Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Die Crux liegt weiterhin in den Zweifelsgründen

Daddeldu, Wednesday, 14.02.2007, 15:45 (vor 6436 Tagen) @ Christine

Hallo!

Das Problem in der zukünftigen Ausgestaltung des Verfahrens wird weiterhin darin liegen, wie der rechtliche Vater die Zweifel an der Abstammung begründet. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist hier immer noch sehr weit gezogen worden. Die entscheidenden Abschnitte scheinen mir die folgenden zu sein [Randnummern in eckigen Klammern]:

c) Auch die Auslegung der Anfechtungsvoraussetzungen durch die Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dem Schutz des rechtlichen und sozialen Familienverbandes aus Art. 6 Abs. 1 GG und der dem seine Vaterschaft anfechtenden rechtlichen Vater gesetzlich auferlegten Darlegungslast entspricht es, wenn die Rechtsprechung hierfür nicht allein die Behauptung des rechtlichen Vaters ausreichen lässt, er habe Zweifel an seiner Vaterschaft oder sei nicht der biologische Vater des Kindes, sondern von ihm die Darlegung objektiver Umstände verlangt, die Zweifel an seiner Vaterschaft wecken. [83]

Andererseits dürfen aber die Anforderungen an die Darlegungslast des rechtlichen Vaters auch nicht zu hoch angesetzt werden, damit sein Interesse, sich von der rechtlichen Vaterschaft zu lösen, wenn er nicht biologischer Vater ist, im Anfechtungsverfahren in ausreichendem Maße Berücksichtigung finden kann. Insofern ist von ihm nur zu verlangen, dass er, wie der Bundesgerichtshof dies in seiner Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht hat (vgl. BGH, NJW 1998, S. 2976 <2977>), Umstände vorträgt, die es nicht ganz fernliegend erscheinen lassen, nicht er, sondern ein anderer Mann könne möglicherweise biologischer Vater des Kindes sein. [84]

b) Auch die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen die Vaterschaft angefochten werden kann, sind, bezogen auf die Verfolgung des Interesses, Kenntnis von der Abstammung seines Kindes zu erlangen, unverhältnismäßig. Sie sind an dem Schutz ausgerichtet, der dem Kind und seiner Mutter im Hinblick auf den Bestand der rechtlichen und sozialen familiären Beziehung mit dem Vater zukommt, der bei einer Anfechtung der Vaterschaft gefährdet ist. Dieses Bestandsschutzes bedürfen sie aber nicht, wo es lediglich um die Verfolgung des Zieles geht, über die Abstammung des Kindes Gewissheit zu erlangen. Hier steht dem Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung kein entsprechend gewichtiges, schützenswertes Interesse von Kind und Mutter entgegen, sodass es nicht gerechtfertigt wäre, ein Verfahren zur Klärung und Feststellung der Abstammung an dieselben Darlegungslasten und Fristen zu binden, die für die Anfechtungsklage maßgeblich sind. Zur Verfahrenseröffnung reichte hier aus, wenn der rechtliche Vater Zweifel an der Abstammung des Kindes von ihm vorträgt. [88]

1. Der Gesetzgeber hat mehrere Möglichkeiten, um seiner Schutzpflicht nachzukommen. Eine Möglichkeit bestünde darin, Regelungen zu treffen, die die Weigerung des Kindes oder seiner sorgeberechtigten Mutter, auf privatem Wege ein genetisches Abstammungsgutachten einzuholen, gerichtlich überprüfbar machen und die es dem Gericht erlauben, durch Entzug oder Übertragung der Vertretungsbefugnis für das Kind den Weg für die Erstellung eines solchen Gutachtens freizumachen, wie es der Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung vorsieht. Die Verwertung eines auf diese Weise zustande gekommenen Gutachtens wäre verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch könnte für die Klärung und Feststellung der Abstammung ein eigenständiges getrenntes oder dem Anfechtungsverfahren vorgeschaltetes gerichtliches Verfahren vorgesehen werden, bei dem nach vom rechtlichen Vater behaupteten Zweifeln, dass das Kind von ihm abstamme, in die Sachprüfung einzutreten wäre. [98]

2. Allerdings ist der Gesetzgeber gehalten, Sorge dafür zu tragen, dass im Vaterschaftsanfechtungsverfahren das von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Interesse insbesondere des Kindes, gegebenenfalls seine rechtliche und soziale familiäre Zuordnung zu behalten, auch weiterhin Berücksichtigung findet. Auch dabei hat der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum. So kann er sicherstellen, dass die nun leichter zu erwerbende Kenntnis des rechtlichen Vaters, nicht biologischer Vater zu sein, im Anfechtungsverfahren nicht sogleich zur Beendigung der rechtlichen Vaterschaft führt, wenn dies wegen der Dauer der rechtlichen und sozialen Bindung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater sowie der besonderen Lebenssituation und Entwicklungsphase, in der sich das Kind gerade befindet, zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Kindeswohls führte. [99]

Damit sieht es wohl so aus, dass bei der Anfechtung die hohen Anforderungen an die Darlegung der Zweifelsgründe bleiben müssen. Bei der (neuen) Feststellung der Vaterschaft muss die Hürde niedriger sein, also genügt wohl die Behauptung von Zweifelsgründen, damit das Gericht dann das Gutachten beauftragt.

Interessant wird es, wenn der Scheinvater dann nach dem negativen Gutachten das Band lösen will. Anscheinend lässt das BVerfG die Verwertung zu, obwohl die Eingangshürde niedrig war. Das führt m. E. zu einem heftigen Widerspruch zu den hohen Hürden, die im Falle einer direkten Anfechtung bestehen müssen.

Es wird darauf hinauslaufen, dass die Männer einen selbstbestimmten, privaten Vaterschaftstest machen lassen. Wenn sie wissen, dass sie nicht biologischer Vater sind, aber die Zweifelsgründe zu dünn sind, können sie dann erst auf Feststellung klagen, und anschließend anfechten.

Allerdings kann der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Kenntnis, nicht biologischer Vater zu sein, im Anfechtungsverfahren nicht sogleich zur Beendigung der rechtlichen Vaterschaft führt. Und zwar dann, wenn dies wegen der Dauer der rechtlichen und sozialen Bindung zwischen Kind und rechtlichem Vater sowie der Lebenssituation und Entwicklungsphase, zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Kindeswohls führen würde. Es könnte also durchaus sein, dass der Gesetzgeber vorschreibt, dass der Mann Vater bleibt, auch nachdem gerichtlich das Nicht-Abstammen offiziell festgestellt wurde, wenn am Anfang des Feststellungsverfahrens Zweifelsgründe standen, die für ein Anfechtungsverfahren nicht ausgereicht hätten.

Oder das Gericht entscheidet im Einzelfall, ob die Loslösung das Kindeswohl erheblich beeinträchtigt. Aber wenn schon das Nicht-Abstammen festgestellt ist, wo könnte dann noch eine darüber hinausgehende Beeinträchtigung liegen? Letztlich nur im Wegfall des Kindesunterhaltes. Und ob man so weit gehen will, jemanden so offen zum Unterhaltssklaven zu machen, halte ich für fragwürdig.

Das Urteil ist sicherlich ein Fortschritt zur jetzigen Regelung, aber es wirft eine Menge Fragen auf, die vom Gericht nicht beantwortet werden.

Gruß,

Daddeldu


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