Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Nationalstaaten sind sowieso bald Geschichte

Jim, Wednesday, 31.05.2006, 17:09 (vor 6550 Tagen) @ Paul

Hallo!

Du denkst in die ganz falsche Richtung. Nationalstaaten werden
möglicherweise schon in nicht allzu ferner Zukunft Geschichte sein. Und
das liegt nicht am Feminismus, sondern daran, daß Nationalstaaten in einer
globalisierten Wirtschaft immer mehr an wirtschaftlicher Kontrolle und
politischem Einfluss verlieren. Ein weiterer Effekt ist der, daß sich das
auch das gesamte "Kulturschaffen" immer weiter von Einzelpersonen in die
Hand von Konzernen verlagert. Egal ob Musik, Film, Literatur, Design (von
Alltagsgegenständen), all das verliert seine "nationale Identität",
einfach schon deswegen, weil Konzerne schon aufgrund von
Effizienzüberlegungen global einheitlich auftreten (müssen). Beispiel: in
den 70er Jahren war es noch möglich, einen New Yorker und einen Münchner
anhand der Kleidung zu unterscheiden, wenn man Augen im Kopf hatte.
Heutzutage ist dies schon ziemlich schwer - allenfalls sehr aufmerksame
Beobachter werden noch kleine Unterschiede feststellen. Auch das
Erscheinungsbild der Städte ändert sich: Es gibt keine landestypische
Architektur mehr. Die grossen Architekturbüros bauen weltweit, sei es New
York, London, Tokio... es ist absehbar, daß im Zuge des Verfalls alter
Bauten und dem Entstehen neuer Bauten die Differenz im oberflächlichen -
d.h. unter Ausschluss ihrer historischen Wahrzeichen und Denkmäler -
Erscheinungsbild der Städte immer mehr verschwindet. Da gilt nicht nur für
Prestigebauten, sondern sogar für ganz profane Dinge wie Geschäfte:
Starbucks sieht überall auf der Welt gleich aus, ebenso wie McDonalds,
Nike, Prada, Muji und wie sie alle heissen. Ein abstraktes Konzept wie
"Nationale Identität" kann dagegen auf Dauer nicht gewinne, weil dahinter
keine wirkliche Macht steht - nämlich in Form von finanziellen und
intellektuellen Resourcen (ja, auch die Intelligenz geht dahin, wo das
Geld ist...).

Die Welt als Supermarkt. Sehe ich ähnlich.

Ob es einem passt oder nicht, so siehts aus :-) Ich persönlich sehe die
Entwicklung übrigens durchaus positiv. Zeigt die Geschichte doch, daß sich
primär Leute mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund die Köpfe
einschlagen. Verschwinden die kulturellen Unterschiede, verschwindet viel
Konfliktpotential.

Das ist prinzipiell schon richtig. Nur das Interindividuelle Konflikte in deiner Konstruktion nicht berücksichtig sind. Um es kurz anzureissen: Das 20. Jh. über haben wir die Schrecken von Kollektivkonflikten, Idiologien vs Ideologien, Nationen gg. Nationen, beobachtet. Das klassische Links/Rechts Denkmuster, demnach diese sich diemetral gegenüberstehen, ist insofern unrichtig, als beides totalitäre Kollektivismen sind. Nun beginnt das Pendel zur anderen Seite auszuschlagen: der unbegrenzte Neoliberalismus und Individualismus, der Freiheit lediglich als unbegrenzte Wahlmöglichkeit definiert, muss letztendlich zur völligen Entgrenzung des Einzelnen führen, zu Individuen, die ihrer selbst völlig bewusst, dem jeweils Anderen völlig fremd sind. Es geht gar nicht anders, als das dies letztendlich zu einem Krieg "Jeder gegen Jeden" führen muss. Die ersten Anzeichen sehen wir ja schon. Teenies, die so selbstfixiert sind, das sie mordend durch die Schule (Erfurt) oder jetzt aktuell durch neueröffnete Bahnhöfe (Berlin) ziehen. Ich kann darin keine Einzelfälle, sondern nur Symptome einer sich allgemein verstärkenden Tendenz erblicken. Ich denke, das 21.Jh. wird die Menschheit lernen müssen, was es heisst, wenn jeder in absolut letzter Konsequenz nur an das eigene Wohl denkt und unfähig ist, die Wirkungen seiner Handlungen miteinzubeziehen. Die Älteren Generationen haben sich hier nicht mit Ruhm bekleckert sondern als Vorbild gedient und die Jüngeren in ihrem stetig wachsenden Pragmatismus führen dies nun immer -unbewusst, denn sie kennen es ja nicht anders- konsequenter weiter. Da nützt auch der Globalismus nichts, weil sich die Konflikte innerhalb der früheren Gruppen abspielen werden. Dass muss auch nicht zwangsläufig klassische Gewalt sein, vielmehr auch zunehmende Isolation, Furcht vor Anderen und emotionale Verstümmelung etc. Die Frage ist für mich eher, wie weit das Pendel ausschlagen wird, bis das Leid groß genug zur Einleitung einer kollektiven Umkehr ist.

Gruß
Jim

Mit Multikulti hat das übrigens gar nichts zu tun: Die

"globale Kultur" ist eben kein Nebeneinander von einzelnen Kulturen,
sondern sie löst diese ab. Multikulti wird auf dem Schrotthaufen der
Geschichte landen, aber nicht deswegen, weil aufgrund De-Migration die
Durchmischung der Kulturen geringer wird, sondern weil die Einzelkulturen
sich auflösen werden.

Gruss,
Paul


gesamter Thread:

 

powered by my little forum