Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 1 - 20.06.2001 - 20.05.2006

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Hinter jedem Emmentaler geht's bekanntlich weiter

Nick, Thursday, 20.10.2005, 06:05 (vor 6966 Tagen) @ scipio africanus

Als Antwort auf: Re: @Nick per saldo aller ansprüche - Nee, nicht so schnell, junger Mann! von scipio africanus am 19. Oktober 2005 11:28:

Guten Morgen Scipio!

"Mein Gott!"

Häh? An den glaubst du doch gar nicht :-))

"Ein bisschen Humor bitte!"

Na eben! Übrigens würde ich das so nicht sagen. Ich finde zum Beispiel das Atheisten-Mantra ziemlich lustig. Du nicht?

"Ich halte Gläubige nicht für dumm, höchstens für ein bisschen naiv, sofern sie an einen persönlichen Gott mit langem weissen Bart glauben. Naiv und dumm sind aber zwei Paar Schuhe (oder Sandalen)."

Naja, einen Bart, wenn auch wohl nicht weiß, den hat er wirklich. Und mit Sandalen ist er, jedenfalls früher mal, tatsächlich durch die Gegend gelaufen. Wir Christen glauben ja, daß Gott in der Person des Jesus von Nazareth Mensch wurde, daß er also in der Tat ganz persönlich geworden ist, sogar (wahrscheinlich) mit Bart. Und auf jeden Fall mit Sandalen :-)

Du scheinst übrigens ziemlich reduzierte Vorstellungen über den christlichen Glauben zu haben und jedenfalls wenig darüber zu wissen. Ich stelle also am besten mal ein paar Sachen klar. Die Schöpfung kommt für uns Christen nicht aus irgendeinem magischen "Ungefähr", sondern aus der Vernunft, denn an ihrem Beginn steht der Logos, nicht das sinnfreie Chaos. Im Lichte der heutigen Kosmologie läßt sich das inzwischen viel detaillierter aussagen, als es zu früheren Zeiten möglich gewesen ist. Da gibt es inzwischen tatsächlich ein gewisses Wissen, wo früher nur der Glaube war, aber das führt hier zu weit ab. Nur aufgrund des Logos als Schöpfungsprinzip ist die menschliche Vernunft überhaupt fähig, die Spuren der göttlicher Vernunft empirisch zu erkennen. Die Vernunft muß bereits da sein, bevor sie erkannt werden kann, denn die Welt gemacht hat der Mensch ja nicht, sondern er ist ihr Ergebnis. Die Schöpfung ist für einen Christen also nicht Trug und leerer Schein voller sinnlosem Leiden, wie die Veden und der Buddha annehmen - und der es deshalb folgerichtig zu entfliehen gilt - sondern sie ist positiv, vernünftig, gut und schön. Sie ist für uns Logos, Wort Gottes, und ruft deshalb nach Antwort, nach Verantwortung. Das ist vielleicht der wirklich fundamentale, der tatsächlich essentielle Unterschied zwischen Ost und West.

Das Prinzip der Schöpfung ist die Liebe, das bedeutet ganz allgemein ausgedrückt: "Dasein für Nicht-Ich". Dieses grundlegende Prinzip der Liebe erweist Gott als PERSON, als dialogisches "Sein für seine Schöpfung". Gott hat Willen und Absicht, äußert diese, ist ansprechbar und tritt in Dialog mit seinem Geschöpf. Wahre Aussagen über das Wesen Gottes, das ansonsten ja unerforschlich wäre, können nur aus diesem Dialog her getroffen werden. Er eröffnet sich dem Menschen als reine Erfahrung nur in seinem antwortenden "Sein für Gott". Der Monolog der eigenen Vorstellungen vermag Gott niemals zu berühren, nicht nur, weil der Monolog Gott selbst völlig wesensfremd ist, sondern weil die eigenen Gedanken natürlich nicht Gottes Gedanken sind. Wer über Gott nachdenkt, braucht sich nicht zu wundern, daß er ihn nicht findet. Das funktioniert halt einfach anders: Gott weiß seine Intimität zu wahren.

Die Antwort auf Gottes Anrede an seine Schöpfung ist der Mensch, den er "nach seinem Bilde", also auf sich hin geschaffen hat. Der Mensch allein ist fähig zu reiner Vernunft und personaler Freiheit. Nur er ist deshalb fähig, des Ganz Anderen hinter dem Trug seiner Sinne inne zu werden und dem Wort zu antworten, das von dort an ihn ergeht. Der Grund dafür, daß überhaupt etwas da ist, und nicht vielmehr nichts, ist der Ruf Gottes nach diesem Dialog, also nach einer Antwort, also nach Verantwortung. Nur von da her bekommen dann menschliche Freiheit und Würde einen positiven Sinn. Ohne Gott gibt es keine Menschenwürde. Wer sie ohne Gott allein vom Menschen her zu denken versucht, denkt den Menschen entweder als Kollektiv, also als äußerste Negation der personalen Würde, oder als getrenntes Subjekt im Antagonismus zum Mitmenschen.

Die Vorstellung, daß der Mensch eine Seele "hat", ist übrigens von den Griechen auf uns gekommen. Im Christentum gibt es diesen Dualismus im Grunde nicht, auch wenn er in verschiedenen historischen Epochen vorübergehend doch immer wieder aufkam, allerdings jeweils präzisiert und jedesmal zurückgewiesen wurde. Die Dualität von Leib und Seele ist für uns Christen nämlich mit dem Begriff der Person nicht vereinbar. Eine Person ist aus sich heraus eine Einheit, die Identität ist ihr wesentlich. Sie ist eine geistige Wirklichkeit transzendenten Ursprungs wie Zieles und kommt nicht aus dem Stoff, ist folglich nicht aus unabhängigen Wesensteilen zusammengesetzt, die sich trennen könnten, wie der Osten glaubt (der indes den Begriff der Person deshalb eben nicht bilden konnte). Weder also "hat" der Körper eine Seele, noch ist der Mensch "eigentlich" eine Seele oder dergleichen, sondern Leib und Seele sind zusammen und in Eins der Mensch, und zwar der bestimmte, individuelle, einmalige Mensch: die Person. Die unauflösliche Einheit der gedanklichen Gegensätze von Leib und Seele ist geradezu das Spezifische des personalen Menschen. Wir Christen reden deshalb nicht eigentlich davon, daß "die Seele in den Himmel kommt", sondern von der "Auferstehung des Fleisches", womit natürlich nicht das Rückgängigmachen der Verwesung gemeint ist, sondern das ewige Fortbestehen des Prinzips der personalen Leib-Seele-Einheit als dem spezifisch Menschlichen. Der verklärte Auferstehungsleib Jesu war den Evangelien nach zwar von anderer Art, als sein biologischer Leib, aber es bestand für die Apostel kein Zweifel, daß es sich um einen Leib handelte.

Gott kann sich dem Menschen als seinem Ebenbild nur mitteilen, indem er selbst ein Mensch wird. Jesus ist nach christlichem Glauben Gott selbst, nicht irgend ein "besonders erleuchteter Prophet", nicht Geschöpf, sondern der Schöpfer selbst: das unscheinbare Inkognito Gottes unter den Menschen. Gott als "allmächtiger Diktator" könnte sich dem Menschen nämlich gar nicht mitteilen, ohne ihn damit zu zerstören, weil er mit seiner Allmacht zugleich des Menschen Freiheit unmittelbar vernichten würde. Im Angesicht der Allmacht hätte der Mensch keine Wahl. Mit seiner Freiheit verlöre er jedoch seine Würde und damit seine Gottfähigkeit. Deshalb kann Gott dem Menschen gar nicht anders erscheinen, als er es in Jesus Christus tut: als Gleicher, der auch abgelehnt, verfolgt und getötet werden kann. Er hat da keine Wahl, wenn er nicht seine schöpferische Absicht in Hinblick auf den Menschen verneinen will. Der Logos ist niemals irrational, willkürlich, unlogisch. Die Menschwerdung Gottes folgt also gewissermaßen logisch zwingend aus seiner Entscheidung für den Menschen: weil er ihn als Ebenbild will, verwirklicht er es dadurch, indem er selbst ein solches wird.

Das Christentum verkündet also keine Lehre, sondern eine PERSON, Jesus Christus eben, in dem Gott dem Menschen letztverbindlich sein Gesicht zeigt und sein inneres Wesen offenbart: die grenzenlose Liebe. Jesus ist nicht "weg", keine ermordete Gestalt der Weltgeschichte, sondern er ist auferstanden und lebt in der Ewigkeit. Ewigkeit ist nicht irgendwo "weit weg" und auch kein Zeitbegriff, sondern jedem Zeitalter an jedem Ort unmittelbare Gegenwart. Daß dieser Satz keine esoterische Spinnerei ist, ließe sich übrigens plausibel zeigen, wenn man über die Natur von Quantenfeldern redete, wofür hier aber nicht der Ort ist.

Wir Christen feiern die Begegnung mit diesem Jesus, dem "Ewigen Logos", ununterbrochen seit 2000 Jahren in der Kommunion während der Heiligen Messe. Das ist für uns nichts Symbolisches, nichts Äußerliches, keine gedankliche Vorstellung, sondern direkte, unmittelbare Wirklichkeit. Der christliche Glaube besteht nicht darin, sich etwas vorzustellen, sondern es real zu erfahren. Deshalb ist das Entscheidende des christlichen Glaubens nicht irgendein Wissen, eine philosophische Theorie, eine sittliche oder spirituelle Lehre oder dergleichen, sondern persönliche Nachfolge. Christentum bedeutet die ontische Verbindung, die Zugehörigkeit zu der Person Jesus Christus, in der Gott einer von uns ist. Es handelt sich dem Wesen nach um eine Liebesbeziehung. In der Bibel ist das wiederholt unter dem Bild der Vermählung beschrieben.

"Nein, ihr glaubt nicht mehr, die Erde sei eine Scheibe. Ihr glaubt auch nicht mehr, dass die Sonne und die Sterne um die Erde kreisen."

Das ist schon wieder mal ganz schön herablassend, Scipio. "Wir"... wer soll das eigentlich sein? Aber schaun wir erst mal, ob du diesmal vielleicht Grund dafür hast. Das mit der Erde im Mittelpunkt der Welt (als Kugel übrigens, nicht als Scheibe!) haben seinerzeit ALLE Menschen angenommen, nicht nur "wir". Und weißt du was? Es stimmt sogar heute noch! Man darf sich nämlich jedes beliebige System als ruhend denken, weil überhaupt kein absolutes Inertialsystem im Kosmos existiert. Wenn du durch einfache Koordinatentransformation die Erde in ein Ruhesystem überführst, dann drehen sich Sonne, Mond und Sterne heute nicht anders als früher um die Erde. Kopernikus, Kepler und Galilei haben letztlich nichts weiter getan, als die Sonne in ein solches Ruhesystem zu transformieren und darauf gründend dann völlig zutreffend festgestellt, daß sich die Erde nun um die Sonne dreht. Mehr nicht. Das mit der Relativität der Systeme haben die Kardinäle übrigens damals schon besser verstanden als die Naturforscher, die in der Folge die "Drehung der Erde um die Sonne" ja zu einem Dogma erhoben, was es, wie ich gerade angedeutet habe, ja überhaupt nicht ist. "Weltbildinhaber" interessieren sich zwar nicht sonderlich für solche Details, aber wenn ich zum Beispiel das galaktische Zentrum in ein Ruhesystem transformiere, dann drehen sich Erde, Sonne, Mond und Sterne gemeinsam um das Zentrum der Milchstraße. Das wußte damals natürlich noch niemand, weil man nichts von Galaxien wußte, aber das abstrakte Prinzip hätte Galilei seinerzeit durchaus auch von den Inquisitoren lernen können.

Der Kern des Streites ging nämlich in Wahrheit gar nicht um die Geometrie der Himmelskörper, sondern um die Stellung des Menschen in der Schöpfung. Darin bestand für die Kirche seinerzeit das eigentliche Problem. Weil auch ich, wie meine Kirche, im Zentrum der Schöpfung den Menschen sehe, ist es für mich bis heute durchaus nachvollziehbar, daß man diesen als im Zentrum ruhend denkt und die ganze Schöpfung auf ihn bezieht. Weil, wie gesagt, überhaupt kein wirkliches Zentrum im All existiert, ist es auch heute noch nicht nur erlaubt, sondern sogar meistens ziemlich sinnvoll, den Menschen in ein Ruhesystem zu transformieren (außer man fliegt ins All oder man denkt über dieses nach etc.). Wenn du deine Reise nach Timbuktu planst, dann tust du das nicht nach solaren oder galaktischen Koordinaten, sondern auf einer ruhend gedachten Erde. Auch wenn jemand sagt, die Sonne gehe auf, dann tut er genau dies. Wenn nun ein blitzgescheiter "Beibringer" wie du darauf entgegnet, der Sonnenaufgang sei seit Galilei widerlegt, weil sich die Erde ja um die Sonne drehe, dann kann man zurecht erwidern, daß Galilei längst widerlegt sei und wir uns um das Galaktische Zentrum herumdrehen... oder mit der lokalen Galaxiengruppe um das Zentrum des Virgo-Superhaufens.

"DAS haben wir euch beigebracht, und einige von uns (Ketzer) mussten das auf dem Scheiterhaufen widerrufen."

Aha, "ihr" habt "uns" was beigebracht! So, so. Wer ist eigentlich "wir"? Du etwa? Und wer ist "ihr"? Ich? Mir scheint, daß ich dir gerade etwas beigebracht habe, und nicht du mir. In dem Fall wäre es nun an dir zu widerrufen, nicht an mir. Ich verspreche dir natürlich, daß ich dich nicht auf den Scheiterhaufen bringe, wenn du es nicht tust, sondern einfach schlußfolgere, daß du den Mut Galileis nicht aufbringst, einer erkannten Wahrheit, und nicht dem Mainstream gemäß daherzureden. Der "Mainstream" ist, jedenfalls hier, ganz gewiß nicht der Glaube, sondern der Unglaube, für den du ja schon deinen Applaus bekommen und diesen artig quittiert hast. Keine große Sache, natürlich, eine kleine Charakterschwäche, eigentlich nicht der Rede wert, aber eben auch keine Heldentat, deretwegen du nun berechtigt wärest, dich ausgerechnet auf Galilei zu berufen, um mir deinen Ruhm zu verkünden. Ich halte dich aber trotzdem auch für ein kurliges Wesen.

"Lieber Nick! Deine Argumentation geht am Kern der Sache vorbei! "Wissenschaftliche Erkenntnisse" sind für mich eben NICHT die absolute Wahrheit, sondern unterliegen ständiger Überprüfung. Wenn Widersprüche auftreten, werden diese "Erkenntnisse" fallengelassen. So isses, das unterscheidet den Wissenschaftler vom Gläubigen."

Schön wär's. Stimmt aber nicht. "Erkenntnisse" werden "von euch" eben nicht fallengelassen, wenn sie widerlegt worden sind, sondern nur um so wilder und widersinniger weiter verteidigt. "Ihr" seid nämlich gar keine Wissenschaftler, sondern schnöde "Weltbildinhaber", also bornierte Ideologen, die nur so tun, als dürften sie sich auf die Wahrheit berufen, oder oft: die gar nicht wissen, was eigentlich Stand der Wissenschaft ist, aber so daherreden, als wüßten sie es, und einfach blanken Unsinn verzapfen, zum Beispiel, daß die Welt kausal, determiniert und berechenbar sei. Das ist sie nicht! Nicht weil die Christen das schon immer so gesagt haben, sondern weil die Physiker das vor bald 80 Jahren unwiderlegbar bewiesen haben. Wir haben das gemerkt. Ihr nicht. Und es hat uns kein bißchen erstaunt. Man könnte es auch so ausdrücken: Du befindest dich geistig an exakt jener Stelle, an der du die Inquisitoren in der Auseinandersetzung mit Galilei vermutest - ich aber erkläre dir hier, was die Welt im Innersten zusammenhält, weil du es einfach noch nicht mitbekommen hast. Als Inhaber des heute herrschenden Weltbildes reagierst du darauf nicht anders, als es Menschen zu allen Zeiten in solch einer Lage getan haben: mit Ignoranz und Überheblichkeit. Die Kirche war in dieser Hinsicht seinerzeit übrigens intellektuell durchaus etwas sorgfältiger als "ihr" heute.

Deine Argumentation geht also am Kern der Sache vorbei, Scipio, und nicht meine. Nicht etwa nur wegen deiner mehrfach erwiesenen Lücken im Wissen über elementare Zusammenhänge, die du trotzdem ungerührt als Argument benutzt, die also deshalb in schroffem Gegensatz zu deinem eigenen Anspruch stehen, sondern weil du nicht einmal richtig aufgenommen hast, wie ich eigentlich genau argumentiert hatte. Das Prinzip der Falsifikation als wissenschaftliche Methode ist mir nicht nur mutmaßlich geläufiger als dir - jedenfalls mußt du es mir nicht erst erläutern, damit ich es auch weiß - sondern ich habe ausdrücklich nicht der Naturwissenschaft unterstellt, sie behaupte die Wahrheit zu kennen, sondern das habe ich den Vertretern der sogenannten "wissenschaftlichen Weltanschauung" vorgeworfen - das ist etwas ganz anderes - und habe es danach nachgewiesen. Da du dich explizit zu dieser Weltanschauung bekennst und sie dir zu eigen machst, trifft die Kritik an ihr in vollem Umfang auf dich zu: du glaubst an erwiesenen Unsinn, der längst widerlegt ist - also nicht "in Zweifel steht" oder "einer Untersuchung nicht zugänglich ist", sondern wirklich widerlegt ist! Du meinst also nur, etwas zu wissen, und deshalb meinst du nicht nur, es nicht nötig zu haben, etwas dazuzulernen, sondern du meinst, berechtigt zu sein, anderen das vorzuhalten, was du selber tust: an Dinge zu glauben nämlich, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Projektion nennt man das Phänomen, wenn einer keine Lust hat, sich über sich selber zu ärgern, wie es sich eigentlich gehört, sondern die eigenen Mängel lieber in einen anderen projiziert, weil es halt leichter und angenehmer (wenn auch nutzlos) ist, sich über andere zu ärgern, anstatt über sich selbst. Nicht sehr ruhmvoll, das, und übrigens ein Zeichen für einen bevorstehenden Paradigmenwechsel. Diese Konstellation begegnet mir nämlich landauf landab mit schöner Regelmäßigkeit - was mir natürlich viel Freude bereitet :-)

Meine Kirche ist ihrer Zeit auch nach 2000 Jahren halt dermaßen weit voraus, daß es noch kaum jemand mitbekommen hat. Scipio, in Wahrheit befindest du dich exakt in der Lage, in der du mich irrtümlich wähnst: "von gestern" und etwas naiv zu sein und Überzeugungen zu haben, die nicht auf der Höhe der Zeit sind. Interessante Wendung, gell? Jetzt bin ich aber sehr auf deinen Charakter gespannt, wie du darauf reagierst... :-)

Über den 1.000 Tonnen schweren Emmentaler Käse hatte ich ja heute früh schon das Nötige gesagt. Bleibt also nur noch das folgende zu beantworten:

"Es ist mir schleierhaft, wie du auf diesen Gedanken kommst [daß du dir den Tod als schlimm und deswegen nichts anderes als ein Sein in diesem Leben hier vorstellst]. Ist es nicht vielmehr so, dass der Gläubige sich nicht damit abfinden kann, dass sein Leben endlich ist? Wieso sollte ich Angst vor dem Nichts haben? Genau, ich hab vor Nichts Angst! :)"

Ist das Nichts denn eine allgemein bewiesene Tatsache, mit der man sich deshalb selbstredend abzufinden hat? Wenn dir das so geläufig und selbstverständlich ist, dann erläutere mir jetzt doch mal, was "das Nichts" ganz genau ist. Das wird danach garantiert ziemlich lustig werden. Ich vermute derweil mal, im Nachdenken über deine möglichen Beweggründe, daß du hier wieder nicht genau genug hingehört und nachgedacht hast. Der Gedanken, daß sich hinter einem völlig unbegründeten, leeren ("Nichts"!) Glauben eine unbewußte, affektive Haltung der Ängstlichkeit und Furcht verbirgt, lag einfach mehr als nahe. Nun bestätigst du das sogar ausdrücklich mit deinem letzten, eine kleine Idee zu schrill und erkennbar ad-hoc formulierten Satz, du habest "keine Angst vor dem Nichts". Fragt sich natürlich, woher du das eigentlich wissen willst, daß es jenseits deiner physischen Existenz hier nichts als das Nichts gibt. Stell dir übrigens mal probehalber vor, daß es das Nichts wirklich gäbe - und dich trotzdem, als einzigen Inhalt dieses Nichts. Keine besonders schöne Vorstellung, oder? Warst du übrigens schon mal da? Lauter bitte! Wie? Nein? Woher weißt du es dann? Du weißt es nicht? Dann ist es also ein Glaube. Kein Wissen, sondern Glaube. Anders ausgedrückt: du bist wie ich (und ausnahmslos jeder Mensch übrigens) auch ein Gläubiger! Auch ein "kurliges Wesen" also. Haben wir das soweit d'accord miteinander?

Nun, dann geht es jetzt um den Inhalt des Glaubens. Nicht um meinen, denn von dem willst du ja eh nichts wissen, sondern um deinen. Da habe ich nämlich einen bestimmten Verdacht. Im Glauben an das Nichts drückt sich ja vor allem die Vorstellung aus, man müsse keine Verantwortung tragen für das, was man aus seinem Leben gemacht hat, es würde einfach irgendwie konsequenzenlos ins Nichts verklingen, ohne einen danach irgendwie weiter zu belästigen. Das ist ja das "Heil", das man sich davon verspricht und das diese Vorstellung für heutige Menschen so annehmbar und sogar attraktiv macht. Verzeihung, aber das finde ich nun naiv, viel naiver, als den weißen Bart von Gott. Kindlicher und einfältiger kann ein Glaube nämlich gar nicht sein, denn es ist das schiere Wunschdenken! Der einzige rationale Grund für diese Vorstellung ist der schlichte Wunsch, es möge so sein - und die dahinterliegende, latente Furcht natürlich, es könnte eventuell auch anders sein, die mit diesem Glauben ja gebannt werden soll. Irgend eine "Empirie" gibt es da auf jeden Fall nicht, sondern nur ein ziemlich krudes, ausgedientes, primitives Dogmengebäude, zusammengestoppelt aus der längst widerlegten sog. "wissenschaftlichen Weltanschauung", das einer sauberen Prüfung keine drei Minuten lang standhält und zu nichts weiter als zum ziemlich morbiden "Trost" einer imaginierten Exhumierung ausreicht - hier vor einigen Tagen erst so gelesen. Diese anakastische Sehnsucht nach der Verantwortungsabgabe und das dürftige theoretische Rechtfertigungssystem erinnert übrigens mehr als nur von Ferne an die Feministinnen, die zwar unbeschwert die halbe Welt in den Abgrund reißen, aber keinerlei Verantwortung dafür übernehmen möchten. Zwei Überlegungen schließen sich nun daran an:

1.) Wie geht dein Glaube an das Nichts mit dem Problem um, daß dein Leben hier ja ganz unzweifelhaft Konsequenzen hat, darunter eine ganze Menge übler Konsequenzen, die nicht nur zu deinen Lebzeiten in Erscheinung treten und dir deshalb (wenigstens zum Teil) hier wieder begegnen könnten, sondern sie wirken selbstverständlich auch noch nach deinem Tod weiter. Wer trägt all diese Konsequenzen eigentlich? Andere Leute? Wieso sollten sie?

Wenn du diese Möglichkeit verneinst und das Prinzip Verantwortung bejahst, dann hätte sich dein Glaube an das Nichts von ganz alleine erledigt und du müßtest dich schnell nach etwas anderem umschauen (resp. darauf verzichten, deinen klaren Verstand zu behalten). Wenn du indes der Ansicht sein solltest, daß die Konsequenzen eines Menschenlebens halt von irgendwelchen anderen Leuten getragen werden, dann folgt daraus, daß du deinerseits, wie alle anderen Menschen, dazu verdammt wärst, alles Elend der Welt zu erben und es insbesondere erleben zu müssen, wie dieses Leid nicht nur nicht besser wird, sondern gesetzmäßig immer weiter zunimmt. Die Geschichte der Menschheit wäre demnach eine unendliche Zunahme von Leid und Elend, einfach nur als Erbe der Konsequenzen früherer Leben von anderen Menschen. Die Erfahrung lehrt, daß das, trotz des Leids, was es auf der Welt wohl gibt, in der Weise nicht zutrifft. Es muß offenbar immer irgendwelche Menschen geben, die an mehr glauben, als an das Nichts. Ganz evident erben wir ja nicht alles Leid, nicht alle Konsequenzen, die sich aus den Fehlern und Verbrechen unserer Vorfahren ergeben. Wie kommt das?

Religiös betrachtet gibt es dafür zwei denkbare Lösungen. Entweder die östliche mit ihrer Idee von Karma und Wiedergeburt, oder die westliche mit der Idee der Sündenvergebung. Der ersten liegt der Gedanke zugrunde, daß das Gute im Laufe langer Zeiträume gelernt wird durch erleiden des Bösen. Der westliche, christlichen Weg beruht auf dem Gedanken, daß das Gute gelernt wird durch erfahren des Guten selbst, der Vergebung des eigenen Bösen nämlich, um einen redlichen Neuanfang zu ermöglichen, der nicht von vornherein in einem Ozean von Schuld, Verdrängung, Selbstbetrug und Lüge ertrinkt. Dieser zweite Weg ist im Buddhismus so nicht möglich, ohne sich radikal von der Welt abzuwenden, weil der Buddha keine Sünden vergeben kann. Aber Gott kann es. Soviel also, ganz stark verkürzt natürlich, zum Inhalt von wesentlichen, bereits bestehenden, religiösen Wegen.

Was sagt nun deine "Religion des Nichts" eigentlich zu diesem fundamentalen Problem? Komm mir jetzt aber bitte nicht mit irgendeinem Geschwafel, also mit "meinen" und "finden" von irgendwas, sondern erwäge das vorher ganz sauber. Das gilt natürlich nicht nur für dich speziell, wenn du es zum Beispiel nicht machen willst, sondern analog für jeden Interessierten, der dies hier liest.

2.) Unbeschadet deiner möglichen Antworten dazu und der Frage, ob du diesem Glauben nun eigentlich tatsächlich anhängst (denn das weiß ich ja noch nicht wirklich) - wenn ich von der allgemeinen Erfahrungstatsache ausgehe, daß die Nichts-Gläubigen, die ich kenne, dieses Problem fast immer dadurch "lösen", daß sie es für irrelevant erklären, zum Beispiel indem sie darauf verweisen, daß sie ja dann "weg" sind und es sie deshalb nicht weiter jucken muß, dann folgt daraus, ganz unabhängig von der Plausibilität ihres Glaubensinhaltes, zwingend ein absolut vernichtendes moralisches Urteil: Der Glaube an das Nichts hat nämlich furchtbare Folgen für die Menschheit, wenn sie ihn sich in größerer Zahl zueigen macht. Die Nichts-Religion kann aus sich selbst heraus keine Verantwortung begründen! Gewissen und Ethik werden zu letztlich irrelevanten, leeren Kategorien. ALLES "geht" im Prinzip, ohne irgend eine denkbare Grenze. Auch schlimmste Verbrechen, die sich bisher noch keiner in seinem düstersten Alptraum ausmalen kann, die z.B. den Mord an den Juden oder die sowjetischen Gulags lässig in den Schatten stellen, finden mit dieser Überzeugung keine prinzipiellen Hürden mehr. Mit anderen Worten: der "Glaube an das Nichts", die verrückte Idee, man könne beliebig handeln, wenn man das möchte, ohne daß dies entsprechende Konsequenzen für einen selber habe, ist in sich bereits die perfekte Verwirklichung der Hölle, nicht in einem Jenseits, an das du ja nicht glaubst, sondern jetzt einfach ganz diesseitig gedacht. Mag ein Gläubiger des Nichts auch annehmen, daß ihn wirklich nichts als das reine Nichts erwartet - die logische Absurdität dieses Gedankens hatte ich allerdings oben kurz angedeutet - dann kann ihn das dennoch nicht davor bewahren, hier und jetzt wegen der Konsequenzen für die Zukunft unseres Diesseits zur Rede gestellt zu werden, die sich mit Notwendigkeit aus seinem Glauben ergeben müssen. Was danach kommt, das sieht man dann schon: Man kann das hier also durchaus offen lassen, weil es in dem Fall an der grundsätzlichen Fragestellung ja nichts ändert. An Einwänden gegen diese Argumentation habe ich bisher nichts als Geschwafel gehört: Sie ist zwingend! Das muß man alles sauber mitbedenken, Scipio, bevor man so leichthin sagt, man glaube an das Nichts.

Du hattest zum Schluß noch gefragt, woher mein Enthusiasmus herrührt. Nun, ich habe persönlich erfahren, was Schönheit eigentlich ist und was Glück für unglaublich subtile Dimensionen erreichen kann. Ich mache mir überhaupt keine Illusionen darüber, daß heute viele Menschen, die solche Aussagen lesen, sich den Bauch halten werden vor lachen, insbesondere natürlich die überzeugten Anhänger der "Religion des Nichts". Das setze ich einfach als ganz selbstverständlich voraus und es interessiert mich ansonsten nicht weiter. Nicht jeder Mensch hat annähernd die Bedeutung, die er sich selber beimißt. Mögen also meinetwegen 99% den Kopf schütteln oder sich schieflachen - nebbich! Die wenigen anderen aber, die vielleicht doch neugierig werden und dann selber anfangen, redlich und ernsthaft danach zu suchen, die sind es mir halt wert. und die anderen sind mir einfach wurscht. Wer wollte mir das verwehren?

Das, worum es da eigentlich geht, ist einfach unaussprechlich schön! So einfach ist die Erklärung im Grunde... :-)

Gruß vom
Nick

P.S.: Jetzt fragt bestimmt gleich wieder einer, was das eigentlich mit dem Forenthema zu tun hat. Wollen wir wetten?


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