Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Bilogismus schlägt wieder: Autismus ist MÄNNLICH

susu, Sunday, 06.11.2005, 22:05 (vor 6948 Tagen) @ Lucius I. Brutus

Als Antwort auf: Re: Bilogismus schlägt wieder: Autismus ist MÄNNLICH von Lucius I. Brutus am 06. November 2005 13:48:

Vielleicht habe ich mich jetzt als Kulturmuffel geoutet oder ist deine Liste voll mit achtungsvollen aber drittklassigen Damen bespickt. Es ist gerade der Beweis, daß ihre Taten nicht so Weltprägend waren, daß sie einer Durchnisttsperson wie mich verkannt blieben. Im Genegnteil dazu kenne ich all die Herren, die Dark knight genannt hat. Komisch! Eine Weltverschwörung, wo möglich.

Meine Liste beinhaltet keine Person, die ich als drittklassig bezeichnen würde. Irene Curie bekam wie ihre Mutter den Nobelpreis verliehen, Lise Meitner hätte ihn zweifach bekommen müssen (Sie hatte mit Otto Hahn zur Kernfusion gearbeitet, mußte als Jüdin jedoch vor den Nazis fliehen, Hahn erklärte bei seiner Rede anlässlich der Verleihung er sei der Meinung der Preis gebühre Meitner ebensosehr wie ihm. Nach dem Krieg legten Meitner und Hahn gemeinsam die Grundlagen zur Chaos-Theorie, wofür sie keinen Preis bekamen, weil diese Ergebnisse erst mit der Verfügbarkeit Leistungsstarker Computer wirklich wichtig wurden). Rosalind Franklin entwickelte die technische Methode, durch die die Entdeckung der Struktur der DNA möglich wurde. Der Rest der Liste besteht aus Frauen, die wichtige Leistungen im Gebiet der phylogenetischen Systematik erbracht haben. Arratias im Münchener Pfeil-Verlag erschienene Abhandlung über die Phylogenie der Fische, ist das Standardwerk der Paläoichtiologie. Ich würde vermuten, daß du auch keinen der Männer kennen würdest, die ich auf diesem Gebiet für ausschlaggebend halte (Briggs? Sepkosky? Jablonsky? Wägele?).

Clara Schuhmann war früher auf den 5-Mark Scheinen abgebildet...

Zu den Künstlerinnen empfehle ich einen Besuch im Museum. Werefkin und Münter waren Teil des blauen Reiters und damit Teil jener Gruppe, die für die Moderne in Deutschland maßgeblich war. Käthe Kollwitzes Arbeit hatte soziale Zustände im Blickpunkt, eine ihrer Inspirationsquellen war u.a. das literarische Werk Gerhard Hauptmanns. Zu bewundern z.B. im Käthe Kollwitz-Museum in Köln. Frida Kahlo war... Dali in Frau!? Das trifft es noch am ehesten.

Gertrude Stein schrieb einen Haufen großartiger Bücher und ließ sich währenddessen von ihren Bekannten malen. Picasso, Cezanne... Hätte sie kein Buch geschrieben hätte sie die Kunstgeschichte allein dadurch maßgeblich beinflußt, daß sie viele der wichtigsten aktuellen Künstler unter einem Dach zusammenbrachte. Dabei blieb es nicht und "How to write" ist eines der präzisesten Bücher überhaupt. "The autobiography of Alice B. Toklas" ist ebenfalls lesenswert und war ein stärkerer Focus für Literaturwissenschaftler.
Virgina Woolf kennst du und das ist gut. Mit "The waves" können wenige Bücher mithalten, für mich persönlich kommt da keines wirklich ran.
Nach Ingeborg Bachmann ist einer der wichtigsten Literaturpreise in Deutschland benannt. Allein das sollte zu denken geben.
Jeanette Winterson schließlich... Definitiv keine leichte Kost. Aber absolut lesenswert. Ich könnte jetzt anfangen von der Struktur der Narrative oder der Doppelbödigkeit in ihren Werken zu schwärmen.

Also im Ernst, diese Listen finde ich höchst albern und gearde zu lächerlich.

Richtig. Die Frage ist: Mit welchem Hintergrund werden sie verfasst? Und letztlich läuft es auf den Gedanken heraus, der bei SiliKat steht:
"Ich meine: Männer sind nicht "besser" als Frauen, aber auch nicht "schlechter". Sie sind aber prägender, weil sie die größere Streuung haben zum Genie wie zum Schwachsinn; zum Guten wie zum Bösen. Also ist logisch, daß sie die Welt auch mehr geprägt haben und prägen werden."

Und ich halte diesen Gadanken für falsch. Es gibt keine größere Streuung, es gab nur auf den betrachten Gebieten die Tendenz die Taten von Männern stärker zu beachten. Und ja, auch das hat die Welt geprägt. Du schreibst:
Warum also in die Ferne schweifen: Heute wo die Voraussetzungen für den weiblichen Anteil der Bevölkerung durch staatliche Maßnahmen sogar besser aussehen, bleiben globale Leistungen aus weiblicher Hand immer noch aus. An den Hochschulen sind immer noch nur 10% der ProfessorInnen weiblich :)

Was zum Beispiel daran liegt, daß neue Stellen nur dann ausgeschrieben werden, wenn die Stellen frei werden (durch Eremitierung). Außerdem brauchts eine Habil, und da können wir nicht aktuelle Geschlechtsverhältnisse bei den Studis betrachten, sondern müssen mal locker 10 Jahre zurückrechnen (mindestens). Dazu kommt: Männer stehen unter dem Druck etwas zu studieren, womit sie "eine Familie ernähren" können. Und einige die gerne Anthropologie machen würden und jetzt aber Elektrotechnik studieren, sind gut in dem was sie tun. Zu guter letzt: Vor 100 Jahren war es einfacher eine bahnbrechende Entdeckung zu machen als heute. Innovation erfordert immer Kenntnis über das, was davor kam. Und mit dem Zuwachs an Wissen der letzten Jahrzehnte ist diese Hürde höher geworden, in allen Bereichen. Zudem gibt es weniger Interesse an aktuellen kulturellen Vorgängen als an jenen, die einige Zeit zurückliegen. Das trifft alle. Wenn jetzt kein Deutscher den Physik-Nobelpreis bekommen hätte, wer hätte geahnt, daß es so etwas wie optische Frequenzkamm-Spektroskopie überhaupt existiert?

Ist "weltprägend" eigentlich ein guter Analysebegriff? Lysenko war "weltprägend", aber kein guter Wissenschaftler. Britnney Spears hat sicher mehr Ohren erreicht als Mozart, sagt das etwas über die jeweiligen Qualitäten aus? Ich bin mir sicher, daß mehr Leute Hera Lind lesen, als Goethe, auch das wird die Welt prägen. Worüber wir eigentlich reden ist ein Kanon. Und das ist a priori verdächtig.

Wie schaffst du es 2 Beiträge zum gleichen Thread zu posten, bei dem einen denke ich "Wow, was für ein tiefgründige und kritische Analyse, Chapeau" und bei dem anderen seufze ich "Ach Mensch, Susu, nicht doch!"

Talent? :)
Ich halte die Frage schon für interessant, warum den Leuten Einstein ein Begriff ist, Lise Meitner jedoch nicht. Unter Physikern zählen beide gleichermaßen zu den wichtigsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts und haben zudem ähnliche Biographien. Ich wollte aus meinem Posting auch nicht die Aussage "Männer und Frauen haben die Welt zu gleichen Teilen geprägt" herausgelesen haben, sondern eher "Es gibt durchaus Frauen, die sich nahtlos in diese Reihen einfügen. Es ist nicht so, als ob Frauen dieses Potential nicht besäßen." Insofern würde ich (um mal ein wenig zusammenfassend zu posten) auf SiliKats:
"Aber: wenn du den Frauen gleiche Verdienste zusprechen möchtest wie den Männern - daß es dafür ein Motiv gibt, ist klar -, würdest du dann konsequenterweise den Frauen auch den gleichen Anteil zusprechen an den großen Verbrechen, welche die Welt geprägt haben ?" antworten:
Weil ich oben nicht den gleichen Anteil annehme, muß ich das konsequenterweise auch hier nicht. Aber in einer Liste von Kriegstreibern, Menschenrechtsverletzern und Faschisten keine Frauen zu finden, ist auch verwunderlich. Das Potential haben sie ebenfalls. Katharina I von Russland, wär so ein Beipiel. Oder Katharina von Medici. Gloria Arroyos Regierung hat nach Angaben von AI 2005 bereits 20 Oppositionelle ermordet... Wo Frauen Macht hatten/haben ist Machtmißbrauch genau so häufig, wie da, wo sie von Männern ausgeübt wird.

susu


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