Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Beschneidung, Vergewaltigung, Todesstrafe (lang)

Arne Hoffmann, Friday, 29.11.2002, 23:51 (vor 8028 Tagen) @ Markus

Als Antwort auf: Re: Beschneidung, Vergewaltigung, Todesstrafe (lang) von Markus am 29. November 2002 17:50:33:

Howdy,

jetzt geh ich doch mal kurz an zwei Punkten dazwischen. :-)
(Kurz vor zehn, für heute genug gearbeitet ...)

Und das ist genau ein Punkt an dem ich persönlich das Gefühl habe, hier wird die objektive Diskussionsbasis in der Antwort von Arne verlassen. Hier ist es unglaublich wichtig hervorzuheben, dass die Frauen die Täter sind. Einen Punkt später - und auch du kommst gleich nochmal darauf zu sprechen - geht es um Vergewaltigung an Männern in Gefängnissen. In dieser Argumentationslinie erhält der Umstand, dass die Vergewaltiger hier Männer sind, ganz unbeachtet gelassen. Bei der Beschneidung der Frau aber wird das Geschlecht der Täter gewichtig in die Waagschale geworfen.

Ja, aber nur um das Klischeebild "Täter Mann - Opfer Frau" aufzubrechen. Die Realität ist eben komplexer. Was die Knast-Vergewaltigungen angeht: Das Argument "die Täter sind doch auch Männer" hört man hier immer wieder.
Etwa auch wenn es darum geht, dass Männer häufiger Opfer von Gewaltkriminalität werden. Das klingt dann immer so, als brauche man sich um die männlichen Opfer nicht zu kümmern, weil doch Männer auch die Täter wären. Diese Logik verkennt, dass Opfer und Täter beide wiederum Opfer eines männerfeindlichen Systems sind. Eine Analogie: In den Großstädten der USA sind die meisten Verbrechensopfer Schwarze - zu etwa 80 Prozent durch ANDERE Schwarze. Da geht auch kein vernünftiger Mensch hin und sagt: "Solange die Neger das unter sich ausmachen, ist mir das egal." Hier existiert bereits ein Bewusstsein dafür, dass diese Gewalt einem rassistischen System zu verdanken ist. Dieses Bewusstsein besteht noch nicht, wenn es um Männer geht.

Hast du total recht! Nur denke ich persönlich ist das eine Frage des Stellenwerts, den jeder für sich selbst setzen muss. Ich persönlich habe mich über Jahre mit dem Missbrauch an Frauen und Kindern auseinander gesetzt und in diesem Bereich engagiert. Auch wenn ich mir sexuellen Missbrauch an Männern durch Mithäftlinge für durchaus schlimm vorstellen kann, würde wenn ich nochmal die Wahl hätte, mich wieder für Frauen und Kinder in diesem Bereich einsetzen und nicht für die Sträflinge. Einfach weil ich eine Bekannte habe, die ich sehr mag und die vergewaltigt wurde.

Aber warum diese seltsame Trennung - entweder für Sträflinge ODER für Frauen und Kinder einsetzen? Ich habe mich Jahre vor meiner Zeit in der Männerbewegung auch mit sexuellem Missbrauch auseinandergesetzt, und es gibt auch in meinem Leben Frauen, die ich sehr mag und die Opfer schwerer sexueller Gewalt in unterschiedlichster Form geworden sind. Aber jeder, der sich gegen sexuelle Gewalt in Männerknästen einsetzt, schützt indirekt AUCH Frauen, da viele männliche Opfer ihre Gewalterfahrungen in die Zeit nach dem Gefängnis übernehmen und die erlittenen Demütigungen dann an Frauen abreagieren. In ihnen staut sich über Jahre hinweg Hass auf, und in der Freiheit versuchen sie, die verloren geglaubte Männlichkeit so wieder zurückerobern zu können. Unter anderem darum setzt sich eine Feministin wie Nadine Strossen gegen Vergewaltigungen in den Gefängnissen ein: weil "eine beträchtliche Anzahl dieser männlichen Opfer dazu prädestiniert ist, wiederum Gewalttaten gegenüber Frauen zu begehen". Für sie stellen Gefängnisse und Strafanstalten ein "Netzwerk der Exerzierplätze für Vergewaltiger" dar. Und tatsächlich gibt eine Untersuchung an, dass 59 Prozent der Vergewaltiger selbst Opfer sexueller Gewalt geworden seien. (Quelle: Seabrook, Jeremy: Power lust. Male rape is the subject of ridicule and pub jokes – because we can´t cope with the idea of men as victims. In: New Statesman and Society vom 27.4.1990, S. 20-22)

Hier sehe ich beim besten Willen keine schwere ethische Entscheidung. Da vergewaltigte Männer im Gegensatz zu Frauen so gut wie keine Lobby haben, konzentriere ich mich gerne erst mal auf sie und helfe den weiblichen Opfern "nur" indirekt. Viel heikler finde ich das Problem der Falschbeschuldigungen. Da muss man manchmal einen echten Spagat hinlegen, um den zu Unrecht Beschuldigten zu helfen, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass echten Opfern weiterhin geglaubt wird und sie Unterstützung erfahren.

Herzlicher Gruß

Arne


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