Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Differenzierte Betrachtung

Maesi, Saturday, 30.11.2002, 15:40 (vor 8028 Tagen) @ Markus

Als Antwort auf: Re: Differenzierte Betrachtung von Markus am 26. November 2002 12:38:05:

Hallo Markus

[Afghanistan]

Zur Situation in Afghanistan will ich folgendes sagen: Selbst die gesprengten steinernen Buddha-Statuen waren der UNO bzw. UNESCO wichtiger als die maennlichen Opfer dort. Wenn jetzt eine Organisation wie 'Gendercide Watch' auch auf die maennlichen Opfer aufmerksam macht, dann hat das gar nichts mit Neid zu tun. Und Bildung (auch Hochschulbildung) ist selbst in einem erzislamischen Staat, wie dem Iran, keineswegs nur den Maennern vorbehalten. Afghanistan als typisches Beispiel fuer einen islamischen Staat zu praesentieren, ist einfach unsinnig.

>Generell gesprochen: Es ist sehr heikel, ohne nähere Kenntnisse in eine andere Kultur hineinzuschauen, nur darauf zu achten, wie Frauen dort behandelt werden (womöglich noch aus westlicher Perspektive) und dann Thesen über ihre Unterdrückung in diesen Ländern aufzustellen.
Das sehe ich komplett anders. Mein (sicher westliches) Rechtsempfinden, das von einem Leben mit freier Meinungsäußerung geprägt ist, weigert sich solche Umstände einfach so mit einem Hinweis auf eine fremde Kultur zur Kenntnis zu nehmen. Ich persönlich werde mir Misshandlungen und Benachteiligungen nicht mit der Rechtfertigung "fremde Kultur" schönreden...

Wie Du selbst schreibst, gehst Du von Deinem westlichen Rechtsempfinden aus. Nimm aber bitte zur Kenntnis, dass in anderen Kulturen auch ein anderes Rechtsempfinden vorherrschen kann.
Dass Misshandlungen menschenrechtswidrig sind, darueber brauchen wir nicht weiter zu diskutieren, egal in welcher Kultur. Es ist jedoch Fakt, dass in jeder Kultur Misshandlungen vorkommen, auch bei uns. Es waere durchaus interessant, zu messen, ob in einer islamischen Kultur Misshandlungen tatsaechlich haeufiger vorkommen als z.B. in einer westlich gepraegten, humanistischen Kultur. Erst wenn solche Vergleichsdaten vorliegen wuerden, koennten wir Aussagen darueber machen, welche Kultur tatsaechlich gewalttaetiger ist.

>In einer zehntägigen Kampagne ab dem 22. November letzten Jahres haben US-amerikanische Männerrechtler darauf hingewiesen, dass die Misshandlung von Frauen in Afghanistan breiten Raum in unseren Medien einnimmt, während die mindestens ebenso brutalen Misshandlungen von Männern Gendercide Watch zufolge einem Schweigetabu unterliegen, ignoriert und verharmlost werden.
Wie du schreibst: "Gendercide Watch". Da unterstelle ich schon mal eine sehr subjektive Beurteilung. Ich persönlich habe ein Problem damit, wenn sich Menschen zum Beispiel für hungernde Kinder in Äthiopien einsetzen und dann andere kommen und meinen das sei ungerecht, weil in Indien auch Kinder verhungern.

Dein Vergleich hinkt. Wenn schon haette es folgendermassen heissen muessen: Jemand setzt sich fuer hungernde Kinder weiblichen Geschlechts in Aethiopien ein, jetzt kommen andere und meinen das sei ungerecht, weil es ebensoviele hungernde Kinder maennlichen Geschlechts in Aethiopien gaebe. Jetzt kann man natuerlich trefflich argumentieren, dass derjenige, der sich nur fuer die Maedchen als Hungeropfer einsetzt immerhin doch etwas Gutes getan hat. Das ist korrekt. Korrekt ist allerdings auch, dass dieselbe Person sexistisch gehandelt hat, indem sie die Jungen als Hungeropfer ignoriert hat.
Die Menschenrechtssituation in Afghanistan war unter den Taliban katastrophal; gesehen wurden, zumindest im Westen, fast nur die weiblichen Opfer. Die Menschenrechte, lieber Markus, sind angeblich unteilbar. Bloss scheinen weibliche Opfer eine wesentlich hoehere Prioritaet zu haben als maennliche Opfer, auch in der UNO. Auf diese verzerrte Sichtweise hat 'Gendercide Watch' hingewiesen, nicht mehr und nicht weniger.

Manche gehen dann am Ende noch einen Schritt weiter. Berechnen Männer und Frauenquoten von Indien und Äthiopien. Da Äthiopien vor einiger Zeit noch im Krieg war und Soldaten männlich sind, liegt es nahe, dass in Äthiopien im Verhältnis mehr Frauen leben als Männer...im Vergleich zu Indien. Nun kommen dann am Ende Thesen auf, die besagen, dass Hilfe für Äthiopien aufgrund dieses Umstandes ungerecht sei und einen feministischen Gedanken trägt? Sorry. Ich denke nicht auf diese Art und Weise.

Ich frage mich allerdings, wer so denkt, wie Du es im obenstehenden Absatz darlegst. Fuer mich zumindest ist diese Logik nicht nachvollziehbar. Ungerecht waere eine Hilfe fuer Aethiopien (aus Geschlechtersicht) nur dann, wenn nur ein bestimmtes Geschlecht den Status als Opfer zugesprochen sowie Hilfe erhaelt. In Afghanistan passierte exakt ersteres: Primaer Frauen wurden als Opfer thematisiert, ihnen (und ihren Kindern) wurde der Opferstatus zugestanden. Eine Frau, die die Burka tragen musste und ansonsten verpruegelt wurde, galt als (akzeptiertes) Opfer; ein Mann der einen Bart tragen musste und dem ansonsten Nase und Ohren abgeschnitten wurden, galt nicht als (akzeptiertes) Opfer, und wurde deshalb weitgehend ignoriert.

Es sollte für jeden Menschen legitim sein sich gegen die Art von Missstand zu erheben, die einen am meisten bedrückt. Der Männeranteil auf dieser Welt ist nicht geringer als der der Frauen. Es ist sehr wohl wichtig, dass "Gendercide Watch" hier eine besonderes Auge auf die Männer wirft, die Missstände auch klar anspricht und sich engagiert - für genau das, was ihnen wichtig ist.

Einverstanden.

Der Hinweis aber, wie ungerecht es ist, dass nun anderen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, halte ich persönlich für falsch. Es gibt unzählige Missstände und man kann nicht gleichzeitig alles verändern. Neid halte ich hier aber für ein falsches Zeichen.

Teilweiser Einspruch. Natuerlich kann man die Situation nicht ueberall gleichzeitig aendern; das waere schon organisatorisch sowie aus Sicht der normalerweise beschraenkten Mittel unmoeglich. Ausserdem brechen ja nicht ueberall gleichzeig Hungersnoete, Kriege oder Katastrophen aus. Wenn in Aethiopien ausnahmsweise mal keine Hungersnot herrscht, im Tschad jedoch schon, dann waere es unsinnig, die Nahrungsmittelhilfe weiterhin auf Aethiopien zu konzentrieren und den Tschad aussen vor zu lassen. Selbst wenn in Aethiopien noch immer Mangelernaehrung herrschte, muesste die Hilfe auf den Tschad mit der akuten Hungersnot konzentriert werden.
In Afghanistan herrschte Buergerkrieg, in dessen Gefolge die Taliban an die Macht kamen. Sie erliessen und vollzogen eine ganze Reihe (auch geschlechter-)diskriminierender Gesetze. Opfer dieser Gesetze waren nicht nur Frauen sondern halt eben auch Maenner. Das Fatale an den westlichen Sichtweise zu Afghanistan war und ist, dass der kausale Zusammenhang zwischen Gesetzgebung bzw. Vollzug und den diskriminierten Frauen erkannt und thematisiert wurde, der kausale Zusammenhang zwischen derselben Gesetzgebung bzw. Vollzug und den diskriminierten Maenner jedoch ignoriert wurde. Die Trennung in akzeptierte weibliche Diskriminierungsopfer und nicht akzeptierte maennliche Diskriminierungsopfer war kuenstlich, denn es handelte sich um zwei Seiten derselben Medaille.

...Männer in Afghanistan werden öffentlich zusammengeschlagen, von ihren Familien getrennt, zum Kriegsdienst zwangsverpflichtet, in Arbeitslagern geschunden, willkürlich hingerichtet, gefoltert und massenweise umgebracht.
Natürlich sind diese Menschenleben nicht weniger wert als die von Frauen. Auch diesbezüglich erinnere ich mich an einige Berichte, die genau darauf hingewiesen haben. Es gab mal eine Zeit in der die Medien andauernd von Ghandi oder Mandela berichteten. Männer die für ihre Überzeugungen gefoltert wurden, ins Gefändnis kamen. Die Medien berichteten ständig darüber - obwohl es sicher auch diverse Frauen gab, die den Widerstand propagierten. Ich denke nicht, dass es sonderlich produktiv ist, Unrechtsbekämpfung allgemein geschlechterpolitisch zu betrachten.

Bei Gandhi und Mandela handelte es sich um Einzelpersonen, die stellvertretend fuer viele Menschen (nicht nur fuer Maenner) standen; fuer die meisten Menschen ist es offenbar einfacher fuer Ideale einzustehen, wenn diese ein konkretes Gesicht aufweisen. Ausserdem war und ist in Suedafrika Nelson Mandelas Exfrau Winnie ja auch sehr populaer. Auch die feministische Bewegung scheint solche Ikonen (beispielsweise Alice Schwarzer) zu benoetigen. Wenn jedoch Bevoelkerungsteilen mit einem bestimmten gemeinsamen Attribut (z.B. Geschlecht, Hautfarbe oder Religion) ein Opferstatus zugestanden wird und anderen Bevoelkerungsteilen (derselben Bevoelkerung), die dieses Attribut nicht aufweisen der Opferstatus verweigert wird, obwohl sie auch Opfer sind, dann nennt man das Rassismus; Sexismus ist nichts anderes als eine spezifische Erscheinungsform des Rassismus.
Geschlechterpolitische Unrechtsbekaempfung ist ja gerade eine feministische Spezialitaet. Auch die UNO kann sich dem kaum mehr entziehen. Wenn die UNO oder andere Organisationen behaupten, Hauptleidtragende von Kriegen seien Frauen und Kinder, dann muessten sie das erstmal belegen; das tun sie jedoch nie, weil sie es schlichtweg nicht koennen oder nur unter Ignorierung wesentlicher Fakten. Statistisch gesehen stellen Maenner den Grossteil der Todesopfer in Kriegen, und das durchaus nicht nur in ihrer Eigenschaft als (nicht selten wehrdienstverpflichteter) Soldaten sondern auch als Zivilisten. Maenner werden auch oefter verwundet und in Gefangenschaft misshandelt (dort teilweise auch vergewaltigt). Diese maennlichen Opfer erscheinen (wenn ueberhaupt) in der Regel geschlechtsneutral als Tote und Verwundete. Aeusserst aufschlussreich waren und sind beispielsweise die Berichterstattungen ueber Funde von Massengraebern in Bosnien. Nahezu immer heisst es: 'Es wurde ein Massengrab mit x Leichen gefunden, darunter auch Frauen und Kinder'. Sofern Frauen und Kinder im Bericht fehlen, kannst Du davon ausgehen, dass es auschliesslich Maenner waren, der zweite Teil des Satzes entfaellt somit; die Leichen erscheinen dann nur noch geschlechtsneutral als 'Opfer'. Nachgewiesenermassen sind die Opfer jedoch ueberwiegend maennlich. Auffaellig ist auch, dass Kinder nahezu immer als Anhaengsel von Frauen erscheinen.

Ich glaube wirklich, dass der Grund hier weniger die Unterdrückung des Mannes war. Ich denke der Grund dafür war einfach der, dass man bei afghanischen Frauen global von unterdrückten Personen sprechen konnte, weil jede Frau nach Auslegung der Scharia, sich in dieses unterdrückte Weltbild zu fügen hatte. Für Männer aber global, kann eine solche Aussage für Afghanistan nicht getroffen werden, weil es unter den Männern eben auch die Drahtzieher, die "Gestapo"-Leute und die Tyrannen gab...

Flasch. Sowohl Maenner als auch Frauen wurden in ein bestimmtes (gesellschaftlich mehr oder weniger anerkanntes) Schema gepresst; ob dieses Schema der dortigen Bevoelkerung genehm ist oder nicht, muss ja letzten Endes diese Bevoelkerung selbst entscheiden. Internationale Organisationen (auch die UNO) tun hingegen so, als ob nur Frauen Verpflichtungen auferlegt wurden und auch nur sie sich dagegen aufgelehnt haben; diese Sichtweise kann man jedoch weder belegen noch begruenden (z.B. mittels Umfragen in der afghanischen Bevoelkerung zu ihrer Situation). Man urteilt einzig und allein aus dem westlich orientierten Rechtsempfinden heraus sowie aufgrund der sexistischen Propaganda, die weiblichen Opfern eine hoehere Prioritaet einraeumt als maennlichen Opfern. Wie ueblich, werden maennliche Opfer gar nicht erst betrachtet, sondern es wird einfach vorausgesetzt, dass Maenner in globo mit diesen Verhaeltnissen einverstanden seien und Frauen nicht.
Der zweite Teil des Absatzes ist nichts anderes als die These von der Kollektivschuld der Maenner. Ja, die Drahtzieher und Exekutoren waren Maenner; sie waren jedoch lediglich eine Minderheit unter den Maennern. Feministische Geschichtsklitterinnen versuchen uns jedoch immer wieder weiszumachen: Weil die Taeter mehrheitlich Maenner seien, seien halt auch die maennlichen Opfer irgendwie Taeter und somit mitschuldig. Nicht die Tat als solches sondern das Geschlecht des Taeters bzw. Opfers stehen im Mittelpunkt dieser Betrachtung. Die Unlogik dieser Betrachtungsweise springt jedem unvoreingenommenen Menschen eigentlich richtiggehend ins Gesicht. Jahrelange feministische Propaganda hat jedoch in weiten Teilen der Bevoelkerung die Sensibilitaet fuer weibliche Opfer geschaerft, diejenige fuer maennliche Opfer jedoch (soweit jemals vorhanden) abgestumpft.

Versteh mich hier bitte nicht falsch. Ich bin auch der Meinung, dass vielen Männern in Afghanistan Unrecht widerfahren ist, auf das auch aufmerksam gemacht werden muss. Nur halte ich Unrechtsbekämpfung unter dem neidischen Blickwinkel der Geschlechtertrennung für sehr fragwürdig. Ich erinnere mich auch an diverse Berichte über Männer, die in den USA hingerichtet werden soll(t)en und würde hier nun auch keine Rufe von Feministinnen akzeptieren, die hier versuchen Geschlechterpolitik daraus zu machen.

Versteh mich hier bitte nicht flacsh. Ich bin auch der Meinung, dass vielen Frauen in Afghanistan Unrecht widerfahren ist, auf das aufmerksam gemacht werden muss. Nur halte ich Unrechtsbekaempfung unter dem sexistischen Blickwinkel der Geschlechtertrennung, in dem Frauen als Opfer wahrgenommen werden duerfen, jedoch bei Thematisierung der maennlichen Opfer, dies als blosser Neid abgetan wird, fuer sehr fragwuerdig. Ich erinnere mich auch an unzaehlige Berichte ueber eine Frau (Karla Faye Tucker), die in Texas (USA) hingerichtet werden sollte (und wurde), die breite internationale Empoerung und zahlreiche Gnadenappelle an die Adresse des damaligen Gouverneurs und heutigen US-Praesidenten evozierten. Die wesentlich zahlreicheren Hinrichtungen von Maennern loesen kaum mehr eine Agenturmeldung bei den Zeitungen und bestenfalls ein hilfloses Schulterzucken in der Bevoelkerung aus. Lediglich einige wenige Organisationen (z.B. Amnesty international) legen routinemaessig Protest ein. Dies ist ein Paradebeispiel, wie (auch hierzulande) geschlechterspezifisch der Opferstatus zuerkannt (naemlich beim weiblichen Hinrichtungsopfer) bzw. beim maennlichen Hinrichtungsopfer ignoriert oder zumindest als ueblicher Normalfall hingenommen wird.

Gruss

Maesi


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