Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Lieber Holger...

*carlos*, Tuesday, 12.06.2007, 00:40 (vor 6374 Tagen) @ Holger

Servus, Holger!
Die Jahre verfliegen, die Zeiten ändern sich und uns, mein Freund, und mit jedem Jahr, das da zwischen den Fingern immer schneller nur so zerrinnt wie Wasserperlen während der Gezeiten, so rundet sich ebenfalls der Kreis unseres Lebens immer schneller seiner Bestimmung entgegen... Das Rad des Lebens dreht sich dem Ziel entgegen, mein Freund... Mittlerweile ist es müßig, die weißen Haare zu zählen; viel leichter fiele es, die noch verbliebenen nicht weiß gewordenen dem Zensus zu unterwerfen... ich weiß, daß Du verstehst...
Vor Jahren waren wir zwei im alten Forum ?Krieg der Geschlechter? wegen des Irak-Kriegs aneinander geraten, aber glaub? mir, mein Freund... dies beruhte nur auf gigantischen Mißverständnissen; mir tut das noch heute so unglaublich leid, glaub? mir... Im Grunde lagen unsere Standpunkte nämlich deckungsgleich übereinander... ganz bestimmt... Ich erinnere mich noch genau: Stichwort Odessa (Das war das Deinige!)... Stichwort Dresden... Stichwort Rheinwiesen... Wir hatten anno 45 genau so wenig wie heute Freunde auf dieser Welt, und jeder, einschließlich sowjetischer Soldateska und Angloamerikaner, trachtete danach, möglichst viele der deutschen Krauts oder Fritzen (Ilja Ehrenburg...), aus dem Leben zu bomben, völlig egal, daß es sich dabei nur noch um Alte, Kranke, Schwache und Kinder gehandelt hatte, nachdem die kräftigen Männer-Jahrgänge entweder auf den Schlachtfeldern krepiert oder nach Sibirien verbracht worden waren... Manche Wunden verheilen niemals, lieber Holger, und es sind immer und grundsätzlich nur die Sieger, welche die Geschichte mit dem Blut der Hingemetzelten schreiben... Ich weiß das, und Du weißt das auch...
Arne Hoffmann ist nicht nur für sein Buch als solchem zu danken; er, der sich selber einmal, ganz grob gesagt, gleichwohl expressis verbis, im politischen Sektor der Linksliberalen verortet hat, ist es hoch anzurechnen, daß gerade eben ausgerechnet ein bekennender Linksliberaler so viel Objektivität, Courage und Distanz zum eigenen politischen Standpunkt aufgebracht und solch ein Buch geschrieben hat... Chapeau, meine Bester! Meine ehrlich empfundene Verehrung!
Philosophiert hatten wir beide seinerzeit auch, ich erinnere mich dessen gut, über die alten Finnen, welche zum Altern zwar an den mediterranen Gestaden siedeln, zum Sterben jedoch in die winterkalte, dunkle, sonnenlose Tundren-Einsamkeit Skandinaviens zurückkehren... Ich habe sie ja nun nicht kennenlernen können, diese alten Finnen.... Südamerikaner indes... die können von Glut und Hitze, freilich palmenbedacht, kaum je genug kriegen... Die gähnende Weite endloser Horizonte in den sonnenbeschienenen Llanos zwischen und Venezuela und Kolumbien (ich spreche ausdrücklich nicht von den kompletten Katastrophen der Großstädte), deren natürliche, entwaffnende Schönheit, sowohl hinsichtlich der gleißend farbenprächtigen Natur und der glasklaren Nächte mit ihren riesengroß funkelnden Sternen am Firmament, als auch in Gestalt der echten, wahren, hinreißend schönen Weiblichkeit, die ganz genau weiß, was sich geziemt und was nicht und sich unterstehen würde, die Regeln zu brechen, wollte sie nicht im Orkus oder auf dem Strich versinken... Dort, wo das per Handschlag gegebene Ehrenwort unter wahren, stolzen Männern mehr zählt als alles andere, dies habe ich alsdann nur noch in den trockenen Steppen Zentralasiens kennengelernt.
Ja, Du hast ja so recht mit Deinen philosophischen Anwandlungen... Im Grunde benötigen wir sie ja nicht, die Frauen; sie bedürfen unser mehr als wir ihrer. Vögeln auf der ganzen Welt, aber eine gewisse Leere in Seele und Herzen bleibt zurück, weil kein Part mehr existiert, der unsere gegenpolare Hälfte mit Leben, Liebe und Wärme anfüllte und deren Hälfte wir unsererseits mit Leben, Liebe und Wärme anfüllen dürften, was wir ja so gerne täten, auch vor allem dann, wenn erst die Kinder flügge geworden sind und das Haus nur noch Stille parat hält, wenn man als alter Sack abends heim kommt. Und je älter wir werden, desto mißtrauischer und auch zynischer werden wir; die Ansprüche steigen mit jedem zusätzlichen Lebensjahr, ebenso, wie das Wissen um die damit zunehmende Unwahrscheinlichkeit, sich unter ebendiesen Bedingungen nochmals ernsthaft verlieben zu können; bedeutet dies doch nichts weniger als eine höchst verständliche Schutzreaktion auf die unabänderlichen Zustände, die wir in dieser Gesellschaft nun einmal vorfinden. Jener Günter Franzen, seines Zeichens Autor bei den Frankfurter Heften ? wurde hier vor kurzem, ich glaube von gast-xy, verlinkt ? hatte sein spätes... sein zu spätes Begreifen all dessen, was dessen kriegsteilnehmenden Vater zu dem körperlichen, geistig-seelischen Wrack gemacht hatte, welches vom egomanischen Ehegesponst nach dessen Rückkehr aus den vier Wänden mit mitleidlosen Worten ?rausgekegelt worden war, als er sich am Ende das Leben nahm, in schlichte, gleichwohl anrührende, ergreifende Worte gekleidet, die zu Tränen rühren... Ja, er hatte wohl begriffen... spät, sehr spät allerdings, zu einem Zeitpunkt, als des Vaters Grab längst eingeebnet worden war und als sich des Autors eigenes Leben bereits zu runden begonnen hatte... Es hatte dessen Mutter ja nun nicht gereicht, den Vater lediglich in die Gosse jagen, nein, sie mußte ihn dem Kinde, dem Sohn allzumal, auch immer wieder madig machen. Und es sind Texte wie dieser, die mich daran gemahnen, daß der ansonsten wohl ziemlich kranke Friedrich Nietzsche recht gehabt hatte, als der dazu riet, die Peitsche mitzunehmen, wollte man den Weg zum Weibe beschreiten.
Warum gibt es uns? Woher kommen; wohin gehen wir? Wer sind wir? Was sind wir? Was bleibt von uns? Bleibt überhaupt etwas von uns? Hm... sind erst einmal unsere Enkel verstorben, spätestens dann wird sich auch niemand mehr an uns erinnern... Oder anders gefragt: Weißt Du, was Deine Urgroßeltern, von denen Du ja zweifelsohne abstammst, gefühlt, gedacht, gemacht haben...? Woran haben sie geglaubt? Worüber haben sie gelacht? Worüber hatten sie sich gefreut? Was war ihnen wichtig? Welche gütigen Augen hatten sie, mit denen sie Dir in Herz und Seele hätten blicken können? Nein, nichts... Zerstoben, zerfallen, vergangen... vor den Gezeitenwinden unseres Lebens... Rein rhetorische Fragen, die da so verbleiben, freilich, ich weiß, und ich erwarte keinesfalls, daß Du eine plausible Antwort darauf wüßtest, lieber Holger... Wir sind ja alle nur auf der Durchreise...
William Conrad meinte einmal sinngemäß: ?Wir leben, wie wir geboren werden... und wie wir sterben... ganz allein...? Und damit hatte er recht...

Mach?s gut, mein Bester! Ich mußte Dir das einfach schreiben..

carlos


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