Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Entweder-Oder?

Maesi, Thursday, 07.07.2005, 01:22 (vor 7072 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: Re: Entweder-Oder? von Garfield am 06. Juli 2005 13:30:50:

Hallo Garfield

"Und werden es auch nie sein. Der Witz ist ja gerade, dass wir uns immer weiter davon wegentwickeln, dass 'jeder ohne grossen Aufwand alles Lebensnotwendige selbst produzieren kann'; das wuerde naemlich auf Autarkie hinauslaufen und eine autarke (oder quasi-autarke) Gesellschaft ist ein typisches Merkmal einer unterentwickelten Wirtschaft."
Jain. Autarkie muß nicht zwangsläufig ein Merkmal für Unterentwicklung sein. Und ich sehe auf manchen Gebieten durchaus einen Trend zur Autarkie. Mittlerweile kann man schon über Solarzellen selbst Strom erzeugen, es gibt Regenrückgewinnungsanlagen, mit denen man zumindest Wasser für die Toilettenspülung gewinnen kann usw. Wenn diese Entwicklung konsequent weiter verfolgt wird, dann könnten wir durchaus schon in wenigen Jahrzehnten soweit sein, sehr viele lebensnotwendige Güter selbst herzustellen.

Nein, denn Solarzellen, Regenrueckgewinnungsanlagen usw. muss man erst kaufen und installieren und damit ist man bereits nicht mehr autark sondern vom Konstrukteur, Produzenten, seinen Zulieferern, Transporteuren, Installateuren, Rohstoffproduzenten usw. usf. abhaengig. Desweiteren haengt deren Einsatz und Nutzen stark mit dem Preisfaktor zusammen, womit auch all diese Gueter im Markt eingebunden sind. Letzten Endes ist jeder auch noch so einfach erscheinende Gegenstand in der modernen Wirtschaft dem reibungslosen Zusammenspiel einer Unzahl von einzelnen Teilnehmern zu verdanken.

Aufgabe an alle Forenleser: man veranschauliche sich einmal, wieviele Menschen in einem Industriestaat an der Produktion eines Laibs Brot beteiligt sind. Tip: es sind laengst nicht mehr bloss der Ackerbauer, der Mueller und der Baecker.

Das Ideal der Autarkie beinhaltet, dass jeder von jedem wirtschaftlich moeglichst unabhaengig ist. Damit kommt aber zwangslaeufig jeglicher Gueter- und Dienstleistungsaustausch zwischen den autarken Einheiten zum Erliegen; denn wer sich auf den Handel mit anderen Marktteilnehmern einlaesst macht sich gleichzeitig vom Markt abhaengig, was er aber ja gerade vermeiden will. Zwar mag in bestimmten Bereichen eine teilweise Autarkie (z.B. Energieversorgung) aus politischen/strategischen Gruenden wichtig erscheinen, in dem meisten Faellen jedoch schiesst man sich damit ins eigene Knie.

Technologisch wäre heute schon sehr viel mehr möglich als bisher realisiert wird. Es gibt ja auch viele Unternehmen, die ganz und gar kein Interesse an dieser Entwicklung haben und deshalb eifrig dagegen arbeiten.

Natuerlich koennen Unternehmen mit ihrer Unternehmenspolitik die Entwicklung bestimmter Technologien (positiv oder negativ) beeinflussen. Ihren Einfluss koennen sie aber letzten Endes nur in einem (in ihrem Sinne) gelenkten Markt oder im Extremfall als Monopolist durchsetzen. Freier Gueter- und Dienstleistungsverkehr gewaehrleistet IMHO am wirksamsten die effizienteste Produktion und Verteilung; das schliesst nicht aus, dass flankierende gesetzliche Massnahmen gegen marktfeindliche Monopolbildungen beschlossen und vollzogen werden.

Aber es wäre schon ein wesentlicher Fortschritt, wenn jeder Mensch alles das, was er wirklich zum Leben braucht, selbst ohne großen Aufwand herstellen könnte.

Je nach Anspruechen des Menschen kann 'alles, was er zum Leben braucht' sehr viel sein. Es soll Leute geben, die koennen ohne ihr Handy oder ihr Auto nicht mehr leben...

Dann müßte man nur noch für Luxusgüter Erwerbsarbeit leisten, und so würde es sich automatisch ergeben, daß viele Menschen nur auf Teilzeit arbeiten würden, was dann wiederum eine bessere Verteilung der Erwerbsmöglichkeiten auf alle bewirken würde. Auch Sozialleistungen könnte man sich dann weitgehend sparen.

Abgesehen davon, dass eine Trennung zwischen Luxusguetern und Lebensnotwendigem reichlich willkuerlich ist, muesste sich ja auch irgendwer diese Luxusgueter leisten koennen. Die 68er hatten nicht ganz Unrecht mit ihrer Vorstellung vom Konsum der zum Konsumterror wird, weil nur so die Wirtschaft noch wachsen kann.

Aber als Individuum kann man natuerlich eine gewisse Genuegsamkeit zur Tugend erklaeren und danach leben. Nur 50% arbeiten und damit einen relativ tiefen Lebensstandard finanzieren, kann sehr wohl eine erhebliche Lebensqualitaet beinhalten - alles eine Frage der inneren Einstellung.

"Aus dieser Sicht liegt in bestimmten Religionen (z.B. Buddhismus, Christentum) eine bemerkenswerte Weisheit, die eine einfache Lebensfuehrung und die Abkehr von weltlichem Besitz, die bloss Ballast darstellen, fordern."
Ja, aber ich glaube nicht, daß sich so etwas jemals durchsetzen wird. In den Ostblockländern gab es ja auch solche Wunschträume vom "Menschen neuen Typs", dem eigener Besitz nichts mehr bedeuten sollte. Die Masse der Bevölkerung fand sich darin aber nicht wieder, und deshalb blieb das immer eine Illusion.

Eine solche philosophisch/religioes bedingte Selbstgenuegsamkeit muss sich IMHO auch nicht durchsetzen. Der wahre Buddhist, Christ oder was sonst auch immer hat IMHO diesen Ehrgeiz zur Missionierung gar nicht. Allenfalls kann natuerlich das eigene Beispiel fuer andere trotzdem 'ansteckend' wirken, womit zumindest eine passive Missionierung erfolgt - die IMHO auch voellig legitim ist.

"Wuerde der Wohlstand fuer grosse Teile der Gesellschaft substantiell sinken, dann erschienen die Schicksalsgemeinschaften (Familie) den Menschen wieder attraktiver."
Ja, das denke ich auch. Und in den nächsten Jahrzehnten werden wir das auch erleben.

Zweifellos

"Es ist immer wieder erstaunlich, dass an sich kluge und intelligente Menschen glauben, andere Menschen mit immer ausgekluegelteren Zwangsmassnahmen in einem bestimmten ideologischen Sinne umerziehen zu koennen; das hat bislang noch nie auf Dauer funktioniert, sofern diese Zwaenge der Natur des Menschen entgegenstehen."
Ich habe das Gefühl, daß es bei "Gender Mainstreaming" weniger darum geht, Menschen tatsächlich umzuerziehen. Das scheint mir eher eine Beschäftigungstherapie für diverse Berufsfeministinnen zu sein, die nun einmal die in sie investierten Steuergelder irgendwie öffentlich rechtfertigen müssen.

Naja, das eine schliesst das andere ja nicht aus. Dass die Gleichstellungsbuerokraten ihr eigenes Sueppchen kochen, erscheint logisch; jede Anspruchsgruppe verfolgt zunaechst einmal ihre eigenen Interessen. Verkauft wird GM dem Buerger aber nicht als Beschaeftigungstherapie fuer Berufsfeministen sondern als Mittel zur 'Erreichung von mehr Geschlechterdemokratie'; das erzieherische Element ist zwangslaeufig vorhanden und durchaus gewollt, wenn auch vielleicht nicht von allen.

Es geht ja auch immer wieder darum, irgendetwas als staatliches Ziel festzuschreiben, woraus sich dann finanzielle Zuwendungen an Gleichstellungsbeauftragte usw. logisch ableiten. Bisher waren diese finanziellen Zuwendungen eigentlich freiwillige Leistungen des Staates, die jederzeit auch wieder gekürzt oder ganz gestrichen werden konnten. Wenn aber "Gender Mainstreaming" (oder wie immer man es gerade nennt) als staatliches Ziel festgelegt ist, dann besteht quasi so etwas wie ein Rechtsanspruch auf finanzielle Zuwendungen.

Zustimmung. Aber die Ideologie von GM geht weit ueber das blosse Zuschanzen von Dauerpfruenden hinaus; es handelt sich um eine Buerokratie, die sich ueberall anmasst zu bestimmen, was 'Geschlechtergerechtigkeit' im konkreten Einzelfall ist (Definitionshoheit) und diese von ihr selbst bestimmte 'Geschlechtergerechtigkeit' auch mit administrativen/politischen Mitteln durchsetzen kann - geradezu die klassische Definition einer Diktatur. Im euphemistischen Gelaber von GM stellt sich das beispielsweise so dar (Quelle: siehe nachstehender Link):

quote
Gender Mainstreaming ist somit eine Querschnittsstrategie mit dem Ziel, die Geschlechterperspektive in alle Politikfelder zu integrieren, um eine gleiche Teilhabe beider Geschlechter an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen zu realisieren. Gender Mainstreaming eroeffnet Maennern und Frauen gleiche Entfaltungsmoeglichkeiten und vermeidet geschlechterstereotype Zuweisungen. Gender Mainstreaming argumentiert nicht primaer nach moralischen Kategorien fuer Chancengleichheit, sondern nutzt Effektivitaets- und Effizienzargumente. Gender Mainstreaming ist sowohl im Hinblick auf den Zugang als auch in den Zielen ein sozial innovativer Politikansatz, da geschlechtsspezifische Politik in einem sehr breiten Rahmen positioniert wird.
unquote

Da sind viele schoene Worthuelsen drin, wie 'Geschlechterperspektive', 'gleiche Teilhabe beider Geschlechter an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen', 'gleiche Entfaltungsmoeglichkeiten', 'Chancengleichheit', 'sozial innovativer Politikansatz' usw. usf.; wer will einer solch geballten Ladung von Gleichstellungsfloskeln schon widersprechen, schliesslich sind wir alle fuer Gleichberechtigung.

Grundlegendes Problem: Dieser oder aehnliche Texte zu GM strotzen geradezu von Gummibegriffen und sinnverschleiernden Phrasen; wer weiss schon was 'gleiche Entfaltungsmoeglichkeiten' beinhaltet. Nur eines ist offensichtlich: nationale oder supranationale Organe reklamieren fuer sich ein Interventionsrecht an allen 'politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen' um die gleiche Teilhabe beider Geschlechter darin zu realisieren (sprich: zu erzwingen).

Nehmen wir den Text noch etwas weiter auseinander: Die 'Vermeidung von geschlechterstereotypen Zuweisungen' sowie die 'Argumentation nicht primaer nach moralischen Kategorien der Chancengleichheit' laeuft auf nichts anderes als das systematische Unterminieren der Gleichbehandlung des Buergers durch den Staat und damit die Installierung von Rechtswillkuer hinaus - wobei jedem noch halbwegs logisch Denkenden schleierhaft ist, wie ein Konzept, das seine ganze Existenz mit den (mainstreamdefinierten) Stereotypen der 'beiden Geschlechter' begruendet, dieselben gleichzeitig vermeiden zu koennen glaubt. Jedem halbwegs vernuenftigen Menschenrechtler/Buergerrechtler sollten sich bei einem solchen Blankoscheck zuhanden der Obrigkeit die Nackenhaare straeuben.

Man koennte diesen Sermon auch wesentlich kuerzer uebersetzen: Wir wissen am besten, was gut fuer die Maenner und Frauen ist; also muesst ihr gefaelligst alles tun, was wir anordnen!

Fazit: GM ist ein Instrument von besserwisserischen Regulierungsneurotikern, die die Gesellschaft nach ihrer ideologischen Vorstellung von 'Geschlechtergerechtigkeit' umformen wollen. Im guenstigsten Fall ist es nichts als eine Zuschanzung von teuren Pfruenden, so wie Du es siehst, Garfield. Im schlimmsten Fall ist es die Realisierung einer totalitaeren Diktatur, die die Gesellschaft nur noch aus der von ihr selbst definierten, apodiktischen 'Geschlechterperspektive' heraus sehen kann, und alles dieser Sichtweise unterwirft. Ich glaube zwar nicht, dass der GAU eintritt, aber es gibt Anzeichen, dass mit GM systematisch Ungleichbehandlungen eingefuehrt und legitimiert werden sollen. Ungleichbehandlungen fuehren aber immer zu Ressentiments und damit Revanchegedanken der Benachteiligten - eine harte Belastungsprobe fuer eine Gesellschaft, die der Fairness und Gleichheit aller vor dem Gesetz verpflichtet ist.

Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, daß der Feminismus an sich ja von immer mehr Menschen als nicht mehr zeitgemäß angesehen wird. Er setzt sich ja explizit nur für eine Hälfte der Menschheit ein, die obendrein ganz offensichtlich hierzulande längst keine Förderung mehr braucht. Auch das machte es notwendig, der Sache einen neuen, moderner und gerechter klingenden Namen zu geben.

Mag sein, dass das einige der Beteiligten so sehen. Wer aber die GM-Texte genauer studiert, erkennt bald, dass es sich hierbei keineswegs um blosse Imagepflege geht; es geht ganz klar um die Zuweisung von Macht an staatliche/supranationale Institutionen; dass weder die Kompetenzen dieser Institutionen klar definiert sind, noch welche Machtmittel von ihnen eingesetzt werden duerfen, macht GM gerade so gefaehrlich - GM hat den Charakter der Ausrufung eines unbefristeten Notstandes, in dessen Namen sehr weitgehende Rechtsbeugung moeglich ist.

Gruss

Maesi

Gender Mainstreaming


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