Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Wieder mal das Thema Abtreibung

Isegrim, Friday, 10.03.2006, 05:24 (vor 6770 Tagen) @ isegrim

Als Antwort auf: Re: Wieder mal das Thema Abtreibung von isegrim am 09. März 2006 01:06:

Wieso ist der Mensch von absolutem Wert? Hier wird oft die Gottesebenbildlichkeit (und damit: die Seele des Menschen) angeführt, oder eben Kants „Methaphysik der Sitten“ – daher stammt auch die „Mensch als Zeck an sich betrachten“-Formel, die ich in obigem Post ansprach, und in direkter Linie daraus Artikel 1 GG und die so genannte Objektformel des Grundgesetzes. Der Mensch ist von absolutem Wert.
Die Frage ist nun natürlich: Was ist ein Mensch? Bzw. welche Eigenschaft macht ein Ding derart schützenswert, daß moralische Regeln darauf angewandt werden müssen? Ist es das Vorhandensein von Selbs-Bewußtsein? Das haben wohl Primaten zumindest auch. [Die Idee, moralische Wertigkeit an ein Selbst-Bewußtsein zu koppeln, oder zum Beispiel an die Leidensfähigkeit, ist gar nicht so abwegig: der australische Moralphilosoph und Tierrechtler Peter Singer befürwortet ähnliches (und sieht sich deshalb starker Kritik ausgesetzt).] Reicht ein Zentrales Nervensystem aus? Können wir davon ausgehen, daß Wesen ohne ZNS nicht Träger dieser ominösen Menschenwürde sein können? Ist die Zugehörigkeit zur biologischen Art Mensch hinreichend? Ist sie gar notwendig? Und wie begründet man das? Gibt es überhaupt absolute Werte? Philippa Foot argumentiert dagegen: alle kathegorische Imperative gibt es nicht. Mackie lehnt gar die Moral an sich ab: sie hat in seiner Ontologie keinen Platz (sehr platt gesprochen). Wenn absolute Werte aber intersubjektiv sein sollen – diesen Test besteht das gegebene Problem sicher nicht:
In Indien war traditionell die Wahrnehmung erster Bewegungen des Fötus der Zeitpunkt, ab dem er eine Seele hatte und nicht mehr abgetrieben werden durfte (4.-5. Monat). Im Islam gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wann diese „metaphysische Transsubtiation“ (die Änderung der Substanz von Zellmasse zu Mensch durch das Einhauchen der Seele) stattfindet: nach 40, 80 oder 120 Tagen. Die christliche und jüdische Position dürfte bekannt sein.
Stellen wir also fest: es ist äußerst strittig, ob einem Embryo Schutzwürdigkeit im Sinne der Menschenwürde zusteht, oder nicht, oder ab wann genau (Zeitfestlegungen bei kontinuierlichen Prozessen sind natürlich immer schwierig, aber das begegnet einem in der Gesetzgebung ja ständig: bei der Frage der Volljährigkeit, Strafmündigkeit, sexuellen Selbstbestimmung etc. – immer wird einfach ein gewisses Alter mehr oder weniger willkürlich festgelegt). Der Moralphilosophie kommt da zu keinem Ergebnis (und wird es in der ewigen Diskursphilosophie auch nie), die Religionen sind sich genauso uneins wie der Ethikrat - dieses Problem ist durch eine Setzung in der Form von: "es ist so"/"es ist nicht so" nicht zu lösen.
Ich persönlich, sehe in der jetzigen Regelung aber weitaus mehr Vorteile, als in einem Verbot (auch wenn jetz "Utilitarismus!" gerufen wird), wie ich ganz am Anfang bereits ausgeführt habe; ich bewerte die individuellen Freiheitsrechte, die ein jeder über seinen Körper hat höher, als das Existenzrecht einiger Zellen, denen ich die Menschenwürde abspreche.(das kann man jetzt widerlich finden...)
Das oben genannte Ungleichgewicht im Machtverhältnis ist meiner Meinung nach durchaus nicht dadurch zu lösen, daß der potentielle Vater ein Abtreibungs-Vetorecht erhält, oder gar die Frau zur Abtreibung zwingen könnte – beides wären Eingriffe in die oben genannten Freiheitsrechte.
Überspitzt formuliert: wenn mein Nachbar sich den Finger amputieren lassen will, habe ich auch kein Vetorecht, und zu der Operation zwingen kann ich ihn schon gar nicht.
Um das Machtungleichgewicht aufzulösen, bzw. zu vermindern würde ich eine Reform des Unterhaltswesens bzw. des Sorgerechts befürworten.

Es mag im Übrigen durchaus sein, daß ich Conny mißverstanden habe, und es ihm nicht (ausschließlich?) um das Machtungleichgewicht ging. Unabhängig davon sollte man die eigenen Motive in Hinsicht auf diese Fragestellung überdenken.
Zitat:
Wer bei Abtreibung "Mord" ruft, dem geht es sicherlich nicht um Machtfragen
Genau das bezweifle ich, Magnus oder Jim. Nicht bei Euch persönlich! Aber doch bei vielen, die laut „Mord“ rufen.


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