße
von Garfield


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