Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Wenn du

Isegrim, Sunday, 12.03.2006, 02:07 (vor 6819 Tagen) @ Magnus

Als Antwort auf: Wenn du von Magnus am 10. März 2006 18:50:55:

Naja, so platt ist das mit dem Selbst-Bewußtsein (Ich-Bewußtsein ist eher ein Begriff aus der Psychologie/Psychatrie; Selbst-Bewußtsein ist ein von Kant geprägter, und später in der moralphilosophischen Literatur oft benutzter Begriff (und im Englischen wurde es wortwörtlich übersetzt: Self-Consciousness; hier auch schön von self-confidence zu trennen)) natürlich nicht: zwar fühle ich mich durchaus nicht berufen, eine Festsetzung zu verteidigen, die ich selbst nicht vertrete (Selbst-Bewußtsein ist kaum empirisch nachzuweisen, und Kleinkinder haben es wohl eher nicht), aber es geht hier wohl um die Fähigkeit und nicht um das aktive Anwenden in jedem Augenblick (so ähnlich wie der Gryce'sche Schritt von "Mensch" (dem die Vernunft nicht-wesentlich zufällt) und "Person" (bei der durch Selbst-Setzung die Vernunft wesentlich wird - im Übrigen bedeutet Vernunft hier nicht Zweckrationalität, sondern oft genau das Gegenteil) durchaus häufiger gemacht werden kann, ja, als Individuum kann man sogar in jedem Augenblick diesen Schritt machen, oder wieder zurückfallen; aber ein Mensch ist auch von absolutem Wert, wenn er diesen Schritt nicht tut, sondern nur das aktive Vermögen dazu hat).
Ich stelle abermals die Frage: Was macht den Menschen absolut schützenswert, und wann wird etwas "Mensch", als Träger der Menschenwürde (und von absolutem Wert)? Deiner Meinung nach scheint es allein die Zugehörigkeit zur biologischen Spezies zu sein. Dieser (argumentativ schwer zu untermauernden) Ansicht bin ich nicht.
Die Frage ist prinzipiell: Wann genau findet der Akt der "metaphysischen Transubtiation", der Umwandlung in einen Menschen (im Sinne der Menschenwürde) statt? Wann wird aus einem "Zellhaufen" tatsächlich ein Mensch? Oder, religiös gesprochen, wann bekommt der Zellhaufen eine Seele (die Seele als Wesen, als Substanz des Menschen)? Nach christlichem Verständnis mit der Verschmelzung von Spermium und Eizelle; in anderen Religionen, wie ausgeführt, wenn er sich der Embryo das erste Mal bewegt, nach 40, 80 oder-was-weiß-ich-wieviel Tagen.
Man lege den Fokus auf die weitere Transubtiation im menschlichen Leben: die Verwandlung von einem Menschen, hin zu einem Klumpen Fleisch, den Augenblick also, in dem sich das Wesen des jeweiligen Körpers ändert, in dem - wieder religiös gesprochen - die Seele den Körper verlässt.
Wann genau also verwandelt sich der absolut schützenswerte Mensch in einen Toten, brutal gesagt: in einen nicht mehr in diesem Maße schützenswerten Fleischbrocken?
Juristisch festgelegt, empirisch nachprüfbar und allgemein anerkannt ist hier folgende Definition: Hirntod. Keine meßbaren Aktivitäten der Hirnrinde mehr. Auch wenn der Körper sonst noch Reaktionen zeigen mag, die normalerweise nur bei Lebenden auftreten: Er ist tot. Und ein toter Körper ist nicht mehr in dem Maße schützenswert wie ein Lebender.
Nun ist ein Fötus natürlich nicht tot, aber die Übertragung dieser Definition bietet sich an: die Hirnrinde des Fötus ist vor der 25. Woche nicht funktionsfähig. Er hat kein Bewußtsein, er besitzt nicht die Fähigkeit zur Reflexion, er ist nicht mal so weit entwickelt wie ein Maikäfer. Natürlich ist die Zugehörigkeit zur biologischen Spezies ein wichtiger Punkt (es ist meiner Meinung nach sogar eine Notwendige Bedingung - ganz anthropozentrische Arroganz), aber, überspitzt formuliert: ein hirntoter Körper gehört auch der biologischen Spezies Homo sapiens sapiens an, er kann sich - günstige Umstände vorrausgesetz (Gerätemedizin) - noch lange am "Leben" erhalten, sich sogar noch fortpflanzen!
Natürlich könnte es sein, daß wir hier einen schlimmen Fehler machen, und die Föten bereits eine Seele haben, und die Hirntoten ebenfalls. Aber - mal davon abgesehen, daß "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht" im moralischen Kontext gerade nicht gilt - erscheint es mir auf Basis unseres Wissens am sinnvollsten, hier die "Moral der Engländer", den Utilitarismus zur Anwendung zu bringen: die überwiegenden Vorteile und die Wahrung des Rechts der Frau, über ihren eigenen Körper zu verfügen, nutzen, und Abtreibung zu gestatten, statt sie zu verbieten, weil es sein könnte, daß der Embryo doch eine "Seele" besitzt (und damit absolut schützenswert ist, d.h. daß sein Existenzrecht höher wiegt, als das Recht der Frau "auf ihren Bauch").


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